1. Der Bescheid vom 11.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.07.2011 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung im Sinne von
§ 2 Abs. 3 Sozialgesetzbuch 9. Buch (SGB IX).
Der 1976 geborene Kläger beantragt am 14. Februar 2011 die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Er ist seit 2007 als Studienrat im Rahmen eines Beamtenverhältnisses auf Probe bei den Beruflichen Schulen in E.-Stadt tätig. Durch Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales vom 04. Februar 2011 wurde ein Grad der Behinderung von 30 bei Berücksichtigung einer Multiplen Sklerose festgestellt. Den Antrag begründete der Kläger damit, dass er die Gleichstellung benötige, um in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen zu werden. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens richtete die Beklagte Anfragen an das Staatliche Schulamt des Landkreises EF. und die Personal- und Schwerbehindertenvertretung. Auf die Antworten vom 22. Februar 2011, 01. März 2011 und 23. Februar 2011 wird Bezug genommen.
Durch Bescheid vom 11. März 2011 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger könne seine derzeitige Tätigkeit als Studienrat ohne Einschränkungen ausüben. Eine behinderungsbedingte Gefährdung seines derzeitigen Arbeitsplatzes werde nicht vorgetragen. Nach den Angaben des Staatlichen Schulamtes sei der Arbeitsplatz weder aus behinderungsbedingten noch aus sonstigen Gründen gefährdet. Die Herbeifügung der Verbeamtung sei nicht gesetzliche Voraussetzung für eine Gleichstellung, denn für eine Gleichstellung sei eine konkrete behinderungsbedingte Gefährdung des Arbeitsplatzes erforderlich. Das Staatliche Schulamt erkläre explizit, falls eine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nicht möglich sein solle, dann würde der Kläger in ein unbefristetes Angestelltenverhältnis übernommen werden. Ein Verlust des Arbeitsplatzes drohe somit nicht. Allgemeine Darlegungen, dass sich das Leiden verschlimmern könne und deshalb in Zukunft Leistungseinschränkungen am Arbeitsplatz zu erwarten sein könnten, reichten nicht aus, um die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen zu erlangen. Eine erneute Antragstellung könne bei Änderung der Verhältnisse jederzeit erfolgen.
Hiergegen richtete sich der am 25. März 2011 erhobene Widerspruch zu dessen Begründung der Kläger ausführte, Multiple Sklerose Erkrankungen verliefen individuell höchst unterschiedlich. Ein Fortschreiten der Krankheit könne in kürzester Zeit zu schweren Beeinträchtigungen bis hin zum Verlust der Arbeitskraft führen. Er bemühe sich gesundheitsbewusst zu leben und zu arbeiten, könne aber ein fortschreiten der Krankheit nicht ausschließen. Eine Verschlechterung seines Krankheitsbildes könne auch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis letztendlich zum Kündigungsgrund werden. Da fraglich sei, welche Sicherheit ein unbefristeter Vertrag im Krankheitsfall biete, stelle diese Unsicherheit für ihn eine zusätzliche gesundheitliche Belastung da, deren Auswirkungen auf seinen Krankheitsverlauf nicht abschätzbar seien. Zum jetzigen Zeitpunkt garantiere ihm das Schulamt die Weiterbeschäftigung als Beamter, wenn er mit einem schwerbehinderten gleichgestellt würde.
Durch Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung auf, die arbeitsmarktliche Wettbewerbssituation beschäftigter behinderter Menschen konkretisiere sich zunächst in der Situation am gegenwärtigen Arbeitsplatz. Es müsse eine konkrete Gefährdung des Arbeitsplatzes gegeben sein. Wegen der geforderten Kausalität sei zu prüfen, ob die Schwierigkeiten des behinderten Menschen an diesem Arbeitsplatz, insbesondere Befürchtungen, ihn zu verlieren, maßgeblich auf die Auswirkung der gesundheitlichen Einschränkungen zurückzuführen seien. Eine konkrete Gefahr, den Arbeitsplatz wegen der Behinderung nicht behalten zu können, sei vorliegend nicht dargetan. Nach eigenen Angaben könne der Kläger seine berufliche Tätigkeit ohne Einschränkungen weiterhin ausüben. § 2
Abs. 3
SGB IX bezwecke behinderte Menschen vor einer für sie ungünstigen Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt zu schützen. Eine solche trete ein, wenn der innegehabte Arbeitsplatz verloren zu gehen drohe oder der behinderten Mensch, der nicht über einen Arbeitsplatz verfüge, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ausweichen, um dort in Konkurrenz mit gesunden und in ihrer Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigten Arbeitnehmern treten zu müssen. Einer solchen Situation sei der Kläger nicht ausgesetzt. Er habe einen angemessenen und geeigneten Arbeitsplatz inne, der erkennbar nicht gefährdet sei. Eine Arbeitsplatzgefährdung bestehe auch nicht, wenn der Kläger nicht in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen werden solle, denn nach ausdrücklicher Aussage des Staatlichen Schulamtes werde der Kläger dann in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis weiterbeschäftigt werden. Soweit der Kläger bei einem Fortschreiten seiner Erkrankung seinen Arbeitsplatz künftig als gefährdet ansehe, stelle er auf Befürchtungen
bzw. auf in der Zukunft liegende, derzeit nicht konkretisierbare Ereignisse und damit eine abstrakte Arbeitsplatzgefährdung ab, die jedoch zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 2
Abs. 3
SGB IX nicht ausreiche.
Hiergegen richtet sich die am 03. August 2011 zum Sozialgericht Kassel erhobene Klage. Zur Begründung führt der Kläger aus, vor der angestrebten Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit sei grundsätzlich die gesundheitliche Eignung festzustellen, das heißt, es sei nachzuweisen, dass es überwiegend wahrscheinlich sei, dass er das reguläre Pensionseintrittsalter ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen erreichen werde. Bei vorliegen einer Schwerbehinderung oder einer Gleichstellung seien die Einstellungsvoraussetzungen jedoch erleichtert. Er sei auf Grund seiner Behinderung gegenüber nicht behinderten Mitbewerbern bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz einem konkreten Wettbewerbsnachteil ausgesetzt. Eine Ernennung von ihm in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit sei auf Grund seiner Behinderung ohne eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten grundsätzlich ausgeschlossen. Daher sei ihm auf Grund seiner Behinderung die Erlangung eines Arbeitsplatzes eines Studienrates als Beamter auf Lebenszeit verwehrt. Die Möglichkeit, als Angestellter tätig zu werden könne dem nicht gleichgestellt werden. Es sei vielmehr der konkrete Arbeitsplatz des Lehrers auch unter Berücksichtigung der Art des Beschäftigungsverhältnisses mit den nicht behinderten Mitbewerbern zu vergleichen, was sich aus
§ 73 SGB IX, auf den § 2
SGB IX verweise, ergäbe. Auf Grund seiner Behinderung bestehe eine ungünstige Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt. Der Gesetzgeber habe mit dem speziellen Regelungen für Beamte und deren Einstellung, die schwerbehindert oder mit Schwerbehinderten gleichgestellt sind, im Umstand Rechnung getragen, dass hier konkrete Wettbewerbsnachteile gegenüber nicht behinderten Mitbewerbern im Hinblick auf Stellenbesetzungen bestehen, denen entgegen zu treten sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 11.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft Sie zur Begründung Ihres Antrages auf die während des Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens gemachten Ausführungen. Ergänzend trägt sie vor, dass zwar das Fortbestehen des Beamtenverhältnisses gefährdet sein möge, indessen keine Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, dass der Arbeitsplatz des Klägers im Sinne eines Beschäftigungsverhältnisses gefährdet sei. Die Gleichstellung diene dazu, bei einer Arbeitsplatzgefährdung den Arbeitsplatz sicherer zu machen. Die Schutzregelung sei nicht so weitreichend, dass damit auch das Begehren, in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit beschäftigt zu werden
bzw. in ein solches übernommen zu werden, umfasst wäre.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte; weiterhin wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne von § 54
Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 11. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2011 ist rechtswidrig. Der Kläger wird hierdurch in seinen Rechten verletzt. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, den Kläger schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.
Nach § 2
Abs. 3 Sozialgesetzbuch Ziffer 9. Buch (
SGB IX (in der Normfassung des
SGB IX vom 19. Juni 2001 - BGBl I 1056)) sollen behinderte Menschen mit einem
GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des
§ 2 Abs. 2 SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen (mit einem
GdB von wenigstens 50; § 2
Abs. 2
SGB IX) gleichgestellt werden, wenn sie in Folge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des
§ 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können.
Der Kläger erfüllt die persönlichen Voraussetzungen eines anerkannten
GdB von 30. In dessen kann er nicht, anders als die Beklagte meint, einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73
SGB IX erlangen. Nach § 73
Abs. 1
SGB IX sind Arbeitsplätze im Sinne des Teils 2 alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung eingestellte beschäftigt werden. Das, was als Arbeitsplatz anzusehen ist, ist nicht gegenständlich-räumlich im Sinne von Beschäftigungsort, Beschäftigungsplatz oder Beschäftigungsstelle definiert, sondern rechtlich-funktional: Arbeitsplatz ist diejenige Stelle (Anstellung), in deren Rahmen eine bestimmte Tätigkeit auf der Grundlage eines Arbeits-, Dienst- oder Ausbildungsverhältnisses mit allem sich daraus ergebenen Rechten und Pflichten vollzogen wird (
vgl. Trenk-Hinterberger in Lachwitz/Schellhorn/Welti, HK-SGB IX, 3. Auflage, 2010, § 73 Rz. 5
m.w.N. aus der Rechtsprechung des
BVerwG). Diese Auslegung deckt sich auch mit dem Sinn und Zweck der Gleichstellung im Sinne von § 2
Abs. 3
SGB IX. Die Gleichstellung dient nämlich dazu, die ungünstige Konkurrenzsituation des Behinderten am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder seine Vermittlungschancen zu erhöhen (
vgl. BSG vom 01.03.2011,
B 7 AL 6/10 R,
BSG E 108,4 Rz 12).
Ausgehend hiervon war die Beklagte zu verpflichten die Gleichstellung im Sinne von § 2
Abs. 3
SGB IX auszusprechen. Dem Kläger ist nämlich durch seine Erkrankung der Zugang zu einem Arbeitsplatz als Beamter auf Lebenszeit verwehrt. Dies hat das Staatliche Schulamt für den Landkreis EF. und für den GF.-Kreis ausdrücklich in der am 22. Februar 2011 eingegangenen Befragung des Arbeitgebers angegeben. Nur mit der Option der Verkürzung des Prognosezeitraums wird dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen zu werden, und dies wiederum ist nur möglich, wenn der Kläger schwerbehinderten Menschen im Sinne von § 2
Abs. 3
SGB IX gleichgestellt wird.
Aus diesem Grunde war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
Abs. 1
SGG.
Die Zulässigkeit der Berufung folgt aus § 143
SGG.