Urteil
Keine Verlängerung der Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen nach SGB IX wegen eines Bandscheibenvorfalls

Gericht:

LSG Nordrhein-Westfalen 19. Senat


Aktenzeichen:

L 19 AL 51/09


Urteil vom:

12.04.2010


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30.10.2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verlängerung seiner Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Seit dem 16.02.1998 ist der am 00.00.1968 geborene Kläger als Verwaltungsangestellter in der Zentralverwaltung des Landschaftsverbandes Rheinland beschäftigt. In der Zeit vom 11.11.2004 bis 09.05.2005 war er wegen eines Bandscheibenvorfalls arbeitsunfähig. Beim Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt.

Durch Bescheid vom 14.11.2005 wurde der Kläger von der Beklagten nach § 2 Abs. 3 SGB IX einem schwerbehinderten Menschen befristet bis zum 30.06.2007 gleichgestellt. Sie führte aus, dass die Gleichstellung zur Erhaltung des Arbeitsplatzes sowie zur Erlangung technischer Hilfen ausgesprochen werde. Die nach § 68 Abs. 2 SGB IX zulässige Befristung erfolge, da bis zum Ablauf der Frist die technische Ausstattung des Arbeitsplatzes durchgeführt sein sollte.

Die Fürsorgestelle der Stadt L förderte die behindertengerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes des Klägers durch die Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines höhenverstellbaren Tisches und einer Scrollmouse. Der Arbeitgeber stellte einen geeigneten Bürostuhl und ein Stehpult aus seinem Inventar zur Verfügung.

Im Juni 2007 beantragte der Kläger die Verlängerung der Gleichstellung. Er trug vor, dass er ständig in geschlossenen Räumen, stehend mit Arbeitshilfe und sitzend mit Zwangshaltung und häufigem Heben und Tragen von Akten arbeite. Sein Arbeitsplatz sei behindertengerecht ausgestaltet. Falls an den Arbeitshilfen ein Schaden auftrete, könnte er seine Tätigkeit ohne diese Hilfen nicht auf Dauer ausüben. Der Arbeitgeber teilte der Beklagten unter dem 12.07.2007 mit, dass sich die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers auf seine derzeitigen Tätigkeiten nicht auswirkten. Der Arbeitsplatz sei behindertengerecht ausgestaltet. Eine innerbetriebliche Umsetzung sei wegen der Auswirkung der Behinderung nicht vorgesehen. Die Schwerbehindertenvertretung gab unter dem 12.07.2007 an, dass sich die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers auf seine derzeitige Tätigkeiten insoweit auswirkten, als ein häufiger Wechsel zwischen Stehen, Sitzen und Gehen erforderlich sei. Der derzeitige Arbeitsplatz sei behindertengerecht ausgestaltet. Eine innerbetriebliche Umsetzung sei wegen der Auswirkungen der Behinderungen nicht möglich. Hinsichtlich der Frage, ob der Arbeitsplatz aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen gefährdet sei, werde auf die Stellungnahme von Oktober 2005 verwiesen. Dort war ausgeführt, dass der Kläger auf die Ausstattung seines Arbeitsplatzes mit sachgerechten Hilfsmitteln angewiesen sei. Der Personalrat hat sich der Stellungnahme der zuständigen Schwerbehindertenvertretung angeschlossen.

Durch Bescheid vom 16.08.2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Bei der Prüfung des Antrages hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass der Arbeitsplatz des Klägers aus behinderungsbedingten Gründen gefährdet und er zur Erhaltung des Arbeitsplatzes auf den Gleichstellungsschutz angewiesen sei. Allgemeine Darlegungen, dass am behindertengerechten Arbeitsplatz Schäden auftreten könnten, die ein Weiterarbeiten nicht ermöglichen würden, reichten nicht aus, um eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen zu erlangen. Eine erneute Antragstellung könne bei Änderung der Verhältnisse jederzeit erfolgen.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, dass das mit der Gleichstellung angestrebte Ziel - Ausstattung des Arbeitsplatzes mit behindertengerechten Arbeitsmitteln, Reduzierung erheblicher Krankheitszeiten - erreicht worden sei. Das positive Ergebnis der Bemühungen werde aber in Frage gestellt, wenn nach dem 30.06.2007 keine Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX mehr vorliege, da sein Arbeitgeber in diesem Fall die behindertengerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes aufheben und keinen Handlungsbedarf mehr erkennen könne, wenn ein beschädigtes Arbeitsmittel ersetzt oder repariert werden müsse. Ohne eine ausreichende, behindertengerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes sei es aber höchst wahrscheinlich, dass wieder erhebliche krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten auftreten werden. Auf Anfrage der Beklagten gab der Arbeitgeber an, dass der Kläger Verwaltungstätigkeiten, Bildschirmarbeiten und Aktenbearbeitung verrichte. Aufgrund der zur Verfügung gestellten Hilfsmittel gebe es hierbei keine nennenswerten Beeinträchtigungen. Der Kläger sei im Jahr 2005 an 55 Tagen, im Jahr 2006 an keinem Tag sowie im Jahr 2007 an elf Tagen arbeitsunfähig gewesen. Durch Widerspruchsbescheid vom 06.05.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Arbeitgeber und die Mitarbeitervertretung hätten übereinstimmend erklärt, dass der Arbeitsplatz weder aus behinderungsbedingten noch aus sonstigen Gründen gefährdet sei. Mit den zur Verfügung gestellten Hilfsmitteln sei es zu keinen nennenswerten Beeinträchtigungen bei den zu verrichtenden Tätigkeiten gekommen. Trotz abgelaufener Gleichstellung stünden die angeschafften Hilfsmittel dem Kläger weiter zur Verfügung. Es sei nicht erkennbar, dass dem Kläger die entsprechenden Hilfsmittel entzogen werden sollten. Auch Fehlzeiten lägen nicht in einem Rahmen vor, der eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen würde. Soweit der Kläger fürchte, eine Gefährdung könne dann eintreten, wenn die zur Verfügung gestellten Hilfsmittel beschädigt werden könnten, lasse sich hieraus kein Anspruch auf eine Gleichstellung herleiten, da zur Zeit eine akute Gefährdung des Arbeitsplatzes nicht gegeben sei.

Am 26.05.2008 hat der Kläger Klage erhoben.

Er hat sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt. Es sei nicht Sinn der Zielsetzung des § 2 Abs. 3 SGB IX, dass erst dann ein erneuter Antrag auf Gleichstellung gestellt werden könne, wenn es wieder zu erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten gekommen sei.

Durch Urteil vom 30.10.2009 hat das Sozialgericht Köln die Klage abgewiesen.

Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 11.11.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.12.2009 Berufung eingelegt.

Er verfolgt sein Begehren weiter. Ergänzend trägt er vor, dass es ihm nicht zumuten sei, im Fall der Beschädigung eines technischen Arbeitsmittels, auf dessen Nutzung er angewiesen sei, eine Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über die Übernahme der Reparatur- oder Wiederanschaffungskosten nach § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 5 SGB IX abzuwarten. Auch sei zu berücksichtigen, dass bei seinem Arbeitgeber zwischenzeitlich eine Dienstvereinbarung, die eine leistungsorientierte Bezahlung ermögliche, in Kraft getreten sei. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er bei einer systematischen Leistungsbewertung wegen seiner Behinderung, die mit einer dauernden Einbuße seiner körperlichen Beweglichkeit einhergehe, unberücksichtigt bleibe. Deshalb sei eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten erforderlich.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30.10.2009 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2008 zu verurteilen, ihn über den 30.06.2007 hinaus mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtmäßig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der Beratung gewesen ist.

Rechtsweg:

SG Köln Urteil vom 30.10.2009 - S 20 AL 51/08

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Kläger ist nicht beschwert i.S.v. § 54 Abs. 2 Satz. 1 SGG. Der Bescheid vom 16.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2008 ist rechtmäßig. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Kläger über den 30.06.2007 hinaus mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichzustellen.

Nach § 2 Abs. 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens von 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz i.S.v. § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX ist der Zeitraum von der Antragstellung bis zur letzten mündlichen Verhandlung; es müssen alle wesentlichen Veränderungen der Sach- und Rechtslage bis zur letzten mündlichen Verhandlung Berücksichtigung finden (BSG, Urteil vom 02.03.2000 - B 7 AL 46/99 R).

Zwar ist beim Kläger ein GdB von 30 anerkannt und hat er seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Die Voraussetzungen für eine Gleichstellung zum Behaltenkönnen des Arbeitsplatzes sind jedoch nicht gegeben. Eine solche Gleichstellung setzt voraus, dass der Arbeitsplatz des Antragstellers geeignet ist und bei wertender Betrachtung in der Behinderung, d. h. in deren Art und Schwere, die Schwierigkeit der Erhaltung des Arbeitsplatzes liegt. Bei der erforderlichen Prognose über das Behaltenkönnen des Arbeitsplatzes ist keine absolute Sicherheit erforderlich; es genügt, dass durch eine Gleichstellung der Arbeitsplatz sicherer gemacht werden kann (BSG Urteil vom 02.03.2000 - B 7 AL 46/99 R = nach juris Rn 17). Es genügt aber keine abstrakte Gefährdung des Arbeitsplatzes, sondern es müssen Tatsachen vorliegen, die den Rückschluss zulassen, dass der Arbeitsplatz wegen der Behinderung konkret gefährdet ist (LSG NRW Urteil vom 02.09.2008 - L 1 AL 35/07). Die Beklagte muss vorausschauend in Betracht ziehen, ob der Arbeitsplatz angesichts der Behinderung auf Dauer behalten wird.

Bei dem behindertengerecht ausgestatteten Arbeitsplatz des Klägers handelt es sich um einen geeigneten Arbeitsplatz i.S.v. § 2 Abs. 3 SGB X. Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Arbeitsplatzes des Klägers durch eine Kündigung seitens des Arbeitgebers sind weder nach Aktenlage noch aus dem Vorbringen des Klägers erkennbar, da dieser Arbeitsplatz zum Zeitpunkt des Abschluss des Gerichtsverfahrens noch behindertengerecht ausgestattet ist. Die abstrakte Gefährdung des Arbeitsplatzes für den Fall, dass bei einem Ausfall und fehlendem Ersatz der technischen Hilfsmittel längere Arbeitsunfähigkeitszeiten beim Kläger auftreten könnten und damit eine Gefährdung des Arbeitsplatzes eintreten könnte, genügt für den Ausspruch einer Gleichstellung nicht. Eine Gleichstellung kann nicht gewährt werden, um einer abstrakten Gefährdung vorzubeugen (vgl. Welte in HK-SGB IX, 3. Aufl., § 2 Rn 53; Knittel, SGB IX, § 2 Rn 103, 130). Soweit der Kläger durch die Gleichstellung sicherstellen will, dass im Fall einer Beschädigung der ihm zur Verfügung gestellten Hilfsmittel die Zuständigkeit des Integrationsamtes nach § 102 SGB IX für die behindertengerechte Ausstattung seines Arbeitsplatzes gegeben ist, hat das Sozialgericht zutreffend dargelegt, dass die behindertengerechte Ausstattung eines Arbeitsplatzes vorrangig Aufgabe der Rehabilitationsträger als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 Abs. 8 SGB IX oder als Leistung der medizinischen Rehabilitation nach § 26 SGB IX ist. Die Erbringung dieser Leistungen hängt aber nicht von dem Status als schwerbehinderter Mensch oder als Gleichgestellter i.S.v. § 2 Abs. 3 SGB IX ab. Die Gleichstellung ist zwar als statusbegründende Entscheidung u. a. mit der günstigen Rechtsfolge der nachrangigen Zuständigkeit des Integrationsamtes für eine behindertengerechte Arbeitsplatzumrüstung gegenüber den Rehabilitationsträgern verbunden. Allein mit einer günstigen Rechtsfolge, die mit einer Statusentscheidung verbunden ist, kann aber nicht die Notwendigkeit der Zuerkennung eines Status begründet werden (vgl. hierzu Knittel, SGB IX, § 2 Rn 131 zum Fall des Wunsches nach einer behindertengerechten Arbeitsplatzumrüstung).

Ebenso liegen die Voraussetzungen für eine Gleichstellung zum Erlangenkönnen eines Arbeitsplatzes nicht vor. Es sind nach Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass im Betrieb der Arbeitgeberin ein freier Arbeitsplatz ohne Ausstattung mit technischen Hilfsmitteln existiert, der nach seinem Anforderungsprofil den beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten des Klägers sowie dessen gesundheitlichen Möglichkeiten entspricht. Der Arbeitgeber hat gegenüber der Beklagten verneint, dass eine innerbetrieblich Umsetzung des Klägers geplant ist. Dies wird vom Kläger auch nicht vorgetragen. Deshalb ist eine Gleichstellung zur Erlangung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes innerhalb des Betriebes der Arbeitgeberin nicht erforderlich.

Wegen des ungekündigten Arbeitsverhältnisses bzw. des Fehlens einer bevorstehenden Kündigung besteht auch keine Konkurrenzsituation in Bezug auf den Arbeitsmarkt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 02.03.2000 - B 7 AL 46/99 R = nach juris Rn 18; LSG NRW, Urteil vom 02.09.2008 - L 1 AL 35/07), in der ein Wettbewerbsnachteil des Klägers aufgrund seiner Behinderung durch eine Gleichstellung ausgeglichen werden muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.

Referenznummer:

R/R4677


Informationsstand: 10.12.2010