Urteil
Zuerkennung des Merkzeichen "RF" bei Inkontinenz

Gericht:

LSG Bayern 15. Senat


Aktenzeichen:

L 15 SB 95/08


Urteil vom:

19.04.2011


Leitsatz:

1. Für den Anspruch auf Merkzeichen RF genügt es nicht, dass Behinderte nur an einzelnen öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen können. Sie müssen vielmehr wegen ihrer Leiden allgemein und umfassend von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sein, was einer Bindung an das Haus/an die Wohnung gleich steht.

2. Es kommt nicht darauf an, ob sich Behinderte beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen gut und schmerzfrei fühlen.

Rechtsweg:

SG Augsburg Urteil vom 16.06.2008 - S 17 SB 482/07

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16. Juni 2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf den Nachteilsausgleich/ das Merkzeichen RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX).

Die 1962 geborene Klägerin leidet an einer angeborenen (und operierten) Fehlbildung des Rückenmarks und der Wirbelsäule (Meningomyelozele), außerdem an chronischen Leiden im Bereich des Bauches. Bis zum Alter von 14 Jahren saß sie im Rollstuhl, lernte dann aber Laufen, erst mit Krücken und dann auch ohne Krücken. In den letzten Jahren hat sich die Geh- und Standfähigkeit wieder verschlechtert. Es besteht eine operativ hergestellte künstliche Harnableitung über ein Conduit (Ileum-Conduit). Zwischenzeitlich war ein Kunstafter gelegt worden, der später zurückverlegt worden ist. Seit Mitte/ Ende der 1990er Jahre leidet sie an imperativem Stuhlabgang und Diarrhoen, seit Anfang der 2000er Jahre an einem zunehmenden Schmerzsyndrom.

Der Beklagte stellte nach versorgungsärztlicher Untersuchung der Klägerin mit Bescheid vom 21.08.1992 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B (Begleitperson bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel), G (erhebliche Gehbehinderung) sowie aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) fest und bezeichnete folgende Gesundheitsstörungen:
1. Meningomyelozele mit Bewegungseinschränkung beider Hüft-, Knie- und Sprunggelenke, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Gang- und Standunsicherheit (Einzel-GdB 80).
2. Künstliche Ableitung in den Darm nach außen (Einzel-GdB 50).
3. Wiederholte Nierenbeckenentzündung (Einzel-GdB 20).
4. Verwachsungsbeschwerden im Bauchbereich (Einzel-GdB 20).

Den erstmals am 28.08.2002 gestellten Antrag auf Merkzeichen RF begründete die Klägerin mit ihren finanziellen Verhältnissen. Sie sei im März 2002 geschieden worden und alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Im Formblattantrag machte sie eine chronische Schmerzsymptomatik und imperative Diarrhöen geltend. Eine Teilnahme am öffentlichen Leben sei wegen plötzlich eintretender Durchfälle nicht möglich. Im vorgelegten "Befundbericht zum Antrag auf Rente" des Allgemeinmediziners C. vom 09.10.2002 ist u.a. erwähnt, dass es zu imperativen Diarrhöen, teilweise 10 bis 15 mal am Tag, komme und außerdem Leerungsprobleme und kolikartige Schmerzsymptomatiken im gesamten Bauch bei Bridenproblemen (Verwachsungen) bestünden. Der Beklagte lehnte den Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens RF mit Bescheid vom 23.01.2003 ab, weil nach Art und Ausmaß der Behinderung die geforderten gesundheitlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

Am 17.01.2007 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Merkzeichen RF und machte geltend, dass sich ihr allgemeiner Gesundheitszustand in den vergangenen drei bis vier Jahren verschlechtert habe. Es bestünden ganz erhöhte Schmerzsymptomatiken trotz ebenfalls erhöhter Morphintherapie, krampfartige, taube und stechende Missempfindungen beim Stützenlaufen und noch stärkere Diarrhöen. Ihr Wohlfühlfeld sei nur noch auf ihre Wohnung bezogen oder begrenzt auf Besuche bei der Freundin oder Familie. Der dem Antrag beigefügte Entlassungsbericht des Klinikums A. vom 17.02.2005 über eine zweiwöchige stationäre Behandlung der Klägerin im Klinikum A. - Neurologische Klinik und klinische Neurophysiologie - im Januar 2005 ist unvollständig; wesentliche Teile sind wegkopiert. Der Hausarzt C. berichtete nach Aufforderung im Befundbericht vom 02.04.2007, dass sich die Gesamtsituation deutlich verschlechtert habe. Die Patientin könne nicht mehr ohne Hilfsmittel laufen, Autofahren sei zeitweise nicht möglich. Die Patientin brauche zunehmend mehr Schmerzmittel. Psychosomatisch sei sie deutlich angeschlagen, da die beiden Kinder zunehmende Schulprobleme hätten und ihr gesundheitlicher Gesamtzustand auch deutlich schlechter werde.

Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 25.05.2007 ab. Die Zuerkennung des Merkzeichens RF setze voraus, dass auch mit Hilfe von Begleitpersonen und technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht möglich sei. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Im Widerspruchsverfahren brachte die Klägerin erneut vor, dass die Durchfälle sich intensiviert hätten; in den Sommermonaten würden sich die Durchfallattacken verstärken. Sie würde schon Inkontinenzartikel tragen. Die "Geruchsbehinderung und Undichte der Inkontinenzartikel" würden sie belasten. Wechselwäsche habe sie immer dabei. Überwiegend sei dies mit zig Toilettengängen verbunden. Das toleriere keiner im öffentlichen Leben. Deshalb habe sie sich nach und nach aus allen öffentlichen Aufgaben zurückgezogen (Frauenbund, Kirchenchor, Sport/ Schwimmen), da sie auch Verabredungen aufgrund der nicht einzuschätzenden Diarrhöen nicht mehr habe einhalten können. Alles habe sie im Laufe der Zeit aufgeben müssen, weil nichts mehr planbar (gewesen) sei. Selbst Einkaufen sei nur noch eine Spontanaktion. Die momentan einzige Möglichkeit, am öffentlichen Leben teilzunehmen, seien Fernsehen, Radio, Telefon, zum Teil PC. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2007 zurückgewiesen. Die Feststellung des Merkzeichens RF sei nicht möglich. Nach den vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätzen lägen trotz grundsätzlich möglicher Geruchsbelästigungen die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht vor. Die Zuerkennung des Merkzeichens RF setze nämlich voraus, dass der behinderte Mensch allgemein und umfassend von öffentlichen Veranstaltungen behinderungsbedingt ausgeschlossen sei (Urteil des Bundessozialgerichts vom 23.02.1987, 9a RVs 72/85). Etwaige Geruchsbelästigungen bei bestimmten Veranstaltungen in geschlossenen Räumen führten nicht zum umfassenden Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen (Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 04.04.1995, L 15 Vs 3/94). Zudem sei zu berücksichtigen, dass bei vielen öffentlichen Veranstaltungen Verständnis für die besondere Situation behinderter Menschen bestehe (z.B. bei kirchlichen oder politischen Veranstaltungen) und dass im Übrigen der Öffentlichkeit ein hohes Maß an Belastung durch behinderungsbedingte Auffälligkeiten zuzumuten sei, weil das Behindertenrecht die Eingliederung und nicht die Ausgrenzung der behinderten Menschen bezwecke (Urteil des Bundessozialgerichts vom 10.08.1993, 9/9a RVs 7/91).

Hiergegen hat die Klägerin am 15.10.2007 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Man wolle, so hat sie zur Begründung vorgetragen, nicht das Ausmaß ihres Leidens "im Gesamtbild" sehen. Die angesprochene Toleranzgrenze stehe doch nur auf dem Papier. Wenn sie bei einem plötzlich auftretenden Durchfall im Schwimmbad schwimme und nicht schnell genug zur Toilette komme, hätte sie als nächstes Hausverbot; in freien Gewässern sei Schwimmen schon wegen ihrer Nierenerkrankung nicht möglich. Weiter hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie sich unwohl fühle, wenn sie im Rollstuhl in der Oper sitze, die Inkontinenzartikel aber schon zum Äußersten erschöpft seien. Dass sie nur an Außenveranstaltungen teilnehmen solle, finde sie äußerst diskriminierend und sei auch wegen ihres Nierenleidens und des verminderten Immunsystems nicht möglich. Sie hätte einen gewissen gebildeten Intellekt und somit andere Grundbedürfnisse an öffentlichen Veranstaltungen. Der Hausarzt C. hat ihr in dem der Klageschrift beigefügten Schreiben vom 09.10.2007 bescheinigt, dass sie "meistens" wegen Schmerzen und Inkontinenz nicht in der Lage sei, an Veranstaltungen teilzunehmen. Sie sei rollstuhlpflichtig und auf dauernde Begleitung angewiesen. Da es nur wenige Veranstaltungen gebe, die der Behinderung der Klägerin gerecht würden, bedeute die Verweigerung der Befreiung von den Rundfunkgebühren eine "unmenschliche Härte". Im Befundbericht vom 18.12.2007 hat er ergänzt, dass die Klägerin nicht am öffentlichen Leben teilnehmen könne, weil sie auf Windelversorgung angewiesen sei. Des weiteren stehe sie unter einer Dauermorphintherapie.

In einem vom Hausarzt übermittelten Entlassungsbericht des Klinikums A. vom 17.02.2005 - jetzt in vollständiger Fassung - ist folgendes festgehalten: "Zustand nach Anus praeter sigmoideus, Sphinkter intakt, keine Inkontinenz ... Keine Urin- und Mastdarminkontinenz." Grund für die stationäre Aufnahme sei eine seit einem halben Jahr bestehende progrediente Verschlechterung der Paraparese mit Zunahme der Hypästhesie an beiden Beinen gewesen. Ebenfalls zugenommen habe die Schmerzsymptomatik, weswegen schon eine Umstellung auf Morphin erfolgt sei. Bezüglich der Lendenwirbelsäule sei der Verdacht auf einen Nerven komprimierenden Prozess mit Verdacht auf Lipom mittels neurographischer Untersuchung und erneuter Bildgebung ausgeschlossen worden. Aufgrund der internistischen Untersuchungen wurde ein Karzinoidsyndrom für eher unwahrscheinlich gehalten. Der während der Visite erkennbare vegetative flush spreche eher für vegetative Reaktionen. Die anschließende Durchfallattacke sei damit aber nicht ohne Weiteres erklärbar. Um eine klassische Nahrungsmittelallergie handele es sich beim Fehlen typischer Hauterscheinungen und Atemnot wohl nicht.

Auf Anfrage des Sozialgerichts hat die Klägerin am 02.03.2008 angegeben, dass sie nicht berufstätig sei und das Haus "unregelmäßig" für Einkäufe verlasse, wobei Apotheken- und Sanitätshausdienste in Anspruch genommen würden. Auf die Frage, ob sie an einzelnen Veranstaltungen teilnehme, hat sie geantwortet "immer in Begleitung (Sohn 20 Jahre, zusätzlich und im Notfall Freundin)"; eingefügt hat sie "nur mit PKW und in jedem Fall abbrechbar (höchstens 1/2 Stunde); explosionsartige Durchfälle und bei Schwäche in Armen und Beinen."

Der Hausarzt hat auf Anfrage des Sozialgerichts mit Schreiben vom 22.01.2008 geantwortet, dass die Klägerin urin- und stuhlinkontinent sei, so dass sie aufgrund der Geruchsbelästigung keine Veranstaltung mit mehreren Personen besuchen könne. Auf Grund ihrer Gehunfähigkeit könne sie den meisten gesellschaftlichen Aktivitäten nicht beiwohnen, da sie beim Treppengehen und Laufen auf längeren Strecken stark beeinträchtigt sei und eine Rollstuhlversorgung für die meisten Ereignisse nicht akzeptiert werden könne. Wegen ihrer Diagnosen könne sie an keinen Veranstaltungen regelmäßig teilnehmen. Von insgesamt vielleicht zwei wöchentlichen Arzt-Patienten-Kontakten würden mindestens 50 % per Hausbesuch erledigt oder telefonisch, da in den meisten Fällen die Patientin nicht zu ihm in die Praxis kommen könne oder so schwer krank sei, dass sie einen dringenden sofortigen Hausbesuch benötige. Das Aufsuchen seiner Praxis sei für die Klägerin eine mehrstündige Odyssee, da sie selbstständig kaum die Treppen zum ersten Stockwerk meistern könne. Auf die Frage, in welchem Umfang Inkontinenzartikel verschrieben würden, hat er geantwortet, dass er keine genaue Aussage machen könne, da die Daten nicht so genau vorliegen würden.

Das Sozialgericht Augsburg hat die Klage mit Urteil vom 16.06.2008 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin nicht wegen ihres Leidens generell von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei. Bei der Auswahl der möglichen Veranstaltungen komme es nicht auf den persönlichen Geschmack des Betroffenen an. Von einem umfassenden Ausschluss sei nicht auszugehen. Die Klägerin sei, wenn auch nicht ständig, in der Lage, das Haus für Einkäufe sowie Arztbesuche zu verlassen. Aus dem Bericht des Hausarztes der Klägerin ergebe sich nichts Gegenteiliges. Dieser teile vielmehr mit wechselnden Formulierungen mit, die Klägerin könne an keinen Veranstaltungen mit mehreren Personen/ an keinen Veranstaltungen regelmäßig teilnehmen bzw. sie sei meistens nicht in der Lage, an Veranstaltungen teilzunehmen.

Gegen das der Klägerin am 02.07.2008 zugestellte Urteil hat sie beim Sozialgericht Augsburg am 01.08.2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sie wisse, wie das Leben sei, an öffentlichen Veranstaltungen und am öffentlichen Leben teilzunehmen. Um so mehr belaste es sie, dass ihr Leben zu 95 % nur noch zu Hause stattfinde wegen der von ihr mehrmals dargestellten Problematik. Außerdem solle man die Medikation beachten. Übrigens sei es ihr wegen starker Diarrhöen nicht möglich gewesen, an der Gerichtsverhandlung teilzunehmen; eine halbe Stunde sei für ein 45jähriges Leben an ständig steigenden Entbehrungen verwendet worden.

Der Hausarzt hat auf Anforderung des Senats die ärztlichen Unterlagen über die stationäre Behandlung der Klägerin von 08.12.2009 bis 23.02.2009 (Bericht vom 03.03.2009) und von 24.04.2009 bis 10.06.2009 (Bericht vom 12.06.2009) im E. E-Stadt übermittelt. Im Bericht vom 03.03.2009 ist festgehalten, dass die Klägerin stark unter Druck- und Völlegefühl und auch rezidivierendem Durchfall und Darmkrämpfen leide. Sie sei hochgradig eingeschränkt in familiären und häuslichen Verpflichtungen, beruflich, in den Bereichen Hobbies, Freizeitaktivitäten, soziale Aktivitäten, Sexualleben. Im Bericht vom 12.06.2009 sind "spezifische Phobien" als neue Diagnose aufgeführt.

Der vom Senat beauftragte Internist und Sozialmediziner Dr. B. hat die Klägerin am 02.03.2010 (8.30 Uhr bis 11.00 Uhr) in seinen Praxisräumen untersucht und dann das Gutachten vom 17.03.2010 erstattet. Die derzeitigen Beschwerden der Klägerin hat er wie folgt aufgelistet: Gehbeschwerden (Gangstörung mit Schwindel); chronische Schmerzsymptomatik im Bereich der Wirbelsäule mit Ausstrahlung bis zu den Unterschenkeln rechts ausgeprägter als links; Muskelminderung; Bewegungseinschränkung der Schultergelenke beidseits, linkes Sprunggelenk teilversteift; Hüftbeschwerden beidseits; Hohlfußbildung links, weswegen außer Haus überwiegend ein Rollstuhl benutzt werde, Gehen mit anderen Hilfsmitteln sei lediglich über kurze Strecken möglich; wiederkehrende Bauchschmerzen, Bauchkoliken, imperativer Stuhldrang; seit neuestem auch zunehmend Depressionen und Angstsyndrom teils mit unkontrollierten Reaktionen im Sinn einer Affektinkontinenz; kalte Füße. Die derzeitige Therapie sei eine Schmerztherapie mit Morphinderivaten. Unter der Überschrift "Vegetative Anamnese" hat er mitgeteilt: "Stuhlentleerung unregelmäßig, Urinentleerung über Conduit". Zum Untersuchungsbefund des Bauches ist festgehalten: "Künstliche Ableitung der Exkremente, keine Hinweise für Leckbildung, ...". Bei der Untersuchung waren die Beweglichkeit der Halswirbelsäule der Klägerin eingeschränkt, die Brustwirbelsäule frei beweglich und die Lendenwirbelsäule bei Bewegung schmerzhaft (ausstrahlende Schmerzen zu den Beinen im Unterschenkelbereich). Der Nierenbefund war unauffällig. Nach der Beurteilung des Sachverständigen sind zu den bereits anerkannten Behinderungen Auffälligkeiten wie Depression, Affektinkontinenz, Angstsyndrom hinzugekommen, außerdem eine Polyallergie gegenüber Unweltsubstanzen und Medikamenten (Einzel-GdB 30). Eine chronische Nierenbeckenentzündung und eine periphere Durchblutungsstörung im behinderungsrelevantem Maß hätten ausgeschlossen werden können. Die Ablehnung der Merkzeichens RF sei zutreffend gewesen, da eine ständig fehlende Teilnahmemöglichkeit an öffentlichen Veranstaltungen seitens der Klägerin nicht vorliege. Dies habe sich auch durch das Hinzukommen der Polyallergie nicht geändert. Der Sachverständige hat eine Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet empfohlen.

Die Neurologin und Psychiaterin Dr. D. hat nach einer Untersuchung der Klägerin im Wege eines Hausbesuchs das Gutachten vom 12.08.2010 erstattet. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestünden eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren, Morphin-behandelt, und eine spezifische Phobie (Einzel-GdB 40). Die Lebensgeschichte der Klägerin biete über viele Jahre schon seit der frühesten Kindheit massive Belastungen durch die Bewegungseinschränkung und die zahlreichen Operationen. Trotz ihrer erheblichen Beeinträchtigung sei sie über Jahre hinweg berufstätig gewesen, habe eine Familie gegründet und sich offensichtlich auch durch die Unterstützung und Zuwendung ihres Ehemanns stabilisiert. Sie habe ein halbwegs normales Leben führen können. Es sei sicher kein Zufall, dass sich subjektive Beeinträchtigungen durch Schmerzen und Durchfälle ab dem Zeitpunkt der Trennung seitens des Ehemanns verstärkt hätten. Unerwartete Verlustsituationen würden eine klassische Auslösesituation für die Entwicklung von Angsterkrankungen darstellen. Im Rahmen somatoformer autonomer Funktionsstörungen würden sich Angsterkrankungen häufig auch in vegetativen Funktionsbeeinträchtigungen wie Durchfallneigung oder häufigem Wasserlassen manifestieren. Die Angstkomponente der Erkrankung habe nach einem schweren anaphylaktischen Schock ab April 2009 nochmals eine wesentliche Verstärkung erlitten. Hinweise auf eine eigenständige Depression, eine Psychose oder eine hirnorganische Beeinträchtigung hätten sich nicht ergeben. Zunächst hat die Sachverständige unter Bezugnahme auf Beiratsbeschlüsse, die sie in einem Kommentar gefunden hat, angenommen, dass die Klägerin aufgrund der Kombination der bei ihr vorliegenden körperlichen und seelischen Leiden aus psychiatrischer Sicht seit April 2009 nicht mehr in der Lage sei, an öffentlichen Veranstaltungen ständig teilzunehmen. Bereits die Bewegungsbehinderung der Klägerin bringe erhebliche Einschränkungen beim Besuch von öffentlichen Veranstaltungen mit sich, was aber noch kein ausreichender Grund sei, da sie einen Rollstuhl benutze könne. Eine zusätzliche massive Beeinträchtigung würden die unkontrollierbaren Durchfälle darstellen. Die Klägerin könne allerdings Windeln benutzen, die bei dem heutigen Standard auch eine Geruchsbelästigung für die Umgebung weitgehend ausschließen sollten. Ab April 2009 sei aber zusätzlich die willentlich nicht ausreichend beeinflussbare Angstsymptomatik zu berücksichtigen. Nach Beiratsbeschlüssen vom März 2000 seien die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs RF abweichend von der Auffassung des Bundessozialgerichts auch dann als erfüllt anzusehen, wenn der Behinderte zwar noch theoretisch an der einen oder anderen öffentlichen Veranstaltung teilnehmen könne, dies aber objektiv nicht mehr zugemutet werden könne, was insbesondere bei älteren bzw. multimorbiden Behinderten der Fall sein könne.

Nachdem der Senat die Sachverständige über die rechtlichen Voraussetzungen für Merkzeichen RF, die sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergeben, informiert hatte, hat sie in der ergänzenden Stellungnahme vom 29.12.2010 ihre Beurteilung revidiert. Wenn man die Angaben der Klägerin berücksichtige, dass sie Auto fahre, dass sie mit Rollstuhlhilfe länger in die Natur fahren könne, dass sie den Supermarkt besuche, dass sie im Frühjahr dieses Jahres einen Kinobesuch unternommen habe, wenngleich sie das Kino vorzeitig habe verlassen müssen, dass sie wenn auch selten Gottesdienste besuche, so lasse sich nicht feststellen, dass sie allgemein und umfassend von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen und praktisch an das Haus gebunden sei. Auch wenn sicher die Genussfähigkeit der Klägerin sehr eingeschränkt sei und der größere Teil der selten besuchten Veranstaltungen nicht vollständig bis zum Ende durchgehalten werden könnten, so sei nicht zu belegen, dass die Klägerin an das Haus gebunden sei und damit das Merkzeichen RF vergeben werden könnte.

Die Klägerin hat an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen. Mit Fax vom 18.04.2001 hat sie nochmals auf die "unzumutbaren und nicht einzuschätzenden Diarrhöen" hingewiesen. Momentan verlasse sie auch selten ihre Wohnung. Ihr Kontaktradius zu anderen Mitmenschen sei sehr klein geworden, weil sich die meisten Mitmenschen des Ausmaßes des Handicaps nicht bewusst seien. Und ihre Würde lasse sie sich nicht nehmen.


Sie beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16.06.2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 25.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.09.2007 zu verpflichten, die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen RF festzustellen.


Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Voraussetzungen für Merkzeichen RF lägen weiterhin nicht vor. Die Klägerin sei nicht an das Haus gebunden. Aufgrund der Befundbeschreibungen sei davon auszugehen, dass bei Rollstuhlbenutzung öffentliche Veranstaltungen besucht werden könnten. Eine unzumutbar abstoßende Wirkung werde von keinem Behandler oder Gutachter beschrieben.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts Augsburg beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden können, da diese über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auch auf die Folgen ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der streitgegenständliche Bescheid vom 25.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.09.2007 ist nicht zu beanstanden und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat sie keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen RF.

Anspruchsgrundlage ist § 69 Abs. 4 SGB IX i.V.m. § 6 Abs. 1 Nrn. 7, 8 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV). Nach § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehören auch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei deren Erfüllung das Merkzeichen RF in den Schwerbehindertenausweis einzutragen ist. Eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erhalten aus gesundheitlichen Gründen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 7 RGebStV
a) blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von 60 vom Hundert allein wegen der Sehbehinderung;
b) hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist;
und gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 8 RGebStV behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Die Klägerin gehört nicht zu dem begünstigten Personenkreis. Sie ist weder wesentlich sehbehindert noch schwer hörgeschädigt. Für sie ist zwar ein GdB von 100 festgestellt, sie gehört aber nicht zu den behinderten Menschen, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Der Nachteilsausgleich RF bezweckt die Eingliederung Behinderter, die wegen ihrer Behinderungen vom öffentlichen Leben ausgeschlossen sind, durch erleichterten Zugang zu Rundfunk- und Fernsehsendungen. Erforderlich ist, dass der Behinderte wegen seiner Leiden ständig, d.h. allgemein und umfassend, von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Es genügt nicht, dass er nur an einzelnen Veranstaltungen, etwa Massenveranstaltungen, nicht teilnehmen kann, vielmehr muss er praktisch an das Haus/ an seine Wohnung gebunden sein (vgl. BSG, Urteil vom 17.03.1982, 9a/9 RVs 6/81; Urteil vom 10.08.1993, 9/9a RVs 7/91; Urteil vom 12.02.1997, 9 RVs 2/96; Urteil vom 23.02.1987, 9a RVs 72/85; Urteil vom 03.06.1987, 9a RVs 27/85; Bayer. LSG, Urteil vom 31.03.2011, L 15 SB 105/10; Urteil vom 20.10.2010, L 16 SB 182/09). Öffentliche Veranstaltung ist jede grundsätzlich jedermann uneingeschränkt oder bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen (z.B. Eintrittsgeld) zugänglich gemachte Veranstaltung im Sinn einer Organisation von Darbietungen verschiedenster Art; dazu zählen Veranstaltungen politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art, wobei es auf das tatsächliche Angebot von Veranstaltungen im örtlichen Einzugsbereich des Behinderten ebenso wenig ankommt wie auf seine persönlichen Vorlieben, Bedürfnisse, Neigungen oder Interessen (vgl. BSG, Urteil vom 23.02.1987, 9a RVs 72/85; Urteil vom 03.06.1987, 9a RVs 27/85; Urteil vom 12.02.1997, 9 RVs 2/96). Dazu gehören nicht nur Theater-, Oper- Konzert- und Kinovorstellungen, sondern auch Veranstaltungen wie etwa Ausstellungen, Messen, Museen, Märkte, Gottesdienste, Volksfeste, Sportveranstaltungen, Tier- und Pflanzengärten. Maßgeblich ist allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme, gegebenenfalls mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) und/ oder mit Hilfe einer Begleitperson (BSG, Urteil vom 03.06.1987, 9a RVs 27/85; Urteil vom 11.09.1991, 9a/9 RVs 15/89). Den Nachteilsausgleich kann verlangen, wer aus physischen Gründen nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann, sei es wegen körperlicher Behinderung, sei es wegen Unzumutbarkeit für die Umgebung (vgl. BSG, Urteil vom 11.09.1991, 9a/9 RVs 15/89; Urteil vom 10.08.1993, 9/9a RVs 7/91; Urteil vom 12.02.1997, 9 RVS 2/96; zum Ganzen siehe auch Nr. 33 Abs. 2 Buchst. c der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht - AHP - 2005). Kontakte mit Freunden und Familienmitgliedern zählen entgegen der Vorstellung der Klägerin nicht zum Bereich der öffentlichen Veranstaltungen.

Die Klägerin ist wegen ihres Leidens nicht ständig, d.h. allgemein und umfassend, von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Das haben die Sachverständigen Dr. B. und am Ende auch Dr. D. bestätigt. Trotz der bei der Klägerin vorliegenden ganz erheblichen und zu Recht mit Einzel-GdB 100 veranschlagten Behinderung erfüllt sie nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für den begehrten Nachteilsausgleich RF. Sie ist nicht praktisch an das Haus gebunden. Mit technischen Hilfsmitteln (Rollstuhl) und gegebenenfalls mit einer Begleitperson und mit Windeln ausgestattet kann sie öffentliche Veranstaltungen erreichen und dort verbleiben, ohne abstoßend oder störend auf die Umgebung zu wirken.

Das Verhalten der Klägerin, sich wegen der immer wieder plötzlich auftretenden und nicht kalkulierbaren Durchfälle (Diarrhöen) zunehmend in ihren häuslichen Bereich zurückzuziehen, in dem sie sich am ehesten sicher und wohl fühlt, ist für den Senat gut nachvollziehbar. Ein Rechtsanspruch auf Merkzeichen RF kann darauf aber nicht gestützt werden. Aus Gründen der gebotenen Gleichbehandlung aller Behinderten ist für die rechtliche Prüfung der Maßstab anzuwenden, der für alle Behinderte gilt.

Eine Inkontinenz im üblichen Sinn besteht bei der Klägerin nicht, weder eine Urin- noch eine Darminkontinenz, wie dies etwa im Bericht des Klinikums A. vom 17.02.2005 festgehalten ist. Auch die Harnentleerung über ein Conduit funktioniert, ohne Inkontinenzprobleme zu verursachen. Dies hat der Sachverständige Dr. B. bestätigt. Die Angaben des Hausarztes, die Klägerin sei urin- und stuhlinkontinent, erklärt sich der Senat mit dessen Bemühen, die Klägerin bei der Durchsetzung ihres Begehrens zu unterstützen. Das die Klägerin quälende Leiden ist der imperative Stuhldrang und die damit einhergehenden plötzlich auftretenden Durchfälle; abhängig davon, ob sie rechtzeitig eine Toilette erreicht, kann sich eine Inkontinenz ergeben. Der Sachverständige Dr. B. hat dies mit Affektinkontinenz beschrieben. Dadurch ist die Klägerin objektiv aber nicht vom öffentlichen Geschehen ausgeschlossen. Denn sie kann dieser gesundheitlichen Beeinträchtigung dadurch begegnen, dass sie (vorsorglich) Windeln bzw. Windelhosen trägt, wenn sie öffentliche Veranstaltungen besucht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat weiterhin folgt, sind inkontinente Behinderte nicht von vornherein gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Ihnen ist zuzumuten, Windelhosen zu benutzen. Dies verstößt weder gegen die Würde des Menschen noch gegen den Sozialstaatsgrundsatz (vgl. BSG vom 12.02.1997, 9 RVs 2/96; Bayer. LSG vom 20.10.2010, L 16 SB 182/09).

Zuzugeben ist der Klägerin, dass für sie solche Veranstaltungen schlecht geeignet sind, bei denen erwartet wird, dass Besucher während der Vorstellung nicht aufstehen (z.B. Theater-, Oper-, Konzertaufführungen). Viele andere öffentlichen Veranstaltungen im Freien sowie in geschlossenen Räumen (Kirchen-, Zoo-, Museums-, Volksfestbesuch, u.v.m.) kann sie mit einer vorsorglich angelegten Windel, die für eine gewisse Zeit auch Schutz vor Geruchsbelästigung bietet, besuchen. Wenn sie von einer Durchfallattacke überrascht wird, kann sie bei Bedarf eine Toilette aufsuchen und die Windel wechseln.

Es liegen keine Behinderungen vor, die die Klägerin von allen Veranstaltungen im Freien ausschließen würden, wie sie dies im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht hat. Nach den Feststellungen des internistischen Sachverständigen Dr. B. liegt eine chronische Nierenbeckenentzündung nicht vor. Dr. B. hat aus internistischer Sicht und auch unter Berücksichtigung der in den letzten Jahren hinzugekommenen Polyallergie bestätigt, dass die Klägerin nicht ständig von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist.

Die Klägerin ist auch nicht wegen der chronischen Schmerzstörungen ans Haus gebunden und vom öffentlichen Geschehen ausgeschlossen, wie dies auch die Sachverständige Dr. D. zuletzt bestätigt hat. Obwohl das Schmerzsyndrom stark ausgeprägt ist, seit vielen Jahren mit Morphin behandelt wird und bei stationären Behandlungen kein nachhaltiger Erfolg erzielt werden konnte, lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin deswegen bzw. im Zusammenwirken der Schmerzstörung mit den weiteren Behinderungen ständig von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen und praktisch an das Haus gebunden wäre. Das kann schon nach ihren eigenen Einlassungen nicht gesagt werden. Im Berufungsverfahren hat sie vorgebracht, dass ihr Leben zu 95 % nur noch zu Hause stattfinde. Das bedeutet, dass sie immerhin 5 % außerhalb ihrer Wohnung verbringt, was für jemanden, der nicht berufstätig ist, nicht so wenig ist. Damit übereinstimmend geht sie auch Einkaufen und zu Ärzten und hat den Sachverständigen Dr. B. in seinen Praxisräumen aufsuchen können.

Rechtlich unerheblich ist, ob sich die Klägerin beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen gut und schmerzfrei fühlt. Ebenso wenig ist maßgeblich, welche Veranstaltungen sie am liebsten besuchen würde und welche kulturellen Bedürfnisse sie hat. Auf die individuelle Lage des Behinderten kommt es nur insoweit an, als es um die Frage des Ausmaßes der gesundheitlichen Beeinträchtigung geht. Im übrigen sind individuelle Ansätze nicht maßgeblich. Das gilt für die Auswahl der Veranstaltungen, die ein Behinderter gern besuchen möchte, wie auch für die subjektiv bestimmte Aufnahme- und Konzentrationsfähigkeit. Unbeachtlich ist es auch, wenn ein Behinderter wegen seiner Affektlabilität emotional belastende Veranstaltungen meidet (vgl. BSG vom 10.08.1993, 9/9a RVs 7/91).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht gegeben. Es liegt weder eine Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vor noch misst der Senat der Sache grundsätzliche Bedeutung bei.

Referenznummer:

R/R3816


Informationsstand: 06.03.2012