Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid vom 17.12.2008 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 03.03.2009 sowie des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2009, mit dem der
GdB von 100 auf 60 herabgesetzt und das Merkzeichen RF entzogen worden ist. Gleichzeitig hat sie die Festsetzung eines
GdB von mindestens 80 beantragt. Es handelt sich damit nicht um eine isolierte Anfechtungsklage, bei der allein auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen wäre (ständige Rechtsprechung,
vgl. z.B. Bundessozialgericht -
BSG -, Urteil vom 12.11.1996, Az.:
9 RVs 5/95). Vielmehr liegt eine Anfechtungsklage vor, was die Herabsetzung des
GdB und die Entziehung des Merkzeichens RF angeht, und - hilfsweise für den Fall, dass die Anfechtungsklage betreffend die Herabsetzung des
GdB keinen Erfolg hat - eine Verpflichtungsklage, was die Höhe des
GdB betrifft, wobei bei letzterer auch spätere, bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der (letzten) Tatsacheninstanz eintretende Änderungen tatsächlicher (oder rechtlicher) Art zu beachten sind (ständige Rechtsprechung,
vgl. z.B. BSG, Urteil vom 12.04.2000, Az.:
B 9 SB 3/99 R). Bei klägerfreundlicher Auslegung ist zudem im Verpflichtungsantrag der Klägerin der Antrag enthalten, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF erneut festzustellen, wenn die mit Bescheid vom 17.12.2008 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 03.03.2009 sowie des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2009 erfolgte Entziehung des Merkzeichens RF nicht zu beanstanden ist. Dies bedeutet, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung, ob die Herabsetzung des
GdB von 100 auf 60 rechtmäßig war, der der letzten Behördenentscheidung am 27.04.2009 (Erlass des Widerspruchsbescheids) ist, für die (hilfsweise zu treffende) Entscheidung, wie hoch der
GdB der Klägerin aktuell ist und ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF wieder vorliegen, hingegen der der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht am 27.10.2011.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 17.12.2008 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 03.03.2009 sowie des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2009 ist nicht zu beanstanden. Der
GdB ist zulässigerweise und zutreffend auf 60 herabgesetzt und das Merkzeichen RF entzogen worden. Auch nach der mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2009 erfolgten letzten Behördenentscheidung haben sich bis zur mündlichen Verhandlung am 27.10.2011 keine neuen Tatsachen ergeben, die einen höheren
GdB als 60 oder die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF begründen würden.
Rechtsgrundlage der mit der Klage angefochtenen Bescheide ist § 48
Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei Feststellungsbescheiden nach
§ 69 Abs. 1 SGB IX handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (
vgl. - noch zum Schwerbehindertengesetz -
BSG, Urteil vom 19.09.2000, Az.:
B 9 SB 3/00 R). Eine Aufhebung ist dabei nur insoweit zulässig, als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung (oder Verschlechterung) der Behinderung eine Herabsetzung (oder Erhöhung) des
GdB um wenigstens 10 ergibt. Handelt es sich bei den anerkannten Behinderungen um solche, bei denen - wie dies bei Krebserkrankungen der Fall ist - der
GdB wegen der Art der Erkrankung höher festgesetzt worden ist, als es die tatsächlichen Funktionseinschränkungen erfordern, liegt eine Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 48
SGB X auch dann vor, wenn bei der der Festsetzung des
GdB zugrunde liegenden Erkrankung die Zeit der sogenannten Heilungsbewährung abgelaufen ist.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass im Gesundheitszustand der Klägerin im Vergleich zu den gesundheitlichen Verhältnissen, die den bestandskräftigen Bescheiden vom 10.02.2004 und 14.03.2006 zugrunde gelegen haben, durch den rezidivfreien Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung von fünf Jahren eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48
Abs. 1 Satz 1
SGB X eingetreten ist. Diese rechtfertigt die Herabsetzung des
GdB auf 60 und die Entziehung des Merkzeichens RF. Eine Änderung der Verhältnisse, die wieder einen höheren
GdB oder die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF begründen würden, hat sich seitdem nicht ergeben.
1. Höhe des
GdB:
Rechtsgrundlage für die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung und des
GdB ist § 69
Abs. 1
SGB IX in Verbindung mit den seit 01.01.2009 maßgeblichen
Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG),
Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung. Die
VG haben die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (
AHP) abgelöst, die für die Zeit vor 01.01.2009 weiterhin als antizipierte Sachverständigengutachten beachtlich sind (
vgl. BSG, Urteile vom 18.09.2003, Az.:
B 9 SB 3/02 R, und vom 24.04.2008, Az.:
B 9/9a SB 10/06 R; Bundesverfassungsgericht -
BVerfG -, Beschluss vom 06.03.1995, Az.:
1 BvR 60/95). Die
AHP und nunmehr die
VG sind ein auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhendes Regelwerk, das die möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet bezweckt und dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung dient.
Der bei der Klägerin anerkannte
GdB ist nach der Überzeugung des Senats mit einer Höhe von 60 zu dem für die Anfechtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt am 27.04.2009 zutreffend bewertet; diese Bewertung ist nach wie vor richtig. Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme.
Der Senat stützt sich dabei auf die überzeugenden und nachvollziehbar begründeten Gutachten der Sachverständigen
Dr. N. und
Dr. B.. Beide Gutachter haben die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen umfassend erfasst und in Übereinstimmung mit den zu beachtenden Vorgaben der
AHP bzw. VG, die für die bei der Klägerin vorliegenden Beeinträchtigungen weitgehend identisch sind, zutreffend gewürdigt. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen zu eigen.
Im Einzelnen ist zu den jeweiligen Gesundheitsstörungen und deren Bewertung Folgendes festzuhalten:
1.1. Chronische Diarrhoe und Stuhlinkontinenz bei Zustand nach Operation eines Enddarmkrebses (Afterschließmuskelschwäche):
Nicht mehr maßgeblich ist der
GdB, wie er ursprünglich mit Bescheid vom 10.02.2004 für die Enddarmerkrankung in Heilungsbewährung angesetzt worden ist. Denn damals waren die Folgen einer akut aufgetretenen Krebserkrankung zu bewerten, jetzt hingegen ist der Zustand nach Ablauf der Heilungsbewährung die Grundlage für die Bemessung des
GdB.
Bei Gesundheitsstörungen, die zu Rezidiven neigen, ergibt sich aufgrund der Notwendigkeit des Abwartens einer Heilungsbewährung gegenüber den Beeinträchtigungen, die von dem Organverlust selbst ausgehen, eine andere Konstellation, weshalb während der Zeit des Abwartens einer Heilungsbewährung ein höherer
GdB gerechtfertigt ist, als er sich aus dem festgestellten Organ- oder Gliedmaßenschaden allein unter funktionellen Gesichtspunkten ergeben würde (
vgl. Teil B Nr. 1 Buchst. c VG). Der Begriff der Heilungsbewährung beschreibt nicht nur, dass nach Ablauf der Bewährungszeit keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht. Die Heilungsbewährung erfasst daneben auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung eines Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies lässt es zu, bei Krebserkrankungen nicht nur den Organverlust zu bewerten, sondern unter Berücksichtigung der Krebserkrankung als solcher einen
GdB von mindestens 50 anzunehmen und Krebskranken damit unterschiedslos zunächst den Schwerbehindertenstatus zuzubilligen. Diese umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung hat andererseits zur Folge, dass der
GdB auf einen den tatsächlichen funktionellen Beeinträchtigungen entsprechenden
GdB herabzusetzen ist, wenn die Krebskrankheit nach rückfallfreiem Ablauf der Heilungsbewährungszeit von regelmäßig fünf Jahren aufgrund medizinischer Erfahrungen mit hoher Wahrscheinlichkeit überwunden ist und außer der unmittelbaren Lebensbedrohung damit auch die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen sind (
vgl. BSG, Urteil vom 09.08.1995, Az.:
9 RVs 14/94).
Bei der Klägerin liegt eine Afterschließmuskelschwäche mit chronischer Durchfallerkrankung vor. Diese ist nach übereinstimmender Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen, der sich der Senat anschließt, mit einem Einzel-
GdB von 40 zu bewerten (
vgl. Teil B Nr. 10.2.4 VG). Diese Einschätzung bewegt sich am obersten Rand des für eine Afterschließmuskelschwäche zur Verfügung stehenden Rahmens. Erst ein vollständiger Funktionsverlust des Afterschließmuskels würde einen
GdB von 50 oder mehr begründen. Ein solcher Funktionsverlust kann aber vorliegend ausgeschlossen werden. So hat der Gutachter
Dr. B. einen zwar herabgesetzten, aber immer noch erhaltenen Tonus des Afterschließmuskels festgestellt. Dies entspricht auch dem Ergebnis einer im Klinikum E-Stadt am 23.07.2009 im Rahmen der Behandlung der Klägerin durchgeführten Untersuchung.
1.2. Seelische Störung
Infolge der Krebserkrankung und der sich anschließenden Afterschließmuskelschwäche mit Durchfallerkrankung hat sich eine reaktive Depression mit Angstzuständen herausgebildet. Die Gutachter haben diese übereinstimmend mit einem Einzel-
GdB von 30 bewertet. Dieser Einschätzung schließt sich der Senat an. Eine Einordnung als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und die Bewertung mit einem Einzel-
GdB von 30 ist angesichts der von den Gutachtern berichteten psychischen Befunde sachgerecht, aber durchaus großzügig. Nach den eigenen Angaben der Klägerin liegen Ein- und Durchschlafschwierigkeiten vor. Bei den Untersuchungen durch die Sachverständigen war die Klägerin schwingungsfähig; eine relevante Antriebsminderung war nicht zu erkennen; die Stimmungslage war nur leichtgradig herabgesetzt. Ein Einzel-
GdB von 30 dafür steht in Einklang mit den
VG (
vgl. dort
Teil B Nr. 3.7), eine höhere Bewertung wäre nicht vertretbar.
1.3. Chronisches degeneratives Wirbelsäulensyndrom
Nach der übereinstimmenden Einschätzung der Sachverständigen, der sich der Senat anschließt, kann der Einzel-
GdB für die im LWS-, teilweise auch im Schulter-Nacken-Bereich vorliegenden Beschwerden nach den
VG (
vgl. dort
Teil B Nr.18.9) nicht auf mehr als 20 geschätzt werden. Nervenwurzelreizsyndrome fehlen. Anlass für weitere Ermittlungen besteht nicht. Auch wenn die Klägerin mit Schreiben vom 10.07.2011 mitgeteilt hat, dass eine neue - offenbar radiologische - Untersuchung der Wirbelsäule gemacht worden sei, und erkennen lässt, dass sie an der übereinstimmenden Beurteilung der Wirbelsäule durch die Gutachter deshalb Zweifel habe, da dabei keine Röntgenaufnahmen angefertigt worden sind, sind weitere Ermittlungen nicht angezeigt. Die Klägerin verkennt, dass für die Bewertung des
GdB funktionelle Beeinträchtigungen, nicht aber radiologische Befunde maßgeblich sind. Irgendwelche Hinweise auf neu aufgetretene funktionelle Beeinträchtigungen hat die Klägerin nicht gegeben, auch nicht in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2011.
1.4. Sonstige Beschwerden
Weitere funktionelle Beeinträchtigungen, die einen Einzel-
GdB von 10 oder mehr begründen würden, kann der Senat in Übereinstimmung mit den gutachterlichen Feststellungen nicht erkennen.
1.5. Gesamt-
GdBZur Höhe des
GdB besteht unter den Gutachtern Übereinstimmung: Es ist mit 60 zutreffend eingeschätzt. Der Senat macht sich diese sachverständige Bewertung, die in Einklang mit den Vorgaben der
VG (dort
Teil A Nr. 3) steht, zu eigen.
2. Merkzeichen RF:
Auch soweit das Merkzeichens RF entzogen worden ist, ist diese Entscheidung rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Entziehung ist unter Zugrundelegung der zum maßgeblichen Zeitpunkt am 27.04.2009 vorliegenden Verhältnisse nicht zu beanstanden. Zudem haben sich seitdem keine neuen Tatsachen ergeben, die einen Anspruch der Klägerin auf Eintragung des Merkzeichens RF in ihren Schwerbehindertenausweis, wieder begründen würden. Dies hat die Beweisaufnahme ergeben.
Anspruchsgrundlage ist § 69
Abs. 4
SGB IX i.V.m. § 6
Abs. 1 Nrn. 7, 8 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV). Nach § 69
Abs. 4
SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehören auch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei deren Erfüllung das Merkzeichen RF in den Schwerbehindertenausweis einzutragen ist. Eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erhalten aus gesundheitlichen Gründen gemäß § 6
Abs. 1
Nr. 7 RGebStV
a) blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von 60 allein wegen der Sehbehinderung;
b) hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist;
und gemäß § 6
Abs. 1
Nr. 8 RGebStV
behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Die Klägerin gehört nicht zu diesem begünstigten Personenkreis. Sie ist weder wesentlich sehbehindert noch schwer hörgeschädigt (§ 6
Abs. 1
Nr. 7 RGebStV). Für sie ist auch nicht ein
GdB von 80 festgestellt, so dass schon allein aus diesem Grund die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht erfüllt sind (§ 6
Abs. 1
Nr. 8 RGebStV). Auf die Frage, ob die Klägerin wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann, kommt es daher nicht an; die Voraussetzungen des § 6
Abs. 1
Nr. 8 RGebStV -
GdB von 80 einerseits und fehlende Teilnahmemöglichkeit an öffentlichen Veranstaltungen andererseits - müssen nämlich kumulativ vorliegen.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Klägerin mit ihrer Berufung unter keinem Gesichtspunkt Erfolg hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.