Urteil
Kein Anspruch auf Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs RF bei 50%igem Höhrverlust

Gericht:

LSG Nordrhein-Westfalen 10. Senat


Aktenzeichen:

L 10 SB 197/11


Urteil vom:

16.01.2012


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 06.05.2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger beansprucht die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht" ("RF").

Bei dem im Jahre 1937 geborenen Kläger stellte die Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 27.09.2010 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 fest.

Im Dezember 2010 beantragte der Kläger die Zuerkennung des Merkzeichens "RF". Die Beklagte holte einen Behandlungs- und Befundbericht des Hals-Nasen-Ohren-Arztes Dr. L ein, der einen Hörverlust beidseits bescheinigte. Unter Zugrundelegung dieser Befunde lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.01.2011 den Antrag auf Feststellung des begehrten Nachteilsausgleichs ab. Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, wegen der bei ihm bestehenden Schwerhörigkeit müsse ihm der begehrte Nachteilsausgleich zuerkannt werden. Den Widerspruch wies die Bezirksregierung Münster mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2011 mit der Begründung zurück, der beim Kläger festzustellende GdB für die Hörbehinderung erreiche noch nicht den erforderlichen Wert von mindestens 50.

Hiergegen hat der Kläger am 16.02.2011 Klage beim Sozialgericht (SG) Aachen erhoben. Er hat weiterhin die Ansicht vertreten, aufgrund des ihm vom behandelnden HNO-Arzt Dr. L bescheinigten 50-prozentigen Hörverlustes seien die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "RF" erfüllt.

Das SG hat zur Feststellung des Hörvermögens des Klägers einen Behandlungs- und Befundbericht von Dr. L vom 31.03.2011 eingeholt. Dieser hat bezüglich des Hörvermögens eine Innenohrschwerhörigkeit rechts mehr als links diagnostiziert und den prozentualen Hörverlust nach einem am 18.03.2009 erstellten Sprachaudiogramm beidseits mit ca. 50 beschrieben. Den GdB wegen der Hörminderung hat er mit 30 angenommen.

Mit Urteil vom 06.05.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen der als Grundlage für den geltend gemachten Nachteilsausgleich zu prüfenden Vorschrift des § 69 Abs 4 des 9. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) iVm § 6 Abs 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages seien nicht erfüllt. Hiernach würden gemäß § 6 Abs 1 Nr 7 b hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfe nicht möglich ist, auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht befreit. Diese Voraussetzungen lägen dann vor, wenn an beiden Ohren mindestens eine hochgradige kombinierte Schwerhörigkeit oder hochgradige Innenohrschwerhörigkeit vorliege und hierfür ein GdB von wenigstens 50 anzusetzen sei. Nach den Feststellungen des den Kläger behandelnden HNO-Arztes Dr. L betrage der beim Kläger vorliegende prozentuale Hörverlust beiderseits ca. 50 %. Damit sei der alleine aufgrund der Minderung des Hörvermögens anzunehmende GdB mit 30 in Ansatz zu bringen. Ein GdB von wenigstens 50 aufgrund einer Hörminderung liege beim Kläger damit nicht vor. Da Dr. L in seinem Befundbericht zudem darlege, dass der Kläger nicht ständig an die Wohnung gebunden sei und zumindest unter Benutzung eines Rollstuhls noch dazu in der Lage sei, in nennenswertem Umfang an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, seien auch unter diesem Gesichtspunkt die Voraussetzungen für den geltend gemachten Nachteilsausgleich nicht erfüllt.

Gegen das am 19.05.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.06.2011 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Klageverfahren wiederholt.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06.05.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2011 zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF" festzustellen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtenen Urteil für zutreffend.

Der Senat hat die Beteiligten auf die Vorschrift des § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

Rechtsweg:

SG Aachen Urteil vom 06.05.2011 - S 16 SB 170/11

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nach einstimmender Auffassung des Senats nicht begründet. Eine weitere mündliche Verhandlung hält der Senat nicht für erforderlich. Das Rechtsmittel wird daher ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückgewiesen, nachdem die Beteiligten dazu gehört worden sind (§ 153 Abs 4 SGG).

Die Klage ist zulässig, obwohl zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch die Bezirksregierung Münster zum Erlass des Widerspruchsbescheides wegen des Außer-Kraft-Tretens des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes (AG-SGG) im Lande Nordhein-Westfalen (NRW) zum 01.01.2011 sachlich nicht mehr zuständig war (vgl. zur Zuständigkeitsproblematik die Leitentscheidung des Senats vom 16.12.2009, L 10 SB 39/09 - Urteil abgedruckt in JURIS - nach Rücknahme der Revision rechtskräftig seit 08.12.2011). Durch § 4a AG-SGG war die Zuständigkeit der Bezirksregierung Münster als Widerspruchsbehörde rechtlich zulässig lediglich bis zum 31.12.2010 geregelt (vgl. hierzu die Entscheidung des Senats vom 21.04.2010, L 10 SB 22/09). Der Landesgesetzgeber hat der Rechtsauffassung des Senats durch die Änderung des Gesetzes zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes NRW - sog - Eingliederungsgesetz - durch das Gesetz vom 25.10.2011 - Änderungsgesetz - (GV.NRW. vom 21.11.2011, S 535 ff) Rechnung getragen. Nach dieser Bestimmung ist die Bezirksregierung nicht mehr nur Aufsichts- sondern auch Widerspruchsbehörde. Damit ist durch Gesetz eine andere Zuständigkeit als die der Selbstverwaltungsbehörde iSd § 85 Abs 2 S 1 Nr 4, 2. HS SGG gesetzlich geregelt. Der in dem Zeitraum vom 01.01.2011 bis 25.10.2011 (Verkündung des Gesetzes) erlassene Widerspruchsbescheid ist nicht aufzuheben, obgleich die Bezirksregierung für den Erlass des Widerspruchsbescheides nach der Rechtsprechung des Senats sachlich nicht zuständig war. Dieser Mangel ist durch Art 2 des vorbezeichneten Änderungsgesetzes mit Wirkung ab 01.01.2012 geheilt worden. Der Senat hat hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Rückwirkung keine Bedenken, was er in der zu § 4a AG-SGG ergangenen Entscheidung vom 21.04.2010 (L 10 SB 22/09 in JURIS Rn 18) dargelegt hat. Der Senat nimmt auf diese Entscheidung, die im Übrigen auch die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" betrifft, ausdrücklich Bezug.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht in seinen Rechten verletzt, denn er hat keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF". Dies hat das SG mit zutreffender Begründung unter Beachtung der Ausführungen des den Kläger behandelnden HNO-Arztes Dr. L in ausreichendem Umfang dargelegt. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug (§ 153 Abs 2 SGG).

Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren führt zu keiner anderen Beurteilung. Es erschöpft sich erneut in dem Hinweis, der Kläger leide an einer Innenohrschwerhörigkeit beidseits und der prozentuale Hörverlust insoweit betrage 50 %. Der Kläger verkennt offenbar, dass eine mindestens hochgradige kombinierte Schwerhörigkeit an beiden Ohren bzw. eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit im Sinne des § 6 Abs 1 Nr 7 b des Rundfunkgebührenstaatsvertrages erst ab einem GdB von wenigstens 50, nicht aber ab einem prozentualen Hörverlust von 50 % vorliegt. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens RF erst dann gegeben sind, wenn der Schwerbehinderte in einem solchen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist (Urteil des erkennenden Senates vom 21.04.2010, L 10 SB 22/09 in JURIS, Leitsatz der Entscheidung und Rn 20).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Voraussetzung für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1 oder Nr 2 SGG) sind nicht gegeben, weil die Frage der Rückwirkung des Änderungsgesetzes nur Landesrecht betrifft.

Referenznummer:

R/R5163


Informationsstand: 25.05.2012