Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Das SG hat den Beklagten zu Unrecht dazu verurteilt, bei der Klägerin den Nachteilsausgleich RF zuzuerkennen. Trotz der vor allem durch den Schlaganfall verursachten schweren Funktionsbeeinträchtigungen liegen bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs RF nicht vor.
Nach § 69
Abs. 1 des am 01.07.2002 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (
SGB IX), das dem bis dahin geltenden § 4
Abs. 1 Schwerbehindertengesetz (
SchwbG) entspricht, stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69
Abs. 4
SGB IX). Nach § 1
Abs. 1
Nr. 3 der Verordnung der Landsregierung über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 21.07.1992 des Landes Baden-Württemberg (GBl. 1992
S. 573) werden u.a. Behinderte mit einem nicht nur vorübergehendem
GdB von 80 von der Rundfunkgebührenpflicht befreit, wenn sie wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Bei der Klägerin ist zwar rechtsverbindlich ein Behinderungsgrad von 100 festgestellt; sie ist jedoch nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Unter öffentlichen Veranstaltungen in diesem Sinne sind alle Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen (Bundessozialgericht -
BSG -, Urteil vom 10. August 1993 -
9/9a RVs 7/91 -, SozR 3-3870 § 48
Nr. 2; Urteil vom 12.02.1997 -
9 RVs 2/96, SozR 3-3780 § 4
Nr. 7). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann. Bei der vom
BSG vertretenen Auslegung muss der behinderte Mensch praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können (
LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 12.11.2003 - L 10 SB 113/02). Das
BSG hält es zunehmend für zweifelhaft, ob durch den Nachteilsausgleich RF tatsächlich ein behinderungsbedingter Mehraufwand ausgeglichen wird, und ob es sozial geboten erscheint, bestimmten finanziell nicht bedürftigen Personengruppen die Benutzung solcher gewöhnlichen Geräte zu finanzieren. Diese Frage - so das
BSG - bedürfe keiner abschließenden Klärung, verdeutliche aber, dass an einer engen Auslegung für das Merkzeichen RF festgehalten werde (
BSG, Urteil vom 10.08.1993 -
9/9a RVs 7/91 - a.a.O.).
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin trotz der bestehenden Behinderungen noch mit technischen Hilfsmitteln (Rollstuhl) und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann. Daher können die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht festgestellt werden (
vgl. BSG Urteil vom 9. August 1995 -
9 RVs 3/95). Die Klägerin leidet vor allem an den Folgen eines im Januar 2002 erlittenen Schlaganfalls (apoplektischer Insult). Seitdem ist sie linksseitig gelähmt (komplette spastische Hemiparese links) und zur Fortbewegung auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Gehen ist nur zu krankengymnastischen Übungen mit 4-Punkt-Gehstock und Hilfe für wenige Schritte möglich. Dies folgt aus den Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem
SGB XI vom 27.05.2002 und 13.01.2004. Hinweise darauf, dass der Klägerin eine Fortbewegung außerhalb ihrer Wohnung selbst mit Hilfe des Rollstuhls und einer Begleitperson nicht möglich ist, liegen nicht vor. Der Umstand, dass der Ehemann der Klägerin ebenfalls gesundheitlich beeinträchtigt ist und daher die Klägerin beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen nur eingeschränkt unterstützen kann, ist für die Beurteilung der Frage, ob die Klägerin mit Hilfe einer Begleitperson solche Veranstaltungen besuchen kann, unerheblich.
Auch das Leiden des unkontrollierten Harnabgangs als Folge einer Querschnittslähmung rechtfertigt noch nicht die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs, wenn der Behinderte durch Benutzung von Einmalwindeln, die den Harn ohne Geruchsbelästigung für die Umwelt für die Dauer von zwei Stunden auffangen, objektiv in der Lage ist, den meisten öffentlichen Veranstaltungen beizuwohnen (
BSG aaO). Deshalb kann offen bleiben, in welchem Ausmaß bei der Klägerin eine Harnentleerungsstörung vorliegt. Nach dem Gutachten vom 13.01.2004 wurde zwar die Notwendigkeit von Hilfe bei Toilettengängen bestätigt, das Vorliegen einer Inkontinenz aber verneint. Jedenfalls liegt bei der Klägerin keine Harnstörung vor, die den Besuch öffentlicher Veranstaltungen unzumutbar macht. Das
BSG hat ferner ein eingeschränktes Konzentrationsvermögen nicht als Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs RF genügen lassen (
BSG 16.3. 1994 -
9 RVs 3/93). Auch insoweit schließt sich der Senat der Rechtsprechung des
BSG an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160
Abs. 2
SGG).