Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens H für die Zeit seiner Weiterbildung zum staatlichen Elektrotechniker im Rahmen eines Fernstudiums. Das zusprechende Urteil des Sozialgerichts Würzburg war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen gemäß
§ 69 Abs 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) vom 19.06.2001, in Kraft getreten am 01.07.2001 (Art 68 Abs 1
SGB IX), die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen. Demgemäß entscheiden diese Behörden auch darüber, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen der vom Kläger beanspruchten steuerrechtlichen (vgl § 33 b Abs 3 Satz 2, Abs 6 Satz 3 Einkommensteuergesetz - EStG -
idF vom 15.12.2003) Förderung bei Hilflosigkeit gegeben sind. Im Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen H einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33 b EStG oder entsprechender Vorschriften ist (§ 3 Abs 1 Nr 2 der aufgrund von
§ 70 SGB IX ergangenen Schwerbehindertenausweisverordnung). Durch das seit Juli 2001 geltende neue Recht hat sich vorliegend in der Sache keine Änderung ergeben gegenüber dem bis dahin geltenden § 4 Abs 4 Schwerbehindertengesetz (
SchwbG).
Eine Person ist hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf (§ 33 b Abs 6 Satz 3 EStG). Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu dem in Satz 3 in dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfestellung erforderlich ist (§ 33 Abs 6 Satz 4 EStG). Diese Fassung des Begriffs der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleichlautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 Bundesversorgungsgesetz entwickelt worden sind. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14, 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Pflegeversicherung (
SGB XI) angelehnt (vgl
BSG Urteil vom 10.12.2003, Az:
B 9 SB 4/02 R im VersorgVerw 2004, 65 bis 67 mwN). Gehörlos geborene oder vor Spracherwerb ertaubte Personen können auch hilflos im Sinne dieser Vorschrift sein, obwohl sie nur bei e i n e r Verrichtung des täglichen Lebens - nämlich bei der ständig erforderlichen Kommunikation - fremder Hilfe bedürfen; inwieweit das Kommunikationsdefizit fremde Hilfe in erheblichem Umfang erforderlich macht, lässt sich nicht schematisch nach der Anzahl der Verrichtungen festlegen. Die Hilfsbedürftigkeit in einem solchen entscheidenden Punkt kann ausreichen, wenn dieser Hilfebedarf die gesamte Lebensführung prägt (
BSG aaO). Das Kommunikationsdefizit der vor Spracherwerb Ertaubten prägt deren gesamte Lebensführung aber regelmäßig nur bis zum Ablauf einer ersten Berufsausbildung, mithin in der von Lernen, Kenntnis- und Fähigkeitserwerb geprägten Lebensspanne (st. Rechtsprechung des
BSG aaO mwN). Das
BSG hat aber grundsätzlich anerkannt, dass (erneute) Hilflosigkeit zB bei einer langzeitigen beruflichen Weiterbildung vorliegen kann (
BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 15). Dies gilt jedoch nicht unterschiedslos für jede berufliche Weiterbildung. Das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 27.04.1994 (BArbBL 1994, 6/69) trägt dem Umstand Rechnung, dass während einer beruflichen Weiterbildung wieder diejenigen Bedingungen eintreten können, die schon während der Erstausbildung zur Hilflosigkeit geführt haben. Das ist aber nur der Fall, wenn die Weiterbildung gleich hohe Anforderungen an Lernen und Fertigkeitserwerb stellt und wie eine Erstausbildung länger als 6 Monate dauert. Außerdem muss es sich um eine institutionalisierte Weiterbildung handeln. Um Hilfslosigkeit für eine weitere Ausbildung anzunehmen, bedarf es besonderer Umstände des Einzelfalles (aaO).
Der Kläger erfüllt die von der Rechtsprechung des
BSG aufgestellten Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleichs H für das von ihm absolvierte Fernstudium nicht. Zwar handelt es sich bei diesem Fernstudium - wie vom
BSG gefordert - um eine institutionalisierte Weiterbildung, die länger als 6 Monate dauert. Auch ist die Intensität des Lernens und Fertigkeitserwerbs nach Auffassung des erkennenden Senats durchaus mit den Anforderungen der Erstausbildung vergleichbar, der erforderliche Hilfebedarf ist aber im Gegensatz zu den Umständen der Erstausbildung nicht prägend für die gesamte Lebensführung des Klägers. Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass das Leben des bereits berufstätigen Klägers nicht überwiegend auf Ausbildung ausgerichtet ist. Seine Weiterbildung findet in der Freizeit durch Selbststudium und vorwiegend durch Seminarunterricht an Samstagen statt. Der mündliche Wissenstransfer stellt daher keinen zentralen Rahmen des Fernstudiums dar.
Die Voraussetzungen für das Merkzeichen H liegen auch deshalb nicht vor, weil hilflos im Sinne von § 33 b Abs 6 EStG nur ist, wer bei den von dieser Vorschrift erfassten Verrichtungen für mindestens 2 Stunden am Tag fremde Hilfe dauernd bedarf (
BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 1). Zwar kann die Bedeutung des Kommunikationsdefizits nicht schematisch nach der Anzahl der Verrichtungen oder nach dem ermittelten Zeitbedarf festgelegt werden. Die Hilfsbedüftigkeit in dem entscheidenden und zentralen Punkt des Kommunikationsdefizits reicht für die Bejahung der Hilfsbedürftigkeit aber nur aus, wenn der Hilfebedarf für die gesamte Lebensführung prägend ist. Das während der Arbeitswoche absolvierte Fernstudium löst einen entsprechenden Hilfebedarf nicht aus, da der Kläger mittels elektronischer Medien jederzeit mit Studienkollegen kommunizieren kann. Somit fällt das Kommunikationsdefizit lediglich an Samstagen und bei 2 Kompaktseminaren pro Semester an. Es fehlt somit an dem erforderlichen t ä g l i c h e n Hilfebedarf.
Nach alledem war das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1
SGG). Er hält es für klärungsbedürftig, ob durch die vom
BSG geforderte gesamte Prägung der Lebensführung durch den Hilfebedarf die berufliche Qualifizierung von Gehörlosen unzumutbar erschwert wird.