Urteil
Hörsprachschädigung - berufsbegleitende Weiterbildung nach Abschluss der beruflichen Erstausbildung - erforderlicher Hilfebedarf

Gericht:

BSG


Aktenzeichen:

B 9a SB 1/05 R


Urteil vom:

24.11.2005


Leitsätze:


Hilflosigkeit iS des Schwerbehindertenrechts liegt bei Hörsprachgeschädigten nach Abschluss einer beruflichen Erstausbildung regelmäßig nur vor, wenn besondere Umstände einen zeitlich erheblichen Hilfebedarf begründen können; das ist bei einer berufsbegleitenden Weiterbildung nicht der Fall, die lediglich während des Präsenzunterrichts an einem Tag der Woche die Hilfe durch einen Gebärdendolmetscher erfordert (Bestätigung und Fortentwicklung von BSG vom 12.11.1996 - 9 RVs 9/95 = BSGE 79, 231 = SozR 3-3870 § 4 Nr 15).

Rechtsweg:

SG Würzburg Urteil vom 10.07.2003 - S 5 SB 272/03
Bayerisches LSG - Urteil vom 21.09.2004 - L 18 SB 88/03

Quelle:

Bundessozialgericht

Tatbestand:

Im Rechtsstreit macht der Kläger geltend, bei ihm liege für den Zeitraum einer beruflichen Weiterbildung Hilflosigkeit vor.

Bei dem am 15. Dezember 1975 geborenen Kläger ist eine "an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits mit Retardierung der Sprachentwicklung" als Behinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 anerkannt (Bescheid vom 30. Januar 1978). Daneben hatte der Beklagte auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "H" (Hilflosigkeit) und "RF" ( Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) anerkannt, das Merkzeichen "H" indessen mit Bescheid vom 2. April 1997 nach Abschluss der Berufsausbildung des Klägers zum Elektroniker entzogen.

Zur Begründung seines am 9. Dezember 2002 gestellten Antrags, das Merkzeichen "H" wiederum anzuerkennen, gab der Kläger an, er habe im Oktober 2002 eine Fortbildung zum staatlich geprüften (Elektro-) Techniker beim DAA- Technikum begonnen; die Lehrgangsdauer betrage 46 Monate und beinhalte Samstags- und Seminarunterricht im Umfang von mindestens 70 Unterrichtsstunden pro Semester neben einem Selbststudium mit dem Lehrmaterial des DAA-Technikums. Damit blieb er im Verwaltungsverfahren ohne Erfolg (Bescheid des Beklagten vom 13. Februar 2003; Widerspruchsbescheid vom 7. März 2003).

Auf die Klage hat das Sozialgericht Würzburg (SG) den Beklagten mit Urteil vom 10. Juli 2003 zur Anerkennung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" ab Oktober 2002 verurteilt. Zur Begründung hat das SG unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf die Intensität des Lernens und Fertigkeitserwerbs abgestellt, die bei der Weiterbildung zum staatlich geprüften (Elektro-) Techniker mindestens gleichwertig, wenn nicht höher einzuschätzen sei, als bei der Ausbildung zum Elektroniker.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 21. September 2004 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger erfülle während des von ihm absolvierten Fernstudiums nicht die vom BSG aufgestellten Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleichs "H". Zwar handele es sich um eine institutionalisierte Weiterbildung von mehr als sechsmonatiger Dauer und einer mit der Erstausbildung vergleichbaren Intensität des Lernens und Fertigkeitserwerbs. Der erforderliche Hilfebedarf sei aber im Gegensatz zu den Umständen der Erstausbildung nicht prägend für die gesamte Lebensführung des Klägers. Sein Leben sei nicht überwiegend auf die Ausbildung ausgerichtet; die Weiterbildung finde in der Freizeit durch Selbststudium und vorwiegend durch Seminarunterricht an Samstagen statt. Der mündliche Wissenstransfer stelle daher keinen zentralen Rahmen des Fernstudiums dar. Der erforderliche Hilfebedarf erreiche nicht mindestens zwei Stunden am Tag.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger im Wesentlichen die Verletzung des § 69 Abs 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Er macht insbesondere geltend: Das Erfordernis der Prägung der gesamten Lebensführung durch den Hilfebedarf erschwere gehörlosen Menschen den Zugang zum Merkzeichen "H". Anders als jüngere Menschen oder Arbeitslose, die an Ganztagesunterricht teilnehmen könnten, sei er auf eine berufsbegleitende Weiterbildungsmaßnahme verwiesen, wolle er nicht den Verlust des Arbeitsplatzes und die damit verbundenen finanziellen Einschränkungen hinnehmen. Schon dies gebiete eine Gleichbehandlung beider Ausbildungsformen. Auf Grund seiner Gehörlosigkeit sei er nach wie vor in Wortschatz und Ausdrucksmöglichkeiten des Gesichts und der Hände beschränkt. Anders als während der beruflichen Erstausbildung mit Gehörlosenpädagogen werde die jetzige Weiterbildung durch Dozenten ohne eine derartige Zusatzausbildung betrieben. Während der Präsenzveranstaltungen könne er nur mittels Gebärdendolmetscher kommunizieren. Eingeschränkt sei er auch durch seinen geringeren Wortschatz und die Unmöglichkeit, Dozenten an so genannten Telefonsprechtagen zu befragen. Gegenüber den Kommilitonen sei die Kommunikation - anders als während der Erstausbildung unter Seinesgleichen - erschwert. Bei einer derart erschwerten Weiterbildungsmöglichkeit könne jedenfalls nicht unbeachtet bleiben, dass sie für den gehörlosen Menschen - auch für die Zeit außerhalb der Präsenzveranstaltungen - ungeheuerlich prägend sei.


Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. September 2004 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 10. Juli 2003 zurückzuweisen.


Der Beklagte beantragt unter näherer Darlegung,

die Revision zurückzuweisen.


Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt ( § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Berufungsgericht und Beklagter haben zu Recht die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" während der Zeit der beruflichen Weiterbildung des Klägers verneint.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 69 Abs 4 SGB IX vom 19. Juni 2001 (BGBl I 1046), in Kraft getreten am 1. Juli 2001 (Art 68 Abs 1 SGB IX). Darin ist bestimmt: Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen "die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden" die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1. Die hier ebenfalls einschlägige, am 1. Mai 2004 in Kraft getretene Fassung des Gesetzes vom 23. April 2004 (BGBl I 606) benennt in § 69 Abs 4 iVm § 69 Abs 1 Satz 7 SGB IX nunmehr - neben den für die Durchführung des BVG zuständigen - auch die durch Landesrecht beauftragten Behörden als "die zuständigen Behörden". Die so umschriebenen Behörden des Beklagten entscheiden auch darüber, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen der vom Kläger beanspruchten - ua steuerrechtlichen - Förderung bei Hilflosigkeit gegeben sind.

Im Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen "H" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos iS des § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist (§ 3 Abs 1 Nr 2 der auf Grund von § 70 SGB IX ergangenen Schwerbehindertenausweisverordnung idF der Bekanntmachung vom 25. Juli 1991, BGBl I 1739, zuletzt geändert durch Art 4a des Gesetzes vom 23. April 2004 aaO). Insoweit hat sich durch das seit 2001 geltende neue Recht in der Sache keine Änderung ergeben gegenüber dem bis dahin geltenden § 4 Abs 4 Schwerbehindertengesetz (vgl Senatsurteil vom 12. Februar 2003, SozR 4-3250 § 69 Nr 1, mit Anm Palm, SGb 2003, 702, und Kube, NZS 2004, 458; stRspr).

Gemäß § 33b Abs 6 Satz 2 EStG in der im Zeitpunkt der Antragstellung des Klägers maßgeblichen, ab 21. September 2002 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 19. Oktober 2002 (BGBl I 4210; spätere Änderungen des § 33b EStG haben insoweit keine Änderungen gebracht; vgl zur früheren, insoweit inhaltsgleichen Fassung Senatsurteile vom 08. März 1995 --- 9 RVs 5/94 -, SozR 3-3870 § 4 Nr 12 S 47, und vom 12. November 1996 - 9 RVs 9/95 -, BSGE 79, 231, 232 = SozR 3-3870 § 4 Nr 15 S 60; stRspr) ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 2 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33b Abs 6 Satz 3 EStG). Die so umschriebene Hilflosigkeit hat ihren Ursprung in der Rechtsprechung des Reichsversorgungsgerichts (vgl dazu näher Wilke/ Förster, SozEntschR, § 35 BVG RdNr 6 f mwN; zur Übernahme im Steuer-, Sozialhilfe -, und Lastenausgleichsrecht vgl Senatsurteil vom 2. Juli 1997 - 9 RV 19/95 -, SozR 3-3100 § 35 Nr 6 S 9 f mwN). Der vorliegend auch vom BSG anzuwendende, seit 1995 nicht mehr geänderte Gesetzeswortlaut (das Gesetz vom 15. Dezember 2003, BGBl I 2645 nahm nur eine redaktionelle Änderung vor: § 33b Abs 6 Satz 3 und 4 - statt Satz 2 und 3 EStG; vgl zur Anwendung des neuen Rechts auch im Revisionsverfahren: BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 12 S 47 mwN) geht auf die Kriterien zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleich lautenden Voraussetzungen für Pflegezulage nach § 35 BVG entwickelt worden sind ( vgl Senatsurteil vom 10. Dezember 2002, BSGE 90, 185 = SozR 3-3100 § 35 Nr 12). Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit iS der §§ 14, 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Pflegeversicherung - (SGB XI) angelehnt ( vgl Senatsurteil vom 12. Februar 2003 - B 9 SB 1/02 R -, in SozR 4-3250 § 69 Nr 1 RdNr 5, mwN, auch zu den im Einzelnen zu berücksichtigenden Verrichtungen); schon daraus folgt, dass ein vollständiger Gleichklang mit dem Recht der sozialen Pflegeversicherung nicht zu erwarten ist (aA wohl Palm aaO S 703, Kube aaO S 461).

a) Bei den gemäß § 33b Abs 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren (vgl dazu auch Bürck, ZfS 1998, 97, 100).

aa) Berücksichtigungsfähig sind Verrichtungen zunächst in den auch von der Pflegeversicherung (vgl § 14 Abs 4 SGB XI) erfassten Bereichen der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung); die Verrichtungen in diesen Bereichen werden unter dem Begriff der sog Grundpflege zusammengefasst. Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des BSG jene Verrichtungen, die in den Bereichen der psychischen Erholung, geistigen Anregungen und der Kommunikation (hier insbesondere Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen) anfallen, während Verrichtungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht eingeschlossen sind (vgl zum Vorstehenden BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 1 mwN).

bb) Hinsichtlich des Ausmaßes des in § 33b EStG angesprochenen Hilfebedarfs in Bezug auf die genannten Verrichtungen geht der Senat davon aus (vgl BSG aaO; BSGE 90, 185 = SozR 3-3100 § 35 Nr 12), dass die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" regelmäßig erst dann angenommen werden kann, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen (vgl zur Abgrenzung BSG SozR 3100 § 35 Nr 16; Senatsurteile vom 8. Oktober 1987 - 9a RVs 75/85 - und vom 23.02.1987 - 9a RVs 6/85 - : keine Hilflosigkeit bei einer drei Mal in der Woche notwendigen Heimdialyse). Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein. Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung ( vgl § 15 SGB XI) hält es der erkennende Senat für sachgerecht, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen (Senatsurteil vom 12. Februar 2003, SozR 4-3250 § 69 Nr 1 RdNr 9).

b) Gemessen an diesem Maßstab ist nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus ergibt sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist; vielmehr sieht der Senat einen täglichen Zeitaufwand - für sich genommen - erst dann als hinreichend erheblich an, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht (vgl aaO RdNr 10; kritisch Kube aaO). Um den individuellen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, ist aber nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen; vielmehr kommt auch weiteren Umständen der Hilfeleistung, insbesondere deren wirtschaftlichen Wert, Bedeutung zu. Dieser Wert wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen bestimmt; er ist gerade im Blick auf die Zahl der Verrichtungen bzw auf eine ungünstige zeitliche Verteilung der Hilfeleistungen von Bedeutung ( vgl aaO RdNr 12; kritisch zur Individualisierung Palm aaO S 702 f).

Diese typisierenden Grundsätze gelten auch bei der Beurteilung, welche Bedeutung dem Kommunikationsdefizit zukommt und ob bei kommunikationsbezogenen Verrichtungen in erheblichem Umfang fremde Hilfe erforderlich wird (vgl bereits BSGE 72, 285 = SozR 3-3870 § 4 Nr 6 zum Zeitaufwand als Indiz für den Umfang der notwendigen Hilfe). Für die Gruppe der gehörlos geborenen oder vor Spracherwerb ertaubten Personen geht der Senat - worauf sich der Kläger bezieht - davon aus, dass Hilfsbedürftigkeit auch ohne nähere zeitliche Prüfung bis zum Ablauf einer ersten Berufsausbildung, mithin in der von Lernen, Kenntnis- und Fähigkeitserwerb geprägten Lebensspanne, vorliegt (BSGE 79, 231 ff = SozR 3-3870 § 4 Nr 15 S 59 f; BSGE 72, 285 = SozR 3-3870 § 4 Nr 6; vgl dazu auch die Grundsätze in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" 1996 (AHP 1996), Rz 22 S 40 Buchst e bzw AHP 2004 Rz 22 S 29 f Buchst e zur Hilflosigkeit bei Schwerhörigkeit). Umgekehrt gilt, dass das Kommunikationsdefizit nicht generell die Annahme rechtfertigt, dass ein gehörloser Mensch lebenslang hilflos ist (vgl BSG aaO; Urteil vom 10. Dezember 2003 - B 9 SB 4/02 R -, VersorgVerw 2004, 65), zumal die Hörsprachschädigung als Behinderung anerkannt ist: Darin kommt zum Ausdruck, dass eine Teilhabe-Beeinträchtigung fortbesteht, die mit einem Grad der Behinderung von 100 bewertet wird und an die steuerrechtlich der Pauschbetrag für behinderte Menschen sowie der Fahrtkostenabzug geknüpft sind ( dazu näher Senatsurteil vom 10. Dezember 2003 aaO). Besondere Umstände, die nach dem Abschluss der ersten Berufsausbildung einen zeitlich erheblichen Hilfebedarf begründen könnten, wie sie der Senat für möglich gehalten hat (zB bei einer langzeitigen beruflichen Weiterbildung, Minderbegabung oder geistiger Behinderung bzw zusätzlichen Gesundheitsstörungen, vgl BSGE 79, 231, 233 f = SozR 3-3870 § 4 Nr 15), liegen im Falle des Klägers nicht vor.

c) Ein Hilfebedarf wegen Minderbegabung, geistiger Behinderung oder zusätzlicher Gesundheitsstörungen sowie vergleichbare Umstände werden vom Kläger von vornherein nicht geltend gemacht. Soweit die Annahme erneuter Hilflosigkeit auf die durchgeführte langzeitige berufliche Weiterbildung gestützt wird, ist nicht davon auszugehen, dass ein entsprechender zeitlicher Betreuungsaufwand besteht oder vergleichbare, wirtschaftlich ins Gewicht fallende Umstände vorliegen. Weder enthält das Urteil des LSG entsprechende Feststellungen, noch reichen die vom Kläger genannten Umstände - ihre sachliche Richtigkeit vorausgesetzt - hin.

aa) Zunächst gilt auch für den Kläger, dass sein Leben nach dem Abschluss der beruflichen Erstausbildung von der Arbeit im erlernten Beruf geprägt ist (vgl BSGE 79, 231 = SozR 3-3870 § 4 Nr 15 mwN); dies folgt bereits aus dem Umstand, dass die Weiterbildung zum Elektrotechniker berufsbegleitend erfolgt. Auch wenn die Weiterbildung mit den an die Verwendung der Freizeit für Selbststudium und Präsenzunterricht gestellten Anforderungen hinzutritt, steht doch die Vollzeitberufstätigkeit an fünf Wochentagen unverändert im Mittelpunkt des Lebens. Soweit dieser Lebensbereich und auch die Weiterbildung außerhalb des Präsenzunterrichts (Telefonsprechstunde; Austausch mit den Mitschülern) allgemein durch Kommunikationsschwierigkeiten geprägt ist, wird dem durch den hohen GdB und die daran geknüpften Nachteilsausgleiche Rechnung getragen. Weiter macht der Kläger selbst nicht geltend, er benötige für das Selbststudium der zur Verfügung gestellten Unterrichtsmittel fremde Hilfe; durch den Abschluss der Erstausbildung hat der Kläger das auch für diesen Teil der Weiterbildung erforderliche Schreiben und Lesen in dem einem Gehörlosen möglichen Umfang erlernt (vgl BSG aaO).

bb) Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus dem zeitlichen Umfang der während des Präsenzunterrichts erforderlichen Hilfe. Selbst wenn die an den Kläger in diesen Phasen gestellten Anforderungen über jene hinausgehen, die sonst im Ablauf eines jeden Tages anfallen, wird mit dem darauf entfallenden Bedarf an fremder Hilfe nicht die Mindestgrenze erreicht. Nach den nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG, an die das BSG gebunden ist (§ 163 SGG), erreicht der für die Weiterbildung erforderliche Hilfebedarf nämlich nicht den gebotenen Umfang von zwei Stunden täglich.

Soweit der Präsenzunterricht als zweiter wesentlicher Teil der beruflichen Weiterbildung - neben dem Selbststudium - im Umfange von insgesamt 490 Unterrichtsstunden jeweils an Samstagen sowie zusätzlich in Kompaktseminaren gehalten wird, kann hier offen bleiben, ob einer Berücksichtigung des damit verbundenen Hilfebedarfs nicht bereits entgegen steht, dass insoweit von einem "täglichen Zeitaufwand" nicht gesprochen werden kann (vgl BSGE 90, 185, 187 = SozR 3-3100 § 35 Nr 12; ebenso wiederum die og Senatsurteile zur Dialyse: BSG SozR 3100 § 35 Nr 16; vom 8. Oktober 1987 - 9a RVs 75/85 -; vom 23. Februar 1987 - 9a RVs 6/85 -). Der Wortlaut von § 33b Abs 6 Satz 2 EStG bezieht sich ausnahmslos auf die Verrichtungen "im Ablauf eines jeden Tages" und unterscheidet sich insoweit signifikant von Wendungen im Recht der Pflegeversicherung (vgl etwa § 15 Abs 1 und 3 SGB XI: "zusätzlich mehrfach in der Woche" bzw "wöchentlich im Tagesdurchschnitt"). Unbeschadet dessen ergibt sich aus den genannten Feststellungen des LSG, dass auch eine entsprechende Umrechnung der auf den Samstag entfallenden Unterrichtsstunden auf den "wöchentlich im Tagesdurchschnitt" erforderlichen Hilfebedarf nicht das gebotene Mindestmaß erreicht. Da die Kompaktseminare nicht wöchentlich stattfinden und auch nicht jeweils mindestens sechs Monate dauern, haben sie von vorneherein unberücksichtigt zu bleiben.

cc) Vor diesem Hintergrund müssen auch die von der Revision vorgetragenen Erschwernisse dahin stehen, die die berufsbegleitende Weiterbildung von den (günstigeren) Umständen der Erstausbildung unterscheiden. Sie fallen, soweit sie überhaupt einen Hilfebedarf begründen, nach den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen schon zeitlich nicht ins Gewicht. Allein für sich betrachtet kann jedenfalls die Mitwirkung eines Gebärdendolmetschers im Präsenzunterricht nicht als die Lebensspanne prägend bezeichnet werden. Unabhängig davon liegt es auf der Hand, dass es sich insoweit um typische Erschwernisse in der Lebensführung eines schwerhörigen Menschen handelt. Dies gilt auch im Hinblick auf zusätzliche Belastungen, die mit der berufsbegleitenden Weiterbildung verbunden sind.

dd) Die von der Revision angeführte Alternativlosigkeit der Weiterbildung in berufsbegleitender Form hat der Senat nicht weiter zu überprüfen; selbst wenn man davon ausgeht, dass in Fällen der Techniker-Weiterbildung in Vollzeitform angesichts des damit für gehörlose Menschen verbundenen Hilfebedarfs diesen das Merkzeichen "H" zuzugestehen wäre, kann sich der Kläger darauf nicht berufen. Die Unterschiede in der Fallgestaltung rechtfertigen eine andere Beurteilung bei berufsbegleitender Weiterbildung. In der von ihm gewählten Weiterbildungsform erfüllt der Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" jedenfalls nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Referenznummer:

R/R2432


Informationsstand: 08.09.2006