Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 12. Mai 2005 sowie der Bescheid des beklagten Landes vom 23. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2003 aufgehoben.
Das beklagte Land hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten um die Herabsetzung des Grades der Behinderung (
GdB) von 100 auf 60 sowie die Entziehung der Merkzeichen "G", "B", "H" und "Bl".
Das beklagte Land hatte bei dem ... 1994 geborenen Kläger mit Bescheid vom 8. Mai 1995 einen
GdB von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "B", "Bl", "H" und "RF" festgestellt. Dabei war das beklagte Land davon ausgegangen, dass der Kläger blind sei.
Von Amts wegen durchgeführte Nachprüfungen in den Jahren 1996, 1997 und 1999 wurden jeweils mit der Mitteilung an den Kläger abgeschlossen, dass keine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten sei.
Im November 2001 führte das beklagte Land eine weitere Nachprüfung von Amts wegen durch. Er holte einen Befundbericht der Augenärztin
Dr. K. (ohne Datum) ein und veranlasste die Gutachten der Augenärztin
Dr. A. vom 21. März 2002 und des
Dr. S., Universitätsklinikum H., vom 17. Februar 2003.
Nach Anhörung des Klägers änderte das beklagte Land den Bescheid vom 8. Mai 1995 mit Bescheid vom 23. April 2003 ab und setzte den
GdB auf 60 herab. Die beim Kläger vorliegende Funktionsbeeinträchtigung bezeichnete es als "Sehbehinderung". Die Merkzeichen "B", "G", "H" und "Bl" wurden entzogen. Das Merkzeichen "RF" blieb zuerkannt. Zur Begründung bezog sich das beklagte Land auf das Gutachten des
Dr. S., vom 17. Februar 2003.
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies das beklagte Land mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2003 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass sich nach dem Ergebnis der durchgeführten Begutachtung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB X) insofern feststellen lasse, als dass eine wesentliche Besserung der Sehbehinderung zu verzeichnen sei.
Dagegen hat der Kläger am 27. Juni 2003 Klage vor dem Sozialgericht Lübeck erhoben und zur Begründung geltend gemacht, dass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse seit Erlass des Bescheides vom 8. Mai 1995 nicht eingetreten sei. Auch dem Gutachten des
Dr. S., Universitätsklinikum H., sei keine Aussage zu entnehmen, nach der eine Verbesserung der Sehfähigkeit eingetreten sei.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 23. April 2003 und den Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2003 aufzuheben.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.
Das Sozialgericht hat Befund- und Behandlungsberichte der Ärztin für Augenheilkunde
Dr. K. vom 11. Dezember 2003, des
Prof. Dr. T. vom 11. März 2004 sowie des
Dr. B. vom 26. Dezember 2003 eingeholt. Ferner hat das Sozialgericht das Gutachten des
Dr. Ba. vom 24. November 2004 eingeholt und den Sachverhalt mit dem Gutachter eingehend telefonisch erörtert.
Mit Urteil vom 12. Mai 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die angefochtenen Bescheide des Beklagten seien nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage der Herabsetzung des
GdB und der Entziehung der genannten Merkzeichen sei § 48
Abs. 1 Satz 1
SGB X. Die danach zu fordernde wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen seit Erlass des Bescheides vom 8. Mai 1995 sei eingetreten. Jedenfalls sei auch in Anbetracht der Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten nicht zu belegen, dass dem Kläger das Merkzeichen "Bl" und damit der
GdB von 100 zu Unrecht zuerkannt sei. Bei einer Rücksprache der Vorsitzenden mit dem Sachverständigen, von der die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung unterrichtet worden seien, habe
Dr. Ba. ausgeführt, dass er nicht belegen könne, dass die seinerzeitige Feststellung definitiv falsch gewesen sei. Unter diesen Umständen greife die in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelte sog. "Richtigkeitsvermutung" ein. Unter Beachtung der in den
AHP 1996 niedergelegten Bewertungsmaßstäbe sei die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass in den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 8. Mai 1995 vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung derart eingetreten sei, dass der
GdB von 100 auf 60 herabzusetzen sei. Dies ergebe sich aus dem im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten des
Dr. S. sowie dem Gutachten des Sachverständigen
Dr. Ba.. Diese bestätigten, dass in Bezug auf den Befund eine Änderung insofern eingetreten sei, als die Linsenlosigkeit, welche zunächst mit Kontaktlinsen korrigiert werden musste, inzwischen operativ mittels implantierter Kunstlinsen therapiert wurde. Jedoch sei zu den Gesundheitsstörungen ein grüner Star hinzugekommen, dessen Auswirkungen in Form von Funktionsbeeinträchtigungen den zukünftigen Krankheitsverlauf wesentlich bestimmen würden. Das Sozialgericht hat im Einzelnen begründet, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" bei dem Kläger nicht mehr vorlägen. Da der Kläger nicht blind im Sinne der
Nr. 23 der
AHP 1996 ( Merkzeichen "Bl") sei und die Sehbehinderung nur einen
GdB von 60 bedinge, lägen auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "B" und "H" nicht mehr vor.
Gegen das ihm am 4. August 2005 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 5. August 2005 beim Schleswig- Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt: Die Entscheidung, die das beklagte Land mit Bescheid vom 8. Mai 1995 getroffen habe, sei nachweislich falsch gewesen. Dies habe auch der Sachverständige in seinem Gutachten ausgeführt. Soweit die Vorsitzende Richterin des Sozialgerichts auf eine davon abweichende in einem Telefonat mit dem Sachverständigen geäußerte Beurteilung Bezug genommen habe, sei diese nicht verwertbar. Mit dieser Verfahrensweise sei gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen worden, da eine qualifizierte Stellungnahme hierzu nicht möglich gewesen und auch nicht sicher sei, ob die Vorsitzende den Sachverständigen nicht fehlinterpretiert habe. In seinem schriftlichen Gutachten habe der Sachverständige bestätigt, dass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse seit Erlass des Bescheides vom 8. Mai 1995 nicht eingetreten sei. Eine wesentliche Verbesserung des Sehvermögens sei auch durch die vorgenommene Implantation von Kunstlinsen nicht erreicht worden. Es bestünden erhebliche Zweifel an der Objektivität der Vorsitzenden Richterin des Sozialgerichts, die in der mündlichen Verhandlung immer versucht habe, ihm eine moralische Verpflichtung zur Klagerücknahme einzureden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 12. Mai 2005 sowie den Bescheid des beklagten Landes vom 23. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2003 aufzuheben.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
und bezieht sich zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.
Der Senat hat das Gutachten des Arztes für Augenheilkunde
Dr. Ha. vom 5. April 2006 eingeholt und den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung am 27. April 2006 zur Erläuterung seines Gutachtens gehört. Wegen des Inhalts des Gutachtens wird auf Blatt 140 bis Blatt 151 der Gerichtsakte und wegen der ergänzenden Erläuterungen des Sachverständigen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten und die Prozessakte haben dem Senat vorgelegen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf ihren Inhalt verwiesen.
Die statthafte (§ 143 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) und fristgerecht (§ 151
SGG) eingelegte Berufung ist zulässig. Die Berufung ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide, mit denen das beklagte Land den
GdB des Klägers von 100 auf 60 herabgesetzt und ihm die Merkzeichen "G", "B", "H" und "Bl" entzogen hat, sind rechtswidrig und daher aufzuheben.
Als Rechtsgrundlage der Entscheidung des beklagten Landes kommt - wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat - ausschließlich § 48
Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB X) in Betracht. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Senat geht ferner mit dem Sozialgericht davon aus, dass die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens (Erlass des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2003) mit den Verhältnissen zu vergleichen sind, die bei Erlass des Bescheides vom 8. Mai 1995 vorgelegen haben. Die Mitteilungen zum Ergebnis der in den Jahren 1996, 1997 und 1999 durchgeführten Nachprüfungen stellen keine sog. "Folgebescheide" dar; vielmehr handelt es sich um bloße Mitteilungen (
vgl. Urteil des Senats vom 6. Dezember 2005 - L 2 SB 28/04;
BSG, Urteil vom 3. Juni 1958 - 4 RJ 15/57 - BSGE 7, 215, 216;
BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R - SozR 4- 1300 § 48
Nr. 6).
Seit Erlass des Bescheides vom 8. Mai 1995 ist keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten, die eine Herabsetzung des
GdB oder die Entziehung von Merkzeichen rechtfertigt.
Der Senat geht dem Gutachten des Sachverständigen
Dr. Ha. folgend davon aus, dass die Sehschärfe des Klägers zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 8. Mai 1995 nicht auf 1/50 oder weniger herabgesetzt war und dass auch keine dem gleichzusetzende Sehschädigung im Sinne der
AHP 1983
Nr. 23 bei dem Kläger vorgelegen hat. Wie
Dr. Ha. in seinem Gutachten nachvollziehbar dargelegt hat, war eine Prüfung der Sehschärfe zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 8. Mai 1995 - also zu einem Zeitpunkt, als der Kläger sein erstes Lebensjahr noch nicht vollendet hatte - nicht möglich. Eine Gesundheitsstörung, die den Schluss auf eine Reduzierung des Sehvermögens auf allenfalls 1/50 zulassen würde, hat bei dem Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegen. Vor diesem Hintergrund hat auch der Sachverständige
Dr. Ba. die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" im Jahr 1995 in seinem für das Sozialgericht erstatteten Gutachten als nicht nachvollziehbar angesehen. Damit übereinstimmend hatte nach dem Inhalt des vorliegenden Telefonvermerks vom 20. April 1995 die damals behandelnde Augenärztin
Dr. K. gegenüber dem beklagten Land erklärt, dass eine "100%ige Aussage zur Blindheit z.Z. nicht getroffen werden kann". Sie gehe jedoch davon aus, dass der Visus beidseits unter 1/50 liege. Diese Vermutung hat sich jedoch nicht bestätigt. Wie der Sachverständige
Dr. Ha. dem Senat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt hat, lassen die ersten bei dem Kläger erhobenen verwertbaren augenärztlichen Befunde mit Angaben zur Sehschärfe (Bericht des
Prof. Dr. T. vom 7. März 2000 mit Angaben zur Sehschärfe von 0,3 und 0,4) bei im Wesentlichen gleichen Diagnosen wie bei Erlass des Bescheides aus dem Jahr 1995 im Rückblick die eindeutige Aussage zu, dass eine Reduzierung der Sehschärfe auf 1/50 oder eine dem gleichzusetzende Sehschädigung zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 8. Mai 1995 eindeutig nicht vorgelegen hat.
Nach dem Inhalt der Entscheidungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils soll
Dr. Ba. in einer telefonischen Rücksprache mit der Vorsitzenden eine davon abweichende Einschätzung geäußert haben. Er soll angegeben haben, er könne nicht belegen, dass die seinerzeitige Einstellung definitiv falsch sei. Eine Begründung dieser Auffassung des
Dr. Ba. ist jedoch nicht dokumentiert. Zudem ist diese Beurteilung nicht ohne Weiteres mit dem Inhalt des schriftlichen Gutachtens des
Dr. Ba. vom 24. November 2004 in Einklang zu bringen, obwohl die schriftliche Fassung des Gutachtens nach dem Inhalt der vorliegenden Akte erst nach der telefonischen Erörterung zwischen der Vorsitzenden des Sozialgerichts und dem Sachverständigen fertiggestellt wurde. So führt
Dr. Ba. in seinem schriftlichen Gutachten - ähnlich wie
Dr. Ha. in seinem auf Veranlassung des Senats erstatteten Gutachten - aus, dass bei dem inzwischen 10 Jahre alten Kläger der Krankheitsverlauf zu einer nunmehr überprüfbaren Funktion des Sehvermögens geführt habe und dass unzweifelhaft eine Sehbehinderung bestehe, die jedoch sicher nicht ein Ausmaß erreiche, dass diese Beeinträchtigung einer Blindheit gleich zu achten wäre. Als Änderung in Bezug auf die Befunde führt
Dr. Ba. in seinem Gutachten lediglich aus, dass die Linsenlosigkeit, welche mit Kontaktlinsen korrigiert werden musste, inzwischen operativ mittels implantierter Kunstlinsen therapiert worden sei und dass zu den Gesundheitsstörungen ein grüner Star hinzugekommen sei. Wie der Sachverständige
Dr. Ha. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nachvollziehbar dargelegt hat, haben die bei dem Kläger durchgeführten Augenoperationen nicht zu einer Verbesserung des Sehvermögens geführt. Vielmehr sind die Operationen infolge von eingetretenen Komplikationen erforderlich geworden. Dies gilt auch für die Implantation von Kunstlinsen.
Soweit der Sachverständige
Dr. Ha. bei der Beantwortung der dritten Beweisfrage (
S. 6 des Gutachtens/Blatt 145 Gerichtsakte) im ersten Satz ausgeführt hat, dass es seit Erlass des Bescheides vom 8. Mai 1995 zu einer wesentlichen Änderung gekommen sei, beruht dies auf einem Missverständnis der Beweisfrage. Die Aussage steht im Widerspruch zu den übrigen Ausführungen des Sachverständigen. Der Senat hat den Sachverständigen deshalb in der mündlichen Verhandlung dazu befragt. Der Sachverständige hat erklärt, dass seiner Angabe, nach der Änderungen eingetreten seien, die Annahme zugrunde gelegen habe, dass er die mit Bescheid vom 8. Mai 1995 festgestellte Blindheit mit dem gegenwärtigen Zustand zu vergleichen habe. Er habe damit keine Aussage zur Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse (Änderung des Gesundheitszustands) treffen wollen. Der Sachverständige hat dann für den Senat in jeder Hinsicht nachvollziehbar und mit dem übrigen Inhalt des Gutachtens übereinstimmend dargelegt, dass eine Änderung des tatsächlichen Sehvermögens seit Erlass des Bescheides vom 8. Mai 1995 jedenfalls nicht im Sinne einer Besserung eingetreten sei, sondern dass es ab etwa 2001 sogar zu einer Verschlechterung des Sehvermögens gekommen sei.
Die Beurteilung durch den Sachverständigen
Dr. Ha. steht auch nicht im Widerspruch zu den im Verwaltungsverfahren von dem beklagten Land eingeholten Gutachten der
Dr. A. und des
Dr. S.. Beide Gutachten enthalten ausschließlich Aussagen zum Sehvermögen des Klägers zum Zeitpunkt der Untersuchung und keine Beurteilung zu der hier maßgebenden Frage der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse. Auch in den rechtlichen Verhältnissen sind keine Änderungen eingetreten. Die
AHP haben sich seit Erlass des Bescheides vom 8. Mai 1995 bezogen auf die Maßstäbe für die Beurteilung von Blindheit in den hier maßgebenden Punkten nicht geändert.
Unter diesen Umständen kann der Senat dahingestellt lassen, ob der Rechtsprechung des 9. Senats des Bundessozialgerichts (
vgl. Urteil vom 10. Februar 1993 -
9/9a RVs 5/91 - SozR 3-1300 § 48
Nr. 25; Urteil vom 11. Oktober 1994 -
9 RVs 9/93) zu folgen ist, nach der eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass ein
GdB, der bei einer späteren Untersuchung geringer ist als bei einer früheren Feststellung, auf eine Besserung und nicht auf einen Fehler bei der früheren Festsetzung zurückzuführen ist (kritisch dazu
u. a.: Steinwedel, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 48
SGB X, Rz. 24 sowie die Entscheidung des 3. Senats des
BSG vom 7. Juli 2005, a.a. O.). Denn auch diese sog. "Richtigkeitsvermutung" greift nur ein, solange nicht feststeht, dass der
GdB rechtswidrig zu hoch festgesetzt oder ein Merkzeichen zu Unrecht zuerkannt worden ist. Gerade dies ist vorliegend jedoch der Fall. Soweit der 3. Senat des Bundessozialgerichts (Urteil vom 7. Juli 2005, a.a.O.) - wohl abweichend von der oben genannten Rechtsprechung des 9. Senats - die Korrektur eines von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsakts auf der Grundlage des § 48
SGB X zulassen möchte, kann ebenfalls dahingestellt bleiben, ob dieser Rechtsprechung zu folgen ist, weil - wie der 3. Senat des
BSG in der Entscheidung betont hat - eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48
Abs. 1
SGB X jedenfalls nicht bei einem unveränderten Gesundheitszustand vorliegt.
Das Vorliegen einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48
Abs. 1 Satz 1
SGB X lässt sich auch nicht mit der Erwägung begründen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 8. Mai 1995 der Verdacht auf das Vorliegen von Blindheit begründet war und dass diese Verdachtsdiagnose entfallen wäre. Zwar hat das Bundessozialgericht in einer Entscheidung vom 11. November 1987 (9a RVs 1/97 - BSGE 62, 243 = SozR 1300 § 48
Nr. 43) einen auf den bloßen Verdacht einer Erkrankung gestützten Bescheid jedenfalls dann nicht als rechtswidrig angesehen, wenn, wie bei Krebs, schon der Verdacht besondere Maßnahmen erforderlich macht. Voraussetzung ist dann aber jedenfalls, dass der bloße Verdacht einer Erkrankung in dem feststellenden Bescheid deutlich erkennbar ausgesprochen worden war (
vgl. BSG, Urteil vom 11. November 1987, a.a.O., juris Rz. 12,
m.w.N.). Im Grundsatz kann der Wegfall des Verdachts nur in diesem Fall eine wesentliche Änderung begründen. Eine Ausnahme hat das Bundessozialgericht speziell für den Fall einer bösartigen Geschwulstkrankheit wegen humaner Rücksicht auf den Betroffenen zugelassen.
Der Bescheid des beklagten Landes vom 8. Mai 1995 enthält keinen Hinweis darauf, dass der Zuerkennung der Merkzeichen und der Bewertung des
GdB mit 100 nur ein Verdacht zugrunde liegt. Gründe, die einen solchen Hinweis entbehrlich machen könnten, sind nicht ersichtlich. Im Übrigen hat das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 11. November 1987 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die nachträgliche Erkenntnis einer Fehldiagnose keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 48
SGB X darstellt. In solchen Fällen kann die von vornherein unrichtig gewesene Entscheidung allein nach § 45
SGB X zurückgenommen werden. Eine solche Entscheidung hat der Beklagte im vorliegenden Fall nicht getroffen, und eine Umdeutung der Entscheidung des Beklagten in eine solche nach § 45
SGB X kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Beklagte die Ermessensentscheidung, die in diesem Falle erforderlich wäre, nicht getroffen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160
Abs. 2
SGG liegen nicht vor.