Zwischen den Beteiligten ist im Kern streitig, ob bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (
GdB) von 50 anzuerkennen ist.
Am 04.07.2017 stellten die Eltern der am 00.00.2013 geborenen Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung eines Grades der Behinderung sowie auf Zuerkennung des Merkzeichens "H". Nach Einholung von Befundberichten bei den behandelnden Ärzten kam der Beratungsarzt der Beklagten zu der Einschätzung, der bei der Klägerin vorliegenden Diabetes Typ I (Erstdiagnose am 14.03.2017) bedinge einen
GdB von 40. Hierbei wurde die bestehende Insulinpumpentherapie ("Medtronic")
inkl. der automatischen (Blutzuckersensor "Dexcom") und manuellen Messungen berücksichtigt, wobei die Klägerin nicht mit einem "geschlossenen System" versorgt ist, der Sensor also nicht unmittelbar die Pumpe steuern kann. Die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "H" seien gegeben. Mit Bescheid vom 31.07.2017 stellte der Beklagte bei der Klägerin einen
GdB von 40 sowie das Vorliegen von Hilflosigkeit fest. Hiergegen legten die Eltern der Klägerin am 00.00.2017 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2017 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Die Klägerin hat am 25.10.2017 Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, dass ein Grad der Behinderung von 50 anzuerkennen sei. Neben dem unstreitigen Therapieaufwand mit täglich mindestens vier Insulininjektionen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung variiert werden müsse, sei sie durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt. Neben dem Umstand, dass bei einem Kind die Stoffwechsellage generell schwieriger einzustellen sei, als bei einem Erwachsenen, ergäben sich erhebliche Einschnitte mit gravierender Beeinträchtigung der Lebensführung daraus, dass sie einer ständigen personellen Überwachung und Kontrolle unterliege, da sie selbst nicht im Stande sei, ihre Therapie durchzuführen. Dementsprechend bedürfe es stets der Zugriffsmöglichkeit einer in der Krankheit und Therapie hinreichend geschulten Person. Dies habe sich beispielsweise im Kindergarten darin geäußert, dass sie den Kindergarten nur habe besuchen können, wenn beide entsprechend eingearbeiteten Erzieherinnen anwesend waren. Sobald eine Erzieherin wegen Urlaub, Krankheit oder sonstigen Umständen ausgefallen sei, habe sie (die Klägerin) den Kindergarten nicht besuchen können. Gleiches habe sich seit der Einschulung im Sommer 2019 fortgesetzt. Ein Schulbesuch ohne im Management des Diabetes mellitus geschulten Integrationshelfer sei nur möglich, wenn sich Lehrkräfte bereitfinden würden, die diese Aufgabe übernehmen würden und zusätzlich die Eltern in ständiger Alarm-
bzw. Rufbereitschaft stehen würden. Auch in der Freizeitgestaltung sei sie durch erhebliche Einschnitte gravierend beeinträchtigt. So sei es ihr nicht oder nur in erheblich reduziertem Umfang möglich, an etwaigen Aktivitäten teilzunehmen. Dabei stelle sich - wie bereits in Kindergarten und Schule - das grundsätzliche Problem, dass sie stets auf die Anwesenheit eines entsprechend geschulten Erwachsenen angewiesen sei. So könne sie nicht ohne ihre Eltern an einem Kindergeburtstag teilnehmen oder ohne ihre Eltern Freunde besuchen, da die Eltern der anderen Kinder regelmäßig eben nicht über entsprechende Kenntnisse verfügten und diesen Eltern tatsächlich auch nicht zugemutet werden könne,
ggf. blutige Messungen durchzuführen, Insulin zu berechnen und zuzuführen. Gleiches gelte für (außerschulische) sportliche Aktivitäten. Sofern ihre Eltern eine eigene Teilnahme nicht organisieren könnten, könne sie selbst an derlei Aktivitäten - eben auch im Gegensatz zu Diabetikern, die ihre Behandlung selbst durchführen - überhaupt nicht teilnehmen. Aufgrund der Notwendigkeit einer ständigen Begleitung durch einen Erwachsenen, sei sie im Übrigen auch daran gehindert, eine altersentsprechende Eigenständigkeit zu entwickeln. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass regelmäßig in der Nacht blutige Messungen durchgeführt und an den Blutzucker angepasste Maßnahmen ergriffen werden müssen. Dadurch werde auch die Nachtruhe nachhaltig gestört.
Sie beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2017 zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von 50 ab Juli 2017 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "H" festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung aus dem Verwaltungsverfahren fest. Insbesondere sei bei der Klägerin nicht erkennbar, dass sie aufgrund des Diabetes durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sei. Der dargestellte Betreuungsaufwand werde bereits über die Anerkennung der Hilfslosigkeit berücksichtigt. Ein Einzel-
GdB von 50 komme insoweit nicht in Betracht. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Befundberichtes von
Dr. B.-Hermann und des Diabetes-Zentrums des XX Krankenhauses in XX. Darüber hinaus hat das Gericht ermittelt durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) von
Dr. S. (Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin).
Dr. S. hat das Gutachten am 00.00.2020 erstattet und am 00.00.2020 eine schriftliche ergänzende Stellungnahme abgegeben. Darüber hinaus hat
Dr. S. sein Gutachten in der mündlichen Verhandlung nach § 411
Abs. 3 Zivilprozessordnung erläutert. Das Gericht hat in der Sache am 28.08.2019 einen Erörterungstermin durchgeführt und am 18.11.2020 mündlich verhandelt. Bezüglich der Inhalte wird auf die jeweilige Niederschrift verwiesen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid gemäß § 54
Abs. 2
S. 1
SGG in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung eines GdBs von 50 und der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "H". Nach
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Maßgebliche Bestimmung für die Feststellung des
GdB ist
§ 152 SGB IX in der ab 01.01.2018 gültigen Fassung vom 23.12.2016 (Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz -
BTHG; BGBl I 2016, 1824) des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX) (
§ 69 SGB IX a. F.). Nach
Abs. 1 Satz 1 der genannten Bestimmung stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den
GdB fest. Diese Vorschrift knüpft materiell-rechtlich an den in § 2
Abs. 1 Satz 1
SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt nach
S. 2 vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Durch diese zum 01.01.2018 in Kraft getretene, sich an
Art. 1 der UN - Behindertenkonvention anlehnende neue Formulierung eines erweiterten Behinderungsbegriff nach dem biopsychosozialen Modell der Behinderung, sind inhaltlich im Vergleich zur vorangegangenen Definition der Behinderung in
§ 2 Abs. 1 SGB IX a. F. keine inhaltlichen Änderungen erfolgt (
vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9522,
S. 226: "Rechtsklarheit"; zu § 2
Abs. 1
a. F.: Urteil der Kammer vom 24. Oktober 2017 -
S 18 SB 460/16 -, Rn. 41
ff., juris
m.w.N.). Nach § 152
Abs. 1 Satz 5
SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als
GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 152
Abs. 3 Satz 1
SGB IX der
GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Nach § 69
Abs. 1 Satz 5
SGB IX in der bis zum 14.01.2015 gültigen Fassung galten für den
GdB die Maßstäbe des § 30
Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) - nach dem sich die Beurteilung des Schweregrades, dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (
GdS), nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen richtet - und der aufgrund des § 30
Abs. 16 BVG erlassenen
Rechtsverordnung entsprechend. Auf Rechtsgrundlage der Vorgängervorschrift des § 30
Abs. 16, dem
Abs. 17 des § 30 BVG in der bis zum 30.06.2011 gültigen Fassung, wurde mit Wirkung zum 01.09.2009 die Verordnung zur Durchführung des § 1
Abs. 1 und des § 35 BVG (
Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 08.12.2008 erlassen, die die bis zu diesem Zeitpunkt für die Bewertung des Grads der Behinderung maßgeblichen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2008 (
AHP 2008), ablösten. Den vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen
AHP kam zwar keine Rechtsnormqualität zu, es handelte sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aber um antizipierte Sachverständigengutachten mit normähnlicher Wirkung (
BSG, Urteil vom 30. September 2009 -
B 9 SB 4/08 R -, juris; Urteil vom 24. April 2008 -
B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69
Nr. 9;
BSG, Urteil vom 18. September 2003 -
B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205). Da insbesondere die maßgebliche Anlage 2 zu § 2
VersMedV, die die so genannten "
Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (
VMG) beinhaltet, im Wesentlichen den
AHP entspricht (
vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08,
S. 3 f.), waren mit dem Wechsel keine erheblichen inhaltlichen Änderungen verbunden (
BSG, Urteil vom 30. September 2009 - B 9 SB 4/08 R -, juris;
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Dezember 2009 -
L 11 SB 352/08 -, juris). Im Unterschied zu den
AHP handelt es sich bei der
VersMedV aber um eine
Rechtsverordnung, d.h. eine für Verwaltungen und Gerichte verbindliche untergesetzliche Rechtsnorm, die im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69
SGB IX auszulegen ist (
BSG, Urteil vom 30.September 2009 - B 9 SB 4/08 R, juris;
BSG, Urteil vom 23. April 2009 -
B 9 SB 3/08 R -, Rn. 29, juris; Urteil der Kammer vom 24. Oktober 2017 - S 18 SB 460/16 -, Rn. 39
ff., juris). Zum 15.01.2016 hat der Gesetzgeber in
§ 70 Abs. 2 SGB IX das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Diese Ermächtigung findet sich seit dem 01.01.2018 in
§ 153 Abs. 2 SGB IX (näher: Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 153
SGB IX, Rn. 5). Solange noch keine Verordnung nach § 153
Abs. 2
SGB IX erlassen ist, gelten indes gemäß
§ 241 Abs. 5 SGB IX (
159 Abs. 7 SGB IX a.F.) weiterhin die Maßstäbe des § 30
Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30
Abs. 16 BVG erlassenen
Rechtsverordnung entsprechend (
vgl. hierzu BT-Drucksache 18/3190,
S. 5;
vgl. hierzu weiter, SG Aachen, Urteil vom 24. Oktober 2017 - S 18 SB 460/16 -, Rn. 26, juris). Der hier streitigen Bemessung des GdBs ist damit die
GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (
Teil A, S. 17 ff.) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A,
S. 33) sind die dort genannten
GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in
Nr. 2 e (Teil A,
S. 20) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (
Teil B, Nr. 1 a, S. 33). Die Bemessung des Gesamt-
GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.12.2010 -
B 9 SB 35/10 B; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.06.2012 -
L 13 SB 127/11). Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2
Abs. 1
SGB IX und die daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-
GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-
GdB zu bilden (Bundessozialgericht, Urteil vom 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, a.a.O.). Die Klägerin leidet unter folgender Beeinträchtigung:
Diabetes melitus Typ I
Im Funktionssystem "Stoffwechsel" ist gemäß
Teil B, Ziffer. 15.1 VMG ein Grad der Behinderung von 50 anzuerkennen. Die Voraussetzungen nach Teil B, Ziffer 15.1
VMG für die Zuerkennung eines Grades der Behinderung von 50 liegen vor. Demnach beträgt der
GdB 50, wenn (1) die an Diabetes erkrankten Menschen eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig variiert werden muss, und (2) diese erkrankten Menschen durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind (
vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09. Juni 2017 -
L 21 SB 400/15). Die genannten Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Gerichts vor. Neben dem beschriebenen Therapieaufwand (1) ist die Klägerin insbesondere darüber hinaus durch erhebliche Einschnitte gravierend in ihrer Lebensführung beeinträchtigt (2). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung muss es zusätzlich zu den unter (1) dargestellten Kriterien zu einer gravierenden Beeinträchtigung in der Lebensführung kommen - sei es bedingt durch den konkreten Therapieaufwand oder durch die jeweilige Stoffwechselqualität oder wegen sonstiger gravierender Auswirkungen der Erkrankungen (zusammenfassend: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21.02.2012 - L 7 SB 20/11 -, juris Rn. 39 ff; Urteil vom 26.04.2012 -
L 7 SB 84/10 -, juris Rn. 36
ff. m.w.N.); der Betroffene muss zudem auch krankheitsbedingt erheblich in der Lebensführung beeinträchtigt sein (
BSG, Urteil vom 25.10.2012 -
B 9 SB 2/12 R -, juris Rn. 37
ff.; Urteil vom 17.04.2013 -
B 9 SB 3/12 R -, juris Rn. 39
ff.). Die Auffassung, dass sich aufgrund des Therapieaufwandes ein
GdB von 50 anzuerkennen sei, erweist sich dabei als nicht zutreffend. Dies ergibt sich eindeutig aus der Verbindung der beiden Satzteile in Teil B, Ziffer 15.1
VMG durch das Wort "und". Die Klägerin ist über den üblicherweise bestehenden Therapieaufwand hinaus durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt. Denn bei der Klägerin besteht ein außergewöhnlicher Therapieaufwand in Form der Notwendigkeit der ständigen Überwachung und Begleitung durch hinreichend geschulte Erwachsene. Insoweit handelt es sich eben nicht um einen gewöhnlichen Therapieaufwand, wie er beispielsweise bei einem Erwachsenen mit gleicher Erkrankung besteht. Die Auswirkungen dieses außergewöhnlichen Therapieaufwandes sind dabei zur Überzeugung des Gerichts auch gravierend. Dabei kommt zwei Auswirkungen des Therapieaufwandes besonderes Gewicht zu. Erstens befinden sich kleine Kinder (und damit auch die Klägerin) aufgrund einer dauerhaften Begleitung und Überwachung in einer emotionalen Sonderstellung, welche sich negativ auf die psycho-emotionale Entwicklung auswirkt, da insoweit die eigene Integrationsfähigkeit beeinträchtigt wird. Zweitens erschwert der erhöhte Therapieaufwand weite Bereiche der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft oder macht diese sogar unmöglich. Dies ist stets dann der Fall, wenn eine Betreuung durch entsprechende Erwachsene nicht oder nicht hinreichend gewährleistet werden kann. Dann findet eine Teilhabe nur in reduzierter Form oder überhaupt nicht statt. Davon sind die Teilhabe an Kindergarten
bzw. Schule und Freizeit betroffen. Entsprechend verfängt nach Auffassung des Gerichts auch der Einwand nicht, der erhöhte Therapieaufwand bei Kindern bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres sei durch die pauschale Anerkennung der Hilfslosigkeit bereits abgedeckt. Neben dem Umstand, dass sich das Vorliegen von medizinischen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nicht negativ auf die Feststellung von Einzel- oder Gesamt-
GdB auswirken, spiegelt die Anerkennung der Hilfslosigkeit die benannten Einschränkungen der Teilhabe eben nicht wieder.
Nach Auffassung des Gerichts ist - anknüpfend an die Notwendigkeit der ständigen Begleitung zum Beispiel durch einen entsprechenden Integrationshelfer - auch eine hinreichende Vergleichbarkeit mit Beeinträchtigungen gegeben, für welche die
VMG ebenfalls einen Einzel-
GdB von 50 vorsehen. So ist für tiefgreifende Entwicklungsstörungen mit mittleren sozialen Anpassungsschwierigkeiten nach
B 3.5.1 VMG ein Einzel-
GdB von 50 bis 70 vorgesehen. Dabei liegen mittlere soziale Anpassungsschwierigkeiten insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche nicht ohne umfassende Unterstützung (zum Beispiel einen Integrationshelfer als Eingliederungshilfe) möglich ist (
VMG a.a.O.).
Nach Auffassung des Gerichts dürfte daher bei Kindern, welche an Diabetes melitus erkrankt sind, regelmäßig ab dem Kindergartenalter (Vollendung des dritten Lebensjahres) ein
GdB von 50 für die Erkrankung anzunehmen sein, sofern die Notwendigkeit der ständigen Überwachung und Betreuung besteht, was regelmäßig der Fall ist, sofern nicht ein "geschlossenes System" von Blutzuckersensor und Pumpe zum Einsatz kommt, bei welchem der Sensor unmittelbar die abgegebene Insulinmenge über die Pumpe steuern kann. Ein
GdB von 40 kommt hingegen erst ab dem Zeitpunkt in Betracht, wenn das Kind jedenfalls tagsüber die notwendige Therapie selbst durchführen kann und daher von einer ständigen Überwachung und Betreuung unabhängig wird. Nach Einschätzung des Gerichts dürfte dies frühestens mit Vollendung des 12. Lebensjahres der Fall sein. Alleine die Notwendigkeit einer nächtlichen Überwachung ist nach Auffassung des Gerichts unabhängig vom Alter des Kindes hingegen nicht hinreichend, um gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung zu bejahen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem Gesamtergebnis der Ermittlungen im Verwaltungs- und Streitverfahren, insbesondere aus den glaubhaften Ausführungen der Eltern und - soweit es sich um medizinische Fragen handelt - aus dem Gutachten des Sachverständigen nebst entsprechender Erläuterung in der mündlichen Verhandlung. Der Sachverständige hat bestätigt, dass die Teilhabemöglichkeiten der Klägerin direkt von entsprechender Überwachung und Betreuung abhängig sind. Da Hypoglykämien dauernd drohen, kann die Klägerin zum Beispiel nicht ohne Begleitung auf den Spielplatz gehen. Auch Besuche von Freunden oder die Teilnahme am Kindergeburtstag von Freunden sind nur in Begleitung eines Elternteils möglich. Der Schulbesuch hängt neben der ständigen Alarmbereitschaft der Eltern davon ab, dass sich Lehrkräfte in der Akutversorgung eines diabeteskranken Kindes ausbilden zu lassen. Andernfalls ist die Klägerin mindestens bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres ständig auf einen geschulten Integrationshelfer angewiesen. Insoweit ist die Lage vergleichbar mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen, bei welchen der Einsatz eines Integrationshelfers erforderlich ist. Darüber hinaus besteht bei der Klägerin aufgrund der ständigen Begleitung und Überwachung eine emotionale Sonderstellung. Diese Sonderstellung wirkt sich negativ auf die psycho-emotionale Entwicklung der Klägerin aus, da sie insoweit in ihrer eigenen Integrationsfähigkeit beeinträchtigt wird. Der Sachverständige hat sein Gutachten im Übrigen aufgrund einer eingehenden Untersuchung und unter Berücksichtigung der von der Klägerin geschilderten Beschwerden erstellt. Die im Zeitpunkt der Untersuchung vorliegenden medizinischen Unterlagen sind von dem Sachverständigen bei der Befunderhebung und Diagnostik und späteren Beurteilung berücksichtigt worden. Für das Gericht besteht kein Anlass, an der Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen zu zweifeln. Die Ausführungen des Sachverständigen sind schlüssig und frei von Widersprüchen. Seine Bewertung der festgestellten Gesundheitsstörungen erfolgte insbesondere in Übereinstimmung mit der Versorgungsmedizin-Verordnung (
VersMedV). Darüber hinaus handelt es sich bei dem Sachverständigen um einen erfahrenen Sachverständigen, der häufig für das Sozialgericht Gutachten erstattet, die Fragestellungen nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (
SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - zum Gegenstand haben.
Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens H. In den Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen H einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b Einkommenssteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist,
vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung. Entsprechend § 33b
Abs. 6 Satz 3 EStG ist derjenige als hilflos anzusehen, der infolge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe häufiger und wiederkehrender Verrichtungen und zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Von der tatbestandlich vorausgesetzten "Reihe von Verrichtungen" kann - entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - regelmäßig erst dann ausgegangen werden, wenn es sich "um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen" (
BSG, Urteil vom 24.11.2005 -
B 9a SB 1/05 R = juris). Der Umfang der wegen der Behinderung notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen muss erheblich sein. Dabei ist in der Regel auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen (
vgl. BSG, a.a.O.). Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung (
vgl. § 15 SGB IX) ist die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen (
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.06.2007,
L 8 SB 1421/06;
vgl. auch
BSG, a.a.O.). Nicht hilflos ist danach jedenfalls, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Auch bei darüber hinausgehendem Zeitaufwand sind danach indes nicht zwingend die Voraussetzungen der Hilflosigkeit gegeben. Vielmehr ist der tägliche Zeitaufwand für die Hilfeleistung erst dann für sich allein genommen erheblich, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht (
vgl. zu alledem
BSG, a.a.O.). Bei einem Hilfebedarf zwischen einer und zwei Stunden ist bei der Frage der Erheblichkeit auf weitere Umstände, insbesondere den wirtschaftlichen Wert abzustellen. Insbesondere für den Fall einer hohen Anzahl von Verrichtungen
bzw. deren ungünstiger zeitlicher Verteilung, ist auch bei einem Hilfebedarf von zwischen einer und zwei Stunden von dessen Erheblichkeit auszugehen (
vgl. BSG, a.a.O.;
LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Die notwendige Bereitschaftszeit einer Hilfsperson ist hierbei dann berücksichtigungsfähig, wenn die Hilfsperson dadurch zeitlich und örtlich ebenso beansprucht werde, wie bei körperlicher Hilfeleistung (
vgl. (
BSG Urteil vom 12. Februar 2003,
B 9 SB 1/02 R = juris). Ergänzend und klarstellend zu dieser gesetzlichen Ausgangslage führt
Teil A Ziffer 5 lit d) jj) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze aus, das beim Diabetes mellitus Hilflosigkeit bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen ist. Vor diesem Hintergrund hatte der Beklagte auch bereits die Hilflosigkeit im Sinne des § 33b EStG bei der Klägerin festgestellt. Die Eintragung des Merkzeichens H auf dem Ausweis der Klägerin scheiterte bislang aber daran, dass der Beklagte davon ausging, die Klägerin habe keinen
GdB von 50 und sei mithin nicht schwerbehindert im Sinne des § 3
Abs. 1
Nr. 2 der Schwerbehindertenausweisverordnung.