Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 14. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung des Nachteilsausgleiches "H" (Hilflos) mit Vollendung des 18. Lebensjahres.
Bei dem 1984 geborenen Kläger war mit Bescheid vom 12. April 1995 der
GdB von 100 auf 80 wegen einer geistigen Behinderung herabgesetzt sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "B" und "H" weiterhin festgestellt worden. Der dem Kläger ausgestellte Ausweis war befristet bis Dezember 1998 und ist von dem Beklagten im Dezember 1998 verlängert worden (Schreiben vom 30. Juli 1998).
Im März 2002 überprüfte der Beklagte den Bescheid von Amts wegen, wegen der bevorstehenden Vollendung des 18. Lebensjahres. Er holte hierzu einen Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie
Dr. K, Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie und - psychotherapie der Landesklinik B, vom 20. April 2002 ein, wertete diesen aus, hörte den Kläger mit Schreiben vom 7. August 2002 an und hob mit Bescheid vom 21. November 2002 den Bescheid vom 12. April 1995 mit Wirkung ab 21. November 2002 in Bezug auf die Gewährung des Merkzeichens "H" auf.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren zog der Beklagte unter anderem Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen Berlin- Brandenburg (MdK) vom 20. Dezember 2000 und 11. Februar 2003 bei und holte einen erneuten Befundbericht der
Dr. K vom 18. Januar 2003 ein. Ergänzend übersandte der Kläger ein Gutachten dieser Ärztin vom 26. November 2002, welches im Auftrag des Amtsgerichts Rathenau im dort anhängigen Betreuungsverfahren eingeholt worden war. Nach Auswertung dieser Unterlagen wies der Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 9. September 2003 zurück.
Der im anschließenden Klageverfahren als Sachverständiger bestellte Krankenpfleger und
Dipl.-Pädagoge Sch führte in seinem Gutachten vom 5. August 2005 unter anderem aus, es liege bei dem Kläger eine mittelgradige geistige Behinderung vor. Aus den damit verbundenen dauerhaften behinderungsbedingten kognitiven Einschränkungen sowie Verhaltensauffälligkeiten und emotionalen Störungen resultiere die Notwendigkeit einer täglichen Hilfe auf Dauer. Über die geistige Behinderung hinaus lägen keine maßgebend feststellbaren körperlichen Fähigkeitseinschränkungen vor. Aufgrund der dauerhaften Gesundheitsstörungen sei zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages Hilfebedarf bei einzelnen Verrichtungen der Grundpflege in einem Zeitumfang von 107 Minuten erforderlich. Darüber hinaus sei die personelle Hilfe zur notwendigen Übernahme von hauswirtschaftlicher Versorgung von 50 Minuten täglich gegeben. Es seien regelmäßige Impulse erforderlich, um den Kläger im Hinblick auf einen sinnstiftenden Tagesablauf darin zu unterstützen, die Verrichtungen des täglichen Lebens aufzunehmen, die Durchführung zu strukturieren und aufrechtzuerhalten. Im Bereich der Körperpflege sei bei einzelnen Verrichtungen die Notwendigkeit einer weitgehenden Beaufsichtigung beziehungsweise ständig notwendigen Bereitschaft durch eine Pflegeperson erkennbar. Im Rahmen der Verrichtungen der Notdurft seien Teilhilfen, jedoch keine ständige Beaufsichtigung erforderlich; gegebenenfalls sei eine Rufbereitschaft erforderlich. Im Bereich der Ernährung sei die Notwendigkeit strukturierender Impulsgaben durch eine Pflegeperson zur Aufnahme, Aufrechterhaltung und Beendigung der mundgerechten Zubereitung
bzw. Aufnahme der Nahrung erkennbar. Insofern liege eine weitere Unterstützungsbedürftigkeit, die die körperliche Anwesenheit einer Pflegeperson unbedingt erforderlich mache, vor. Im Bereich der Mobilität sei das An- und Entkleiden sowie Aufstehen/Zubettgehen anzuleiten und zu unterstützen, dabei sei Hilfe in Form weitgehender ständiger körperlicher Anwesenheit der Pflegeperson regelmäßig notwendig. Es sei erforderlich auf die Verrichtung bezogenes Gehen anzuleiten. Erkennbar sei die Notwendigkeit strukturierender Impulsgaben und Instruktionen im Tagesmittel. Es sei darüber hinaus festzustellen, dass ein maßgebender erheblicher Hilfebedarf in Form einer Anleitung und Überwachung beziehungsweise ständigen Bereitschaft beim Treppensteigen, Aufsuchen und Verlassen der Wohnung nicht erkennbar sei. Es sei jedoch das Aufsuchen beziehungsweise Verlassen der Wohnung zur Teilnahme an der beruflichen Maßnahme sowie im Freizeitbereich in der Regel personell zu begleiten. Es sei nach häuslicher Begutachtung festzustellen, dass die Erforderlichkeit einer zeit-/ teilweisen Beaufsichtigung des Klägers bei häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens vorliege. Im Rahmen des vorliegenden häuslichen Pflegesettings sei aufgrund der Fähigkeitsstörungen des Klägers von einer regelmäßigen, nicht jedoch ständigen Bereitschaft einer Pflegeperson bei einzelnen Verrichtungen auszugehen, weil die Hilfe beispielsweise nicht häufig und plötzlich wegen akuter Lebensgefahr notwendig sei. Dabei sei der Umfang der notwendigen Hilfe bei einzelnen häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen erheblich.
Nachdem das Sozialgericht das Pflegegutachten des MdK vom 9. Februar 2006 beigezogen hat, aus dem sich ein Zeitaufwand für die Grundpflege von 63 Minuten pro Tag und ein Zeitaufwand für die Hauswirtschaft von 60 Minuten pro Tag ergibt, hat der Sachverständige am 6. Dezember 2006 hierzu ergänzend Stellung genommen und unter anderem ausgeführt, er gehe unter Berücksichtigung des MDK Gutachtens nunmehr davon aus, dass im Bereich der Grundpflege ein Zeitaufwand für Hilfestellungen im Umfang von 99 Minuten täglich notwendig sei. Darüberhinaus sehe er über den Hilfebedarf in der Grundpflege einen Hilfebedarf zur geistigen Anregung und zur Hilfe zur Kommunikation regelmäßig täglich im Umfang von jeweils mindestens 20 bis 30 Minuten zusätzlich.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 14. Dezember 2006 stattgegeben und den Beklagten verurteilt, unter entsprechender Abänderung der entgegenstehenden Bescheide beim Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" ab 21. November 2002 festzustellen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zu Unrecht habe der Beklagte eine Änderung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "H" bei einem Vergleich der Verhältnisse im November 2002 (nach Vollendung des 18. Lebensjahres) mit den Verhältnissen im Juli 1998 (Verlängerung des Schwerbehindertenausweises) angenommen. Gemessen an den vom Bundessozialgericht aufgestellten Kriterien erfülle der Kläger dem Sachverständigen Sch folgend die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "H" auch weiterhin. Es sei von einem Zeitaufwand im Bereich der Grundpflege von durchschnittlich 99 Minuten pro Tag auszugehen. Im Einzelnen habe der Sachverständige den täglichen Zeitaufwand im Bereich der Körperpflege mit insgesamt 59 Minuten, im Bereich der Ernährung mit insgesamt 15 Minuten und im Bereich der Mobilität mit 25 Minuten beziffert. Im Bereich der geistigen Anregung und Kommunikation halte der Sachverständige jeweils einen Hilfebedarf von mindestens täglich 20 bis 30 Minuten für erforderlich. Diese von dem Sachverständigen angegebenen Werte halte die Kammer angesichts der von den Ärzten und Betreuern des Klägers übereinstimmend beschriebenen und auch vom Sachverständigen selbst festgestellten erheblichen Antriebsarmut und sozialen Retardierung des Klägers mit innerem Rückzug sowie Verweigerungshaltung und hieraus folgend erheblichem Motivationserfordernis durch die Pflegepersonen für nachvollziehbar. Der tägliche Zeitaufwand von 2 Stunden werde damit erreicht.
Gegen das ihm am 29. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 24. Januar 2007 Berufung eingelegt. Er ist weiterhin der Ansicht, der Kläger erfülle die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "H" seit November 2002 nicht mehr. Das Gutachten des Sachverständigen Sch sei nicht nachvollziehbar und unschlüssig. In Auswertung der Pflegegutachten könnten die Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" nicht mehr anerkannt werden. Das Pflegegutachten aus dem Jahr 2000 gehe von einem Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 60 Minuten aus, 2003 seien 67 Minuten festgestellt worden, 2006 63 Minuten. Es habe sich über den gesamten Zeitraum um sehr konstante Werte gehandelt. Die Pflegegutachten seien von verschiedenen Gutachtern erstellt worden. Demgegenüber überschreite der von dem Sachverständigen Sch ermittelte Wert diesen um weitere 30 Minuten. Die in den Pflegegutachten festgestellte Grundpflege von 60 bis 67 Minuten pro Tag beinhalte zum größten Teil bereits die beaufsichtigenden und impulsgebenden Tätigkeiten. Daher könnten keine weiteren Zeiteinheiten für die Gabe strukturierter Impulse, Anleitung oder Kommunikation als erforderliche Hilfsmaßnahmen angesetzt werden. Dies habe der Sachverständige Sch jedoch veranschlagt. Auch dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen
Dr. G könne nicht gefolgt werden. Dieses Gutachten sei nach Aktenlage erstellt worden. Der Gutachter folge lediglich den Feststellungen des erstinstanzlichen Sachverständigen Sch.
Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 14. Dezember 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und sieht sich durch die weiteren Ermittlungen bestätigt.
Der als Sachverständiger bestellte Arzt für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin
Dr. G hat in seinem nach Aktenlage erstellten Gutachten vom 15. Januar 2008 unter anderem ausgeführt, schwer wiegend bei dem Kläger sei nicht die körperliche Hilflosigkeit, die ihn daran hindern würde seine Verrichtungen vorzunehmen, sondern seine psychische Erkrankung, die unter anderem eine extreme Antriebsschwäche bewirke, so dass er sämtliche Verrichtungen im täglichen Leben ohne häufige, fast ständige Kontrolle/Überwachung, Motivation und Impulssetzung nicht in Angriff nehmen könne. Hieraus sei seine Hilflosigkeit abzuleiten. Er sehe einen Hilfebedarf von 59 Minuten täglich für die Körperpflege, von 15 Minuten täglich für die Ernährung, von 25 Minuten täglich für die Mobilität. Es ergebe sich somit ein Hilfebedarf für die Grundpflege von 99 Minuten täglich. Des weiteren sehe er einen zusätzlichen Hilfebedarf für geistige Anregung sowie für die Hilfe zur Kommunikation mit einem täglichen Zeitumfang von jeweils 20 bis 30 Minuten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Gz.: ) verwiesen. Der Inhalt dieser Unterlagen war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben. Sie ist aber nicht begründet. Der Bescheid vom 21. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2003 ist rechtswidrig. Zu Unrecht hat der Beklagte mit diesem Bescheid den Bescheid vom 12. April 1995 in Bezug auf die Gewährung des Merkzeichens "H" aufgehoben; er war daher seinerseits aufzuheben. Soweit das Sozialgericht Potsdam den Beklagten darüber hinaus verurteilt hat, bei dem Kläger auch über den 21. November 2002 hinaus (positiv) die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" festzustellen, handelt es sich insoweit wohl lediglich um eine Klarstellung, denn einer solchen Verurteilung zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" bedurfte es im Aufhebungsverfahren nicht.
Nach § 48
Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - wie hier der Bescheid vom 12. April 1995 - mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (eingehend:
BSG Urteil vom 12. November 1996, Az.
9 RVs 5/95, BSGE 79, 223, 225 = SozR 3-3870 § 4
Nr. 6) . Die Begründetheit der gegen die Aufhebung erhobenen Anfechtungsklage (§ 54
Abs. 1 Satz 1 1. Alt
SGG) beurteilt sich nach dem Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens (
vgl. BSG, a. a. O,
S. 225 f.), der vorliegend durch den Erlass des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2003 gegeben ist.
Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen gemäß
§ 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen. Demgemäß entscheiden diese Behörden auch darüber, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen der vom Kläger beanspruchten -
u. a. steuerrechtlichen (
vgl. § 33 b
Abs. 3 Satz 3,
Abs. 6 Satz 1 Einkommensteuergesetz - EStG) - Förderung bei Hilflosigkeit gegeben sind. Im Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen "H" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33 b EStG oder entsprechender Vorschriften ist (§ 3
Abs. 1
Nr. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung). Gemäß § 33 b
Abs. 6 Satz 2 EStG in der seit dem 1. Januar 1995 geltenden Fassung (
vgl. bereits
BSG Urteil vom 12. November 1996, Az. 9 RVs 9/95, BSGE 79, 231 f. = SozR 3-3870 § 4
Nr. 15; st. Rspr.) ist eine Person hilflos, wenn sie infolge von Gesundheitsstörungen für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 2 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33 b
Abs. 6 Satz 3 EStG). Diese Fassung des Begriffs der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleichlautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 BVG entwickelt worden sind. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14, 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Pflegeversicherung (
SGB XI) angelehnt (
vgl. BSG Urteil vom 12. Februar 2003, Az.
B 9 SB 1/02 R, SozR 4-3250 § 69 Nr 1, m. w. N., auch zu den im Einzelnen zu berücksichtigenden Verrichtungen).
Bei den gemäß § 33 b
Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (
vgl. § 14
Abs. 4
SGB XI) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung ( mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der so genannten Grundpflege zusammengefasst (
vgl. § 14
Abs. 1 Satz 1, § 15
Abs. 3
SGB XI; § 37
Abs. 1 Satz 2
SGB V). Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
vgl. z.B. BSG Urteil vom 23. Juni 1993, Az. 9/9a RVs 1/91, BSGE 72, 285 = SozR 3- 3870 § 4
Nr. 6) Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregungen und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen; siehe auch: Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Stand: 2005/2008, Nummer 21
Abs. 3, Seite 27). Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (
vgl. z. B. BSG Urteil vom 2. Juli 1997, Az. 9 RV 19/ 95, SozR 3-3100 § 35
Nr. 6).
Zum Ausmaß des in § 33 b EStG angesprochenen Hilfebedarfs hat das Bundessozialgericht in seinen Urteilen vom 10. Dezember 2002 (Az.:
B 9 V 3/01 R, BSGE 90, 185 = SozR 3-3100 § 35
Nr. 12) und vom 12. Februar 2003 (Az.
B 9 SB 1/02 R, SozR 4-3250 § 69
Nr. 1) ausgeführt, dass die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" regelmäßig erst dann angenommen werden kann, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen. Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei neben der Zahl der Verrichtungen, auf den zeitlichen Aufwand und den wirtschaftlichen Wert der Hilfe abzustellen sein.
Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung (
vgl. § 15
SGB XI) hält es das Bundessozialgericht in diesen Entscheidungen für sachgerecht, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs grundsätzlich in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen. Dazu hat es bereits entschieden, dass nicht hilflos ist, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist (
vgl. BSG Urteil vom 29. August 1980, Az.
9a/9 RVs 7/89, BSGE 67, 204 = SozR 3-3870 § 4
Nr. 1; Urteil vom 08. März 1995, Az.
9 RVs 5/94, SozR 3-3870 § 4
Nr. 12; Urteil vom 02. Juli 1997, Az. -
9 RV 19/95, SozR 3-3100 § 35
Nr. 6; Urteil vom 10. September 1997, Az.: 9 RV 8/96, zitiert nach Juris). Daraus ergibt sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist. Vielmehr sieht das Bundessozialgericht einen täglichen Zeitaufwand - für sich genommen - erst dann als hinreichend erheblich an, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht. Diese Grenzziehung durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts soll den Bedürfnissen der Praxis Rechnung tragen ( zu den maßgeblichen Erwägungen für die Grenze von zwei Stunden siehe ausführlich:
BSG Urteil v. 12.02.2003, Az.
B 9 SB 1/02 R, SozR 3-3870 § 4
Nr. 12).
Unter Beachtung dieser vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätze ist der Kläger hilflos, denn er hat einen Hilfebedarf in dem geforderten Umfang. Dieser überschreitet zur Überzeugung des Senats die Grenze von zwei Stunden.
Der Senat stützt sich bei dieser Einschätzung auf die schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten der Sachverständigen Sch und
Dr. G, die ausgeführt haben, dass neben dem Hilfebedarf für die Grundpflege von 99 Minuten täglich für geistige Anregung und Kommunikation ein zusätzlicher Hilfebedarf von täglich jeweils 20 bis 30 Minuten anzuerkennen ist, der dazu führt, dass die zeitliche Grenze von zwei Stunden überschritten wird. Dieser Hilfebedarf für geistige Anregung und Kommunikation ist - anders als der Beklagte dies in seinem Schriftsatz vom 11. März 2008 gesehen hat - losgelöst von den verrichtungsbezogenen Tätigkeiten zu betrachten und zusätzlich anzuerkennen, denn er wird in den Anhaltspunkten (Nummer 21
Abs. 3, Seite 27) ausdrücklich genannt. Dort wird ausgeführt, dass neben Tätigkeiten wie An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Verrichten der Notdurft, außerdem auch Hilfestellungen zur geistigen Anregung und Möglichkeiten zur Kommunikation zu berücksichtigen sind. Den vom MdK erstellten Pflegegutachten vermochte der Senat dagegen, soweit diese von einem Hilfebedarf von lediglich 63
bzw. 67 Minuten für die Grundpflege ausgingen, nicht zu folgen. Zutreffend hat der Sachverständige
Dr. G darauf hingewiesen, dass in diesen Gutachten der Schweregrad der psychischen Erkrankung des Klägers unterschätzt wird. Bei dem besteht ein stark defizitärer Antrieb im Spontanantrieb. Sein Verhalten zeigt eine schwere Retardierung mit egozentrischem eigenwilligem Verhalten bei aggressiver Gehemmtheit. Dies führt dazu, dass die Hilfe leistende Person ihn ständig motivieren, anleiten und kontrollieren muss. Der Kläger ist zudem ausgesprochen verlangsamt, hat eine mangelnde Bereitschaft sich anzustrengen und ein vermindertes Durchhaltevermögen. Eine ständige Fremdmotivation und stärkere Zuwendung wegen Rückzugs und Verweigerungshaltung nimmt die Hilfe leistende Person zeitlich stärker in Anspruch.
Soweit der Beklagte den zusätzlichen Hilfebedarf für geistige Anregung und Kommunikation
bzw. Interaktion bestreitet, kann der Senat dem nicht folgen. Der Sachverständige
Dr. G hat hierzu ausgeführt, dass die Fähigkeit des Klägers zur Interaktion infolge seiner emotionellen Störung und der Antriebsarmut deutlich eingeschränkt ist, was für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar ist. In sämtlichen Gutachten wird der Kläger als kontaktgestört und sehr zurückgezogen beschrieben. In den Begutachtungssituationen antwortete er stets nur auf Befragen. Fremde Hilfe ist damit erforderlich, um wenigstens ein Minimum an persönlicher kontaktschaffender Zuwendung zu erreichen. Durch verminderte verbale Fähigkeiten und Kontaktprobleme ist Hilfe zur sozialen Kontaktaufnahme erforderlich. Gleiches gilt für die Notwendigkeit der Hilfe zur geistigen Anregung und Erholung. Soweit der Beklagte davon ausgeht, dies sei bereits Teil der in der Grundpflege für Motivation und Anleitung enthaltenen Hilfe, kann der Senat dem nicht folgen, da diese Bereiche getrennt zu betrachten sind. Der in der Grundpflege enthaltene Hilfebedarfsanteil für Motivation und Anleitung gestaltet sich jeweils verrichtungsbezogen, das heißt der Kläger muss von der Hilfe leistenden Person motiviert werden die jeweilige Tätigkeit der Grundpflege auszuführen und durchzuhalten. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch der Hilfebedarf, der für geistige Anregung und Kommunikation notwendig ist; dieser ist nicht unbedingt tätigkeitsbezogen, sondern soll der geistigen Erholung, Entwicklung und Förderung des Klägers dienen.
Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 23. Juni 1993 (Aktenzeichen
9/9a RVs 1/91, BSGE 72, 285
ff.) ausführlich den Hilfebedarf zur Kommunikation einer gehörlosen Schwerbehinderten erläutert. Zur Überzeugung des Senats lässt sich dieses Urteil sinngemäß auf Schwerbehinderte mit einer geistigen Behinderung anwenden. Diese benötigen für ihre weitere Entwicklung ein besonderes Maß an geistiger Anregung. Der Kläger kann, wie sich sowohl aus dem Besuch der Förderschule, als auch aus der Tätigkeit in einer geschützten Werkstatt ergibt, nur mittels besonderer pädagogischer Hilfen Abläufe erlernen. Erschwerend kommt bei dem Kläger hinzu, dass er einmal erlernte Abläufe nicht zwangsläufig verinnerlicht, sondern ständig neu motiviert werden muss, auch ungeliebte Tätigkeiten auszuführen. Diese Motivation muss darüber hinaus entsprechend den sozialen Schwierigkeiten des Klägers behutsam erfolgen, da er ansonsten als Folge seiner geistigen Behinderung sich in sich selbst zurückzieht. Der Kläger ist nicht in der Lage, seinen normalen Alltag selbstständig zu planen, zu gestalten und durchzuführen. Er benötigt neben der Hilfe zu den Alltagsverrichtungen auch Anregungen für seine geistige Entfaltung und Entwicklung.
Das Bundessozialgericht hat in dem genannten Urteil unter anderem ausgeführt:
"Damit ist zugleich deutlich, dass die Fähigkeit zur ständigen Kommunikation eine der wesentlichen Verrichtungen des täglichen Lebens darstellt, die weit über diejenigen hinausgeht, die beispielhaft unter RdNr. 21
Abs. 3 und
Abs. 4
AHP genannt sind. Die dort genannten Funktionen, die einerseits das menschliche Leben in seiner Kreatürlichkeit erfassen ( Nahrungsaufnahme und Ausscheidung), andererseits einem Mindeststandard sozialer Erwartung entsprechen (zu Hygiene und Kleidung), dürfen nicht einengend dahin verstanden werden, dass die geistige Entfaltung und Entwicklung als weniger gewichtig einzustufen wären. Die Eingliederung in die Gesellschaft ist das Ziel des
SchwbG, weshalb die Kommunikationsfähigkeit als Basis jeder gesellschaftlichen Aktivität nicht vernachlässigt werden darf."
Ähnliches gilt zur Überzeugung des Senates für die geistige Anregung aber auch für die Hilfe zur Kommunikation bei geistig Behinderten, denn ähnlich wie in dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall ist auch der Kläger in allen Bereichen des täglichen Lebens ( Vertragsschlüssen jeder Art, zum Beispiel Kauf-, Bank- und Versicherungsgeschäften, bei der Einholung von Auskünften, Beratungen durch Ärzte, Rechtsanwälte, Sozialarbeiter oder Verwaltungen, beim Besuch politischer Veranstaltungen, aber auch bei Betriebsversammlungen und Festen) durch seine geistige Behinderung, die dazu führt, dass er viele Zusammenhänge nicht versteht beziehungsweise nicht erfassen kann und in seiner Kommunikationsfähigkeit beschränkt ist, eingeschränkt. Ebenso wie die auf der Gehörlosigkeit beruhende fehlende Kommunikationsfähigkeit Gehörloser führen die fehlenden geistigen und intellektuellen Fähigkeiten sowie die soziale Störung des Klägers und die daraus folgende Kommunikationsunfähigkeit dazu, dass er in einer Vielzahl von Situationen der Hilfe bedarf; hierfür spricht auch das von der Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Dr. K am 26. November 2002 im Rahmen eines Betreuungsverfahrens erstellte Gutachten für das Amtsgericht R. Diese hat ausgeführt, dass der Kläger zwar Wörter und sehr kurze Sätze lesen kann, diese aber nur zum Teil versteht. Er kann einzelne Wörter schreiben, häufige Wiederholungen sind notwendig. Er kennt die Zahlen, hat jedoch keine ausreichenden Rechenfähigkeiten, die ihn zum Beispiel befähigen einzukaufen und entsprechende Zahlungsmittel einzusetzen. Er kann logisch keine abstrakten Denkprozesse vollziehen, überschauendes und schlussfolgerndes Denken sind nicht möglich. Zusätzlich zu seiner geistigen Behinderung leidet der Kläger auch unter einer ausgeprägten Störung im emotionalen und sozialen Bereich, die nach den Kriterien der Internationalen Klassifikation von Krankheiten einer psychischen Erkrankung zuzuordnen ist. Die Symptomatik wird bestimmt durch Störungen des Antriebs, der Kontakt- und Kritikfähigkeit und sozialpsychischer Fähigkeiten. Zwar haben mehrfache vor allem verhaltensorientierte Behandlungen zu einer gewissen Stabilisierung des Verhaltens, jedoch nicht immer zu einer ausreichenden Bewältigung aktueller Anforderungen, geführt.
Dr. K hat weiter ausgeführt, der Kläger sei zu einer eigenständigen Haushalts- und Lebensführung nicht in der Lage. Er sei in allen lebenspraktischen Anforderungen zwar selbstständig, benötige aber regelmäßig Kontrollen in diesen Bereichen. Vereinzelt seien auch Hilfen im Sinne von Anleitung oder Übernahme von Tätigkeiten notwendig. Er sei in einem umfassenden Sinne betreuungsbedürftig. Die Betreuung müsse Vermögenssorge, Einwilligungsvorbehalt bei Abschluss von Verträgen, Vertretung vor Ämtern und Behörden sowie die Gesundheitssorge umfassen.
Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen ist der Kläger im Sinne von § 33 b EStG als hilflos anzusehen, denn er benötigt für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages dauernd fremder Hilfe, deren zeitlicher Umfang auch mehr als 120 Minuten täglich beträgt.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160
Abs. 1 Nrn. 1 und 2
SGG genannten Gründe vorliegt.