Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), sie ist jedoch nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die angefochtenen Bescheide des Beklagten, mit denen die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs der Hilflosigkeit aufgehoben worden war, aufgehoben.
Die Voraussetzungen einer Aufhebung des vorliegenden begünstigenden Verwaltungsaktes vom 29. April 1993 nach § 48 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (
SGB X) waren nicht erfüllt. Maßgeblich ist dabei allein der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, das heißt des Widerspruchsbescheides vom 08. Oktober 2004, weil vorliegend allein eine Anfechtungsklage statthaft ist.
Nach § 48
SGB X ist zunächst eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse erforderlich, die zur Rechtswidrigkeit des ursprünglich rechtmäßigen begünstigenden Bescheides geführt haben muss. Diese Voraussetzungen haben sich im Ergebnis nicht nachweisen lassen; die Beweislosigkeit geht im Ergebnis nach den Regeln der objektiven Beweislast zum Nachteil des Beklagten, der die belastende Aufhebungsentscheidung getroffen hat. Zwar steht für den Senat fest, dass in der Zeit nach dem Erlass des ursprünglichen begünstigenden Bescheides vom 29. April 1993 infolge des fortschreitenden Alters und der Reifung der Klägerin eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten ist, doch es ist nicht erweislich, dass jedenfalls im Oktober 2004 die Voraussetzungen für eine Zuerkennung des Nachteilsausgleichs der Hilflosigkeit nicht mehr vorlagen.
Der Begriff der Hilflosigkeit ist definiert im
§ 145 Abs. 1 SGB IX und in den §§ 33 a und 33 b des Einkommensteuergesetzes. Als hilflos ist dabei derjenige anzusehen, der infolge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist.
Bei der Ausfüllung der vorgenannten Merkmale sind als antizipierte Sachverständigengutachten die vom Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (
AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend dem streitgegenständlichen Zeitraum in der Fassung von 2004. Zwar sind in den Jahren 2005 und 2008 jeweils erneuerte Anhaltspunkte veröffentlicht worden, und seit dem 01. Januar 2009 sind die in der
Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (Bundesgesetzblatt I
S. 2412) festgelegten "versorgungsmedizinische Grundsätze" in Form einer
Rechtsverordnung in Kraft, welche die
AHP - ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten ist - abgelöst haben. Aus den vorgenannten Gründen, weil allein der Zeitpunkt der Behördenentscheidung im Jahre 2004 maßgeblich ist, sind vorliegend die
AHP 2004 heranzuziehen.
Nach den
AHP 2004
Nr. 21
Abs. 6
S. 28 kann bei einer Reihe schwererer Behinderungen, die aufgrund ihrer Art und besonderen Auswirkungen regelhaft Hilfeleistungen in erheblichem Umfang erfordern, im Allgemeinen ohne nähere Prüfung angenommen werden, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen von Hilflosigkeit erfüllt sind. Dies gilt in der Regel auch bei geistiger Behinderung, wenn diese Behinderung allein einen
GdB-Grad von 100 bedingt.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle der Klägerin erfüllt. Sie verfügt über einen
GdB von 100, der allein auf die bestehende geistige Behinderung zurückzuführen ist. Zwar hat der Beklagte zunächst in den angefochtenen Bescheiden den
GdB auf 80 abgesenkt, er hat diese Absenkung jedoch später bindend zurückgenommen und ein diesbezügliches prozessuales Teilanerkenntnis abgegeben. Hierdurch ist der Beklagte aus Rechtsgründen daran gehindert, von einem niedrigeren
GdB als 100 auszugehen. Dies gilt im Hinblick auf sämtliche rechtlichen Folgeeinwirkungen, die sich aus dem hohen
GdB von 100 ergeben, weil ansonsten keine weitere Einschränkung in dem prozessualen Teilanerkenntnis des Beklagten und in dem korrigierenden Bescheid des Beklagten enthalten sind. Selbst wenn der Beklagte nunmehr den Standpunkt einnimmt, dass tatsächlich nur die Voraussetzungen für den
GdB von 80 bestanden hätten, sind diese Einwände im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung. Im Übrigen weist der Senat aber auch darauf hin, dass der Beklagte sein Teilanerkenntnis auf der Grundlage umfangreicher medizinischer Ermittlungen des erstinstanzlichen Gerichts und nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme abgegeben hat. Vor diesem Hintergrund spricht jedenfalls vieles dafür, dass auch inhaltlich die Zuerkennung eines
GdB von 100 gerechtfertigt gewesen sein dürfte, auch wenn dies - aus den genannten Gründen - für den vorliegenden Rechtsstreits in rechtlicher Hinsicht nicht von Bedeutung ist.
Vor dem Hintergrund der vorgenannten Regelungen der
AHP 2004 und der bindenden Feststellung eines
GdB von 100 wäre die Aberkennung des Nachteilsausgleichs der Hilflosigkeit nur dann möglich gewesen, wenn sich ein atypischer Fall in der Person der Klägerin hätte erweisen lassen. Dies ist indessen zu verneinen. Es gibt weder aus den vorliegenden Ermittlungen des Gerichts noch in anderer Hinsicht Hinweise darauf, dass die Klägerin - anders als der Regelfall eines schwerbehinderten Menschen mit gleichartigem Behinderungsgrad aufgrund einer geistigen Behinderung - in der Lage sein könnte, die vorgenannten Verrichtungen des täglichen Lebens in dem erforderlichen Umfang ohne fremde Hilfe wahrzunehmen. Auch die von dem Beklagten herangezogene Stellungnahme der Werkstatt für behinderte Menschen, in der die Klägerin tätig ist, begründet nicht einen solchen atypischen Fall. Zwar kann hieraus entnommen werden, dass die Klägerin in ihrer behindertengerechten Arbeitsumgebung in der Lage ist, vergleichsweise eigenständig die Arbeitsabläufe und den dortigen Teil ihres Tagesablaufes zu gestalten. Es lassen sich hieraus jedoch keinerlei Rückschlüsse darauf ziehen, wie die Eigenständigkeit der Klägerin in ihrem üblichen und sonstigen Tagesablauf, insbesondere in ihrer häuslichen Umgebung beschaffen ist. Es spricht vielmehr alles dafür, dass die behinderungsbedingten Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin auch genau dem
GdB von 100 aufgrund ihrer geistigen Behinderung entsprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nicht ersichtlich sind.