Urteil
Anspruch auf Feststellung der Merkzeichen G und H - Höhe des GdB

Gericht:

LSG Bayern 15. Senat


Aktenzeichen:

L 15 SB 24/10


Urteil vom:

24.02.2011


Grundlage:

  • SGG § 54 Abs. 1

Leitsätze:

Die Klage ist wegen fehlender Klagebefugnis unzulässig, wenn die für eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage notwendigen Verwaltungsentscheidungen (Verwaltungsakte) fehlen.

Rechtsweg:

SG Augsburg Urteil vom 20.01.2010

Quelle:

BAYERN.RECHT

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 20. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind der Grad der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sowie der Anspruch auf Merkzeichen G (erhebliche Gehbehinderung) und Merkzeichen H (Hilflosigkeit).

Für die 1954 geborene Klägerin stellte deren damalige, vom Amtsgericht A-Stadt im April 2008 bestellte Betreuerin am 13.10.2008 einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung, begründete dies mit einer schizotypen Störung der Klägerin und einer Einschränkung ihrer kognitiven Fähigkeiten und benannte als zuletzt behandelnden Arzt Dr. J. vom Bezirkskrankenhaus A-Stadt.

Der Beklagte zog die Entlassungsberichte des Bezirkskrankenhauses vom 11.04.2008, 11.09.2008 und 16.09.2008 bei. Als Diagnose wurde jeweils eine schizotype Störung mitgeteilt. Zur (dritten) stationär-psychiatrischen Behandlung von 05.03.2008 bis 01.04.2008 war die Klägerin freiwillig mit der Bitte um medikamentöse Umstellung gekommen. Beim psychopathologischen Befund wurde u.a. von "überwertigen Ideen" der Klägerin, z.B. dass sie eine gravierende Schilddrüsenerkrankung habe, berichtet. Zur (vierten) stationären Behandlung von 24.07.2008 bis 29.08.2008 kam die Klägerin per Vorführbeschluss in psychotischem Zustand nach Absetzen der Medikation. Laut Bericht vom 11.09.2008 zeigte sie sich überhaupt nicht krankheitseinsichtig und lehnte zunächst jegliche Behandlung ab. Sie habe nicht einsehen wollen, dass sie psychisch krank sei und sei ganz darauf fixiert gewesen, ihren Stoffwechsel untersuchen zu lassen. Bei regelmäßiger Einnahme der Medikation habe die Patientin aufgehört, das ganze Personal übel zu beschimpfen, und sei etwas zugänglicher geworden, sie habe jedoch keinen Unterschied zu ihrem Zustand ohne Medikation gesehen. Am 10.09.2008 war die Klägerin "infolge einer appellativ demonstrativen Suizidandrohung" zur Krisenintervention von der Polizei ins Bezirkskrankenhaus gebracht worden. Laut Bericht vom 16.09.2008 habe sie einen Konflikt mit der Betreuerin wegen der Finanzen gehabt. Sie wurde in stabilem Zustand ohne Hinweis für Suizidalität oder Fremdgefährdung entlassen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 10.12.2008 wurde Rechtsanwalt Dr. H. L. mit sofortiger Wirkung als neuer Betreuer bestellt. Dieser teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 29.01.2009 mit, dass er nicht mehr berechtigt sei, zum Verfahren irgendwelche Erklärungen abzugeben, nachdem die Betreuung mit Beschluss vom 20.01.2009 aufgehoben worden sei, weil die Klägerin nicht mehr betreuungsbedürftig sei.

Mit Fax vom 08.01.2009 listete die Klägerin multiple Gesundheitsstörungen auf: Hefepilzinfektion mit atypischen Symptomen, Kreislaufschwäche, Neigung zu Schwindel, Kopfschmerzen, Ermüdbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Empfindlichkeit gegen Hitze, Lärm, Licht, Wetterfühligkeit, Alkoholunverträglichkeit, Unausgeglichenheit im Schlaf-Wach-Rhythmus, Verlust und Zunahme des Köpergewichts, Augenschaden, Erbrechen, abnormes Gleichgewicht, Koordinationsstörungen, Sprachstörungen, Epstein-Barr-Virus, Beeinträchtigung der Schreib- und Redefähigkeit, Lern- und Intelligenzstörungen, Unruhe, frühzeitiger Verlust von Mandeln und Blinddarm, Krampfanfälle im Kopf und linken Bein, schlechter Zahnstatus, Verwirrtheit und Bewusstseinsstörungen, Frühgeburt und Fastfrühgeburt, Erregung, Juckreiz/ Stechen in den Füßen, Polyneuropathie, seltene Augenmuskellähmung; Verschlimmerung bei Psychomedikamenten.

Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 08.01.2009 einen GdB von 70 für die Gesundheitsstörung seelische Krankheit fest. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen lägen nicht vor. Die Klägerin legte Widerspruch ein und erklärte, dass bei völliger Erwerbsunfähigkeit ein GdB von mindestens 95 Grad vorliege. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19.03.2009 zurückgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin am 31.03.2009 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben und die Anerkennung eines GdB von 90 und der gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen G und H verlangt. Sie fordere ihre Anerkennung als unteilbare Person und die Leistung im tatsächlichen Umfang zum Ausgleich von Benachteiligungen entsprechend den persönlichen Bedürfnissen. Krankheiten seien Störungen im molekularen Leib-Seele-Netzwerk. Erwähnt hat sie u.a. eine Blutkrankheit (Erythoblastose) und eine abnorme Bindegewebsschwäche (Frühgeburt). Ihre Gehstrecke sei zeitgebunden.

Am 19.05.2009 hat die Klägerin beim Amtsgericht A-Stadt Akteneinsicht genommen. Dann hat sie Beiziehung der Krankenakte des Dr. D. und der Akte der LVA H. beantragt. Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat sie an das Gericht zahlreiche Postkarten mit teils wirren, teils aggressiven und beleidigenden Äußerungen gerichtet und dabei auch beklagt, dass ihr mit Neuroleptika die Gesundheit entzogen worden sei.

Laut Auskunft der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Schwaben vom 02.07.2009 liegen dort keine Unterlagen vor. Aus der Mitteilung ergibt sich, dass die DRV Schwaben seit 10.09.2008 Kontoführer ist, nachdem mehrere Rentenversicherungsträger, u.a. die DRV Baden-Württemberg, das Konto abgegeben haben. Das Konto sei zusammengeführt worden. Die Klägerin beziehe keine Rente.

Das Sozialgericht hat medizinische Befunde beigezogen. Der Allgemeinmediziner Dr. C. hat seine Unterlagen über die Behandlung von April bis Juli 2008 zur Verfügung gestellt. Der Allgemeinmediziner Dr. D. hat darüber berichtet, dass er die Klägerin im Mai/ Juni 2009 dreimal gesehen habe. Der körperliche Untersuchungsbefund sei unauffällig gewesen, einschließlich der Sonographie des Abdomens und der Laborbefunde. Es dränge sich der Befund eines psychiatrischen Krankheitsbildes auf. Als Diagnose hat er aufgeführt: Verdacht auf paranoide halluzinatorische Psychose, Verdacht auf querulatorische Persönlichkeitsentwicklung (Befundbericht vom 09.11.2009).

Das Bezirkskrankenhaus A-Stadt hat mitgeteilt, dass die Klägerin nach dem 11.09.2008 dort nicht mehr behandelt worden sei.

Die Medizinische Universitätsklinik H. hat die Arztbriefe des Prof. Dr. N. (Abteilung Innere Medizin, Endokrinologie und Stoffwechsel) vom 08.01.2003 und vom 15.01.2003 zur Verfügung gestellt. Die Klägerin hatte sich wegen diffuser Beschwerden den ganzen Körper betreffend vorgestellt und die Durchführung einer Koloskopie und eine Blutuntersuchung auf Autoimmunerkrankung gewünscht. Bei der Besprechung der Laborbefunde seien wegen des inadäquaten Gesprächverlaufs mit auffällig aggressiver Haltung der Klägerin der diensthabende Psychiater sowie zwei diensthabende Polizisten zum Schutz der Ärzte hinzugezogen worden. Es bestünde kein Anhalt für ein Malabsorptionssyndrom oder eine Autoimmunerkrankung.

Das Psychiatrische Zentrum N., Lehrkrankenhaus der Universität H., hat den Entlassungsbrief vom 27.08.2004 übersandt, aus dem sich ergibt, dass die Klägerin dort zum vierten bzw. fünften Mal (20.12.2003 bis 10.02.2004, 13.02.2004 bis 09.06.2004) wegen einer chronischen paranoiden Schizophrenie, nur unvollständig remittiert, stationär behandelt worden ist. Beschrieben ist eine deutliche Wahnstimmung im Sinn eines hypochondrischen Wahns, an einer Schilddrüsenerkrankung und an einer genetischen Knochenerkrankung zu leiden, was kein Arzt erkenne und sie dadurch falsch behandelt werde. Zu keinem Zeitpunkt habe Krankheitseinsicht bestanden.

Die Psychiatrische Klinik S., Lehrkrankenhaus der Universität M., hat die Entlassungsberichte vom 12.01.2006 und vom 09.02.2006 über die zweite und dritte stationäre Behandlung (08.11.2005 bis 02.01.2006, 18.01.2006 bis 08.02.2006) wegen einer paranoiden Schizophrenie übersandt. Die Klägerin hat damals berichtet, dass früher bei ihr eine Skoliose diagnostiziert worden sei, die zu Organeinklemmung und -verschiebung geführt habe, so dass ihr Immunsystem gelitten habe. Deswegen ginge es ihr so schlecht.

Das Vergleichsangebot des Beklagten vom 16.12.2009, einen GdB von 80 anzuerkennen, hat die Klägerin nicht angenommen. Nach entsprechender Ankündigung hat das Sozialgericht den Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2010 verurteilt, einen GdB von 80 ab 10.10.2008 festzustellen, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zulässig sei die Klage lediglich bezüglich des Antrag auf Feststellung eines höheren GdB, nicht aber bezüglich der mit Klageerhebung erstmalig geltend gemachten Merkzeichen G und H. Merkzeichen seien weder Gegenstand des Antrags noch des Verwaltungsverfahrens gewesen. In Übereinstimmung mit der versorgungsärztlichen Einschätzung ist das Sozialgericht der Auffassung, dass bei der Klägerin seit Antragstellung schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten vorliegen würden, die mit einem GdB von 80 zu bewerten seien. Eine noch höhere Bewertung sei, so das Sozialgericht, nicht gerechtfertigt, da die Klägerin noch zu einer Selbstversorgung ohne Fremdhilfe in der Lage sei und auch keine gerichtlich bestellte Betreuung bestehe.

Gegen den der Klägerin am 22.01.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat sie am 26.01.2010 Berufung eingelegt und vorgetragen, dass sie wegen körperlicher Schwäche und Erschöpfung seit Jahren ihren Haushalt nicht mehr im Griff habe. Dabei handele es sich um Putzarbeiten jeglicher Art. Gegen die Lügengeschichten der Ärzte komme sie nicht an, werde aber die entsprechenden Laboruntersuchungen durchführen lassen. Im weiteren Verlauf des Berufungsverfahren hat der Senat laufend Post (zumeist Postkarten) von der Klägerin erhalten, mit konfusen Erklärungen zu ihren körperlichen Erkrankungen und oft auch mit unflätigen, beleidigenden und aggressiven Äußerungen.

Der erneut um einen Befundbericht gebetene Allgemeinmediziner Dr. D. hat mitgeteilt, dass er die Klägerin seit Mai 2009 behandele. Sie schildere weitschweifig und ungeordnet eine Fülle von Beschwerden und insistiere geradezu auf bestimmten Erkrankungen. Sie vertrete ihre Anliegen sehr aggressiv und beschimpfe teilweise auch das Praxispersonal. Den Aufforderungen zu Untersuchungsterminen komme sie regelhaft nicht nach, sondern schreibe nur weitschweifige Briefe, in denen sie ihre Beschwerden schildere. Bezüglich ihrer psychischen Erkrankung sei die Klägerin nicht einsichtsfähig. Eine somatische Erkrankung habe er nicht feststellen können.

Ein im Juni 2010 auf nervenärztlichem Fachgebiet erteilter Gutachtensauftrag ist aufgehoben worden, nachdem die Klägerin geschrieben hatte, dass sie an keiner Begutachtung teilnehmen werde. Der für 12.10.2010 anberaumte Verhandlungstermin ist abgesetzt worden, nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 01.10.2010 Gutachterbewertungen verlangt hatte, damit das volle Ausmaß ihrer Behinderung erfasst werde.

Die im Oktober 2010 beauftragte Dr. E. hat am 16.12.2010 ein nervenärztliches Gutachten nach Aktenlage erstattet. Entsprechend der gerichtlichen Anordnung, die Untersuchung im Wege eines Hausbesuchs durchzuführen, hat die Sachverständige die Klägerin zum schriftlich angekündigten Termin aufgesucht. Trotz wiederholten Klingelns und Klopfens habe diese, so die Sachverständige, nicht geöffnet, wie dies ein Nachbar schon vermutet habe.

Für die Sachverständige ergibt sich bei Sichtung sämtlicher Unterlagen klar die Diagnose einer chronisch verlaufenden paranoiden Schizophrenie, die nach den ICD-Kriterien gesichert sei. Dagegen enthielten die gesamten Unterlagen keinen Hinweis auf eine somatische Erkrankung mit klinisch relevanter Funktionsminderung von sechs Monaten oder mehr. Es handele sich um die häufigste Schizophrenieform. Das klinische Bild werde von dauerhaften Wahnvorstellungen beherrscht, meist begleitet von akustischen Halluzinationen und/ oder anderen Wahrnehmungsstörungen, aber auch Störungen von Stimmung, Antrieb und Sprache. Zur Sicherung der Diagnose Schizophrenie müsse zumindest ein Symptom im Sinn eines Beeinflussungswahns oder von Wahnwahrnehmungen kommen. Dies sei bei der Klägerin der Fall. Es fänden sich zwei weitere notwendige diagnostische Merkmale, wie formale Denkstörungen, zum Beispiel Zerfahrenheit, was sich eindeutig aus den Schriftstücken der Klägerin ergebe, wie auch verflachte oder inadäquate Affekte, zumeist mit sozialem Rückzug und verminderter sozialer Leistungsfähigkeit verbunden. Unter suffizienter medikamentöser Behandlung sei es jeweils zu einer Besserung der Wahndynamik und auch der starken affektiven Auslenkungen gekommen, ohne dass je eine vollständige Remission beschrieben worden sei. Die Voraussetzungen für die Feststellung schwerer sozialer Anpassungsschwierigkeiten mit einem Bewertungsrahmen von 80 bis 100 lägen nach der Krankheitsentwicklung der letzten zehn Jahre vor. Da es aber außer den wenigen Besuchen beim Allgemeinarzt seit Oktober 2008 überhaupt keine näheren Angaben über das Leben der Klägerin, ihre objektiven Einschränkungen und ihren psychopathologischen Befund gäbe, sei eine nähere Zuordnung im Spielraum von 80 bis 100 kaum begründet zu treffen. Das Ausmaß der Auffälligkeiten, wie es sich aus dem Verhalten der Klägerin und auch aus ihren Schriftstücken ergäbe, spreche eher für eine Zuordnung in der Mitte des Spielraums mit einem GdB von 90. Aus den genannten Gründen lasse sich diese Aussage aber nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit treffen. Eine Begutachtung auf anderen Fachgebieten sei mangels objektiver Hinweise auf relevante funktionsmindernde Erkrankungen nicht erforderlich.

Nach Erhalt der Terminsmitteilung hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie den Gerichtstermin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen werde. Gleichzeitig hat sie ihrer Meinung Ausdruck verliehen, dass bei bestehender Erwerbsunfähigkeit 100 % Schwerbehinderung gegeben sei.


Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 20.01.2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 08.01.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.03.2009 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, den GdB in Höhe von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen G und H festzustellen.


Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin ist mit Schreiben vom 27.04.2010 darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Klage auf Merkzeichen G und H unzulässig sei, wie dies im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg zutreffend ausgeführt sei.

Mit Beschluss des Senats vom 12.08.2010 ist die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Berichterstatterin übertragen worden, die zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Der von der Klägerin am 07.05.2009 zum Sozialgericht Augsburg gestellte Antrag auf einstweilige Anordnung - mit dem Begehren, die Antragsgegnerin zu verpflichten darzulegen, ob sie eine Bauchspeicheldrüsenerkrankung oder andere Organschäden habe, damit sie im Hauptsacheverfahren ihre Rechte durchsetzen könne - ist mit Beschluss vom 11.05.2009 abgelehnt worden (S 17 SB 222/09 ER). Die dagegen gerichtete Beschwerde vom 14.05.2009 hat der Senat mit Beschluss vom 01.12.2009 zurückgewiesen (L 15 SB 97/09 B ER).

Die der Klägerin am 03.02.2011 zugestellte Terminsmitteilung enthält den Hinweis, dass auch im Fall ihres Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden könne.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts Augsburg (S 17 SB 163/09, S 17 SB 222/09 ER) beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der Beschwerdeakte sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, da diese über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auf die Folgen ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 153 Abs. 1 SGG).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Wie schon das Sozialgericht entschieden hat, ist die Klage insoweit unzulässig, als die Klägerin die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und H beantragt hat. Der Klägerin fehlt insoweit die Klagebefugnis. Die Zuerkennung der Merkzeichen hat sie erstmals mit Klageerhebung beantragt. Im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren ging es nur um die Höhe des GdB. Der Bescheid vom 08.01.2009 enthält zwar die bei Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft regelmäßig getroffene Aussage, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen nicht vorliegen würden. Eine Entscheidung über Merkzeichen G und über Merkzeichen H wurde mangels entsprechenden Antrags der Klägerin aber nicht getroffen. Auch der Widerspruchsbescheid bezieht sich nur auf die Frage der Höhe des GdB. Die Feststellung von Merkzeichen stellt einen von der Höhe des GdB unabhängigen Streitgegenstand dar (vgl. BSG vom 12.12.1995, 9 BVs 28/95). Bezüglich der Merkzeichen G und H fehlen die für eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage notwendigen Verwaltungsentscheidungen (Verwaltungsakte), die im gerichtlichen Verfahren überprüft werden könnten. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG kann mit der Klage die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Die Klage ist, soweit nichts anderes gesetzlich bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (Satz 2). Diese Klagebefugnis ist nicht gegeben, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt, weil eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung noch gar nicht vorliegt (vgl. BSG vom 21.09.2010, B 2 U 25/09 R; Bayer. LSG, Urteil vom 25.11.2010, L 15 SB 108/09).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 08.01.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.03.2009. Zutreffend hat das Sozialgericht in Abänderung dieser Bescheide der Klägerin einen GdB von 80 ab Antragstellung zugesprochen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren hat die Richtigkeit dieser Entscheidung bestätigt.

Rechtsgrundlage für die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung und des Grads der Behinderung ist § 69 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit den seit 01.01.2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung. Die VG lösen die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ab, die für die Zeit vor 01.01.2009 als antizipierte Sachverständigengutachten beachtlich sind (dazu BSG vom 18.09.2003, B 9 SB 3/02 R; vom 24.04.2008, B 9/9a SB 10/06 R; BVerfG vom 06.03.1995, BvR 60/95). Die Anhaltspunkte und nunmehr die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind ein auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhendes Regelwerk, das die möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet bezweckt und dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung dient.

Der Klägerin kann ein höherer GdB als 80 nicht zugesprochen werden. Zwar ist nicht auszuschließen, dass ihre Behinderung noch größer ist als dies einem GdB von 80 entspricht, dafür fehlt es aber am notwendigen Beweis. Nachdem die Klägerin an der Begutachtung nicht mitgewirkt, d.h. die Untersuchung durch die Sachverständige nicht zugelassen hat, obwohl ihr das Gericht mit Anordnung eines Hausbesuchs weit entgegen gekommen war, ist nur eine Beurteilung nach Aktenlage möglich, die eine höhere Einstufung nicht erlaubt.

Die schwere Behinderung der Klägerin beruht auf einer chronisch verlaufenden paranoiden Schizophrenie, die, wie die Sachverständige erläutert, diagnostisch gesichert ist und in jedem Fall mit einem (Einzel-) GdB von 80 zu veranschlagen ist. Für einen schizophrenen Residualzustand (z.B. Konzentrationsstörung, Kontaktschwäche, Vitalitätseinbuße, affektive Nivellierung) ist ein Bewertungsrahmen von 50 bis 70 vorgesehen, wenn er mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einhergeht, und ein Bewertungsrahmen von 80 bis 100, wenn er mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten verbunden ist (Teil B Nr. 3.6 VG, Nr. 26.3 AHP). Trotz dürftiger Informationen über das Leben der Klägerin hat Dr. E. angesichts der dokumentierten Krankheitsentwicklung der letzten zehn Jahre keine Zweifel, dass schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten vorliegen, die grundsätzlich dann anzunehmen seien, wenn eine weitere berufliche Tätigkeit sehr stark gefährdet oder ausgeschlossen sei und wenn schwerwiegende Probleme in der Familie, im Freundes- bzw. Bekanntenkreis bis hin zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis auftreten würden. Dr. E. hat sich aber, was für den Senat gut nachvollziehbar ist, nicht in der Lage gesehen, einen höheren GdB als 80 zu bestätigen. Denn ohne Untersuchung der Klägerin hatte die Sachverständige nicht die Möglichkeit, einen psychopathologischen Befund zu erheben und im Wege der Anamnese wichtige Informationen über die Lebensgestaltung der Klägerin und das tatsächliche Ausmaß ihrer Einschränkungen zu erhalten.

Der für die psychische Erkrankung bestehende Einzel-GdB von 80 ist zugleich der Gesamt-GdB. Die Klägerin strebt zwar in erster Linie eine Behinderung im somatischen Bereich an, entsprechende Gesundheitsstörungen können aber mangels tatsächlicher Grundlagen nicht festgestellt werden. Wie die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen belegen, ist der langjährige hypochondrische Wahn der Klägerin Ausdruck ihrer psychischen Erkrankung. Folgerichtig ist die Sachverständige der Auffassung, dass eine Begutachtung auf anderen medizinischen Fachgebieten nicht erforderlich sei. Der Senat sieht das genauso.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R5538


Informationsstand: 24.05.2013