Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Kläger begehrt vom Beklagten im Rahmen des Nachteilsausgleichs nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" (Hilflosigkeit).
Bei dem am ...1959 geborenen Kläger, der italienischer Staatsbürger ist und sich auf Grundlage einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufhält, stellte das seinerzeit zuständige Versorgungsamt
S. erstmals mit Bescheid vom 25.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesversorgungsamt - (zukünftig nur noch Landesversorgungsamt) vom 26.09.2002 einen Grad der Behinderung (
GdB) von 30 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) seit dem 20.11.2001 fest. Auf den klägerischen Verschlimmerungsantrag vom 22.04.2003 hob das Versorgungsamt
S. seinen Bescheid vom 25.02.2002 mit Bescheid vom 03.07.2003 auf und stellte beim Kläger für die Zeit seit dem 22.04.2003 einen
GdB von 50 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) fest. Den klägerischen Neufeststellungsantrag vom 20.02.2004 auf Zuerkennung des Merkzeichens "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung) lehnte das Versorgungsamt
S. ab (Ablehnungsbescheid vom 01.09.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamts vom 31.03.2005). Im anschließenden Klageverfahren (SG Stuttgart, S 18 SB 2484/05) erkannte der Beklagte den Klageanspruch an. Mit Ausführungsbescheid des nunmehr zuständigen Landratsamts B. - Versorgungsamt in
S. - (zukünftig nur noch Versorgungsamt) vom 16.12.2005 wurde beim Kläger sodann ein
GdB von 70 seit dem 22.02.2004 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "B" festgestellt. Dabei waren folgende Funktionsbeeinträchtigungen ausschlaggebend: Depression, chronisches Schmerzsyndrom, funktionelle Organbeschwerden [Einzel-GdB 60], degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Kopfschmerzsyndrom [Einzel-GdB 20] sowie chronische Bronchitis [Einzel-GdB 10].
Den erneuten Verschlimmerungsantrag des Klägers vom 09.06.2006 - gerichtet auf einen höheren
GdB und die Zuerkennung der Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) und "H" - lehnte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 17.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamts vom 17.04.2007 als unbegründet ab.
Unter dem 20.02.2008 beantragte der Kläger erneut die Feststellung eines höheren
GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens "H". Das Versorgungsamt zog daraufhin medizinische Befundunterlagen bei und ließ diese versorgungsärztlich auswerten. Entsprechend der versorgungsärztlichen Empfehlung (Stellungnahme des
Dr. U. vom 25.05.2008) lehnte das Versorgungsamt den klägerischen Verschlimmerungsantrag sodann mit Bescheid vom 03.06.2008 als unbegründet ab. Es seien seit der letzten maßgeblichen Feststellung zwar Funktionsbeeinträchtigungen hinzugekommen, diese hätten allerdings keine Auswirkungen auf den
GdB. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" lägen nicht vor. Mit seinem dagegen unter dem 09.06.2008 erhobenen Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass er Tag und Nacht fremde Hilfe benötige, etwa beim An- und Ausziehen, bei der Körperpflege und manchmal auch bei der Nahrungsaufnahme. Der tägliche Pflegeaufwand belaufe sich auf mindestens 106 Minuten. Außerdem brauche er wegen Sturzgefahr eine ständige Begleitung. Innerhalb der Wohnung sei er auf Unterarmgehstützen angewiesen, außerhalb der Wohnung auf einen Rollator. Nach Beiziehung des Pflegegutachtens der Allgemeinmedizinerin
Dr. M. vom 11.05.2007 aus dem Klageverfahren SG Stuttgart S 12 P 5781/06 - in dem der Kläger erfolglos versucht hatte, die Gewährung der Pflegestufe I zu erstreiten - und versorgungsärztlicher Auswertung (gutachterliche Stellungnahme des
Dr. K. vom 16.02.2009) wies das Landesversorgungsamt den klägerischen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der klägerische Hilfebedarf für die Zuerkennung des Merkzeichens "H" nicht ausreichend sei.
Hiergegen hat der Kläger unter dem 21.04.2009 beim erkennenden Gericht Klage erhoben.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und führt ergänzend im Wesentlichen an, dass er im Hinblick auf den erforderlichen täglichen Pflegebedarf ständig auf fremde Hilfe angewiesen sei. Diesen habe der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit 88 Minuten täglich für die Grundpflege und mit 60 Minuten täglich für hauswirtschaftliche Verrichtungen festgestellt (Gutachten der Pflegefachkraft E. vom 28.04.2009). Tatsächlich betrage der Grundpflegeaufwand aber unter Berücksichtigung des vom MDK nicht hinreichend berücksichtigten Zeitaufwands für Arzt- und Massagetermine mehr als 100 Minuten täglich.
Der Kläger beantragt sachgerecht gefasst,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landratsamts B. - Versorgungsamt in
S. - vom 03.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesversorgungsamt - vom 08.04.2009 zu verurteilen, bei ihm im Rahmen des Nachteilsausgleichs für die Zeit seit dem 20.02.2008 die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" (Hilflosigkeit) festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Weder die Zahl noch die zeitliche Verteilung der beim Kläger erforderlichen Hilfeleistung seien so ungünstig, dass von einem besonders hohen wirtschaftlichen Wert der Hilfeleistung ausgegangen werden könne. Die vom Kläger behauptete Notwendigkeit ständiger Betreuung sei objektiv nicht nachzuvollziehen.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der Krankengymnastin des Klägers als sachverständige Zeugin. Frau R. hat unter anderem mitgeteilt (Auskunft vom 07.11.2010), der Kläger komme pro Rezept mit jeweils sechs Behandlungen - dann zwei Mal wöchentlich - rund alle drei Monate in Begleitung seiner Frau zur manuellen Therapie. Seine Ehefrau unterstütze ihn beim An- und Ausziehen sowie beim Fahren des Rollstuhls in eine geeignete Position. Der Kläger könne sich aber selbstständig etwa von der Bauch- in die Rückenlage bewegen. Aktive Übungen
bzw. Gehversuche lehne er ab. Ihrer Einschätzung nach könne er wohl noch 100 bis 200 Meter mit Unterarmgehstützen selbstständig zurücklegen.
Das Gericht hat sodann das Pflegegutachten des Pflegesachverständigen B. vom 13.11.2010 erhoben, der den Kläger im September 2010 persönlich zu Hause begutachtet hat. Er gelangt bei ihm zu einem Grundpflegebedarf von täglich 64 Minuten, wobei zusätzliche Wegezeiten für die (unregelmäßigen) Arzt- und Physiotherapiebesuche in Ansatz gebracht werden könnten. Ein Erfordernis besonderer Maßnahmen zur Erholung, geistigen Anregung sowie zur Kommunikation habe er nicht ermitteln
bzw. verifizieren können. Im Gegensatz zum Gutachten des MDK gehe er davon aus, dass der Kläger das Zurücklegen kurzer Wegstrecken innerhalb der Wohnung, die (Teil-) Wäsche von Hände und Gesicht sowie die Nahrungsaufnahme noch selbstständig erledigen könne. Außerdem suche der Kläger nicht durchschnittlich achtmal am Tag die Toilette auf, so dass sich somit auch die Hilfen beim Richten der Kleidung reduzierten. In der Nacht komme zudem eine Urinflasche zum Einsatz. Eine Stuhl-
bzw. Harninkontinenz liege nicht vor. Was die Verteilung der Hilfen am Tag anbelange, könne nicht von einer besonders günstigen Situation ausgegangen werden, da der Kläger immer wieder Hilfestellungen benötige. So werde in der Nacht die Urinflasche durchschnittlich einmal geleert. Einer ständigen Bereitschaftspflicht im Sinne einer Rund-um-die-Uhr-Pflege bedürfe es aber nicht.
Die Beteiligten haben zum Gutachten des Pflegesachverständigen Stellung genommen. Der Beklagte vertritt die Ansicht, dass der klägerische Pflegebedarf im Hinblick auf den zeitlichen Umfang und die Verteilung über den Tag nicht so ungünstig sei, dass ein besonders hoher Wert der Pflegeleistung angenommen werden könne, zumal eine zeitliche Zusammenfassung der notwendigen Verrichtungen unter Einbeziehung der objektiven Möglichkeiten des Klägers noch möglich sei. Die Klägerseite meint, der Pflegesachverständige habe weder den nächtlichen Kontrollaufwand im Hinblick auf den korrekten Sitz der klägerischen Atemmaske noch den erforderlichen Pflegeaufwand für geistige Ablenkung und Kommunikation berücksichtigt. Außerdem sei die Einschätzung, dass der Kläger noch selbstständig kurze Wegstrecken zurücklegen könne, aus der Luft gegriffen. Davon abgesehen müsse von einer eher ungünstigen Verteilung des Pflegebedarfs über den Tag ausgegangen werden.
In der Zeit von Anfang August 2010 bis Anfang September 2010 befand sich der Kläger nach eigener Angabe in Italien im Urlaub.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Im Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Streitgegenständlich ist vorliegend alleine der Bescheid des Versorgungsamts vom 03.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesversorgungsamts vom 08.04.2009 (
vgl. § 95
SGG), soweit damit die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H" abgelehnt wurde. Der Kläger hat seine Klage ausdrücklich darauf beschränkt (Anwaltsschriftsatz vom 28.05.2009), so dass die angefochtene Entscheidung im Übrigen, also im Hinblick auf die Höhe des
GdB, bestandskräftig (§ 77
SGG) geworden ist.
Die form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat für die Zeit ab dem 20.02.2008 - Tag der Antragstellung - keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "H". Der angefochtene Bescheid des Versorgungsamts vom 03.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesversorgungsamts vom 08.04.2009 (
vgl. § 95
SGG) ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht (
vgl. § 54
Abs. 2 Satz 1
SGG).
I. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen gemäß
§ 69 Abs. 4 SGB IX die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen. Demgemäß entscheiden diese Behörden auch darüber, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen der vom Kläger beanspruchten - unter anderem steuerrechtlichen (
vgl. § 33b
Abs. 3 Satz 3,
Abs. 6 Satz 1 EStG) - Förderung bei Hilflosigkeit gegeben sind. Im Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen "H" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b EStG oder entsprechender Vorschriften ist (
§ 70 SGB IX in Verbindung mit
§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung [SchwAwV]). Gemäß § 33b
Abs. 6 Satz 3 EStG ist eine Person hilflos, wenn sie infolge von Gesundheitsstörungen für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 3 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33b
Abs. 6 Satz 4 EStG). Diese Fassung des Begriffs der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleichlautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 BVG entwickelt worden sind. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14, 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) angelehnt,
vgl. BSG, Urt. v. 12.02.2003 -
B 9 SB 1/02 R, SozR 4-3250 § 69
Nr. 1 m. w. N.
Bei den gemäß § 33b EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wahrung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (
vgl. § 14
Abs. 4
SGB XI) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der sog. Grundpflege zusammengefasst (
vgl. §§ 14
Abs. 1 Satz 1, 15
Abs. 3
SGB XI; § 37
Abs. 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]). Hinzukommen können Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregungen und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen),
BSG, Urt. v. 23.06.1993 -
9/9a RVs 1/91, SozR 3-3870 § 4
Nr. 6.
Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umfasst ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen, statt vieler nur
BSG, Urt. v. 02.07.1997 -
9 RV 19/95, SozR 3-3100 § 35
Nr. 6.
Im Hinblick auf das Ausmaß des in § 33b EStG angesprochenen Hilfebedarfs ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung regelmäßig erst dann von der erforderlichen "Reihe von Verrichtungen" auszugehen, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen. Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. Dabei ist regelmäßig neben der Zahl der Verrichtungen auf den zeitlichen Aufwand und den wirtschaftlichen Wert der Hilfe abzustellen,
BSG, Urt. v. 12.02.2003 -
B 9 SB 1/02 R, SozR 4-3250 § 69
Nr. 1; Urt. v. 10.12.2002 -
B 9 V 3/01 R, SozR 3-3100 § 35
Nr. 12.
Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung (
vgl. § 15
SGB XI) ist es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sachgerecht, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs grundsätzlich in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen. Hilflos ist danach nicht, wer nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Ein täglicher Zeitaufwand - für sich genommen - ist hingegen dann hinreichend erheblich, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht. Beträgt der tägliche Zeitaufwand an fremder Hilfe zwischen ein und zwei Stunden, ist Hilflosigkeit anzunehmen, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege wegen der Zahl der Verrichtungen
bzw. der ungünstigen zeitlichen Verteilung der Hilfeleistung besonders hoch ist,
BSG, wie vor, m. w. N.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Gericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Klageverfahren der Überzeugung, dass der Kläger nicht hilflos ist. Sein täglicher Hilfebedarf überschreitet nicht zwei Stunden, sondern liegt nur geringfügig über einer Stunde (nachfolgend Ziffer 1), ohne dass der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege besonders hoch ist (nachfolgend Ziffer 2).
1. Den täglichen Hilfebedarf des Klägers setzt die Kammer mit 64 Minuten
bzw. rund 70 Minuten an und stützt dies auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten des Pflegesachverständigen B. vom 13.11.2010. Dieser hat überzeugend dargelegt, dass der zu berücksichtigende Grundpflegebedarf beim Kläger 64 Minuten täglich
bzw. unter Berücksichtigung unregelmäßiger Arzt- und Therapeutenbesuche rund 70 Minuten täglich beträgt und sich im Wesentlichen in den täglichen Körperpflege- (insgesamt 33 Minuten für Duschen, Zahnpflege, Rasieren, Intimhygiene, Teilkörperwäsche, Kämmen, Entleeren der Urinflasche) und Mobilitätsverrichtungen (insgesamt 29 Minuten für Aufstehen
bzw. Zubettgehen, Be- und Entkleiden, Richten der Kleidung, Vorbereitung der Tageskleidung, Transfer) erschöpft. Ebenso überzeugend hat er ausgeführt, dass es dem Kläger - neben der im Wesentlichen noch eigenständig durchführbaren Nahrungsaufnahme - namentlich noch möglich ist, kurze Wegstrecken innerhalb der treppenlosen Wohnung eigenständig zurückzulegen. Bei der Exploration war er jedenfalls in der Lage, mithilfe von Unterarmgehstützen - die freilich erst aus einem Schrank im Flurbereich geholt werden mussten - vom Wohnzimmer in das Schlafzimmer zu gehen, ohne dass nach Einschätzung des Pflegesachverständigen ein Erfordernis zusätzlicher Hilfeleistung bestand. Dies ist schon deshalb nachvollziehbar, weil der Kläger ersichtlich noch kurz vor der Begutachtung durch den Pflegesachverständigen in der Lage war, einen mehrwöchigen Urlaub in seinem Heimatland Italien durchzuführen. Davon abgesehen hat die Krankengymnastin R. bekundet (Auskunft vom 07.11.2010), dass der Kläger auf Grund seiner muskulären Situation und seines Körpereinsatzes während des Transfers in der Lage sein müsste, kurze Wegstrecken selbstständig zu bewältigen. Dies deckt sich im Übrigen auch mit der Einschätzung der Allgemeinmedizinerin
Dr. M. in ihrem urkundenbeweislich verwertbaren Gutachten vom 11.05.2007, die ausgeführt hat: "Laut Telefonat mit den Mitarbeitern der Praxis für Krankengymnastik A. kommt Herr T. allein im Rollstuhl in die Praxis, benutzt selbstständig den Fahrstuhl, öffnet die Türen, zieht sich alleine um und legt sich ohne Hilfe auf die Liege." Dass der Kläger (zwischenzeitlich) ständig und auf Dauer auch innerhalb seiner Wohnung auf einen Rollstuhl angewiesen wäre - der nach eigener Angabe aber nur außerhäuslich genutzt wird -, lässt sich im Übrigen den aktenkundigen medizinischen Befunden objektiv-klinisch nicht entnehmen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es zwischen 2007 und 2010 zu einer signifikanten Verschlechterung der klägerischen Mobilität gekommen ist, was sich im Hinblick auf den längeren Urlaub des Klägers in Italien auch nicht aufdrängt. An alledem vermag die klägerische Selbsteinschätzung nichts zu ändern.
Unter Zugrundelegung all dessen ist die Kammer mit dem Pflegesachverständigen B. der Überzeugung, dass der von der MDK-Gutachterin E. (Gutachten vom 28.04.2009, im Wege des Urkundenbeweises verwertbar) in Ansatz gebrachte Grundpflegebedarf von 88 Minuten täglich überhöht ist, zumal sich die Gutachterin E. auch nicht mit dem Gutachten der
Dr. M. vom 11.05.2007 auseinandergesetzt hat, die beim Kläger lediglich zu einem Grundpflegebedarf von 32 Minuten täglich gelangte.
Der festgestellte Grundpflegebedarf zwischen 64 und rund 70 Minuten täglich erhöht sich auch nicht - wie der Kläger meint - wegen der nächtlichen cPAP-Beatmung. Der Pflegesachverständige hat für die einmalige Leerung der Urinflasche in der Nacht zwei Grundpflegeminuten in Ansatz gebracht. Bei der Leerung der Flasche kann zur Überzeugung des Gerichts ohne besonderen zeitlichen Aufwand auch der Maskensitz kontrolliert werden. Dass dies mehrmals nächtlich erforderlich wäre, ist nicht nachgewiesen. Davon abgesehen gehört die Beatmungskontrolle auch schon nicht zur Grundpflege, sondern zur Behandlungspflege.
Ebenso wenig nachgewiesen ist einzusätzlicher Hilfebedarf des Klägers für geistige Anregung und Kommunikation
bzw. Interaktion. Der Pflegesachverständige B. war nicht in der Lage, einen solchen zu ermitteln
bzw. zu verifizieren, was zulasten des anspruchstellenden Klägers geht. Dieser hat dazu auch nichts Substantiiertes vorgebracht. Der Umstand, dass er an einer depressiven Erkrankung leidet, begründet für sich gesehen noch keinen zusätzlichen Hilfebedarf, der über das übliche Maß der pflegerischen Aufmerksamkeit hinausgeht. Davon abgesehen war er bei der Exploration durch den Pflegesachverständigen aufgeschlossen, "blühte" merklich auf, erzählte von seinem Italienurlaub und seiner früheren Berufstätigkeit, lächelte häufig und zeigte positive Emotionen. Dies entnimmt die Kammer dem Gutachten des Pflegesachverständigen B. vom 13.11.2010.
Schließlich benötigt der Kläger zur Überzeugung des Gerichts auch keine "Rund-um-die-Uhr-Betreuungsbereitschaft" respektive ständige Überwachung. Der gerichtliche Sachverständige hat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass es möglich ist, den Kläger auch stundenweise alleine zu lassen.
2. Der relevante Pflegebedarf von 64
bzw. rund 70 Minuten täglich begründet hier keinen besonders hohen wirtschaftlichen Wert der erforderlichen Pflege. Dabei ist zunächst zu beachten, dass der zu bestimmende wirtschaftliche Wert der Pflege bei einem Bedarf zwischen rund 60 und 120 Minuten nicht aus sich heraus gebildet werden kann. Es ist vielmehr in wertender Betrachtung eine Relation zum Wert der Pflege bei einem Bedarf von rund 60 Minuten - der bereits wegen des geringen Umfangs keine Hilflosigkeit begründet - und dem Wert der Pflege bei einem Bedarf von 120 Minuten - der alleine wegen des zeitlichen Umfangs zur Hilflosigkeit führt - herzustellen. Aus diesem normlogischen Relationszusammenhang folgt, dass ein Pflegebedarf, der nur geringfügig über 60 Minuten täglich liegt, gegenüber einem Bedarf von 60 Minuten grundsätzlich keinen gesteigerten, besonders hohen wirtschaftlichen Wert zu begründen vermag. Auf der anderen Seite liegt ein solcher besonders hoher wirtschaftlicher Wert umso näher, je dichter sich der Pflegebedarf an 120 Minuten täglich befindet.
Vorliegend bewegt sich der festgestellte Pflegebedarf beim Kläger nur geringfügig über 60 Minuten täglich. Zur Begründung eines gleichwohl besonders hohen wirtschaftlichen Wertes dieses Pflegebedarfes müssten auf Grundlage der vorstehenden Erwägungen somit besondere Umstände hinzutreten, die den Pflegebedarf trotz des - in Relation zu 60 Minuten - immer noch geringen Umfanges bei wertender Betrachtung in einem qualitativ anderen Licht erscheinen lassen. Derartige Umstände liegen indes zur Überzeugung des Gerichts hier nicht vor. Weder die Zahl der erforderlichen Pflegeverrichtungen noch deren zeitliche Verteilung rechtfertigen vorliegend die Annahme, dass sich der Pflegebedarf signifikant von demjenigen abhebt, der bei 60 Minuten zum Ausschluss rechtlicher Hilflosigkeit führt. Zwar ist namentlich die Verteilung beim Kläger nicht derart günstig, dass die Pflege beispielsweise in einem festen, zusammenhängenden Zeitraum erfolgen kann. Dies ist indes nicht alleine maßgeblich, denn auch beim einem Pflegebedarf von 40 oder 60 Minuten kann die Verteilung nicht günstig sein, ohne dass es darauf - wegen des schon geringen Umfanges - entscheidend ankommt. Etwas anderes mag gelten, wenn der Pflegebedarf zum Beispiel die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet und mehrmals in der Nacht zu unterschiedlichen Zeiten aktuell wird oder aber die Zahl und Art der erforderlichen Verrichtungen besondere Schwierigkeiten aufwerfen. Davon kann hier aber nicht die Rede sein. Wie bereits ausgeführt erschöpft sich der Pflegebedarf vorliegend im Wesentlichen auf Körperpflege- und Mobilitätsverrichtungen im Umfang zwischen 60 und 70 Minuten, wobei dem Kläger zur Überzeugung der Kammer im Einklang mit der Einschätzung des Pflegesachverständigen B. (Gutachten vom 13.11.2010) auch gewisse Verrichtungen noch selbstständig möglich sind. In der Nacht besteht lediglich Bedarf für die Leerung der Urinflasche und die damit zu kombinierende Kontrolle des Beatmungsmaskensitzes, wofür zwei Grundpflegeminuten in Ansatz zu bringen sind. Dies alles begründet bei wertender Betrachtung keinen derart hohen wirtschaftlichen Pflegewert, der es rechtfertigen würde, den Kläger mit einem behinderten Menschen gleichzustellen, der einen täglichen Pflegebedarf von 120 Minuten und mehr benötigt. Er ist vielmehr in Ermangelung besonderer Umstände ebenso wenig hilflos im Rechtssinne wie ein Behinderter, bei dem nur ein Pflegebedarf von rund 60 Minuten täglich besteht.
Die Klage war nach alledem abzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183 Satz 1, 193
Abs. 1 Satz 1
SGG. Es entspricht vorliegend der Billigkeit, dass der Kläger als unterliegender Teil seine außergerichtlichen Kosten (§ 193
Abs. 2
SGG) selbst zu tragen hat.