Der Bescheid vom 21.10.2009 in der Fassung des Abhilfebescheids vom 24.11.2009, des Widerspruchsbescheids vom 23.02.2010, des Teilabhilfebescheids vom 01.07.2010 und des Änderungsbescheids vom 01.04.2011 sowie der Ergänzungsbescheid vom 25.11.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2010 und des Teilabhilfebescheids vom 01.07.2010 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 19.02.2008 zurückzunehmen und einen Grad der Behinderung von 80 und die Merkzeichen "G", "B" und "H" ab dem 01.08.2003 festzustellen.
Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Beteiligen streiten über die Höhe des festzustellenden Grades der Behinderung (
GdB) und über das Vorliegen der Merkzeichen "G", "B" und "H", wobei neben einer Anhebung des derzeitigen
GdB eine rückwirkende Feststellung begehrt wird.
Der in 2003 geborene Kläger stellte am 10.01.2008 erstmalig über seine Mutter einen Antrag nach dem Schwerbehindertenrecht. Als Behinderungen
bzw. Auffälligkeiten werden u.a. eine motorische und logopädische Auffälligkeit, Krämpfe in den Beiden, Muskelschwächen und eine Angstunempfindlichkeit genannt.
Dem Antrag beigefügt war ein Befundbericht des J. J-Stadt vom 11.03.2004 mit dem Hinweis auf einen Zustand nach Frühgeburt in der 31. Schwangerschaftswoche und den Ausschluss einer Nierenkrankheit (Bl. 3 Verwaltungsakte).
Ein Kurzbericht des Müttergenesungsheims C-Stadt vom 20.04.2005 kann entnommen werden, dass der Kläger dort von 11.03.2005 bis 01.04.2005 zur Kur war. Der Kläger befinde sich in einem guten Allgemeinzustand. Der Bewegungsapparat sei regelgerecht. Ziel der Maßnahme sei die Stärkung der Infektabwehr. Unter den günstigen klimatischen Bedingungen stabilisierten sich die Atemwege und körperlichen Abwehrkräfte des Jungen. Der Kläger gewöhne sich gut in die Kindergruppe ein und zeige ein altersentsprechendes Verhalten. Bei der Abschlussuntersuchung sei der Kläger gut erholt und beschwerdefrei gewesen (Bl. 10 Verwaltungsakte).
Ein Befundbericht des WR.Krankenhauses J-Stadt - Kinderklinik - vom 06.09.2005 verweist auf einen stationären Aufenthalt anlässlich eines Atemwegsinfekts mit hohem Fieber. Der zweijährige Junge befinde sich in einem leicht reduzierten Allgemeinzustand mit leicht reduziertem Hautturgor. Es bestehe eine diskrete Rhinitis. Der Rachenring und die Tonsillen seien gerötet. Es zeigten sich vesikuläre Atemgeräusche. Der restliche internistisch-pädriatrische Untersuchungsbefund sei altersentsprechend unauffällig gewesen (Bl. 12 Verwaltungsakte).
In der Verwaltungsakte befindet sich des Weiteren eine Karteikarte in Form eines Computerausdrucks erstellt am 29.11.2007 über Behandlungen des Klägers. Der Karteikarte kann entnommen werden, dass der Kläger in regelmäßiger Behandlung insbesondere wegen Atemwegs und Verdauungsbeschwerden war. Unter dem 01.04.2004 wird dort eine "altersgerechte Entwicklung", unter dem 01.04.2004 und dem 01.10.2004 werden ein "gutes Gedeihen" und unter dem 28.06.2005 eine "altersgerechte Entwicklung" und eine "motorische Mobilität" beschrieben. Am 26.02.2007 und 18.06.2007 sei der Kläger wegen einer "Adynamie" und einer psychogenen Essensverweigerung vorstellig geworden. Bei der Vorsorgeuntersuchung U8 hätten sich eine motorische Unsicherheit, eine motorische Entwicklungsverzögerung und ein Sigmatismus gezeigt (Bl. 14
ff. Verwaltungsakte).
Einem Pflegegutachten des MDK vom 11.01.2008 lag eine ambulante Untersuchung am 08.01.2008 zugrunde (Bl. 24
ff. Verwaltungsakte). Dem Gutachten kann zunächst entnommen werden, dass zuvor noch keine Pflegestufe bewilligt worden sei. Zu den pflegerelevanten Vorerkrankungen werden ein frühkindliches Asthma bronchiale, eine Bronchitis, eine Obstipationsneigung, eine Exikose bei Nahrungsverweigerung und eine Muskelschwäche genannt. An jetzigen pflegerelevanten Beschwerden werden Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen und Krämpfe in den Beinen genannt. Der Kläger bewege sich im Haus selbständig fort und habe einen Sprachrückstand. Zum Allgemeinzustand kann dem Gutachten entnommen werden, dass der vierjährige Kläger vom globalen Entwicklungsstand her leicht retardiert sei. Sein Verhalten sei distanzgemindert. Die Kontakt- und Dialogfähigkeit sei eingeschränkt. Die Kooperation sei im Altersvergleich gemindert. Hinsichtlich der oberen Extremitäten wird eine allgemeine Schwäche der oberen Extremitäten beschrieben. Auch hinsichtlich der unteren Extremitäten bestehe eine allgemeine Schwäche. Das Aufstehen aus sitzender und liegender Position sowie das Stehen seien selbständig möglich. Das Gehen sei selbständig möglich, wobei das Gangbild schlurfend und stolpernd gewesen sei. Zum Nervensystem wird ausgeführt, dass der Kläger ausreichend gut orientiert sei. Die Begutachtungssituation werde erfasst. Eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz wurde vom Pflegegutachter verneint. Das Gutachten bejaht die Voraussetzungen der Pflegestufe I bei einem notwendigen Zeitaufwand für die Grundpflege in Höhe von 47 Minuten pro Tag.
Der Beklagte wertete die medizinischen Unterlagen aus und gelangte in der gutachtlichen Stellungnahme vom 18.02.2008 als Behinderung zu "Störungen der körperlichen und seelischen Entwicklung", die er mit einem
GdB von 50 bewertete. Die Voraussetzungen von Merkzeichen seien nicht erfüllt (Bl. 32 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 19.02.2008 stellte der Beklagte ab 10.01.2008 einen entsprechenden
GdB von 50 fest (Bl. 33 Verwaltungsakte).
Am 11.09.2009 stellte der Kläger durch seine Mutter einen Änderungsantrag nach dem Schwerbehindertenrecht. Es würden eine Rückwirkung der Feststellung und die Merkzeichen "G", "B" und "H" begehrt. Dem Antrag kann entnommen werden, dass der Kläger unter einer starken Entwicklungsverzögerung und Wahrnehmungsstörung und einem Autismus leide und dass die Pflegestufe I offenbar rückwirkend mit Wirkung ab Juni 2007 festgestellt worden ist (Bl. 35 Verwaltungsakte).
Dem Antrag war ein Befundbericht des Facharztes für HNO-Heilkunde G-Name vom 11.12.2008 mit den Diagnosen multiple Dyslalie, orofaziale Hypotonie und eine sensomotorische Störung beigefügt. Der Kläger habe sich mit seiner Mutter am 11.12.2008 wegen einer Sprachentwicklungsstörung vorgestellt. Der HNO-Spiegelbefund sei regulär gewesen (Bl. 36 Verwaltungsakte).
Eine diagnostische Einschätzung des Autismus-Therapie-Instituts B-Stadt vom 26.02.2009 verweist darauf, dass sich beim Kläger in der Anamnese und Beobachtung autistische Verhaltensweisen zeigten. Die Symptomatik sei beim Kläger nicht ursächlich als Erkrankung aus dem Autismusspektrum einzustufen, sondern erscheine als Teil der allgemeinen Entwicklungsverzögerung (Bl. 37 Verwaltungsakte).
Ein Befundbericht der im vom 20.03.2008 enthält die Diagnosen eines ehemaligen Frühgeborenen und eine motorische Ungeschicklichkeit. Der Kläger habe im Alter von 7 Monaten Krankengymnastik bekommen und sei darunter angefangen, sich zu drehen, sei nicht gekrabbelt und erst im Alter von 18 Monaten angefangen, zu laufen. Der Kläger fange an, Dreirad zu fahren und sei etwas unsicher beim Laufen und Klettern. Der Kläger habe insgesamt noch wenig Ausdauer, klage schnell darüber, dass er müde sei und nicht mehr laufen wolle. Er falle häufiger hin, als andere Kinder und klage nachts über Beinschmerzen. Derzeit besuche er den örtlichen Kindergarten, wo er gern hingehe. Er habe jedoch noch wenig Kontakt zu gleichaltrigen Kindern und spiele meist mit dem älteren Bruder. Die Sprachentwicklung sei verzögert. Die dargestellten Defizite seien am ehesten durch die Frühgeburtlichkeit bedingt (Bl. 40 f. Verwaltungsakte).
Ein weiterer Befundbericht des Klinikum A-Stadt vom 03.07.2008 verweist u.a. auf eine verzögerte Entwicklung. Der Entwicklungsstand bei einem Lebensalter von 4 Jahren und 10 Monaten liege unter 4 Jahren. Es wird berichtet, dass sich der Kläger von Lärm schnell gestört fühle und ruhige Phasen brauchen würde. Insgesamt gebe der Kläger schnell auf und zeige wenig Selbstvertrauen. Die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne sei eingeschränkt (Bl. 42 f. Verwaltungsakte).
Ein dritter Befundbericht des Klinikum A-Stadt vom 03.09.2009 enthält als Diagnosen:
1. Ehemaliges Frühgeborenes der 31. SSW
2. Allgemeine Entwicklungsverzögerung
3. Verhaltensweisen mit großer Misserfolgsängstlichkeit und stereotypem Spielverhalten
4. Fein- und grobmotorische Koordinationsschwächen bei Muskeltonusregulationsstörung
Wegen der Einzelheiten wird auf den Befundbericht Bezug genommen (Bl. 49 f. Verwaltungsakte).
Der Beklagte wertete die Unterlagen aus und gelangte zur Einschätzung, dass weiterhin von einem
GdB von 50 auszugehen sei, wobei als Formulierung der Behinderung "Störungen der körperlichen und seelischen Entwicklung" vorgeschlagen wird (Bl. 52 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 21.10.2009 lehnte der Beklagte den Neufeststellungsantrag ab (Bl. 53 Verwaltungsakte).
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 28.10.2009 Widerspruch ein. Der Kläger habe einen Asperger Autismus. Hierbei handele es sich um eine angeborene, genetisch bedingte Hirnschädigung. Auch seien die Voraussetzungen der Merkzeichen "H", "B" und "G" erfüllt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Widerspruchschriftsatz Bezug genommen (Bl. 57
ff. Gerichtsakte).
Dem Widerspruchsschriftsatz war ein weiterer Befundbericht des Klinikum A-Stadt vom 22.10.2009 beigefügt, der über eine Untersuchung durch einen Psychologen berichtet. Aus Sicht des behandelnden Arztes liege ein Autismus-Asperger vor (Bl. 61 Verwaltungsakte).
Der Beklagte wertete die Befunde erneut durch den Sozialmediziner
Dr. F-Name aus und gelangte zu der Einschätzung, dass auch das Merkzeichen "H" zu begründen sei (Bl. 79 Verwaltungsakte).
Mit Abhilfebescheid vom 24.11.2009 stelle der Beklagte mit Wirkung ab 11.09.2009 auch das Merkzeichen "H" fest. Die Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "B" würden hingegen weiterhin nicht vorliegen (Bl. 82 Verwaltungsakte).
Mit Ergänzungsbescheid vom 25.11.2009 stellte der Beklagte auch für den Zeitraum vom 10.01.2008 bis 10.09.2009 die Voraussetzungen des Merkzeichens "H" fest (Bl. 84 Verwaltungsakte).
Am 02.12.2009 legte der Kläger durch seine Mutter gegen die Bescheide Widerspruch ein. Es würden die Merkzeichen "H", "B" und "G" ab Geburt bis mindestens zum 16. Lebensjahr begehrt (Bl. 87
ff. Verwaltungsakte).
Der Beklagte holte zur Aufklärung des Sachverhalts ein weiteres Pflegegutachten des MDK vom 18.12.2009 mit ambulanter Untersuchung am 15.12.2009 ein (Bl. 101
ff. Verwaltungsakte). Dem Gutachten kann u.a. entnommen werden, dass der Kläger beim Toilettengang, bei der Intimpflege nach dem Wasserlassen und bei der Nachreinigung nach Stuhlgangs Hilfe benötige. Teilweise komme es zu einem Einnässen, wobei er dann umgezogen werden müsse. Es bestehe eine Nahrungsverweigerung. Der Kläger müsse zum Essen und Trinken angeleitet und auch beaufsichtigt werden. Er habe Schluckstörungen bei fester und flüssiger Kost. Er esse sehr unsauber, so dass der Pullover nach dem Essen schnell verschmutzt sei. Zum Nervensystem kann dem Gutachten unter anderem der Hinweis auf eine motorische Unruhe entnommen werden. Laut Angaben der Mutter des Klägers bestehe eine Weglauftendenz. Die Grundpflege durch die Pflegepersonen werde nicht immer zugelassen. Die Stimmung schwankte zwischen freundlich, aggressiv, ablehnend, tätlich und zerstörerisch. Der Kläger habe Konzentrationsstörungen. Zum Tag-Nacht-Rhythmus wird auf eine allgemeine innere Unruhe hingewiesen. Der Kläger schlafe überwiegend nur mit Licht, was er auch abends immer wieder anschalte. Dass Einschlafritual gestalte sich als schwierig. Der Kontakt des Klägers sei auf seine Bezugspersonen reduziert. Das Gutachten enthält als Diagnosen ein Asperger-Syndrom
bzw. einen Autismus sowie eine nicht näher bezeichnete Entwicklungsstörung. Die Pflegesachverständige ermittelte einen zeitlichen Mehraufwand im Verhältnis zu einem gesunden Kind für die Grundpflege in Höhe von 102 min pro Tag. Es bestehe auch ein erhöhter Beaufsichtigungsbedarf infolge einer im erhöhten Maße bestehenden eingeschränkten Alltagskompetenz. Die Sachverständige geht gleichwohl davon aus, dass weiterhin "nur" die Voraussetzungen der Pflegestufe I erfüllt seien.
Der Beklagte wertete die medizinischen Unterlagen durch den Sozialmediziner H-Name aus und gelangte in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 27.01.2010 zu der Einschätzung, dass weiterhin von einem
GdB von 50 und dem Merkzeichen "H" auszugehen sei. Eine Vorverlegung des
GdB und des Merkzeichens auf den Zeitraum vor Februar 2008 lasse sich nicht begründen (Bl. 117 Verwaltungsakte).
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2010 wies der Beklagte den Widerspruch vom 28.10.2009 gegen den Bescheid vom 21.10.2009 als unbegründet zurück, soweit er über die Entscheidung im Abhilfebescheid vom 24.11.2009 hinausgehe. Es verbleibe bei einem
GdB von 50 und dem Merkzeichen "H". Die Merkzeichen "G" und "B" seien nicht zu begründen (Bl. 119
ff. Verwaltungsakte).
Mit einem weiteren Widerspruchsbescheid am 24.02.2010 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 02.12.2009 gegen den Ergänzungsbescheid vom 25.11.2009 als unbegründet zurück. Eine weitere Vorverlegung des
GdB auf einen Zeitraum vor dem 10.01.2008 sei nicht zu begründen. Anhand der aktenkundigen Befundunterlagen seien die behandlungsbedürftigen Symptome der Behinderung des Klägers erst seit Antragstellung dokumentiert. Eine rückwirkende Feststellung ab Geburt des Klägers sei daher nicht möglich (Bl. 122
ff. Verwaltungsakte).
Am 02.03.2010 hat der Kläger gegen "den Widerspruchsbescheid" Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben. Ob sich die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 23.02.2010 oder gegen den Widerspruchsbescheid vom 24.02.2010 oder gegen beide Widerspruchsbescheide richtet, ist der Klageschrift nicht ausdrücklich zu entnehmen. Der Klageschrift kann hingegen entnommen werden, dass die gesetzliche Vertreterin des Klägers der Auffassung ist, dass eine rückwirkende Feststellung des
GdB und der Merkzeichen "G", "B" und "H" zu treffen sei.
Der Klageschrift waren diverse aktenkundige medizinische Unterlagen und ein Beratungsprotokoll der S-Name-Schule in YS. durch die zweite Förderschulkonrektorin SY. vom 20.01.2010 beigefügt, dem entnommen werden kann, dass der Kläger behinderungsbedingt annähernd 24 Stunden rund um die Uhr betreut werden müsse. Wegen der Einzelheiten wird auf das Beratungsprotokoll, indem es um den Erhalt eines Internatplatzes geht, Bezug genommen (Bl. 25 f. Gerichtsakte).
Der Klageschrift war des Weiteren eine Ergänzung zum Pflegetagebuch der Mutter des Klägers über die Erfahrungen im täglichen Umgang mit dem derzeit 6 Jahre alten Kläger beigefügt, auf die Bezug genommen wird (Bl. 31 Gerichtsakte).
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt.
Ein Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin
Dr. C-Name vom 21.04.2010 verweist auf eine allgemeine Unruhe, Ängste unbestimmter Genese, eine motorische Unruhe, eine Agitiertheit, ein Kontrollverlust, eine Aggressivität und Zwanghaftigkeit des Klägers. Wegen der Einzelheiten werde auf die Berichte der Fachärzte Bezug genommen (Bl. 77 Gerichtsakte).
Ein von der Mutter des Klägers überreichter Befundbericht des Klinikum A-Stadt vom 27.05.2010 enthält als Gesundheitsstörungen u.a. einen Asperger Autismus und eine fein- und grobmotorische Koordinationsschwäche bei Muskeltonusregulationsstörung. Eine ausführliche Untersuchung des Klägers sei an der Verweigerung der Mitarbeit gescheitert (Bl. 86 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 02.07.2010 hat der Beklagte einen Teilabhilfebescheid vom 01.07.2010 übersandt, der Gegenstand des laufenden Klageverfahrens gegen Bescheid vom 21.10.2009 in der Fassung des Abhilfebescheids vom 24.11.2009 und des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2010 geworden sei und mit dem der Beklagte mit Wirkung ab Februar 2008 einen
GdB von 70 und die Merkzeichen "G", "B" und "H" festgestellt hat und als Behinderung "Störungen der körperlichen und seelischen Entwicklung, Asperger-Syndrom" festgestellt hat (Bl. 103 f. Gerichtsakte).
Der aktenmäßigen internistischen Äußerung des Medizinaldirektors H-Name vom 29.06.2010 kann entnommen werden, dass aus den im Klageverfahren beigezogenen Unterlagen sich zwar ergebe, dass der Kläger seit seiner Geburt unter verschiedenen Erkrankungen gelitten habe, die jedoch durch jeweilige Behandlungen beherrschbar gewesen seien. Eine dauerhafte Behinderung lasse sich hieraus nicht ableiten. Hinweise auf eine dauerhafte Störung hätten sich in keinem der älteren Befundberichte gefunden. Ein Autismus im Sinne eines Asperger-Syndroms werde erstmals im Februar 2008 dokumentiert. Nach den aktuellen Berichten des Klinikum A-Stadt und der S-Name-Schule liege eine erhebliche Ausprägung des Asperger-Syndroms vor, das mit dem bisherigen
GdB von 50 eher knapp bewertet erscheine. Ein
GdB von 70 erscheine möglich. Da aus dem Pflegegutachten die Notwendigkeit einer mehr oder weniger kontinuierlichen Überwachung zu entnehmen sei, seien auch die Merkzeichen "B" und "G" ab Februar 2008 als erfüllt anzusehen (Bl. 106
ff. Gerichtsakte).
Die Mutter des Klägers hat sodann das Kinderuntersuchungsheft des Klägers übersandt, dem
u. a. zum Ergebnis der U8 Untersuchung am 09.07.2007 eine motorische und neurologische Auffälligkeit und ein Sigmatismus entnommen werden können (Bl. 136
ff. Gerichtsakte).
Aus einem Befundbericht des Kinderarztes
Dr. I-Name vom 11.11.2010 geht hervor, dass er bei der Vorsorgeuntersuchung U 8 im Jahr 2007 eine Entwicklungsverzögerung festgestellt hatte (Bl. 164 Gerichtsakte).
Einem Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin E-Name vom 12.11.2010 kann entnommen werden, dass im Rahmen einer Untersuchung am 26.06.2007 der Verdacht auf eine Entwicklungsstörung im Kindesalter mit gestörter Artikulation aufgekommen sei. Am 18.08.2005 habe der Kläger wegen einer verweigerten Nahrungsaufnahme in die Kinderklinik J-Stadt eingewiesen werden müssen (Bl. 165 Gerichtsakte).
Am 13.01.2011 hat die Mutter des Klägers ein neues MDK-Gutachten vom 29.12.2010 überreicht, aus dem nach ihrer Auffassung ersichtlich sei, dass der Kläger bereits im Jahr 2004 auffällig gewesen sei (Bl. 168 Gerichtsakte). Dem Gutachten des MDK vom 29.12.2010 lag eine ambulante Untersuchung am gleichen Tag zu Grunde (Bl. 172
ff. Gerichtsakte). Dem Gutachten kann entnommen werden, dass der Kläger rund um die Uhr von seiner Mutter betreut werde. Er sei nachts sehr unruhig und laufe in der Wohnung herum. Der Kläger habe weiterhin Verhaltenseigenheiten großer Misserfolgsängstlichkeit und von stereotypem Spielverhalten. Es bestünden eine Sprachentwicklungsstörung, eine sensomotorische Integrationsstörung und eine fein- und grobmotorische Koordinationsstörung bei Muskeltonusregulationsstörung. Veränderungen und Situationswechsel würden den Kläger unruhig und aggressiv machen. Der Kläger brauche einen geregelten Tagesablauf und Rituale. Körperkontakt lasse er nur selten zu. Es bestehe eine herabgesetzte Gefahreinschätzung und eine Weglauftendenz. In fremder Umgebung sei der Kläger orientierungslos. Dem Gutachten kann entnommen werden, dass der Kläger bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens auf fremde Hilfe angewiesen ist. Der Kläger sei erstmals auffällig geworden im ersten Lebensjahr durch vermehrtes Schreien und durch Unruhe. Der Sachverständige kommt zu einem zeitlichen Pflegemehrbedarf für die Grundpflege in Höhe von 148 min pro Tag. Die Voraussetzungen der Pflegestufe II seien erfüllt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
Am 01.04.2011 hat der Beklagte einen Änderungsbescheid erlassen, mit dem er den
GdB mit Wirkung ab 01.12.2010 auf 80 angehoben hat. Weiterhin würden die Voraussetzungen der Merkzeichen "G", "B" und "H" vorliegen (Bl. 188 Gerichtsakte).
Der aktenmäßigen internistischen Äußerung des Medizinaldirektors H-Name vom 16.03.2011 ist zu entnehmen, dass angesichts des neuen MDK-Gutachtens die Anhebung des
GdB auf 80 ab Dezember 2010 zu rechtfertigen sei. Hinsichtlich einer rückwirkenden Anerkennung ergebe sich keine geänderte Sachlage. Nach wie vor sei festzustellen, dass sich die Entwicklung bis in das Jahr 2007 im Wesentlichen unauffällig gestaltet habe und dass erst im Sommer 2007 durch die behandelnden Ärzte Auffälligkeiten festgestellt worden seien, die dann offensichtlich zu einer weiteren Abklärung und zu der Diagnose eines Asperger-Syndroms im Februar 2008 geführt hätten (Bl. 190 Gerichtsakte).
Das Gericht hat sodann ein psychiatrisches Gutachten beim Facharzt für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie
Dr. B-Name in Auftrag gegeben, welches dieser am 27.08.2011 nach ambulanten Untersuchungen am 04.08.2011, 08.08.2011, 10.08.2011 und 16.08.2011 erstellt hat (Bl. 210
ff. Gerichtsakte). Dem Gutachten kann zur Vorgeschichte entnommen werden, dass der Kläger in der 31. Schwangerschaftswoche per Kaiserschnitt bei Plazentainsuffizienz mit einem Geburtsgewicht von 1395 g geboren wurde. Er kam auf die Frühgeborenenstation des Krankenhauses mit einem Atemnotsyndrom I, dem Verdacht auf eine Infektion, einer Neugeborenengelbsucht, einer passageren Trinkschwäche, einer Hydrozele und einem Mundsoor. Der weitere Behandlungsverlauf habe sich als komplikationslos gestaltet. Der Kläger sei mit einem Entlassungsgewicht von 2250 Gramm entlassen worden. Nach den Angaben der Mutter des Klägers habe der Kläger nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ständig geschrien und sei kaum zu beruhigen gewesen. Von Beginn an habe er nur wenig geschlafen. Immer wieder habe er Nahrung ausgespuckt und sei wiederholt wegen Nahrungsverweigerung, Erbrechen und Durchfall im Krankenhaus behandelt worden.
Nach den Angaben der Mutter seien die motorische und die sprachliche Entwicklung deutlich verzögert gewesen. Der Kläger habe erst ab etwa einem Jahr frei Sitzen können. Er habe mit etwa 2 Jahren frei laufen können. Erste Worte habe er mit zwei Jahren gesprochen. Zwei- bis Dreiwortsätze habe er im Alter von 3 Jahren gesprochen. Wegen seiner Störung der Koordination und Feinmotorik sei ab dem Alter von 5 Jahren Ergotherapie erfolgt. Als Säugling und im zweiten Lebensjahr sei der Kläger durch Geräusche
z.B. eine Dunstabzugshaube zu beunruhigen gewesen. Auf Zuwendung habe er unzuverlässig reagiert. Als Kleinkind habe er an altersgemäßen Spielsachen nur wenig Interesse gezeigt. Er habe sich eher für drehende Gegenstände und Lichtquellen interessiert. In der Zeit vom 11.03.2005 bis 01.04.2005 habe der Kläger eine Mutter-Kind Kur durchgeführt. In dem Bericht heißt es
u. a., dass sich der Kläger gut in die Kindergruppe eingewöhnt habe und ein altersentsprechendes Verhalten gezeigt habe. Bei den Vorsorgeuntersuchungen sei bei der U2 eine Hypotonie und Überregbarkeit, bei der U3 eine Hypotonie, bei der U4 eine Hypotonie mit Krankengymnastikverordnung, bei der U6 keine Auffälligkeiten, bei der U7 im 21.-24. Lebensmonat ein auffälliges Gangbild, bei der U8 eine Hyperaktivität und ein Sigmatismus und bei der U9 (60.-64 Lebensmonat) keine Auffälligkeiten diagnostiziert worden (Bl. 216 Gerichtsakte).
Der Kläger sei ab dem Alter von 2 Jahren zunächst an 2 Tagen pro Woche im Kindergarten betreut worden. Die Mutter habe angegeben, dass er dort kaum aktiv Kontakt zu den anderen Kindern aufgenommen habe. Er habe meist allein gespielt. Dies sei insbesondere dann der Fall gewesen, als er ab dem Alter von 3 Jahren an 5 Tagen der Woche im Kindergarten gewesen sei. Er habe sich nur ungern von seiner Mutter getrennt und sei nur ungern zum Kindergarten gegangen. Nach dem umzugsbedingten Wechsel nach D-Stadt habe er in dem Kindergarten eine Integrationshilfe für ein Jahr nach einer amtsärztlichen Untersuchung erhalten. Er sei in diesem Kindergarten nur deshalb geblieben, weil sein knapp 2 Jahre älterer Bruder G-Name ebenfalls diesen Kindergarten besucht habe. Ab dem Alter von 4 Jahren habe er regelmäßig Ergotherapie und etwas später logopädischen Behandlungen bekommen. Vor der Einschulung mit 6 Jahren habe er ein Jahr lang die Sprachheilvorklasse in N-Stadt besucht und sei dann für die Schule für Körperbehinderte, B-Name-Schule, in B-Stadt empfohlen worden. Auf Wunsch der Mutter besuche der Kläger allerdings die Grundschule in D-Stadt, wo er ab dem zweiten Halbjahr der ersten Klasse eine Schulbegleitung und 5 Stunden pro Woche Förderunterricht erhalte. In der Schule seien von Anfang an erhebliche Störungen im Kontakt zu den anderen Kindern aufgefallen. Von der ersten Klasse an sei es zu Leistungsverweigerungen gekommen, insbesondere wenn er sich unsicher gefühlt habe. Im Schuljahr 2010/2011 habe er eine gute Beurteilung erhalten. Die Mutter berichte, dass es ihm jedoch weiterhin erhebliche Anstrengungen abverlange, das Leistungsniveau in der Schule altersentsprechend zu halten. Sie unterstütze ihn täglich 3 Stunden bei den Hausarbeiten, die er ohne kontinuierliche Unterstützung und Anleitung nicht allein erledige.
Über den Kläger lägen seit 2007, d.h. ab dem Alter von 4 Jahren, zahlreiche Berichte und Gutachten von medizinischen, insbesondere neuropädiatrischen, sowie psychologischen und pädagogischen Untersuchungen vor. Im Juli 2007 sei erstmals ein Antrag auf Feststellung der Pflegebedürftigkeit bei Nahrungsverweigerung mit Exikose, Koordinationsstörungen und Gleichgewichtsstörungen, Asthma bronchiale und Sprachrückstand gestellt worden (Bl. 218 Gerichtsakte). Bei einer Untersuchung im Klinikum A-Stadt im Februar 2008 sei eine deutliche Entwicklungsverzögerung festgestellt worden. Wegen der weiteren Auswertung des Akteninhalts auf das Gutachten Bezug genommen.
Dem Gutachten kann zum körperlichen Untersuchungsbefund entnommen werden, dass eine neurologische Untersuchung wegen der Verweigerungshaltung des Klägers nicht habe durchgeführt werden können. Vom äußeren Eindruck her wirke der zum jetzigen Untersuchungszeitpunkt 8-jährige Kläger altersentsprechend, aber tendenziell untergewichtig. Zum psychiatrischen Befund und Sozialverhalten (Bl. 226
ff. Gerichtsakte) kann dem Gutachten zunächst entnommen werden, dass der Kläger bei der Begrüßung von sich aus die Hand gebe, aber keinen Blickkontakt aufnehme. Wegen der Einzelheiten der Untersuchung wird auf das Gutachten Bezug genommen. In seiner Stimmung zeige sich der Kläger sowohl in der Situation gemeinsam mit seiner Mutter als auch mit dem Unterzeichner auffällig gleichförmig. Die Mimik drücke nur wenige Emotionen aus. Gefühlsäußerungen wirkten teilweise inadäquat und nur begrenzt nachvollziehbar. Ein Dialog sei mit dem Kläger nur schwer herstellbar gewesen. Eine wirkliche Kommunikation mit dem Untersucher habe kaum hergestellt werden können. Von der Mutter seien Schlafstörungen mit tendenzieller Verschiebung des Schlaf-Wach-Rhythmus, häufige Nahrungsverweigerungen mit Bevorzugung nur von bestimmten wenigen Speisen und nur ein geringes Hungergefühl berichtet worden. Der Kläger uriniere häufig neben die Toilette, verschmutzte die eigene Kleidung und Umgebung beim Toilettengang und bei der Nahrungsaufnahme. Weiterhin zeige er motorische Tics und stereotype Bewegungsabläufe. Laute Geräusche empfinde er offenbar als Reizüberflutung. Seine Reaktion darauf sei, sich die Ohren zuzuhalten.
Der Sachverständige führte sodann Testuntersuchungen durch. Insoweit wird auf das Gutachten Bezug genommen (Bl. 231
ff. Gerichtsakte).
Zur Beurteilung führt der Sachverständige aus, dass von einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung in Form einer Autismus-Spektrumsstörung vom Typ Asperger-Syndrom auszugehen sei. Es liege eine umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache in Form einer Artikulationsstörung vor. Weiterhin bestehe eine umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen in Form von Koordinationsstörungen und Störungen der Fein- und Grobmotorik (Bl. 236 Gerichtsakte). Das Intelligenzniveau des Klägers liege im durchschnittlichen Bereich, wobei sich deutliche Beeinträchtigungen in Teilbereichen ergeben hätten. Hinweise auf Störungen anderer Organsysteme ergaben sich nicht. Es sei von einer deutlichen Beeinträchtigung sozialer Beziehungen insbesondere zu Gleichaltrigen auszugehen. Weiterhin finden sich erhebliche Beeinträchtigungen der schulischen Anpassung, Einschränkungen der Interessen und Freizeitaktivitäten, so dass insgesamt von einer erheblichen Einschränkung des psychosozialen Funktionsniveaus auszugehen sei (Bl. 238 Gerichtsakte).
Da es sich bei der autistischen Störung um ein angeborenes Leiden handele, sei davon auszugehen, dass eine tiefgreifende Entwicklungsstörung mit entsprechenden Funktionsstörungen bei jeweils dem Entwicklungsalter entsprechender Ausprägung seit Geburt bestehe. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Autismusdiagnose nicht vor dem Alter von 18 Monaten gestellt werden könne, da frühestens ab diesem Zeitpunkt Entwicklungsvoraussetzungen bestünden, die die für das Krankheitsbild typischen Symptome ermöglichten (Bl. 239 Gerichtsakte). Beeinträchtigungen im Säuglings- und Kleinkinderalter hätten daher i.d.R. eine unspezifische Ausprägung und würden eine Vorhersage der Diagnose einer autistischen Störung zu einem späteren Lebensalter nicht zulassen. Die Entwicklung des Klägers sei seit Geburt deutlich beeinträchtigt. Es habe sich um eine Risikogeburt gehandelt. Im Säuglingsalter seien Regulation- und Anpassungsstörungen aufgetreten. Diese seien sowohl durch anamnestische Angaben der Mutter als auch durch ärztliche Befunddokumentation (Vorsorgeheft, Berichte der Kinderklinik) belegt. Bei den Regulationsstörungen handele es sich um für die Säuglingszeit typische psychische/psychosomatische Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus, der Nahrungsaufnahme, ständiges Schreien, die auch als Störungen der Mutter-Kind-Interaktion anzusehen seien. Eine Beeinträchtigung habe auch in der motorischen Entwicklung vorgelegen. Mit der Aufnahme in den Kindergarten im Alter von 2 Jahren seien Störung der sozialen Kontaktaufnahme sowie Sprachstörungen bei zeitgerechtem Sprachbeginn beschrieben worden. Weiterhin bestünden in dieser Entwicklungsphase Störungen der Motorik. Während der Kindergartenzeit seien darüber hinaus Störungen im Spielverhalten beschrieben worden. Im Alter von 4 Jahren sei eine Integrationsmaßnahme eingeleitet worden. Mit viereinhalb Jahren sei eine Überprüfung der Pflegestufe I angesetzt worden. Mutter und Kind erhielten Unterstützung durch die pädagogische Frühförderung (Bl. 240 Gerichtsakte). Die sich aus der tiefgreifenden Entwicklungsstörung ergebende Beeinträchtigung und die weiteren Schwierigkeiten in der sozialen Integration erforderten seit der Geburt erhebliche Anstrengungen an Betreuung, Förderung und Therapie. In der Säuglings- und Kleinkindphase sei dies in erster Linie von der Mutter geleitet worden. Allerdings habe der Kläger bereits im Säuglingsalter Krankengymnastik erhalten. Während der Kindergarten- und Schulzeit seien Integrationshilfen und Fördermaßnahmen erforderlich geworden. Des Weiteren seien Logopädie und Ergotherapie durchgeführt worden. Der von dem Arzt für Sozialmedizin H-Name getroffenen Feststellung, dass der Kläger seit seiner Geburt unter verschiedenen Erkrankung gelitten habe, die jedoch durch jeweilige Behandlung beherrscht worden seien, das sich aber eine dauerhafte Behinderung hieraus nicht ableiten lasse und dass es keine Hinweise auf eine neurologische Störung gegeben habe, könne vor diesem Hintergrund nicht zugestimmt werden. Zwar sei die Diagnose des Asperger Autismus erst im Jahr 2008 im Alter von 5 Jahren dokumentiert. Die charakterisierenden Beeinträchtigungen insbesondere der sozialen Interaktion und Kommunikation seien jedoch bereits in der Kindergartenzeit ab dem Alter von etwa 4 Jahren beschrieben und entsprechende Fördermaßnahmen eingeleitet worden. Die Diagnose einer autistischen Störung wäre bei entsprechender kinderpsychiatrischer Abklärung auch bereits vor diesem Zeitpunkt möglich gewesen. Die Symptome einer unspezifischen Regulations- und Anpassungsstörung seit Geburt hätten während der gesamten Säuglings- und Kleinkinderzeit fortbestanden (Bl. 242 Gerichtsakte).
Es sei von einem Gesamt-
GdB von 80 auszugehen. Dieser
GdB bestehe nicht erst - wie von Herrn H-Name angenommen - seit dem Pflegegutachten, mit dem Pflegestufe II begründet wurde. Es sei nicht von einer Verschlechterung der Störung auszugehen. Vielmehr müsse von einem
GdB von 80 seit Beginn der Entwicklungsstörung ausgegangen werden (Bl. 244 Gerichtsakte). Die Behinderung bestehe seit Geburt. Ihre Ausprägung auf der jeweiligen Entwicklungsstufe des Kindes sei im Säuglings- und Kleinkinderalter erheblich gewesen und mit der heutigen Situation durchaus vergleichbar. Sie beschränke sich naturgemäß in dieser Lebensphase nur auf den häuslichen Bereich. Erhebliche soziale Anpassungsschwierigkeiten seien seit dem Eintritt in den Kindergarten im Alter von 2 Jahren nachweisbar. Somit sei spätestens seit diesem Zeitpunkt eine Einschränkung anzunehmen, die dem heutigen Festgestelltengrad der Behinderung entspreche. Es sei davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" derzeit erfüllt seien. Die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung bestehe seit der Geburt bis heute. Auch die Voraussetzungen des Merkzeichens "H" bestünden seit Geburt und resultierten aus den genannten Funktionsbeeinträchtigungen (Bl. 245 Gerichtsakte).
Die gesetzliche Vertreterin des Klägers ist der Auffassung, dass dem Gutachten von
Dr. C-Name zu folgen sei und dass beim Kläger ein
GdB von 80 und die Merkzeichen "G", "B" und "H" ab Geburt festzustellen seien.
Der Kläger beantragt durch seine gesetzliche Vertreterin,
den Bescheid vom 21.10.2009 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 24.11.2009, des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2010, des Teilabhilfebescheides vom 01.07.2010 und des Änderungsbescheides vom 01.04.2011 aufzuheben und den Ergänzungsbescheid vom 25.11.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2010 und des Teilabhilfebescheides vom 01.07.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 19.02.2008 zurückzunehmen und einen Grad der Behinderung von 80 und die Merkzeichen "G", "B" und "H" ab dem 01.08.2003 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass es sich hinsichtlich der Frage der Rückwirkung um ein eigenständiges Verfahren handele, welches abzutrennen sei. Die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 23.02.2010 dürfe sich erledigt haben. Anhaltspunkte für eine besondere Auffälligkeit des Klägers vor Februar 2008 könnten aus den vorliegenden Unterlagen nicht entnommen werden, so dass der vom Sachverständigen vorgeschlagenen weiteren Rückdatierung des
GdB nicht zugestimmt werden könne. Der dritten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vom 17.10.2010 könne nämlich entnommen werden, dass eine Behinderung erst mit Beginn der Teilhabebeeinträchtigung angenommen werden könne. Eine pauschale Festlegung des
GdB nach einem bestimmten Lebensalter sei nicht möglich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Gerichtsakte und hierbei insbesondere auf das Protokoll von der mündlichen Verhandlung am 19.12.2011 Bezug genommen.
Die Klage hat Erfolg. Die zulässige Klage ist begründet. Die Voraussetzungen zur Feststellung eines
GdB von 80 und der Merkzeichen "G", "B" und "H" ab Geburt sind erfüllt.
I. Streitgegenständlich ist zunächst der Bescheid vom 21.10.2009 in der Fassung des Abhilfebescheids vom 24.11.2009, des Widerspruchsbescheids vom 23.02.2010 sowie des Teilabhilfebescheide vom 01.07.2010 und des Änderungsbescheids vom 01.04.2011, mit dem ein
GdB 70 bis 30.11.2010 und ein
GdB 80 ab 01.12.2010 sowie die Merkzeichen "G", "B" und "H" ab 11.09.2009 festgestellt worden sind.
Streitgegenständlich ist weiterhin der Ergänzungsbescheid vom 25.11.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2010 und ebenfalls des Teilabhilfebescheids vom 01.07.2010, mit dem ein
GdB von 50 und das Merkzeichen "H" ab 10.01.2008 bis 31.01.2008 und ein
GdB von 70 und die Merkzeichen "G", "B" und "H" ab 01.02.2008 bis 10.09.2009 festgestellt worden sind.
Es ist vorliegend von einem einheitlichen Lebenssachverhalt auszugehen. Die gesetzliche Vertreterin hat in dem Änderungsantrag vom 11.09.2009 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die Anhebung des
GdB und die Merkzeichen "G", "B", "H" von Geburt an begehre. Eine Abtrennung von Streitgegenständen ist daher nach der Auffassung der Kammer nicht sinnvoll.
Nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz muss weiterhin davon ausgegangen werden, dass sich die Klage gegen sämtliche Bescheide in Gestalt beider Widerspruchsbescheide richtet.
In der Sache wird somit eine Rücknahme des bestandskräftigen Erstbescheids vom 19.02.2008 (Bl. 33 Verwaltungsakte) nach § 44
Abs. 2
SGB X und eine Neufeststellung für die Zukunft begehrt.
II. Die Klage ist zunächst zulässig, da die gesetzliche Vertreterin ein besonderes Feststellungsinteresse für die rückwirkende Feststellung (
vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011,
B 9 SB 3/10 R, juris) nachvollziehbar dargelegt hat, da der Familie des Klägers durch eine rückwirkende Feststellung Steuervorteile entstehen werden.
III. Die Voraussetzungen des § 44
Abs. 2
SGB X zur Zurücknahme des Bescheids vom 19.02.2008 und für die Modifikation der Feststellungen ab Antragstellung sind vorliegend erfüllt.
Beim Kläger sind ein
GdB von 80 und die Merkzeichen "G", "B" und "H" ab der Geburt und damit ab dem 01.08.2003 festzustellen.
1. Zunächst liegen die Voraussetzungen zur Feststellung eines
GdB von 80 ab dem 01.08.2003 vor.
Auf Antrag stellen die zuständigen Behörden nach
§ 69 Abs. 5 SGB IX das Vorliegen einer Behinderung und den
GdB fest. Gemäß
§ 2 Abs. 1 S.1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden gemäß § 69
Abs. 1
S.4
SGB IX als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt.
Zur Bewertung der einzelnen Gesundheitsstörungen, also des jeweiligen Einzel-
GdB, und des Gesamt-
GdB waren bis zum 31.12.2008 die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht zu Grunde zu legen. Ab dem 01.01.2009 sind die Anhaltspunkte durch die im Wesentlichen inhaltsgleichen
"Versorgungsmedizinischen Grundsätze" abgelöst worden, bei denen es sich um die Anlage zu dem
§ 2 Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 handelt. Die Versorgungsmedizinverordnung ist auf der Grundlage von § 30
Abs. 17 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassen worden. Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind daher für das Gericht bindend (
vgl. dazu: SG Dortmund, Urteil v. 27.01.2009,
S 18 SB 389/06; X., SGb 2009, 699 (700); Dau, jurisPR-SozR 4/2009
Anm. 4; Christians in:
GK-SGB IX, April 2009, § 69 Rn. 10a).
Vorliegend leidet der Kläger unter einem Autismus in Form eines Asperger-Syndroms und den hiermit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen. Maßgeblich für die Beurteilung des
GdB ist hierbei Punkt "
B" Nr. 3.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze in der Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vom 17.12.2010 (Bundesgesetzblatt 2010, Teil I
Nr. 66,
S.2124).
Danach liegt bei autistischen Syndromen eine Behinderung erst ab Beginn der Teilhabebeeinträchtigung vor. Die pauschale Festsetzung des
GdB nach einem bestimmten Lebensalter ist nicht möglich.
Bei tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (insbesondere frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus, Asperger-Syndrom) sind folgende Grade der Behinderung anzusetzen:
- ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten 10-20
- mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten 30-40
- mit mittleren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 50-70
- mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 80-100
Die Kriterien der Definitionen der
ICD-10-GM Version 2010 müssen laut der Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze erfüllt sein.
Soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integrationsfähigkeit in Lebensbereiche (wie zum Beispiel Regel-Kindergarten, Regelschule, allgemeiner Arbeitsmarkt, öffentliches Leben, häusliches Leben) nicht ohne besondere Förderung oder Unterstützung (zum Beispiel durch Eingliederungshilfe) gegeben ist oder wenn die Betroffenen einer über das dem jeweiligen Alter entsprechende Maß hinausgehenden Beaufsichtigung bedürfen (Versorgungsmedizinische Grundsätze,
ebd.).
Mittlere soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche nicht ohne umfassende Unterstützung (zum Beispiel einen Integrationshelfer als Eingliederungshilfe) möglich ist (Versorgungsmedizinische Grundsätze,
ebd.).
Schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche auch mit umfassender Unterstützung nicht möglich ist (Versorgungsmedizinische Grundsätze,
ebd.).
Vorliegend ist zwischen den Beteiligten zunächst unstreitig, dass das beim Kläger festgestellte Asperger-Syndrom in seiner jetzigen Ausprägung mit einem
GdB von 80 zu bewerten ist. Diese Einschätzung des Beklagten wurde auch vom Gerichtssachverständigen
Dr. C. in seinem Gutachten von 27.08.2011 bestätigt und ist nach der Auffassung der Kammer auch zutreffend, da der Kläger trotz umfassender Unterstützung durch seine gesetzliche Vertreterin und professionelle Hilfe in sämtlichen Lebensbereichen (Kontaktaufnahme zu anderen Kindern, Schule, Familie) ganz erhebliche Schwierigkeiten hat, die seine Integration erschweren
bzw. unter Umständen auch unmöglich machen.
Zwischen den Beteiligen ist allerdings streitig, ab welchem Zeitpunkt dieser Grad der Behinderung von 80 festzustellen ist, wobei sich der Beklagte mit gewichtigen Gründen auf die Neufassung der Versorgungsmedizinischen Gründen stützt, der entnommen werden kann, dass auch bei angeborenen Störungen, wie einem Asperger Syndrom, der
GdB nicht automatisch ab Geburt beziehungsweise ab einem bestimmten Lebensalter festzustellen ist.
Die Kammer hatte vor diesem Hintergrund festzustellen, ab welchem Zeitpunkt das Asperger-Syndrom manifest geworden ist, wobei es vorliegend die zusätzliche Schwierigkeit gab, von den Symptomen des Asperger-Syndroms die frühgeburtlichen Besonderheiten des Gesundheitszustands des Klägers abzugrenzen.
Hierbei hat der Gerichtssachverständige
Dr. C-Name in seinem Gutachten völlig einsichtig darauf hingewiesen, dass die Autismusdiagnose nicht vor dem Alter von 18 Monaten gestellt werden kann, da frühestens ab diesem Zeitpunkt Entwicklungsvoraussetzungen bestehen, die die für das Krankheitsbild typischen Symptome ermöglichen (Bl. 239 Gerichtsakte), wobei den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen in der Fassung der 3. Änderungsverordnung keine Einschränkung dergestalt entnommen werden kann, dass die Feststellung eines Asperger-Autismus nicht bereits vor dem 18. Lebensmonat möglich ist.
Die Kammer interpretiert die Versorgungsmedizinischen Grundsätze daher dahingehend, dass die Feststellung eines
GdB wegen eines gesicherten Asperger-Autismus rückwirkend auch ab der Geburt möglich ist, wenn sich bereits ab Geburt hinreichend gesichert besondere Auffälligkeiten manifestieren, die nach dem Stand der Wissenschaft als frühe Kennzeichen für ein Asperger-Syndrom zu bewerten sind.
Vom Sachverständigen
Dr. C-Name werden solche Auffälligkeiten "Regulations- und Anpassungsstörungen" genannt.
Vorliegend geht aus der Verwaltungs- und Gerichtsakte zunächst hervor, dass beim Kläger ein Autismus in Form eines Asperger-Syndroms erst zu einem Zeitpunkt nach Antragstellung diagnostiziert worden war. Der Gerichtssachverständige
Dr. C-Name hat allerdings völlig einsichtig darauf hingewiesen, dass sich der Kläger von seiner Geburt bis zum Jahr 2008 nicht zu einer kinderpsychiatrischen Diagnostik
bzw. Behandlung begeben hatte. Diese Angabe im Gutachten ist im Rahmen der mündlichen Verhandlung von der Mutter des Klägers bestätigt worden, die der Kammer berichtete, dass die behandelnden Kinderärzte ihr mehrfach auf den Hinweis, dass mit ihrem Kind etwas nicht stimme, schlichtweg mitgeteilt hätten, der Kläger würde nur "fremdeln".
Dass diese Bewertung der damaligen Ärzte unzutreffend war, ist durch das überzeugende Gutachten des Gerichtssachverständigen
Dr. C-Name und auch vor dem Hintergrund der Angaben der gesetzlichen Vertreterin des Klägers bewiesen. Die Mutter des Klägers hat dem Gericht auf die Frage, woran sie gemerkt habe, dass der Kläger "anders" als andere Kinder sei, erläutert, dass der Kläger sie bereits als Säugling nie angelächelt habe, die Nahrungsaufnahme verweigert und weite Teile des Tages (gefühlt 20 von 24 Stunden am Tag) ununterbrochen geschrien habe. Mit dem Vater habe der Kläger überhaupt keinen Kontakt aufnehmen können. Als der Kläger im Jahr 2005 für zwei Tage pro Woche für jeweils zwei Stunden am Nachmittag in den Kindergarten gekommen sei, habe er sich in eine Ecke des Kindergartengeländes zurückgezogen, geweint und stereotyp den Oberkörper geschaukelt (Bl. 268 Gerichtsakte).
Diese Angaben der gesetzlichen Vertreterin sind für die Kammer glaubhaft. Es fanden sich nämlich auch im Untersuchungsheft des Klägers einige Anhaltspunkte für Verhaltensauffälligkeiten. So ist unter anderem dem Ergebnis der U5-Untersuchung und U6-Untersuchung der Hinweis auf ein Fremdeln zu entnehmen (Bl. 143 f. Gerichtsakte). Der Befundbericht des Allgemeinmediziners I-Name vom 12.11.2010 beschreibt eine Krankenhauseinweisung im August 2005 wegen einer Nahrungsverweigerung. Die Kammer hält vor diesem Hintergrund die Einschätzung des Gerichtssachverständigen
Dr. C-Name für überzeugend, dass Anzeichen für Anpassungs- und Regulationsstörungen des Klägers bereits seit seiner Geburt nach außen erkennbar waren.
Auch hat die Mutter des Klägers die Beweiskraft anderer Befunde und hierbei u.a. des Müttergenesungsheims C-Stadt vom 20.04.2005 entkräftet, da der Kläger während dieser Mutter-Kinder-Kur wegen eines grippalen Infekts weite Teile der Kur im Bett verbringen musste (
vgl. Bl. 268 Gerichtsakte).
Die Kammer folgt deshalb der Einschätzung des Gerichtssachverständigen
Dr. C-Name, dass beim Kläger wegen des Asperger-Syndroms mit einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten ein
GdB von 80 bereits ab der Geburt und damit ab dem 01.08.2003 festzustellen ist. Die Kammer folgt insoweit auch der Einschätzung des Sachverständigen, dass von keiner Veränderung des
GdB auszugehen ist, da die Symptome der Behinderung sich lediglich in unterschiedlicher Ausdrucksform, aber gleicher Schwere manifestiert haben.
2. Weiterhin ist die Kammer davon überzeugt, dass beim Kläger auch die Merkzeichen "G", "B" und "H" ab dem 01.08.2003 festzustellen sind.
Zunächst hat das Bundessozialgericht (
BSG) im Urteil vom 12.02.1997 (
9 RVs 1/95; juris Rn.15) darauf hingewiesen, dass die Zuerkennung u.a. der Merkzeichen "G", und "B" nicht von einem bestimmten Lebensalters abhängt. Die Voraussetzungen dieser Nachteilsausgleiche könnten bei behinderten Säuglingen und Kleinkindern, die die Wegstrecke von zwei Kilometern niemals zurücklegen können und auch einer Begleitung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel benötigen, vorliegen, und zwar selbst dann, wenn deren Behinderungen insoweit nicht zu Nachteilen gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern führten. Denn Maßstab für diese Merkzeichen ist ausnahmsweise nicht der Vergleich mit gleichaltrigen Nichtbehinderten. Vielmehr kommt es darauf an, ob die festgestellten Gesundheitsstörungen bei Erwachsenen die Zuerkennung der genannten Nachteilsausgleiche rechtfertigen.
Diesen Vorgaben tragen die Versorgungsmedizinischen Grundsätze inzwischen Rechnung, die ebenfalls davon ausgehen, dass die Merkzeichen auch bei Säuglingen und Kleinkindern vorliegen können.
a) Die Kammer ist zunächst davon überzeugt, dass beim Kläger die Voraussetzungen zur Feststellung des Merkzeichens "H" ab Geburt vorliegen.
Nach § 33b
Abs. 6
S.3 Einkommenssteuergesetz (EStG) ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind nach § 33b
Abs. 6
S.4 EStG auch dann erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder Anleitung zu den in Satz 3 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist.
Der Begriff der Hilflosigkeit wird durch die Versorgungsmedizinischen Grundsätze weiter konkretisiert.
Häufig und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tags sind nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (
S.23) insbesondere das An- und Auskleiden, die Nahrungsaufnahme, Körperpflege und das Verrichten der Notdurft. Außerdem zählen hierzu notwendige körperliche Bewegung, geistige Anregung und Möglichkeiten zur Kommunikation. Der Umfang der notwendigen Hilfe bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen muss erheblich sein. Dies ist der Fall, wenn die Hilfe dauernd für zahlreiche Verrichtungen, die häufig und regelmäßig wiederkehren, benötigt wird. Einzelne Verrichtungen genügen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf wiederkehren, nicht. Verrichtungen, die mit der Pflege der Person nicht unmittelbar zusammenhängen (
z.B. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung) haben außer Betracht zu bleiben (Versorgungsmedizinische Grundsätze
S.24). Das Bundessozialgericht (
BSG) rechtfertigt diesen Ausschluss der Hausarbeit in ständiger Rechtsprechung damit, dass diese Hilfsbedarfe im Steuerrecht an anderer Stelle gesondert erfasst sind (
vgl. Gaa-Unterpaul, NZS 2002, 406 (409)).
Nach der Rechtsprechung des
BSG (Urteil v. 29.08.1990,
9a/9 RVs 7/89, juris) ist diese Definition des Begriffs der Hilflosigkeit auch bei Kindern maßgeblich. Allerdings sind bei der Beurteilung der Hilflosigkeit von Kindern und Jugendlichen nicht nur die bei der Hilflosigkeit genannten "Verrichtungen" zu beachten. Auch die Anleitung zu diesen Verrichtungen, die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung (
z.B. Anleitung im Gebrauch der Gliedmaßen oder durch Hilfen zum Erfassen der Umwelt und zum Erlernen der Sprache) sowie die notwendige Überwachung gehören zu den Hilfeleistungen, die für die Frage der Hilflosigkeit von Bedeutung sind (Versorgungsmedizinische Grundsätze
S.25).
Zur Erheblichkeit des Hilfsaufwands hat das
BSG in seiner Leitentscheidung vom 12.02.2003 (
B 9 SB 1/02 R, juris, Rn. 14
ff.) Stellung genommen. Das
BSG hält es dort entsprechend der Vorgaben in der gesetzlichen Pflegeversicherung für sachgerecht, die Erheblichkeit des Hilfsbedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für die erforderlichen Betreuungsleistungen zu beurteilen. Nicht hilflos ist derjenige, der nur in relativ geringem Umfang, d.h. täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Grundsätzlich sieht das
BSG eine Erheblichkeit des Zeitaufwands erst dann als erfüllt an, wenn dieser mindestens zwei Stunden täglich erreicht (
BSG, a.a.O. Rn. 15). Man orientiert sich mithin an der Pflegestufe II nach der Pflegeversicherung. Da der Begriff der Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit nicht deckungsgleich sind, nimmt das
BSG eine Erheblichkeit auch bei einem täglichen Hilfsbedarf zwischen 1 und 2 Stunden an, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege besonders hoch ist. Das ist der Fall, wenn behinderungsbedingt ständige Aufsicht erforderlich ist.
Bei der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern ist stets nur der Teil der Hilflosigkeit zu berücksichtigen, der wegen der Behinderung den Umfang der Hilflosigkeit eines gesunden gleichaltrigen Kindes überschreitet. Der Umfang der wegen der Behinderungen zusätzlichen notwendigen Hilfeleistungen muss erheblich sein (Versorgungsmedizinische Grundsätze
S.25).
Die 3. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze normiert zudem, dass bei tief greifenden Entwicklungsstörungen, die für sich allein einen
GdB von mindestens 50 bedingen, regelhaft von Hilflosigkeit bis zum 18. Lebensjahr auszugehen ist.
Vorliegend liegen beim Kläger wegen einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem
GdB von 80 die Voraussetzungen des Merkzeichens "H" ab dem 01.08.2003 vor.
b) Des Weiteren liegen auch ab dem 01.08.2003 die Voraussetzungen zur Feststellung des Merkzeichens "G" vor.
Nach
§ 145 Abs. 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr. Nach
§ 146 Abs. 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Das Bundessozialgericht (
BSG, Urteil v. 10.12.1987,
9a RVs 11/87, juris, Rn. 29; s. auch: Castendiek & Hoffmann, Das Recht der behinderten Menschen, 3. A. 2009, Rn. 79) geht davon aus, dass die Gehstrecke, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt wird, bei 2000 m und einer Gehzeit von 30 Minuten liegt.
Bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen zur Feststellung des Merkzeichens "G" wegen Orientierungslosigkeit vorliegen, ist nicht darauf abzustellen, ob der Behinderte sich in vertrauter Umgebung noch zurechtfindet, da nicht auf die Verhältnisse am Wohnort abzustellen ist (
vgl. Schillings & Wendler in: Hausmann, Schillings & Wendler (Hrsg.), Sozialrecht - Begutachtungsrelevanter Teil, Schwerbehindertenrecht, 2010,
S.319).
Da der Kläger unter einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem
GdB von 80 leidet, ist für die Kammer völlig einsichtig, dass beim Kläger auch die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" ab Geburt vorliegen, da auch bei einem Erwachsenen mit einer solchen Störung diese Voraussetzungen wegen einer Orientierungslosigkeit erfüllt sind.
c) Weiterhin liegen beim Kläger auch die Voraussetzungen zur Feststellung des Merkzeichens "B" ab Geburt und damit ab dem 01.08.2003 vor.
Infolge der fehlenden Orientierungsfähigkeit wäre nämlich auch ein Erwachsener mit einer Behinderung, wie sie beim Kläger vorliegt, auf eine ständige Begleitung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen.
Die Klage war somit in vollem Umfang begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.