Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, nachdem sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 153
Abs. 1
i.V.m. § 124
Abs. 2 Sozialgesetzbuch (
SGG)).
Die Berufung ist nach § 143
SGG statthaft und gemäß § 141
Abs. 2
SGG form- und fristgerecht eingelegt. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist eine isolierte Anfechtungsklage gemäß §§ 153, 54
Abs. 1
SGG gegen einen belastenden Verwaltungsakt. Daher bezieht sich die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 29. Oktober 2008 (
vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003,
B 9 SB 6/02 R mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).
Die Berufung ist begründet. Der Beklagte hat zu Recht mit Bescheid vom 16. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2008 den Bescheid vom 8. November 2006 aufgehoben, den bisherigen
GdB von 80 erneut festgestellt und das Merkzeichen "H" seit dem 1. November 2007 entzogen.
Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig. Insbesondere hat der Beklagte die Klägerin nach § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (
SGB X) mit Schreiben vom 19. September 2007 zum beabsichtigten Entzug des Merkzeichens "H" angehört.
Bei dem angefochtenen Bescheid in Gestalt des abändernden Widerspruchsbescheides handelt es sich um einen Herabsetzungsbescheid
gem. § 48
Abs. 1 Satz 1
SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Als wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes gilt, wobei dies sowohl hinsichtlich der Besserung als auch der Verschlechterung anzunehmen ist, jedenfalls eine Veränderung, die es erforderlich macht, ein Merkzeichen zu entziehen. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2006 sind ab 17. Juni 2006 der
GdB von 80 sowie das Merkzeichen "H" festgestellt worden. In der Zeit zwischen Erlass dieses Bescheides und des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2008 ist bezüglich des Merkzeichens "H" eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, die dessen Vergabe nicht mehr rechtfertigen. Wegen der Beendigung der Chemotherapie seit Ende des Jahres 2006 liegen bei der Klägerin die Voraussetzungen einer Hilflosigkeit für das Merkzeichen "H" spätestens seit dem 1. November 2007 nicht mehr vor.
Die fehlende Begründung im Bescheid vom 18. Oktober 2006 für die Zuerkennung des Merkzeichens "H" bleibt rechtlich folgenlos. Bei der Zuerkennung des Merkzeichens "H" handelt es sich um eine sog. gebundene Entscheidung. Nach § 35
Abs. 1 Satz 2
SGB X sind in einem Verwaltungsakt die wesentlichen und tatsächlichen Gründen mitzuteilen. Bei gebundenen Entscheidungen wirken sich Begründungsmängel grundsätzlich nicht aus und rechtfertigen regelmäßig keine Aufhebung des Bescheides. Bei ihnen kann die fehlende Begründung auch im weiteren Verfahrensverlauf noch nachgeholt werden (
vgl. § 41
Abs. 1
Nr. 2,
Abs. 2, § 42
SGB X). Hier hat der Beklagte im Anhörungsschreiben und im Bescheid vom 16. Oktober 2007 nachträglich mitgeteilt, dass das Merkzeichen "H" wegen der durchgeführten Chemotherapie zuerkannt worden sei und nun nicht mehr festgestellt bleiben könne. Damit hat der Beklagte die fehlende Begründung im Bescheid vom 18. Oktober 2006 nachgeholt und das Begründungsdefizit geheilt.
Nach
§ 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (
SGB IX) vom 19. Juni 2001 hat der Beklagte über das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleiches "H" zu entscheiden. Im Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen "H" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33 b Einkommenssteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist (
§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Juli 1991 [BGBl. I
S. 1739], zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 2. Dezember 2006 [BGBl. I
S. 2742]).
Gemäß § 33 b
Abs. 6 Satz 3 EStG ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind nach Satz 4 der Vorschrift auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 3 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Die so umschriebene Hilflosigkeit geht auf die Kriterien zurück, die von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit den gleich lautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 BVG entwickelt worden sind (
BSG, Urteil vom 24. November 2005,
B 9a SB 1/05 R, zitiert nach juris
m.w.N.). Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14, 15 des Elftes Buches des Sozialgesetzbuches - Soziale Pflegeversicherung - (
SGB XI) angelehnt.
Bei den gemäß § 33
Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren (
BSG, Urteil vom 24. November 2005, a.a.O., RdNr. 14). Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung nach
§ 14 Abs. 4 SGB XI erfassten Bereiche der Grundpflege, also der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), der Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und der Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Hinzu kommen Verrichtungen in den Bereichen der psychischen Erholung, geistigen Anregungen und der Kommunikation (hier insbesondere Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen), während Verrichtungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht eingeschlossen sind (ständige Rechtsprechung des
BSG, zuletzt Urteil vom 24. November 2005, a.a.O., RdNr. 15
m.w.N.). Soweit die Anleitung, Überwachung und Bereitschaft bei den einzelnen Verrichtungen zu berücksichtigen ist, ist allerdings zu beachten, dass bei der Anrechnung von Bereitschaftszeiten grundsätzlich nur solche Zeiten berücksichtigt werden können, die zeitlich und örtlich denselben Einsatz erfordern wie körperliche Hilfe (
BSG, Urteil vom 12. Februar 2003,
B 9 SB 1/02 R, zitiert nach juris, RdNr. 20
m.w.N.). Dies setzt voraus, dass eine entsprechende einsatzbereite Anwesenheit und Aufmerksamkeit aus gesundheitlichen Gründen notwendig ist (
BSG, Urteil vom 12. Februar 2003, a.a.O., RdNr. 20
m.w.N.). Allgemeine Einschränkungen der Orientierungs- und der Kommunikationsfähigkeit machen nur gelegentliche Hilfeleistungen erforderlich und bleiben daher außer Betracht (
BSG, Urteil vom 8. März 1995,
9 RVs 5/94, zitiert nach juris). Die in § 33 b
Abs. 6 Satz 3 EStG vorausgesetzte Reihe von Verrichtungen kann erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erfordern (zuletzt
BSG, Urteil vom 24. November 2005, a.a.O.,
m.w.N., RdNr. 16 f.).
In welchen Fällen regelmäßig von einem erheblichen Hilfebedarf in diesem Sinne ausgegangen werden kann, wird in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2
SGB IX - Ausgabe 2008) ausgeführt. Diese Anhaltspunkte, deren als zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides maßgebliche Ausgabe im Jahre 2008 vom damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegeben worden war, haben zwar keine Normqualität. Sie sind aber als vorweggenommene Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, deshalb normähnliche Auswirkungen haben und im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung in ihrer jeweiligen Fassung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden sind (
vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003,
B 9 SB 3/02 R; Urteil vom 9. April 1997,
9 RVs 4/95, jeweils zitiert nach juris). Nach Ziffer 21
Abs. 6 der Anhaltspunkte kann im Allgemeinen und ohne nähere Prüfung bei einer Reihe schwerer Behinderungen, die aufgrund ihrer Art und besonderer Auswirkungen regelhaft Hilfeleistungen in erheblichem Umfang erfordern, von einem erheblichen Hilfebedarf ausgegangen werden. Das gilt stets bei Blindheit und hochgradiger Sehbehinderung, Querschnittslähmung und anderen Behinderungen, die auf Dauer und ständig auch innerhalb des Wohnraums die Benutzung eines Rollstuhls erfordern. Das gilt in der Regel auch bei Hirnschäden, Anfallsleiden, geistiger Behinderung und Psychosen, wenn diese Behinderungen allein einen Grad der Behinderung von 100 bedingen. Soweit keine Regelbeispiele eingreifen, ist es mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung sachgerecht, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen (ständige Rechtsprechung des
BSG,
vgl. dazu und zum Nachfolgenden Urteil vom 24. November 2005, a.a.O., RdNr. 16 f. sowie Urteil vom 12. Februar 2003, a.a.O., RdNr. 15 f.). Da die Begriffe der Pflegebedürftigkeit nach §§ 14, 15
SGB XI und der Hilflosigkeit nach § 33 b EStG nicht völlig übereinstimmen, können die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung zwar nicht unmittelbar übernommen werden, sie lassen sich jedoch als gewisse Orientierungspunkte nutzen. Nach diesem Maßstab ist nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus folgt aber nicht im Umkehrschluss, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist. Aufgrund des soeben dargestellten erweiterten Maßstabs bei der Prüfung von Hilflosigkeit gegenüber dem Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung wird leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht, sodass von einer Zwei-Stunden-Grenze auszugehen ist. Schließlich spricht für eine Grenzziehung bei einem Hilfeaufwand von zwei Stunden die Vorschrift des § 33 b EStG selbst, denn die Höhe des steuerlichen Pauschbetrages hebt sich außerordentlich von dem Pauschbetrag ab, der behinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von 100 zusteht. Dieser Begünstigungssprung ist nur bei zeitaufwändigen und deshalb entsprechend teuren Hilfeleistungen erklärbar und gerechtfertigt. Um allerdings auch den individuellen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, ist aber nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen; vielmehr kommt auch den weiteren Umständen der Hilfeleistung, insbesondere deren wirtschaftlichem Wert, Bedeutung zu. Dieser Wert wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche (gegebenenfalls ungünstige) Verteilung der Verrichtungen bestimmt (
BSG, Urteil vom 24. November 2005, a.a.O.).
Bei Kindern und Jugendlichen kann im Vergleich zu Erwachsenen mit derselben Erkrankung nach Ziffer 22 der Anhaltspunkte (Ausgabe 2008,
S. 28
ff.) selbst bei einem gleichbleibenden Krankheitsverlauf die Annahme des Merkzeichens "H" eher gerechtfertigt sein, weil nicht nur die Anleitung zu den in Ziffer 21
Abs. 3 Sätze 1 und 2 genannten Verrichtungen, sondern auch die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung sowie die notwendige Überwachung zu den berücksichtigungsfähigen Hilfeleistungen gehört. Die Besonderheiten des Kindesalters führen dazu, dass zwischen dem Ausmaß der Behinderung und dem Umfang der wegen der Behinderung erforderlichen Hilfeleistungen nicht immer eine Korrelation besteht, sodass anders als bei Erwachsenen auch schon bei niedrigeren
GdB/
MdE-Werten Hilflosigkeit vorliegen kann. Bei einer geistigen Behinderung eines Kindes kommt nach Ziffer 22
Abs. 4a der Anhaltspunkte (Ausgabe 2008,
S. 29) auch dann in der Regel bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs Hilflosigkeit in Betracht, insbesondere wenn das Kind wegen gestörten Verhaltens ständiger Überwachung bedarf. Bei hirnorganischen Anfallsleiden ist nach
Abs. 4c häufiger als bei Erwachsenen auch bei
GdB-Werten unter 100 unter Berücksichtigung der Anfallsfrequenz und eventueller Verhaltensauffälligkeiten die Annahme von Hilflosigkeit gerechtfertigt. Ist Volljährigkeit eingetreten, sind dagegen die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften also § 33 b
Abs. 6 Satz 3 EStG und die allgemeinen Vorschriften der Anhaltspunkte zur HiIflosigkeit anzuwenden.
Nach diesem rechtlichen Rahmen hat der Beklagte das Merkzeichen "H" zu Recht entzogen, da nach Beendigung der Chemotherapie eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist und die Voraussetzungen des Merkzeichens "H" bei der Klägerin zum Prüfungszeitpunkt nicht mehr vorgelegen haben.
Zunächst hat der Beklagte zutreffend wegen des Retinoblastoms, dass zum Verlust des linken Auges und einer Tumorbehandlung auf der rechten Seite geführt hat, einen
GdB von 80 für fünf Jahre in Heilungsbewährung festgestellt (
vgl. Anhaltspunkte 2008, Ziffer 26.4.,
S. 56). Nach Ziffer 22 der Anhaltspunkte 2008 (
S. 28 ff) kann bei sehbehinderten Kindern eine Hilflosigkeit angenommen werden, wenn es sich um Einschränkungen des Sehvermögens handelt, die für sich allein einen
GdB/
MdE-Grad von wenigstens 80 bedingen und bei diesen Behinderten dann bis zur Beendigung der speziellen Schulausbildung für Sehbehinderte - Hilflosigkeit anzunehmen ist (
vgl. Anhaltspunkte 2008, Ziffer 22
Abs. 4 d,
S. 29). Entgegen der Ansicht des SG hat die Klägerin die Voraussetzung einer Einschränkung des Sehvermögens, die mit einem
GdB von 80 verbunden ist, nie erfüllt. Dies war auch nicht die Grundlage der Entscheidung des Beklagten, der Klägerin das Merkzeichen "H" überhaupt zuzuerkennen. Bei ihr liegt keine Einschränkung des Sehvermögens von wenigstens 80 im Sinne der Anhaltspunkte 2008 Ziffer 22
Abs. 4 d vor. Der Verlust eines Auges mit dauernder, einer Behandlung nicht zugänglichen Eiterung der Augenhöhe wird mit einem
GdB von 40 bewertet und die Sehschärfe eines Auges von weniger als 0,1 rechtfertigt einen
GdB von 25 bis 30 (
vgl. Anhaltspunkte 2008, Ziffer 26.4,
S. 51). Die rein funktionale - unabhängig von der Frage der sog. Heilungsbewährung - bestehende Sehbehinderung der Klägerin rechtfertigt daher allenfalls einen Einzel-
GdB von 40, da das rechte Auge einen vollständigen Visus von 1,0 aufgewiesen hat. Der bei der Klägerin festgestellte
GdB von 80 in Heilungsbewährung ist einer Sehbehinderung im Sinne der Anhaltspunkte 2008, Ziffer 22
Abs. 4 d damit nicht gleichzusetzen. Ziffer 22
Abs. 4 d der Anhaltspunkte 2008 bezieht sich nach seinem klaren Wortlaut vielmehr auf die rein funktionale Sehbehinderung und kann auf sog. Heilungsbewährungsfälle nicht übertragen werden. Für maligne Erkrankungen - wie das Retinoblastom der Klägerin - finden sich die gesonderten Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" erst in den Anhaltspunkten Ziffer 22
Abs. 4 n. Danach ist bei malignen Erkrankungen (
z.B. akute Leukämie) bei Kindern und Jugendlichen eine Hilflosigkeit für die Dauer der zytostatischen Intensiv-Therapie anzunehmen (ständige Überwachung wegen Infektions- und Blutungsgefahr erforderlich). Diese gesonderte Erwähnung von malignen Erkrankungen und die Anknüpfung an eine Chemotherapie im Zusammenhang mit der Zuerkennung des Merkzeichens "H" spricht dafür, dass die Besonderheiten der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern und Jugendlichen bei malignen Erkrankungen - wie hier - diese betroffene Gruppe nur in der Zeit der Chemotherapie privilegiert, nicht jedoch während der gesamten Heilungsbewährungszeit. Diese begrenzte Privilegierung ist auch sachlich gerechtfertigt, weil bei Kindern und Jugendlichen wegen der besonderen Infektions- und Blutungsgefahr eine ständige Überwachung in der Zeit der Chemotherapie erforderlich ist. Dieser besondere Überwachungsbedarf liegt bei der Klägerin nach Abschluss der Chemotherapie im Jahr 2006 nicht mehr vor. Der gesonderte Hilfebedarf der Klägerin beschränkt sich zum Prüfungszeitpunkt auf die Einhaltung bestimmter Hygieneerfordernisse, erstreckt sich jedoch nicht auf die für das Merkzeichen "H" beschriebenen alltäglichen Verrichtungen in dem dort geltenden Umfang. Diese Verrichtungen kann die Klägerin altersgerecht bewältigen, wofür auch spricht, dass sie offenbar nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe I im Sinne des
SGB XI erfüllt oder entsprechende Leistungen bei der Pflegekasse beantragt hat. Eine behinderungsbedingte Hilflosigkeit im Sinne des Merkzeichens ist angesichts dieses Sachverhaltes nicht anzunehmen.
Für diese Auslegung spricht auch die generelle Privilegierung der sog. Heilungsbewährungsfälle, die unabhängig von den Voraussetzungen des Merkzeichens "H" zu sehen ist. Die Zeitdauer der Heilungsbewährung bei malignen Erkrankungen gründet sich auf Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft über die Gefahr des Auftretens einer Rezidiverkrankung in den ersten Jahren nach der Erstbehandlung sowie der regelmäßig vorhandenen subjektiven Furcht vor einem Rezidiv. Die Heilungsbewährung erfasst darüber hinaus auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, der Beseitigung und der Nachbehandlung eines Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach der sozialmedizinischen Erfahrung, bei Krebserkrankungen zunächst nicht nur den Organverlust, sondern das Gesamtbild der Erkrankung zu bewerten. Dies rechtfertigt es für einen gewissen Zeitraum unterschiedslos von einem deutlich höheren
GdB-Wert auszugehen. Die pauschale Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung im Rahmen der Heilungsbewährung hat bei der streng funktional geprägten Prüfung des Merkzeichens "H" dagegen keine Bedeutung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.