Urteil
Anspruch auf Zuerkennung der Merkzeichen H und B

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat


Aktenzeichen:

L 13 SB 158/14


Urteil vom:

28.01.2016


Grundlage:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 13. Mai 2014 geändert sowie der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 17. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2012 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 21. Juli 2014 verpflichtet, bei dem Kläger mit Wirkung ab 28. April 2011 die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "H" und "B" festzustellen.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des gesamten gerichtlichen Verfahrens in vollem Umfang zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Merkzeichen "H" (Hilflosigkeit) und "B" (Berechtigung für eine ständige Begleitung).

Bei dem Kläger war 1999 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt worden. Den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 26. April 2011 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 17. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2012 ab. Ebenso versagte er die Merkzeichen B und H. Dieser Entscheidung legte der Beklagte die Behinderung

Residualzustand nach psychischer Erkrankung

mit einem Einzel-GdB von 50 zugrunde.

Mit der Klage vor dem Sozialgericht Potsdam hat der Kläger einen höheren GdB als 50 sowie die Merkzeichen B und H begehrt. Das Sozialgericht hat das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. He vom 19. November 2013 mit ergänzender Stellungnahme vom April 2014 eingeholt. Der Sachverständige hat den GdB mit 80 eingeschätzt. Mit Urteil vom 13. Mai 2014 hat das Sozialgericht den Beklagten verpflichtet, bei dem Kläger einen GdB von 80 ab 28. April 2011 festzustellen, und hat im Übrigen die Klage abgewiesen. Mit Ausführungsbescheid vom 21. Juli 2014 ist der Beklagte dem Urteil nachgekommen.

Mit der Berufung gegen die Entscheidung des Sozialgerichts verfolgt der Kläger sein Begehren hinsichtlich der Merkzeichen weiter. Er hat hierzu u.a. das in einem Pflegeversicherungsrechtsstreit erstattete Gutachten des Internisten Dr. Ha vom 30. November 2012 vorgelegt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Arztes für Psychiatrie Prof. Dr. Z vom 26. Oktober 2015.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 13. Mai 2014 zu ändern sowie unter Änderung des Bescheides vom 17. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2012 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 21. Juli 2014 den Beklagten zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 28. April 2011 die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "H" und "B" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seine Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, der vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Rechtsweg:

SG Potsdam, Urteil vom 13.05.2014 - S 5 SB 79/12

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Sozialgericht hat in dem angefochtenen Urteil die Klage hinsichtlich der begehrten Merkzeichen zu Unrecht abgewiesen.

Der Kläger hat Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "H".

Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung ist im Schwerbehindertenausweis das Merkmal "H" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist. Gemäß § 33b Abs. 6 Satz 2 EStG ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33b Abs. 6 Satz 3 EStG).

Bei den zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12. Februar 2003 - B 9 SB 1/02 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr.1). Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs. 4 Sozialgesetzbuch, Elftes Buch - SGB XI -) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung), nicht aber der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen. Hinzu kommen Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistige Anregungen und Kommunikation (vgl. BSGE 72, 285 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 6).

Die Erheblichkeit des Hilfebedarfs ist in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen: Wer nur in relativ geringem Umfang von täglich etwa einer Stunde auf fremde Hilfe angewiesen ist, ist nicht hilflos (vgl. BSGE 67, 204, 207 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Demgegenüber ist ein täglicher Zeitaufwand als hinreichend erheblich anzusehen, wenn er mindestens zwei Stunden erreicht (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 a.a.O.). Bei einem täglichen Zeitaufwand für fremde Hilfe zwischen einer und zwei Stunden ist Hilflosigkeit dann anzunehmen, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege (wegen der Zahl der Verrichtungen bzw. ungünstiger zeitlicher Verteilung der Hilfeleistungen) besonders hoch ist.

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen steht es nach Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger einen hinreichend erheblichen Hilfebedarf hat. Der Sachverständige Prof. Dr. Z hat in seinem Gutachten vom 26. Oktober 2015 herausgearbeitet, dass der tägliche Hilfebedarf den Umfang von zwei Stunden weit überschreitet: In den Bereichen der Körperpflege, Ernährung und Mobilität benötigt der Kläger täglich 51 min Hilfe, im Bereich der geistigen Anregung und Kommunikation 120 min und für die Begleitung außer Haus 45 min.

Der Kläger hat auch Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "B".

Nach § 146 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sind zur Mitnahme einer Begleitperson schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Überzeugend ist der Sachverständige Prof. Dr. Z in seinem Gutachten zu dem Schluss gelangt, dass der Kläger bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist. Er ist nach den gutachterlichen Feststellungen aufgrund seiner schweren psychischen Störung, nicht in der Lage, sich angemessen zu verhalten, seinen Start- und Zielort zu planen oder sich im Falle von Änderungen des Fahrplans sinnvoll zu verhalten. Ohne Begleitperson würde er immer wieder im Fahrzeug sitzen bleiben bzw. gar nicht erst einsteigen. Auch fehlt dem Kläger die Fähigkeit, seinen Standort mit dem Ziel in Vergleich zu bringen und sich danach sinnvoll zu verhalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.

Referenznummer:

R/R8358


Informationsstand: 24.10.2019