Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht verfristet, da der Klägerin gemäß § 67
Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war. Zwar konnte ein fristgerechter Zugang bei Gericht nicht eindeutig festgestellt werden; allerdings sieht es die Kammer als nachgewiesen an, dass die Klägerin aufgrund der ihr vorliegenden Sendedokumente davon ausgehen musste und durfte, dass das mit entsprechende Schriftstück auf einem dem Sozialgericht Aachen zugewiesenen Server fristgerecht eingegangen ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 67
SGG liegen damit vor.
Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54
Abs. 2
SGG beschwert, da bei ihr ab dem 24.02.2016 ein
GdB von 50 (dazu I) sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens H (dazu II) festzustellen sind.
I.
Gemäß
§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (
bzw. § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX a.F.) werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 152
Abs. 3
SGB IX (
bzw. § 69
Abs. 3
SGB IX a.F.). der
GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung eines Gesamt-
GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (Bundessozialgericht -
BSG - Beschluss vom 01.06.2017 - B 9 SB 20/17 B = juris;
BSG Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5
m.w.N.; Landessozialgericht -
LSG - Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 -
L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß
§ 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-
GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-
GdB zu bilden (
BSG Urteil vom 30.09.2009 -
B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18
m.w.N.;
LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 - L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach
Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30
Abs. 16 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1
Abs. 1 und 3, des § 30
Abs. 1 und des § 35
Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008,
S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die bis zum Erlass einer Verordnung nach
§ 153 Abs. 2 SGB IX (näher: Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 153
SGB IX, Rn. 5) gemäß
241 Abs. 6 SGB IX (
159 Abs. 7 SGB IX a.F.) weiterhin auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt (
vgl. hierzu ausführlich SG Aachen Urteil vom 16.10.2018 -
S 18 SB 317/17 = juris Rn. 32 unter Hinweis auf BT-Drucksache 18/3190,
S. 5), sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß
Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-
GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste
GdB-Werte angegeben sind (
BSG Urteil vom 02.12.2010 -
B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25;
vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
Die anspruchsbegründenden Tatsachen sind, dies gilt nach allgemeinen Grundsätzen des sozialgerichtlichen Verfahrens auch im Schwerbehindertenrecht grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (
vgl. BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R = juris Rn. 14; Bayerisches
LSG Urteil vom 18.06.2013 - L 15 BL 6/10 = juris Rn. 67
ff.; Bayerisches
LSG Urteil vom 05.02.2013 - L 15 SB 23/10= juris). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (
vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9
VG 3/99 R = juris Rn. 11), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (
vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92 = juris Rn. 14). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen.
Im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Feststellung eines
GdB von 50 rechtfertigen.
Die Klägerin leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Wesentlichen unter einem insulinpflichtigen Typ-1-Diabetes (
vgl. zu Definition und Therapie eines Typ-1-Diabetes, S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes der Deutschen Diabetes Gesellschaft, 2. Aufl., Stand 28.03.2018, abrufbar auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) http://awmf.org unter der Registernummer 057-013; zur Ätiologie, Verlauf und Symptomen
vgl. etwa Danne/Kordonouri/Lange, Diabetes bei Kindern und Jugendlichen, 7. Aufl. 2015, S 15
ff.; 159
ff.). Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigung steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte sowie des Gutachtens des
Dr. T. fest. Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen eines erfahrenen gerichtlichen Sachverständigen, die unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befund und der gestellten Diagnose zu zweifeln. Diese deckt sich mit den Feststellungen und Diagnosen der behandelnden Ärzte und ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig. Lediglich die sozialmedizinische Bewertung dieser Beeinträchtigungen und insbesondere die Höhe des
GdB ist zwischen den Beteiligten bis zuletzt streitig geblieben.
Bis zum Inkrafttreten der Versorgungsmedizinschen Grundsätze wurde hinsichtlich der Höhe des
GdB beim Vorliegen eines Diabetes mellitus unterschieden zwischen Fällen eines Typ I und Fällen eines Typ II Diabetes. Ersterer rechtfertigte per se einen
GdB von 40 und - für den Fall schwerer Einstellbarkeit, der häufig bei Kindern zu finden sei, mit gelegentlichen ausgeprägten Hypoglykämien - einen solchen von 50,
vgl. Ziffer 26.15 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2
SGB IX) 2008. Die entsprechende Unterscheidung ist freilich seit Langem bereits aufgehoben.
Gemäß
Teil B Ziffer 15.1 Versorgungsmedizinischen Grundsätze in der aktuellen Fassung der Fünften Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Versordnung (5. VersMedVÄndV) vom 11.10.2012 (BGBl. I,
S. 2122) gilt hinsichtlich der Beurteilung eine Zuckerkrankheit nunmehr Folgendes:
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines
GdS rechtfertigt. Der
GdS beträgt 0.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der
GdS beträgt 20.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der
GdS beträgt 30 bis 40.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der
GdS beträgt 50.
Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere
GdS-Werte bedingen.
Schon der Wortlaut der Norm macht deutlich, dass für die Annahme eines
GdB von 50 drei Beurteilungskriterien erfüllt sein müssen. Es müssen (1.) täglich mindestens vier Insulininjektionen durchgeführt werden. Es muss darüber hinaus (2.) eine selbständige Variierung der Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung erfolgen sowie (3.) eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung durch erhebliche Einschnitte vorliegen. Hierbei ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu berücksichtigen, dass diese drei Kriterien in einer Gesamtschau die sachgerechte Beurteilung des Gesamtzustands erleichtern sollen (
vgl. BSG Urteil vom 16.12.2014 -
B 9 SB 2/13 R = juris Rn. 16 unter Hinweis auf
BSG Urteil vom 25.10.2012 -
B 9 SB 2/12 R = juris Rn. 34). Auf den Diabetes-Typ kommt es hierbei nicht an.
Es steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der glaubhaften Angaben der Mutter der Klägerin im Verfahren sowie den von den Eltern der Klägerin im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingereichten Blutzuckertagebüchern fest, dass die Klägerin, beziehungsweise ihre Eltern, regelmäßig vier Mal am Tag den Blutzuckerspiegel messen. In Abhängigkeit von den hierbei ermittelten Werten wird Insulin gespritzt. Soweit sich an einzelnen Tagen in den Tagebüchern keine Eintragung einer Insulingabe findet, ist dies damit zu erklären, dass die Insulingaben zu den Mahlzeiten, die nach entsprechender Messung gegeben werden, hier regelmäßig nicht erfasst worden sind, sondern letztlich lediglich "außerplanmäßige" Interventionen, wie eine entsprechende Nachfrage im Rahmen der mündlichen Verhandlung ergeben habt. Die Kammer geht daher nach den überzeugenden Darstellungen der Mutter der Klägerin davon aus, dass in aller Regel mindestens vier - meist mehr - bedarfsabhängige Insulingaben erfolgen. Im Übrigen wäre es aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer vollumfänglich anschließt, auch unschädlich, wenn an einzelnen Tagen weniger als vier Mal gemessen würde (
vgl. dazu
BSG Urteil vom 25.10.2012 -
B 9 SB 2/12 R = juris Rn. 35). Die oben benannten Voraussetzungen 1) und 2) sind damit zweifellos gegeben.
Es steht aber zur Überzeugung der Kammer auch fest, dass bei der Klägerin durch die Erkrankung die für die Annahme eines
GdB von 50 erforderlichen, erheblichen Einschnitten mit gravierenden Beeinträchtigungen der Lebensführung vorliegen. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass solche nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur unter strengen Voraussetzungen zu bejahen sind (
vgl. BSG Urteil vom 16.12.2014 -
B 9 SB 2/13 R = juris Rn. 21). Auch hierin folgt die Kammer der höchstrichterlichen Auslegung. Für sie spricht in der Tat die Formulierung in der Vorschrift, die eine für einen Normtext seltene Häufung einschränkender Merkmale ("erheblich", "gravierend", "ausgeprägt") enthält. Diese strenge Auslegung führt dazu, dass die mit der vorausgesetzten Insulintherapie zwangsläufig verbundenen Einschnitte grundsätzlich nicht geeignet sind, eine zusätzliche ("und") gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung hervorzurufen. Im vorliegenden Fall sind sie nach Auffassung der Kammer gleichwohl zu bejahen.
Zum einen sind insofern die vorhandenen Arztberichte und die Feststellungen des Gutachters
Dr. T. zu berücksichtigen. So zeigen sich in den vorliegenden Ausdrucken aus dem Blutzuckertagebuch durchaus leichtere bis hin zu deutlichen Hypoglykämien mit Blutzuckerwerten von 39 mg/dl und 41 mg/dl an einzelnen Tagen, an anderen zwischen 40 mg/dl und 50 mg/dl. Hierbei handelt es sich um Werte, die auch nach Auffassung der Kammer zweifellos in den hypoglykämischen Bereich zu rechnen sind (
vgl. zur Schwierigkeit der Bestimmung eines "Grenzwertes" S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes der Deutschen Diabetes Gesellschaft, 2. Aufl., Stand 28.03.2018,
S. 66; Hien/Böhm/Claudi-Böhm/Krämer/Kohlhaas, Diabetes Handbuch, 7. Aufl. 2013,
S. 86, wonach der von der American Diabetes Association in Vorschlag gebrachte Wert von 70 mg/dl eher zu hoch gegriffen sein dürfte; Balteshofer/Claussen/Häring/et. al., Endokrinologie und Diabetes, 2009, S 154 [50 mg/dl]; Lentze/Schaub/Schulte/Spranger, Pädiatrie, 3. Aufl. 2007, S 340 [50 mg/dl] Götsch [Hrsg.], Allgemeine und spezielle Krankheitslehre, 2. Aufl. 2011,
S. 360 [(40 mg/dl]; allgemein zur Hypoglykämie
vgl. Siegenthaler/Blum [Hrsg.], Klinische Pathophysiologie, 9. Aufl. 2006,
S. 95). Bislang konnten freilich, insbesondere dank der Aufmerksamkeit der Eltern der Klägerin durch Interventionen - durch Gabe von (flüssigem) Traubenzucker (so die Mutter der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung) oder sonstigen Maßnahmen wesentliche Auswirkungen der Unterzuckerung vermieden werden konnten. Es sind bislang keine akut notwendigen Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte wegen eines hypoglykämischen Schocks objektiviert. Diese Tatsache ist bei der Frage nach der Höhe des
GdB durchaus zu berücksichtigen (
vgl. dazu SG Aachen Urteil vom 27.10.2015 -
S 12 SB 272/15 = juris, bestätigt durch
LSG NRW Urteil vom 09.06.2017 -
L 21 SB 400/15 = juris). Allerdings ist dieser Aspekt nach Auffassung der Kammer nur ein Teilaspekt, der bei der Frage nach dem vorliegen gravierender Einschränkungen zu beachten ist.
Ein anderer Aspekt ist, dass die konkrete Einstellung des Diabetes bei der Klägerin mit erheblichen - über das normale Maß eines Erwachsenen hinausgehenden - Schwierigkeiten verbunden ist. Die Kammer verkennt hierbei nicht, das bei der Bewertung des
GdB bei Kindern grundsätzlich kein anderer Maßstab gilt als bei Erwachsenen. Dies ergibt sich normativ schon aus § 241
Abs. 5
SGB IX in Verbindung mit § 30
Abs. 1 Satz 4 BVG (so auch
LSG NRW Urteil vom 17.06.2004 -
L 7 SB 101/03 = juris Rn. 21, freilich noch zu den Vorgaben der
AHP). Die Tatsache, dass sich bestimmte Beeinträchtigungen bei Kindern aber schon faktisch anders darstellen, muss gleichwohl bei der Frage nach der konkreten Teilhabebeeinträchtigung gestellt werden. Denn die konkrete Teilhabebeeinträchtigung bestimmt letztlich die Höhe des
GdB. Die Kammer verkennt auch nicht, dass das von der Klägerin verwendete Flash Glukose Monitoring System Free Style Libre durchaus mit Vorteilen für den Patienten verbunden ist. Es erlaubt eine dichtere Kontrolle des Blutzuckerspiegels ohne die Notwendigkeit einer häufigen invasiven (blutigen) Messung (
vgl. zur Bewertung der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung (CGM) mit Real-Time Messgeräten bei insulinpflichtigem Diabetes auch den Abschlussbericht des vom Gemeinsamen Bundesausschuss beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Auftrag gegebenen entsprechenden Gutachten vom 21.05.2015 abrufbar unter https://www.iqwig.de/de/projekte-ergebnisse/projekte/nichtmedikamentoese-verfahren/d12-01-kontinuierliche-interstitielle-glukosemessung-cgm-mit-real-time-messgeraten-bei-insulinpflichtigem-diabetes-mellitus.3258.html). Es ist aber nach Auffassung der Kammer durchaus zu berücksichtigen, dass die der Klägerin zur Verfügung stehenden Hilfsmittel eben nicht für den Gebrauch bei Kindern speziell konzipiert und designed worden sind, sondern letztlich dem Markt der Hilfsmittel für Erwachsenen entstammen. Dies hat schon im Hinblick auf die Größe und Handlichkeit stärkere Nachteile für die sechsjährige Klägerin, die bei der Untersuchung bei
Dr. T ein Körpergewicht von 17,7
kg bei einer Größe von 114
cm hatte. Das hier schon im Hinblick auf Körpergröße und -gewicht Unterschiede zu erwachsenen Träger entsprechender Diabetes-Hilfsmittel bestehen, ist nach Auffassung der Kammer evident. Darüber hinaus ist vor diesem Hintergrund auch zu berücksichtigen, dass der tägliche
bzw. zweitägliche Wechsel des Katheters und der alle sieben Tage erforderliche Wechsel des Sensors im Hinblick auf Alter und Gewicht der Kläger belastender ist, als dies für einen erwachsenen oder auch jugendlichen Patienten wäre. Trotz der intensiven Bemühungen der Eltern, woran die Kammer keinen Zweifel hat, sind aufgrund des Alters und der Tätigkeitsprofils der Klägerin auch weiterhin recht stark schwankende Blutzuckerwerte, mit den damit einhergehenden somatischen und psychischen Folgen für die Klägerin festzustellen. Gerade hierin unterscheidet sich die Klägerin auch von älteren Personen in einer ähnlichen Situation. Mit der Dauer der Erkrankung und dem zunehmenden Entwicklungsgrad der Patienten steigt die Fähigkeit, Entwicklungen des Blutzuckers zu spüren und hierauf adäquat zu reagieren.
Dr. T. hat festgestellt, dass die Klägerin zwar durchaus in der Lage ist, eine Hypoglykämie-Entwicklung zu spüren. Sie kann aber ohne Hilfe darauf nicht adäquat reagieren und überdies finden sich gleichwohl häufiger die bereits oben erwähnten Unterzuckerungen. Gerade diese bestehenden Schwierigkeiten in der Feinjustierung - trotz umfassender Aufsicht - ist zu berücksichtigen. Ein Teil dieser benannten umfassenden Aufsicht ist auch die Tatsache, dass die Klägerin auch nachts durchaus regelmäßig blutig den Blutzucker gemessen bekommt. Auch dies ist nach Auffassung der Kammer ein Aspekt, der als gravierend zu bezeichnen ist. Zwar verkennt die Kammer auch hier nicht, dass häufige Messungen, die der Vorsicht um die Gesundheit geschuldet sind und medizinisch nicht notwendig sind als irrelevant für die Bewertung des
GdB angesehen werden (
LSG NRW Urteil vom 09.06.2017 - L 21 SB 400/15 = juris Rn. 28 unter Hinweis auf
LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 23.11.2016 -
L 13 SB 112/14 = juris Rn. 17). Im vorliegenden Fall geht die Kammer nach dem Ergebnis der Ermittlungen aber davon aus, dass im Hinblick auf sich als schwierig erweisende Einstellung und das kindliche Alter der Kläger durchaus eine entsprechende Notwendigkeit ergibt. Dass das blutige Messen hierbei nicht "mitten in der Nacht" sondern am späten Abend erfolgt ist nach Auffassung der Kammer unerheblich. Die Klägerin geht als sechsjährige früh zu Bett und wird dann nachts mit den Messungen und den
ggf. erforderlichen Nahrungsgaben aus dem Schlaf gerissen, was nach Auffassung der Kammer auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin nunmehr die Grundschule besucht durchaus eine starke Teilhabebeeinträchtigung darstellt (
vgl. zu dieser Thematik auch
LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 15.12.2016 -
L 13 SB 232/14 = juris, freilich zu einer berufstätigen Klägerin).
In einer Gesamtabwägung kommt die Kammer unter Berücksichtigung der Tatsache, dass zwar ein notfallärztliches Eingreifen bislang nicht erforderlich war und Folgeerkrankungen nicht vorliegen auf der einen und den besonderen Belastungen, die die Klägerin konkret treffen, auf der anderen Seite zu der Einschätzung, dass vorliegend auch das -restriktiv auszulegende - Tatbestandsmerkmale einer erheblichen Teilhabebeeinträchtigung durch gravierende Einschnitte bei der Klägerin derzeit vorliegt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Feststellung des
GdB den Zeitraum bis zur mündlichen Verhandlung erfasst. Wie sich die Erkrankung in der Folgezeit entwickelt ist für keinen der Beteiligten - und auch nicht das Gericht - derzeit abzuschätzen. Es kann sein, dass bestimmte Aspekte, die momentan als besonders belastend anzusehen sind, mit der Zeit weniger ins Gewicht fallen. Es können freilich auch andere Erkrankungen hinzukommen. Hierüber war durch das Gericht derzeit freilich nicht zu entscheiden.
Nach Auffassung der Kammer war der
GdB auch rückwirkend ab Diagnosedatum festzustellen. Dies hatten schon die ärztlichen Berater des Beklagten im Verwaltungsverfahren befürwortet. Nach Auffassung der Kammer sind die anspruchsbegründenden Tatsachen bereits ab diesem Zeitpunkt als hinreichend sicher anzunehmen.
II.
Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens H.
In den Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen H einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b Einkommenssteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist,
vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung. Entsprechend § 33b
Abs. 6 Satz 3 EStG ist derjenige als hilflos anzusehen, der infolge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe häufiger und wiederkehrender Verrichtungen und zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Von der tatbestandlich vorausgesetzten "Reihe von Verrichtungen" kann - entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - regelmäßig erst dann ausgegangen werden, wenn es sich "um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen" (
BSG, Urteil vom 24.11.2005 -
B 9a SB 1/05 R = juris). Der Umfang der wegen der Behinderung notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen muss erheblich sein. Dabei ist in der Regel auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen (
vgl. BSG, a.a.O.). Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung (
vgl. § 15 SGB IX) ist die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen (
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.06.2007,
L 8 SB 1421/06;
vgl. auch
BSG, a.a.O.). Nicht hilflos ist danach jedenfalls, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Auch bei darüber hinausgehendem Zeitaufwand sind danach indes nicht zwingend die Voraussetzungen der Hilflosigkeit gegeben. Vielmehr ist der tägliche Zeitaufwand für die Hilfeleistung erst dann für sich allein genommen erheblich, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht (
vgl. zu alledem
BSG, a.a.O.). Bei einem Hilfebedarf zwischen einer und zwei Stunden ist bei der Frage der Erheblichkeit auf weitere Umstände, insbesondere den wirtschaftlichen Wert abzustellen. Insbesondere für den Fall einer hohen Anzahl von Verrichtungen
bzw. deren ungünstiger zeitlicher Verteilung, ist auch bei einem Hilfebedarf von zwischen einer und zwei Stunden von dessen Erheblichkeit auszugehen (
vgl. BSG, a.a.O.;
LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Die notwendige Bereitschaftszeit einer Hilfsperson ist hierbei dann berücksichtigungsfähig, wenn die Hilfsperson dadurch zeitlich und örtlich ebenso beansprucht werde, wie bei körperlicher Hilfeleistung (
vgl. (
BSG Urteil vom 12. Februar 2003,
B 9 SB 1/02 R = juris). Ergänzend und klarstellend zu dieser gesetzlichen Ausgangslage führt
Teil A Ziffer 5 lit d) jj) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze aus, das beim Diabetes mellitus Hilflosigkeit bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen ist. Vor diesem Hintergrund hatte der Beklagte auch bereits die Hilflosigkeit im Sinne des § 33b EStG bei der Klägerin festgestellt. Die Eintragung des Merkzeichens H auf dem Ausweis der Kläger scheiterte bislang aber daran, dass der Beklagte davon ausging, die Klägerin habe keinen
GdB von 50 und seit mithin nicht schwerbehindert im Sinne des § 3
Abs. 1
Nr. 2 der Schwerbehindertenausweisverordnung.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193
SGG.