Urteil
Voraussetzungen einer Entziehung des Merkzeichens H im Schwerbehindertenrecht

Gericht:

LSG Niedersachsen-Bremen 10. Senat


Aktenzeichen:

L 10 SB 111/17


Urteil vom:

28.03.2019


Grundlage:

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 14. Juni 2017 wird zurückgewiesen. Das beklagte Land hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren um die Entziehung des Merkzeichens H nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX).

Bei der 1996 geborenen Klägerin war mit Bescheid vom 20. Januar 2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie - unbefristet - das Merkzeichen H festgestellt worden. Als Funktionsstörung hatten dem "autistische Störungen" zugrunde gelegen.

Bereits in den Jahren 2012/2013 hatte das beklagte Land versucht, den bei der Klägerin festgestellten GdB herabzusetzen und ihr das Merkzeichen H zu entziehen. In diesem Zusammenhang waren diverse therapeutische und ärztliche Unterlagen über die Klägerin beigezogen worden. Auf diese Unterlagen, wie sie sich im Verwaltungsvorgang finden, wird Bezug genommen. Diesen Versuch der Entziehung beendete das beklagte Land mit Abhilfebescheid vom 20. November 2013. Darin heißt es im Verfügungssatz:

"Wie bisher beträgt der Grad der Behinderung (GdB) 50.

Das Merkzeichen H wird wie bisher festgestellt."

Im Zuge des im Jahre 2014 erneut eingeleiteten Neufeststellungsverfahrens gelangte zunächst ein Entwicklungsbericht des Autismus-Therapie- und Beratungszentrums vom 31. März 2014 zum Vorgang. Darin wird unter anderem über Fortschritte der Klägerin im therapeutischen Prozess berichtet. Weiter wird aber auch mitgeteilt, die Klägerin könne nach wie vor autonom keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. In einer ersten Auswertung gelangte der Ärztliche Dienst des beklagten Landes am 23. Juni 2014 zu dem Ergebnis, es läge keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen vor, jedoch sei das Merkzeichen H nach dem Erreichen des 18. Lebensjahres nicht mehr festzustellen.

Sodann gelangte noch ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen Niedersachsen vom 20. Mai 2014 zum Vorgang. Daraus lässt sich - unter anderem - entnehmen, dass bei der Klägerin nach wie vor eine Einschränkung der Alltagskompetenz in ganz erheblichem Maße vorliegt. Auch ein Bescheid der Niedersächsischen Landesschulbehörde vom 30. Juni 2014 wurde zu den Akten gereicht. In einer Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes des beklagten Landes (vom 3. November 2014 - Dr. H.) heißt es: " können unter Würdigung des Pflegebedürftigkeitsgutachtens (die) Voraussetzungen für die Annahme des Merkzeichens H im Sinne der VMG Teil A Nummer 4 c als erfüllt angenommen werden. Es wird vorgeschlagen das Merkzeichen H auch ab Vollendung des 18. Lebensjahres also ab Juni 2014 zuzuerkennen." In einer weiteren Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes (Dr. I. unter dem 19. Dezember 2014) heißt es: "Der Stellungnahme kann nicht gefolgt werden. Hilflosigkeit im Sinne der Versorgungsmedizin-Verordnung liegt nicht mehr vor. Die Besonderheiten, die mit dem Nachteilsausgleich H bei Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden, finden nach Vollendung des 18. Lebensjahres keine Berücksichtigung mehr. Wie bisher bestehen geringe bis mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten, sodass ein GdB von 50 weiterhin zutreffend ist, jedoch nicht mehr der Nachteilsausgleich H."

Daraufhin hob das beklagte Land mit hier angefochtenen Bescheid vom 24. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2015 den Bescheid vom 20. November 2013 insoweit auf, als ab April 2015 das Merkzeichen H entzogen wurde. Der Bescheid vom 20. Januar 2010 wurde in diesem Bescheid nicht in Bezug genommen.

Am 7. August 2015 ist Klage erhoben worden.

Das Sozialgericht (SG) Braunschweig zog einen Befundbericht der Kinder - und Jugendpsychiaterin J. vom 4. April 2016 sowie einen Entwicklungsbericht vom 30. März 2016 bei. Sodann veranlasste es die Untersuchung der Klägerin durch Dr. K. (Gutachten vom 2. September 2016). Dieser hat die Klägerin im häuslichen Umfeld aufgesucht und sich auch ausführlich mit den Eltern der Klägerin ausgetauscht. Er hat darauf hingewiesen, die in dem vorliegenden Pflegegutachten berücksichtigten Zeiten seien sehr knapp bemessen. Sodann hat er die persönlichen Voraussetzungen der Klägerin mit den Voraussetzungen, wie sie in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) für die Zuerkennung des Merkzeichens H für Erwachsene niedergelegt sind, abgeglichen und ist zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens. Zur Stützung seines Ergebnisses hat er auf eine Parallelwertung mit Blinden und auf die Praxis bei Gehörlosen hingewiesen.

Das SG hat den Bescheid des beklagten Landes vom 24. März 2015 in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2015 gefunden hat, mit Urteil vom 14. Juni 2017 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf hingewiesen, es sei keine wesentliche Änderung eingetreten, die die Aufhebung des das Merkzeichen H bewilligenden Verwaltungsaktes rechtfertige. Die Klägerin benötige im gesamten Tagesverlauf Hilfestellungen. Diese Hilfestellungen hätten sich hinsichtlich ihrer Häufigkeit und Regelmäßigkeit gegenüber der letzten Feststellung nicht wesentlich geändert. Sie seien auch weiterhin als erheblich zu werten und rechtfertigten daher nach wie vor die Feststellung des Merkzeichens H - auch über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus.

Gegen das am 18. Juli 2017 zugestellte Urteil hat das beklagte Land am 1. August 2017 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 24. Juli 2017 Bezug genommen. Darin heißt es, die Ausführungen des erstinstanzlichen Sachverständigen belegten eine relative Unkenntnis bezüglich versorgungsmedizinischer Einschätzungen. Es werde empfohlen, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Unstrittigerweise bestehe ein gewisser Hilfebedarf für einige Verrichtungen des täglichen Lebens. Der Umfang sei allerdings keineswegs als so erheblich anzusehen, dass die Feststellung von Hilflosigkeit auch nach dem 18. Lebensjahr in Frage käme.

Das beklagte Land beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 14. Juni 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die erstinstanzliche Entscheidung und verteidigt sie.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts einen von den Eltern der Klägerin erstellten Tagesablauf der Klägerin für die Zeit bei Erlass des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2015 beigezogen. Hierzu hat das beklagte Land eine neue versorgungsärztliche Stellungnahme vom 11. März 2018 vorgelegt.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Rechtsweg:

SG Braunschweig, Urteil vom 14.06.2017 - S 23 SB 294/15

Quelle:

Justizportal des Landes Niedersachsen

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet in Anwendung von § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das SG hat den Bescheid des beklagten Landes vom 24. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2015 zu Recht aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat nach wie vor Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens H.

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist eine isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG gegen einen belastenden Verwaltungsakt. Daher bezieht sich die Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 10. Juli 2015 (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 13. August 1997, Az.: 9 RVs 10/96, SozR 3-3870 § 4 Nr. 21). Bei dem angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides handelt es sich um einen Entziehungsbescheid in Anwendung von § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Als wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes gilt, wobei dies sowohl hinsichtlich der Besserung als auch der Verschlechterung anzunehmen ist, jedenfalls eine Veränderung, die es erforderlich macht, ein Merkzeichen zu entziehen.

Der Senat hat sich angesichts der Formulierung der zuletzt ergangenen Bescheide, die Auffassung gebildet, dass der Rechtmäßigkeit des im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheides des beklagten Landes vom 24. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2015 nicht schon die Bestandskraft des Feststellungsbescheides vom 20. Januar 2010 entgegensteht. Die Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes muss in Anbetracht der Klarstellungs- und Warnfunktion gegenüber dem Adressaten, dem deutlich gemacht werden soll, dass in seine Rechte eingegriffen wird, ausdrücklich und unmissverständlich erfolgen (LSG Niedersachsen Bremen Urteil vom 25. Mai 2016 - L 13 SB 86/14; Urteil vom 26. September 2018 - insoweit veröffentlicht in juris auch zum Nachstehenden; vgl. dazu auch Steinwedel in jurisPR-SozR 6/2019 Anm. 2). Die Neufeststellung des GdB durch die Versorgungsverwaltung bedarf damit grundsätzlich neben der Neufeststellung des GdB für die Zukunft selbst gleichzeitig einer Aufhebungsentscheidung hinsichtlich des bisher geltenden Feststellungsbescheides. Der im hiesigen Berufungsverfahren angefochtene Bescheid vom 24. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2015 hat den Bescheid vom 20. Januar 2010 nicht erwähnt, sondern lediglich den Abhilfebescheid vom 20. November 2013. Dies war hier aber auch nicht erforderlich, da der Abhilfebescheid in der hier vorliegenden Konstellation durch die Formulierung "wie bisher" für den Senat in hinreichender Weise deutlich gemacht hat, dass er eigene regelnde Wirkung entfalten will.

In dem Bescheid vom 20. November 2013 ist der GdB weiter auf 50 sowie das Merkzeichen H unbefristet festgestellt worden. In der Zeit zwischen Erlass dieses Bescheides und dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2015 ist bezüglich des Merkzeichens H keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten.

Selbst wenn angenommen wird, dass im Erreichen des 18. Lebensjahres eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse im Sinne von § 48 SGB X liegt, bedeutete dies jedoch nicht, dass ab dem Erreichen dieses Lebensjahres automatisch das Merkzeichen H zu entziehen wäre. Stattdessen ist jeweils zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens H nach allgemeinen Maßstäben (vgl. Teil A Nr. 4 VMG) zu bejahen sind (vgl. zum Folgenden schon LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 4. Dezember 2018 - L 5 SB 128/15).

Gemäß § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG in der im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides maßgeblichen, ab 1. September 2009 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 2009 (BGBl I 2009, Nr. 68, S. 3366 ff.) ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind schon erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 3 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33b Abs. 6 Satz 4 EStG). Bei den gemäß § 33b Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren (BSG, Urteil vom 24. November 2005, B 9a SB 1/05 R, SozR 4-3250 § 69 Nr. 3). Berücksichtigungsfähig sind Verrichtungen dabei zunächst in den auch von der Pflegeversicherung erfassten Bereichen der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung); die Verrichtungen in diesen Bereichen werden unter dem Begriff der sog. Grundpflege zusammengefasst. Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des BSG jene Verrichtungen, die in den Bereichen der psychischen Erholung, geistigen Anregung und der Kommunikation (hier insbesondere Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen) anfallen, während Verrichtungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht eingeschlossen sind (vgl. zum Vorstehenden BSG, Urteil vom 24. November 2005, a.a.O.).

Hinsichtlich des Ausmaßes des in § 33b EStG angesprochenen Hilfebedarfs in Bezug auf die genannten Verrichtungen ist davon auszugehen, dass die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" regelmäßig erst angenommen werden kann, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2005, a.a.O.). Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Behinderten nur mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein. Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung hält es das BSG für sachgerecht, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2005, a.a.O.). Gemessen an diesem Maßstab ist nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus ergibt sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist; vielmehr ist ein täglicher Zeitaufwand - für sich genommen - erst dann als hinreichend erheblich anzusehen, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht (BSG, Urteil vom 24. November 2005, a.a.O.). Um den individuellen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, ist aber nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen; vielmehr kommt auch weiteren Umständen der Hilfeleistung, insbesondere deren wirtschaftlichem Wert, Bedeutung zu. Dieser Wert wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen bestimmt; er ist gerade im Blick auf die Zahl der Verrichtungen bzw. auf eine ungünstige zeitliche Verteilung der Hilfeleistungen von Bedeutung. Diese typisierenden Grundsätze gelten auch bei der Beurteilung, welche Bedeutung dem Kommunikationsdefizit zukommt und ob bei kommunikationsbezogenen Verrichtungen in erheblichem Umfang fremde Hilfe erforderlich wird (BSG, Urteil vom 24. November 2005, a.a.O.).

Diese Grundsätze berücksichtigend, teilt der Senat die Auffassung des SG in seiner angefochtenen Entscheidung vom 14. Juni 2017, dass bei der Klägerin nach wie vor ein ganz erheblicher Bedarf an Unterstützung auch im Sinne von Abschnitt A 4 der VMG vorliegt.

Der Senat stützt diese Feststellung zunächst auf die Auswertung des Gutachtens von Dr. K. sowie der anderen in den zur Verfügung stehenden Unterlagen enthaltenen medizinischen und therapeutischen Äußerungen. Dr. K. hat die Klägerin anlässlich seiner Begutachtung in ihrer häuslichen Umgebung aufgesucht und auch ein längeres Gespräch mit den sie betreuenden Eltern geführt. Er hat auch für den Senat überzeugend darauf hingewiesen, dass die im Pflegegutachten genannten Zeiten zu eng bemessen sind. Er hat weiter zutreffend darauf aufmerksam gemacht, dass die Klägerin weiterhin und in ganz erheblichem Umfang infolge einer Antriebsschwäche bzw. weil sie die Notwendigkeit der fraglichen Handlungen nicht zu erkennen vermag (vergleiche insoweit Abschnitt A 4 c Satz 3 der VMG) zwar der Hilfe bei zahlreichen Verrichtungen nicht unmittelbar bedarf, sie aber ohne ständige Überwachung und Erinnerung durch ihre Eltern nicht vornähme. Eben solche Überwachungstätigkeiten haben aber auch die VMG in dem soeben zitierten Abschnitt im Blick. Insoweit darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin nicht nur im elterlichen Haushalt einer solchen Sonderbetreuung bedurfte, sondern auch in der Schule durch die Lehrer und Mitschüler, was als weiterer Zeitaufwand zu berücksichtigen ist. Dies ergibt sich für den Senat auch aus dem Bescheid der Niedersächsischen Landesschulbehörde vom 30. Juni 2014 über die Notwendigkeit sonderpädagogischer Unterstützung (Bl. 140 des Verwaltungsvorgangs), in dem zusätzlicher sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wird. Dies wird auch bestätigt durch die fachärztliche Bescheinigung der Kinder- und Jugendpsychiaterin J. vom 16. März 2015. Ähnliche Feststellungen lassen sich dem Entwicklungsbericht des ATBZ vom 30. März 2016 (Blatt 53 ff der Gerichtsakte) entnehmen. Dieser Bericht weist schon einleitend darauf hin, es habe im Berichtszeitraum keine gravierenden Veränderungen gegeben. Die die Klägerin über längere Zeit betreuende Pädagogin hat in diesem Entwicklungsbericht für den Senat eindrucksvoll darauf hingewiesen, dass jede Entscheidung, die die Klägerin treffen muss - und sei es nur die Frage was eingekauft werden muss - mit der Klägerin sorgfältig vorbereitet werden muss. Nur durch eine solche gute Vorbereitung kann es der Klägerin gelingen, einkaufen zu gehen. Es leuchtet unmittelbar ein, dass damit ein ganz erheblicher Zeitbedarf verbunden ist. Die Pädagogin führt weiter aus, wenn etwas nicht eindeutig sei, verfalle die Klägerin direkt wieder in ihre Verunsicherung. In einer solchen Situation sei sie nicht in der Lage, Eigeninitiative zu zeigen. Die Pädagogin hat auch deutlich gemacht, wie sehr die Familie der Klägerin gefordert ist, um auch kleinere Entscheidungen, die die Klägerin betreffen, hinreichend und den Erfordernissen der Klägerin entsprechend vorzubereiten und zu begleiten. Der Klägerin ist auch nach wie vor eine auch nur ansatzweise spontane Kommunikation mit anderen Menschen nicht möglich. All dies hat Dr. K. in seinem Gutachten für den Senat nachvollziehbar bestätigt. Für den Senat ergibt sich also insgesamt das Bild, dass die Klägerin nach wie vor im alltäglichen Leben vielfach der Unterstützung und des spezifischen Eingehens auf ihre Besonderheit bedarf. Hierzu passt auch der Tagesablaufbericht, den die Mutter der Klägerin dem Senat auf Aufforderung im Hinblick auf den zugrunde zu legenden Zeitpunkt zur Verfügung gestellt hat. Dabei fällt als weiterer Aspekt auf, dass die zu erbringenden Unterstützungsleistungen über den gesamten Tag verteilt sind und nicht gleichsam komplett als Block zu erbringen sind. Auch auf diesen Gesichtspunkt weist das BSG in seiner zitierten Entscheidung ausdrücklich hin. In diesem Zusammenhang fällt weiter ins Gewicht, dass die Familie der Klägerin ständig erreichbar sein muss, um bei unerwarteten Situationen eingreifen zu können (vgl. dazu Abschnitt A 4 b letzter Halbsatz der VMG).

Auch unter Berücksichtigung der Voraussetzungen des Abschnitts A 4 der VMG kann der Senat also nicht feststellen, dass es bei der Klägerin im Zeitverlauf zu einer so wesentlichen Änderung gekommen ist, dass ihr das Merkzeichen H in Anwendung von § 48 SGB X zu entziehen wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung von §§ 183, 193 SGG.

Grund für die Zulassung der Revision in Anwendung von § 160 Abs. 2 SGG besteht nicht.

Referenznummer:

R/R8362


Informationsstand: 18.10.2019