Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Zurecht hat das beklagte Land die Vorverlegung der Feststellungen eines
GdB von 50 auf einen Zeitpunkt vor Juli 2001 abgelehnt.
Das beklagte Land hat mit bestandskräftigem Bescheid vom 04.01.2002 bei dem Kläger einen
GdB von 30 ab 18.09.2001 festgestellt. Dabei hat es sich zurecht an dem Zeitpunkt der Antragstellung orientiert, denn bei der Feststellung des
GdB handelt es sich um eine Statusfeststellung (
BSG, Urteil vom 29.05.1991,
9a/9 RVs 11/89 = SozR 3-1300, § 44
Nr. 3). Eine solche Statusfeststellung kann sich grundsätzlich nur in der Zukunft auf die Gestaltung verschiedener Rechtsverhältnisse auswirken. Die Nebenfolgen (
z.B. steuerrechtliche Vorteile) sind nur eine der möglichen Folgen des feststellenden Verwaltungsaktes. Sie prägen das sozialrechtliche Statusverfahren nicht. Die Statusfeststellung und die Statusänderungen wirken prinzipiell in die Zukunft. Eine beschränkte Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Antragstellung gemäß § 6
Abs. 1 Satz 1
SchwbG-AwVO trägt dem Interesse der schwerbehinderten Menschen daran Rechnung, dass sie nicht durch die Dauer eines Verwaltungsverfahrens unzumutbar benachteiligt werden. Die weitere Rückwirkung des Antrages, wie sie in § 6
Abs. 1 Satz 2
SchwbG-AwVO vorgesehen ist, muss auf offenkundige Fälle beschränkt werden (für alles
BSG a.a. O.).
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zurecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, gemäß § 44
Abs. 1
SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Im übrigen ist gemäß § 44
Abs. 2
SGB X ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt auch, nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Nach der Rechtsprechung des
BSG (a.a.O.) findet § 44
Abs. 1
SGB X auf bestandskräftige Bescheide über die Feststellung eines
GdB keine Anwendung, denn bei der Feststellung des
GdB handelt es sich nicht um die Feststellung einer sozialrechtlichen Leistung. Bestandskräftige, rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte über die Feststellung eines
GdB sind daher grundsätzlich nur gemäß § 44
Abs. 2 Satz 1
SGB X mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Die Rücknahme auch für die Vergangenheit steht gemäß § 44
Abs. 2 Satz 2
SGB X im Ermessen der zuständigen Behörde (
BSG a.a.O.). Die weitere Rückwirkung des Antrags, wie sie in § 6
Abs. 1 Satz 2
SchwbG-AwVO vorgesehen ist, muss nach den vom
BSG entwickelten Grundsätzen (
BSG a. a.O.) auf offenkundige Fälle beschränkt werden, in denen auch bei Anwendung des § 44
Abs. 2
SGB X das pflichtgemäße Ermessen die rückwirkende Aufhebung gebieten könnte. Die Rücknahme kann nicht zwingend angeordnet werden, sondern ist auf die Fälle zu beschränken, in denen die Rücknahme Dritte nicht oder nicht unzumutbar belastet (
BSG a.a.O.).
In den angefochtenen Bescheiden hat das beklagte Land den Ursprungsbescheid vom 04.01.2002 dahingehend geändert, dass es statt eines
GdB von 30 einen solchen von 50 ab Antragstellung am 18.09.2001 festgestellt hat. In Anwendung von § 6
Abs. 1 Satz 2
SchwbG-AwVO hat es im Ausweis eingetragen, dass Gültigkeit auf Feststellung eines
GdB von 50 bereits ab 01.07.2001 bestehe. Diese Entscheidung nach § 44
Abs. 2 Satz 2
SGB X ist nicht zu beanstanden. Die Feststellung des
GdB von 50 rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung entspricht der gesetzlichen Regelung in
§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wonach auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen des
GdB festzustellen ist. Eine gesetzliche Grundlage für die Feststellung des
GdB bereits für die Zeit vor Antragstellung gibt es nicht. Lediglich in § 6
Abs. 1 Satz 2
SchwbG-AwVO ist vorgesehen, dass unter den dort genannten Voraussetzungen im Ausweis zusätzlich das Datum einzutragen ist, von dem ab die jeweiligen Voraussetzungen mit dem Ausweis nachgewiesen werden können. Eine Eintragung eines früheren Zeitpunktes im Ausweis, von dem ab die jeweiligen Voraussetzungen mit dem Ausweis nachgewiesen werden könnten, ist nicht möglich. Sie ist - wie ausgeführt - auf offenkundige Fälle zu beschränken. Schon daran fehlt es hier.
Ausweislich der Bescheinigung über Arbeitsunfähigkeitszeiten der Techniker Krankenkasse E vom 20.04.2004 ist der Kläger erstmals am 12.07.2001 wegen seiner Herzerkrankung arbeitsunfähig geworden. Die letzte Arbeitsunfähigkeit vor dem 12.07. 2001 lag in der Zeit vom 24. bis 26.08.1998 und betraf ein Halswirbelsäulensyndrom. Alle weiteren davor seit der Zeit vom 15.07.1987 bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeiten betreffen ebenfalls keine Herzerkrankung. Tatsächlich hat sich der Kläger auch erstmals im Juli 2001 wegen seiner Herzerkrankung in ärztliche Behandlung begeben. Auch die Bluthochdruckerkrankung hat nicht langjährig bestanden. Nach der im Reha-Entlassungsbericht der Klinik X mitgeteilten Eigenanamnese hat der Kläger dort angegeben, die arterielle Hypertonie sei seit
ca. einem Jahr bekannt, also seit
ca. November 2000. Aus dem Vorliegen einer arteriellen Hypertonie kann jedoch nicht zwingend auf das Vorliegen einer Herzerkrankung geschlossen werden. Die Dres. O, bei denen der Kläger ausweislich der von ihm gemachten Angaben im Fragebogen über ärztliche Behandlungen und Untersuchungen seit
ca. 1983 in Behandlung ist, haben in ihrem Befundbericht an das Gericht vom 10.05.2005 mitgeteilt, dass die Erstbehandlung wegen der Herzbeschwerden am 02.07.2001 mit ersten Hinweisen auf dekompensierte Herzinsuffizienz erfolgt sei. Zwar wird in dem Bericht des Allgemeinmediziners
Dr. Br vom 06.09.1995 eine arterielle Hypertonie bereits erwähnt. Dieser Bericht ist auch den Dres. O übersandt worden, die den Kläger in der Folgezeit behandelt haben, ohne dass die Behandlung der Hypertonie Hinweise auf eine Herzerkrankung gegeben haben. Das Erfordernis der Offenkundigkeit schließt nach Ansicht des Gerichtes der Versuch einer Sachaufklärung durch Einholung eines medizinischen Gutachtens aus. Dabei lässt sich das Gericht von der Überlegung leiten, dass auch bei einer Krebserkrankung der für diese Erkrankung in den
AHP vorgesehene
GdB erst ab dem Zeitpunkt festzustellen ist, in dem das Vorliegen dieser Erkrankung gesichert ist (Bayrisches
LSG, L 15 SB 86/04, Urteil vom 30.06.2005). Nichts anderes kann nach Ansicht des Gerichts für alle anderen Behinderungen gelten, mithin auch für Herzerkrankungen, obwohl sich diese regelmäßig, ebenso wie Krebserkrankungen, über einen mehr oder weniger langen Zeitraum vor der Feststellung entwickeln.
Unabhängig davon setzt die zusätzliche Eintragung des Datums, von dem ab ein
GdB abweichend vom Datum der Antragstellung festgestellt werden kann, die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses des schwerbehinderten Menschen daran voraus, dass ein anderer Grad der Behinderung zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat. Es genügt mithin nicht jedes Feststellungsinteresse, sondern es muss ein solches sein, das die Interessen des Betroffenen über das allgemeine Feststellungsinteresse vergleichbarer Betroffener hinaushebt. Der Kläger begründet sein Begehren mit einem Hinweis auf § 236 a
SGB VI, nach dessen Satz 6 die Altersgrenze von 60 Jahren nicht angehoben wird für Versicherte, die bis zum 16.11. 1950 geboren sind und am 16.11.2000 schwerbehindert waren. Durch die Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft ab 15.11.2000 wäre der 1947 geborene Kläger im Sinne dieser Vorschrift begünstigt. Allerdings ist das Gericht der Auffassung, dass sich das Interesse des Klägers insoweit nicht vom Interesse aller bis zum 16.11.1950 geborenen unterscheidet. Durch eine frühere Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft werden in Zusammenhang mit § 236 a
SGB VI auch Wirkungen im Verhältnis zu am Verfahren nicht beteiligten Dritten ausgelöst. Ohne die begehrte Feststellung kann der Kläger nicht abschlagsfrei mit Vollendung des 60. Lebensjahres Altersrente für schwerbehinderte Menschen beziehen, mit der begehrten Feststellung wäre dies möglich. Betroffen durch die begehrte Feststellung ist mithin der für den Kläger zuständige Rentenversicherungsträger unmittelbar und mittelbar die gesamte Versichertengemeinschaft. Die Änderungen in den Möglichkeiten zum Bezug von Altersrente für schwerbehinderte Menschen sind eine Maßnahme zur Niedrighaltung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Diese werden konterkariert, wenn im Rahmen von Überprüfungsanträgen nach § 44
Abs. 2
SGB X Feststellungen getroffen werden, um einem schwerbehinderten Menschen die Möglichkeit zu geben, in den Genuss der Übergangsregelung von § 236 a
Abs. 6
SGB VI zu kommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.