Über die Klage konnte gemäß § 124
Abs. 2
SGG mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind in der Fassung des zuletzt ergangenen Bescheides vom 28. Juni 2006, mit dem der Gesamt
GdB auf 50 festgesetzt wurde, rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte letztlich die zwischenzeitliche Rückstufung der Klägerin auf einen Gesamt
GdB von 40 wieder zurückgenommen, die Zuerkennung eines höheren
GdB, den die Klägerin nach wie vor geltend macht, jedoch abgelehnt.
Gemäß
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind gemäß
§ 69 Abs. 1 Satz 3 und 4 und Abs. 3 SGB IX abgestuft als Grad der Behinderung in 10er Graden von 20 bis 100 entsprechend den Maßstäben des § 30
Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz in Verbindung mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil II
SGB XI)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (derzeit Ausgabe 2005 -
AHP 2005, im wesentlichen gleich lautend mit Ausgabe 2004), die als antizipierte Sachverständigengutachten normähnlichen Charakters gelten, festzustellen. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so sind die Einzel-
GdB in Graden anzugeben. Für die Bildung des Gesamt-
GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69
Abs. 3
SGB XI die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach
Nr. 19
AHP 2005 (Seite 24
ff.) die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet.
Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-
GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten
GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Dabei führen grundsätzlich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen
GdB-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem
GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (
AHP 2005
Nr. 19,
Abs. 1, 3 und 4, Seite 24
ff.).
Unter Beachtung dieser Vorgaben kam die Zuerkennung eines höheren
GdB als 50 nicht in Betracht. Das Gericht schließt sich den umfassenden Ausführungen des von ihm gehörten Gutachters
Dr. T in dessen Gutachten vom 14. Mai 2006 und in dessen Rückäußerung vom 28. Juni 2006 an. Danach ist zunächst von einem Einzel
GdB von 40 für das Funktionssystem des Rumpfes, also insbesondere die Wirbelsäulenbeeinträchtigungen, auszugehen.
Das chronische Schmerzsyndrom mit Fehlverarbeitung hat
Dr. T durch die ausdrückliche Bezugnahme auf Seite 48 der
AHP 2005 ( "Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen", worunter auch somatoforme Störungen zu subsummieren sind) überzeugend mit einem Einzel
GdB von 30 bewertet, was den Vorgaben der Anhaltspunkte (
Nr. 26.3, Seite 48
AHP 2005) entspricht. Die daneben bestehenden Einschränkungen auf psychischem Gebiet, auf welche die Klägerin hinweist, führen nicht zu einem höheren Einzel-
GdB, weil diese durch die Gutachter
Dr. S (Gutachten vom 31. Mai 2001) und
Dr. S (Gutachten vom 24. September 2003) als leichte depressive Störung
bzw. psychovegetative Auffälligkeiten übereinstimmend und nachvollziehbar lediglich mit einem Einzel-
GdB von 10 bewertet worden sind; das Gericht schließt sich den Ausführungen dieser Gutachter an.
Entgegen der Auffassung der Klägerin und des von ihr benannten Gutachters
Dr. J war nicht zusätzlich zu diesen Beeinträchtigungen noch ein chronischer Schmerz mit eigenständigem Krankheitswert als Einzel
GdB und damit Gesamt
GdB erhöhend zu berücksichtigen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der auf Antrag der Klägerin nach § 109
SGG gehörte Gutachter
Dr. J das Gutachten des
Dr. T als umfassend und respektabel bezeichnet und als einzige Abweichung die Bewertung der Schmerzverarbeitungsstörung genannt hat.
Insbesondere bestand auch Einigkeit der beiden Gutachter in Bezug auf die Einstufung der Schmerzerkrankung als eine solche nach Stadium III nach Gerbershagen. Eine Einstufung als Erkrankung mit eigenständigem Krankheitswert im Sinne der Anhaltspunkte kommt jedoch nicht in Betracht; dies entspräche nicht den Vorgaben der Anhaltspunkte, die eine eigenständige Bewertung der Schmerzerkrankung nicht vorsehen. Vielmehr sind Einzel
GdB nach im Einzelnen genannten Funktionssystemen zu bilden (
AHP Nr. 18
Abs. 4, Seite 22
AHP 2005), wobei die Berücksichtigung von Schmerzen dahingehend geregelt ist, dass die in der
GdB Tabelle angegebenen Werte die üblicherweise vorhandenen Schmerzen einschließen und auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände berücksichtigen. Lediglich in den Fällen, in denen nach dem Sitz und dem Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende, eine spezielle ärztliche Behandlung erfordernde Schmerzhaftigkeit anzunehmen ist, können höhere Werte angesetzt werden (
AHP Nr. 18
Abs. 8, Seite 24
AHP 2005).
Es besteht kein Grund, von diesen Regelungen abzuweichen. Bei den
AHP handelt es sich nach höchstrichterlicher Rechtsprechung um antizipierte Sachverständigengutachten, deren Beachtlichkeit im konkreten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sich zum einen daraus ergibt, dass eine dem allgemeinen Gleichheitssatz entsprechende Rechtsanwendung nur dann gewährleistet ist, wenn die verschiedenen Behinderungen nach gleichen Maßstäben beurteilt werden; zum anderen stellen sie ein geeignetes, auf Erfahrungswerten der Versorgungsverwaltung und Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft beruhendes Beurteilungsgefüge zur Einschätzung des
GdB dar (
vgl. zu den Vorgängern der
AHP 2004/2005: BSGE 72, 285 = SozR 3- 3870 § 4
Nr. 6; BSGE 75, 176 = SozR 3-3870 § 3
Nr. 5;
BVerfG SozR 3-3870 § 3
Nr. 6). Die
AHP wirken insofern normähnlich. Ihre generelle Richtigkeit kann deshalb durch Einzelfallgutachten nicht widerlegt werden.
Sie sind allerdings - wie untergesetzliche Rechtsnormen - zu prüfen: auf ihre Vereinbarkeit mit Gesetz und Verfassung, auf Berücksichtigung des gegenwärtigen Kenntnisstandes der sozialmedizinischen Wissenschaft sowie auf Lücken in Sonderfällen, die wegen der individuellen Verhältnisse gesondert zu beurteilen sind. Die Gerichte sind jedoch ohne konkrete Hinweise nicht verpflichtet, breit gestreut die sozialmedizinischen Grundlagen der
AHP im Einzelnen zu erfragen und dann - ungezielt - nach etwa widersprechenden neueren Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft zu suchen. Sie können vielmehr davon ausgehen, dass der Ärztliche Sachverständigenbeirat - Sektion Versorgungsmedizin - regelmäßig die ihm gestellte Aufgabe erfüllt und bei jeder Ausgabe der
AHP sowie danach durch laufende Überarbeitung neue Erkenntnisse und Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen berücksichtigt (
vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 18. September 2003,
B 9 SB 3/02 R, SozR 4-3250 § 69
Nr. 2 = BSGE 91, 205).
Unter Beachtung dieser Vorgaben bestand kein Grund, von dem durch die Anhaltspunkte geregelten Weg zur Berücksichtigung von Schmerzzuständen abzuweichen. Insbesondere ist durch
Dr. J nicht aufgezeigt worden, dass die diesbezüglichen Regelungen der
AHP nicht mehr dem gegenwärtigen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft entsprächen; insoweit fehlt es an jeglichen Ausführungen.
Dr. J hat vielmehr nur aus sozialmedizinischer Sicht bei "ganzheitlicher" Betrachtung ausgeführt, dass eine eigenständige Würdigung von Schmerzen mit einem
GdB vorzugswürdig sei, weil nur dadurch der Bedeutung des Schmerzes hinreichend Rechnung getragen würde. Dies überzeugt nicht; es wurde kein nachvollziehbarer Grund genannt, weshalb Schmerzzustände nicht durch die Erhöhung der Einzel-GdBs für die verschiedenen Funktionssysteme hinreichend berücksichtigt werden.
Dr. T hat hierzu in seiner Rückäußerung vom 23. Oktober 2006 dementsprechend ausgeführt, dass es nicht sinnvoll sei, ein Schmerzsyndrom von der Begleiterkrankung zu trennen und dass maßgebend nur sein kann, ob die Schmerzerkrankung insgesamt in ihren Auswirkungen und Funktionsbeeinträchtigungen erkannt und berücksichtigt worden ist. Das Gericht schließt sich diesen überzeugenden Ausführungen an; es besteht kein Grund, weshalb den durchaus handhabbaren Vorgaben der Anhaltspunkte nicht gefolgt werden sollte, während eine eigenständige Berücksichtigung einer Schmerzkrankheit lediglich zu weiteren Abgrenzungsproblemen im Hinblick auf die somatische Grunderkrankung führen dürfte.
Abgesehen davon ist darauf hinzuweisen, dass auch bei Berücksichtigung einer eigenständigen Schmerzkrankheit hieraus vorliegend keine Erhöhung des Gesamt
GdB resultieren würde. Denn
Dr. T hat die Schmerzkrankheit zum einen im Rahmen der somatoformen Störung als psychische Beeinträchtigung mit einem Einzel
GdB von 30 bewertet. Zum anderen hat
Dr. T die besondere Schmerzhaftigkeit für den Wirbelsäulenbereich zusätzlich in dem Einzel
GdB von 40 berücksichtigt. Bei der Klägerin liegen nach den Feststellungen des
Dr. T im Bereich der Lendenwirbelsäule und im Bereich der Halswirbelsäule lediglich "leichte bis mäßige" Funktionsstörungen vor. Die Anhaltspunkte (
Nr. 26.18, Seite 116
AHP 2005) sehen einen Einzel
GdB von 30 bis 40 jedoch nur vor bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten, so dass leichte bis mäßige Funktionsstörungen lediglich zu einem wesentlich geringeren Einzel
GdB führen würden. Hieraus folgt, dass die besondere Schmerzhaftigkeit hier nochmals berücksichtigt worden ist. Die Zuerkennung eines Einzel
GdB für eine besondere Schmerzkrankheit müsste zur Vermeidung einer Dreifachberücksichtigung der Schmerzen daher zu einer Herabsetzung des Einzel
GdB für das Wirbelsäulenleiden und/oder die Somatisierungsstörung führen, so dass insgesamt hieraus kein höherer Gesamt
GdB als 50 resultieren würde.
Die Kopfschmerzen der Klägerin waren nicht
GdB-erhöhend zu berücksichtigen.
Dr. T hat nachvollziehbar den hierfür angesetzten Einzel
GdB von 10 anhand der ihm gegenüber gemachten Angaben über die Häufigkeit von Anfällen begründet. Dies entspricht den Vorgaben der Anhaltspunkte, nach denen auch eine echte Migräne bei leichter Verlaufsform (Anfälle durchschnittlich einmal monatlich) lediglich mit einem Einzel
GdB von 0 bis 10 und lediglich mittelgradige Verlaufsformen mit häufigen Anfällen, die jeweils einen oder mehrere Tage anhalten, mit einem Einzel
GdB von 20 bis 40 zu bewerten sind (
AHP Nr. 26.2, Seite 39). Einzel
GdB von 10 wirken sich nach den genannten Vorgaben der
AHP (
AHP 2005
Nr. 19,
Abs. 4, Seite 26) grundsätzlich nicht
GdB erhöhend aus.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 28. Juni 2006 abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193
SGG, sie berücksichtigt, dass mit dem Bescheid vom 28. Juni 2006 dem Klagebegehren teilweise stattgegeben wurde. Da insgesamt wiederholt vorgetragen wurde, dass vorliegend noch ein deutlich höherer
GdB als 60 anzunehmen sei, kam eine weitere Kostentragung durch den Beklagten nicht in Betracht.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160
Abs. 2
SGG liegen nicht vor.