Urteil
Keine Zuerkennung einer Schwerbehinderteneigenschaft aufgrund einer Diabetes mellitus Erkrankung und zusätzlichem Knieleiden

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat


Aktenzeichen:

L 13 SB 112/14


Urteil vom:

23.11.2016


Grundlage:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. April 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Nach teilweiser Rücknahme der Berufung begehrt die Klägerin nunmehr noch die Zuerkennung eines Grades der Behinderung von 50 ab April 2015. Dem liegt Folgendes zugrunde:

Mit Bescheid vom 21. Juni 2004 hatte der Beklagte bei der Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt und dem die Funktionsbeeinträchtigung Diabetes mellitus zugrunde gelegt. Der insoweit erhobene Widerspruch blieb ebenso erfolglos, wie nachfolgende Neufeststellungsbegehren. Am 14. Oktober 2010 beantragte die Klägerin erneut die Neufeststellung. Sie bedürfe viermal täglich der Insulininjektionen und führe darüber seit 2004 Buch. Mit Bescheid vom 20. Januar 2011 lehnte der Beklagte die Neufeststellung ab und führte zur Begründung aus, zwar erfolge viermal täglich eine Blutzuckerbestimmung, jedoch nur dreimal täglich eine Anpassung der Insulindosis. Die Kriterien für einen höheren GdB als 40 seien damit nicht erfüllt. Auf den Widerspruch der Klägerin, den diese damit begründete, dass sie mindestens viermal täglich Insulin spritze, oft sogar ein fünftes mal, hielt der Beklagte an seiner Einschätzung fest und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. März 2011 zurück.

Mit der am 11. April 2011 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und vorgebracht, der von ihr betriebene Aufwand für Therapie und Disziplin in ihrer allgemeinen Lebensweise bedeute einen erheblichen Einschnitt in ihre Lebensführung. Darüber hinaus habe sie chronische Harnwegsinfekte und starke Mobilitätseinbußen, so dass sie aufgrund eigener Entscheidung davon absehe, weiterhin Auto zu fahren. Auch habe sie von der früheren Angewohnheit Abstand genommen, viel ins Ausland zu reisen und könne nunmehr nur noch in ein Hotel in Tunesien fahren, wo speziell auf die von ihr benötigte Ernährung geachtet würde und im Notfall eine Versorgung gewährleistet sei. Auch beruflich sei sie psychisch beeinträchtigt. Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt und darüber hinaus den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Neurologie Dr. L mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten ist der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, die Klägerin leide auf seinem Fachgebiet unter keinerlei Funktionsbeeinträchtigungen. Außerhalb seines Fachgebietes sei festzustellen, dass die Klägerin an Diabetes mellitus Typ I leide, einem arteriellen Bluthochdruckleiden, das medikamentös eingestellt sei, einem metabolischen Syndrom sowie schließlich unter rezidivierenden Harnwegsinfekten. Zu vergeben sei insoweit lediglich ein GdB von 40 für den Diabetes.

Mit Urteil vom 9. April 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und ist insoweit zur Begründung im Wesentlichen den Ausführungen des Sachverständigen gefolgt. Mit der am 27. Mai 2014 eingelegten Berufung hat die Klägerin ihr Begehren ursprünglich weiter verfolgt und hierzu ausgeführt, sie sei durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt. Diese seien auf die Erkrankung an Diabetes mellitus zurückzuführen. Insoweit wiederholt sie das Vorbringen zum Führen eines Kraftfahrzeuges und zu den Auslandsreisen und bringt ergänzend vor, sie könne ihre Tätigkeit als Zugbegleiterin nicht mehr im Nachtschichtdienst versehen und erleide dadurch einen Einkommensverlust.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin und Sozialmedizin Dr. M, der die Klägerin am 28. April 2015 untersucht hat und zu der Einschätzung gelangt ist, die Klägerin leide unter einem Diabetes mellitus Typ I mit fortgesetzter intensivierter Insulintherapie und befriedigender bis guter Stoffwechselkontrolle, arterieller Hypertonie, pharmakologisch gut kontrolliert, Hypercholesterinämie, pharmakologisch ordentlich kontrolliert, langjähriger Adipositas Grad II, weiterhin inkomplettem metabolischem Syndrom, leichtgradigem Lumbalsyndrom ohne Defizite sowie rezidivierenden Harnwegsinfekten. Insgesamt komme weder dem Bluthochdruck noch dem Übergewicht noch der Fettstoffwechselstörung oder dem Lumbalsyndrom eine Bedeutung als alltagsrelevante Behinderung zu, insoweit sei allenfalls ein GdB von 10 gerechtfertigt. Einzig der fortbestehende und gut kontrollierte Diabetes mellitus Typ I sei GdB-relevant und mit einem GdB von 40 angemessen bewertet.

Während des Begutachtungsverfahrens hat die Klägerin sich auf eine Verschlimmerung ihrer Knieprobleme berufen und insoweit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. Ferner hat die Klägerin die Berufung zurückgenommen, soweit sie die Zeit bis April 2015 betrifft. Im Übrigen ist sie der Bewertung der Diabetes-Erkrankung mit einem GdB von 40 entgegengetreten und hat ausgeführt, ein relevanter erheblicher Einschnitt in der Lebensführung liege bei einer Verkürzung der Arbeitszeit vor. Dem müsse dann aber der Verzicht auf Nachtschicht gleichgestellt werden. Mit ergänzender Stellungnahme vom 19. November 2015 hat der Sachverständige Dr. M ausgeführt, aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass die Problematik beider Kniegelenke durch eine Behandlung einer nachhaltigen Besserung hätte zugeführt werden können. Im April 2015 habe er keine relevanten Funktionsdefizite in der Beweglichkeit der großen Gelenke feststellen können. Hinsichtlich der Diabeteserkrankung sei festzuhalten, dass eine konkrete Anpassung der Insulindosen nur sehr selten erfolgt sei und erfolgen müsse. Es habe sich kein Hinweis darauf ergeben, dass Durchschlafstörungen der Klägerin diabetesbedingt seien. Nächtliche Blutzuckerentgleisungen habe die Klägerin ausdrücklich nicht benannt. Es sei bei ihm der Eindruck entstanden, dass die Klägerin den Verzicht auf Nachtschichten nicht als eine Belastung in ihrer Lebensführung, sondern vielmehr als deutliche Entlastung begriffen habe. Insgesamt verbleibe er bei seiner Bewertung des Diabetes mit einem GdB von 40.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. April 2014 zu ändern und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 20. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2011 zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab April 2015 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Am 6. Oktober 2016 wurde bei der Klägerin im rechten Knie eine Totalendoprothese implantiert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Rechtsweg:

SG Potsdam Urteil vom 09.04.2014 - S 28 SB 120/11

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist auch in dem nach teilweiser Rücknahme noch aufrecht erhaltenem Umfange nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung eines GdB über 40.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), die am 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist, festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.

In Betracht kommen bei der Klägerin im Wesentlichen zwei Funktionsbeeinträchtigungen, nämlich erstens Diabetes mellitus und zweitens ein Kniegelenksleiden.

Hinsichtlich der Diabetes-Erkrankung ist maßgeblich Ziff. B 15.1 Abs. 4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Danach beträgt der GdB 50 bei an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens 4 Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig variiert werden muss und die durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind. Es ist unstreitig, dass die Klägerin täglich mindestens vier Insulininjektionen vornehmen muss. Ob diese Injektionen in der von den versorgungsmedizinischen Grundsätzen geforderten Weise auch dann variiert werden müssen, wenn die Blutzuckermessungen zwar der Ermittlung der Variationsnotwendigkeit dienen, im Ergebnis aber eine Variation nur im Ausnahmefall erfolgen muss, kann hier dahinstehen. Jedenfalls erleidet die Klägerin nach Überzeugung des Senates nicht durch erhebliche Einschnitte eine gravierende Beeinträchtigung in ihrer Lebensführung. Hinsichtlich der gravierenden Einschränkung in der Lebensführung durch erhebliche Einschnitte macht die Klägerin drei Umstände für sich geltend. Zum einen den Verzicht auf das Auto fahren, zum anderen den Verzicht auf häufige Auslandsurlaube sowie schließlich den Verzicht auf eine Arbeit in Nachtschicht und dem damit einhergehenden Einkommensverlust.

Im Ergebnis auch der durchgeführten medizinischen Beweisaufnahme vermag die Klägerin jedoch mit keinem dieser Aspekte durchzudringen, denn der Sachverständige Dr. M hat insoweit für den Senat überzeugend dargelegt, dass die genannten Beschränkungen der Klägerin ihrer eigenen Vorsicht um ihre Gesundheit geschuldet seien, nicht aber medizinisch notwendig seien und auf der Erkrankung an Diabetes mellitus beruhten. Dies gilt insbesondere auch für die berufliche Situation der Klägerin. Insoweit hat der Sachverständige ausgeführt, er habe mit der Klägerin ausdrücklich die Blutzuckerkontrolle und Insulingabe während der Dienstzeit und im Regionalexpress der Bahn besprochen. Hierzu habe sie ihm erklärt, sie habe sich während der bereits seit vielen Jahren andauernden Erkrankung sehr gut auf die notwendigen Handlungen einstellen können. Dies liegt auch insofern nahe, als bei vier- und teilweise fünfmaliger täglicher Insulingabe stets Blutzuckermessungen und Insulingaben auch während der Dienstzeit erfolgen müssen. Der Sachverständige hat nicht erkennen können, auf welchen ärztlichen Rat die von der Klägerin vorgenommene Beschränkung ihrer Dienstzeiten zurückzuführen sei. Damit kann die Erkrankung der Klägerin an Diabetes mellitus Typ I nicht mit einem GdB von über 40 bewertet werden.

Auch das geltend gemachte Knieleiden führt nicht zu einer Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft. Im Rahmen der Untersuchung im April 2015 hat der Sachverständige Dr. M, der zwar nicht Facharzt für Orthopädie, wohl aber Facharzt für Sozialmedizin ist, auch eine Untersuchung der Gliedmaßen vorgenommen. Im Ergebnis hat er festgehalten, er habe keine Einschränkung der Beweglichkeit feststellen können. Zwar ist die Klägerin im Anschluss an die Untersuchung arbeitsunfähig geschrieben worden, doch ergibt sich daraus nicht, inwieweit tatsächlich eine über mehr als sechs Monate andauernde Funktionsbeeinträchtigung vorliegt. Die Einbringung der TEP in einem Kniegelenk im Oktober 2016 ist gem. Ziff. B 18.12 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von mindestens 20 zu bewerten. Entgegen der Ansicht der Klägerin folgt daraus aber nicht bereits, dass eine Anhebung des GdB von 40 für den führenden Diabetes mellitus auf einen Gesamt-GdB von 50 geboten sei. Vielmehr handelt es sich bei dem Mindestwert von 20 für die TEP um einen normativen Wert, der selbst bei optimalem Behandlungsverlauf ohne verbliebene Funktionsbeeinträchtigung zu vergeben ist. Nach Teil A 3. Punkt a) der versorgungsmedizinischen Grundsätze sind bei der Bestimmung des Gesamt-GdB die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend. Mithin wirken normative GdB-Werte, die sich nicht auf eine konkrete Funktionsbeeinträchtigung zurückführen lassen, nicht generell im Sinne einer Erhöhung.

Inwieweit auch nach der stattgefundenen Implantation noch eine konkrete Funktionsbeeinträchtigung festzustellen ist, wird erst beurteilt werden können, wenn seit der Implantation ein Zeitraum von sechs Monaten verstrichen ist, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

Referenznummer:

R/R7232


Informationsstand: 19.04.2017