Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das
LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2
SGG) begründet. Die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen lassen noch keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der Kläger seit dem 1. Mai 2004 außergewöhnlich gehbehindert ist.
Zu entscheiden ist nicht mehr über ein Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" in der Zeit vor dem 1. Mai 2004. Insoweit hat das
LSG eine Verpflichtung des Beklagten abgelehnt. Diese Entscheidung ist mangels Revision des Klägers rechtskräftig geworden.
1. Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist
§ 69 Abs 4 SGB IX. Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung iS des § 6 Abs 1 Nr 14 StVG oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs 1 Nr 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen iS von § 46 Abs 1 Nr 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen" (Rollstuhlfahrersymbol, Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen (zB vom eingeschränkten Halteverbot für die Dauer von drei Stunden). Darüber hinaus führt sie ua zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3a Abs 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz) bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (§ 145 Abs 1
SGB IX) und ggfs zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz (vgl Landmann/Rohmer, Umweltrecht Bd I, § 40 BImSchG, RdNr 30). Sie macht die steuerliche Geltendmachung von Kosten des Kraftfahrzeugs, soweit sie nicht schon Werbungs- oder Betriebskosten sind, als außergewöhnliche Belastungen iS von § 33 Einkommensteuergesetz in angemessenem Umfang möglich (vgl BFHE 116, 378, 380 f; BFHE 206, 525).
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26. Januar 2001,
BAnz 2001, Nr 21, S 1419; vgl zur insoweit unveränderten Fassung vom 22. Oktober 1998:
BAnz 1998, Nr 246b, S 47). Die VwV-StVO selbst ist als allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung nach Art 84 Abs 2 Grundgesetz (
GG) wirksam erlassen worden (vgl BSGE 90, 180, 182 = SozR 3-3250 § 69 Nr 1 = Behindertenrecht 2003, 112, 113). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert iS des § 6 Abs 1 Nr 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Während die in Abschnitt II Nr 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme zu bewerkstelligen. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSGE 82, 37, 38 f = SozR 3-3870 § 4 Nr 23 = Behindertenrecht 1998, 141, 142). Schwierigkeiten bereitet hierbei der Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, im 1. Halbsatz aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können (
BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 22 S 87; BSGE 90, 180, 182 = SozR 3-3250 § 69 Nr 1). Auf die individuelle prothetische Versorgung der aufgeführten Behindertengruppen kann es aber grundsätzlich nicht ankommen (
BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 22; BSGE 82, 37 = SozR 3-3870 § 4 Nr 23). Denn es liegt auf der Hand, dass solche Besonderheiten angesichts des mit der Zuerkennung von "aG" bezweckten Nachteilsausgleiches nicht als Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung herangezogen werden können. Vielmehr muss sich dieser strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Satz 1 Abschnitt II Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StvO bzw § 6 Abs 1 Nr 14 StVG (BSGE 90, 180, 183 = SozR 3-3250 § 69 Nr 1). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (vgl BT-Drucks 8/ 3150, S 9 f in der Begründung zu § 6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSGE 82, 37, 39 = SozR 3-3870 § 4 Nr 23).
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 10. Dezember 2002 (
B 9 SB 7/01 R; BSGE 90, 180 ff = SozR 3-3250 § 69 Nr 1) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen.
Auch soweit die og großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein - so wie es das
LSG getan hat - auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv, fehlerfrei und verwertbar festzustellen (vgl hierzu Gebauer, MedSach 1995, 53), ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" reichen jedoch nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr 1 Satz 2 1. Halbsatz zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes bzw - wie hier - der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich ua aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren - auch auf Großparkplätzen - mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar.
Ob die danach erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen beim Gehen vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann. Gerade bei multimorbiden Schwerbehinderten wie dem Kläger liegt auf der Hand, dass allein das Abstellen auf ein starres Kriterium keine sachgerechte Beurteilung ermöglicht, weil es eine Gesamtschau aller relevanten Umstände eher verhindert. Gerade die Anwendung eines einzelnen starren Kriteriums birgt die Gefahr eines vom Beklagten besorgten Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1
GG.
Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt werden (vgl dazu "Anhaltspunkte für ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (
AHP) 2005", Nr 30). Denn für das Merkzeichen "aG" gelten gegenüber "G" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (
BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 11 S 45 = Breith 1995, 623).
Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßenverkehrsrechtlichen Zweck des Merkzeichens "aG" herleiten. Insofern kommt es entgegen der Ansicht des
LSG nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen an. Das Merkzeichen "aG" soll die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege infolge der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (
BSG SozR 3870 § 3 Nr 18 S 58 = Breith 1986, 335, 336 = Behindertenrecht 1987, 95, 96). Ein bestimmtes Wegstreckenkriterium erschiene nur dann als sachgerecht, wenn die betreffende Wegstrecke grundsätzlich geeignet wäre, den bestehenden Nachteil auszugleichen. Das könnte es nahe legen, auf die Platzierung gesondert ausgewiesener Behindertenparkplätze abzustellen (so
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 2001, Az L 11 SB 4527/00, juris; vgl auch Strassfeld, VersorgVerw 2003, 21, 23). Aber auch diesem Ansatz ist nicht zuzustimmen. Abgesehen davon, dass es keine empirischen Untersuchungen zur durchschnittlichen Entfernung zwischen gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und den Eingängen zu Einrichtungen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, greift die alleinige Ausrichtung auf Behindertenparkplätze (Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) zu kurz. Denn daneben werden nach Abschnitt I Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie zB die Ausnahme vom eingeschränkten Halteverbot ( lit a), gewährt.
2. Das
LSG hat im angefochtenen Urteil festgestellt, dass der Kläger sich nur langsam und selbst mit Hilfe des Rollators nur über maximal 30 m am Stück fortbewegen kann. Danach muss er eine Pause einlegen, wobei er sich auf den Rollator setzt. Darüber hinaus treten beim Gehen Schmerzen und Unsicherheiten auf. Diese Feststellungen sind für den erkennenden Senat bindend (§ 163
SGG), weil der Beklagte sie nicht zureichend gerügt hat. Denn er hat lediglich ausgeführt, dass dem
LSG in der Wertung des konkreten Einzelfalles nicht gefolgt werden könne. Die Einschätzung der Gehfähigkeit beruhe überwiegend auf den subjektiven Angaben des Klägers. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe auch nach Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ab Mai 2004 eine Gleichstellung verneint. Hiermit hat der Beklagte das Ergebnis der Beweiswürdigung des
LSG angegriffen. Bei der Ermittlung solcher Erkenntnisse handelt es sich um Tatsachenfeststellungen, die das Tatsachengericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffen hat und die der Revision daher nur beschränkt zugänglich ist, weil das Revisionsgericht keine eigenen Tatsachen feststellen kann (
BSG SozR 1500 § 162 Nr 7 S 6 f). Es reicht daher nicht aus, wenn die Revision - wie hier - lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des
LSG setzt oder diese eigene Würdigung als überlegen bezeichnet. Es ist dem Revisionsgericht nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder sie sonst zu bewerten (vgl
BSG SozR 1500 § 164 Nr 31 S 50).
Aus diesen Feststellungen ergibt sich allerdings nur, dass der Kläger in seiner Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist. Ob er sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen kann wie die in Abschnitt II Nr 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO genannten Personen, lässt sich den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Denn es fehlen Feststellungen zu der Art und dem Ausmaß der Pausen, die beim Kläger auf Wegstrecken von über 30 m erforderlich sind. Da der erkennende Senat die gebotene ergänzende Sachverhaltsaufklärung im Revisionsverfahren nicht nachholen kann, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
LSG zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 Satz 2
SGG). Das
LSG wird davon ausgehen können, dass in ihrer Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkte schwerbehinderte Menschen sich beim Gehen regelmäßig körperlich besonders anstrengen müssen und dass die für "aG" geforderte große körperliche Anstrengung dann gegeben sein dürfte, wenn die im aufgehobenen Urteil festgestellte Wegstreckenlimitierung auf 30 m darauf beruht, dass der Kläger bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann
(vgl BSGE 90, 180, 184 f = SozR 3-3250 § 69 Nr 1).
Das
LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.