Bei dem Kläger war nach dem Schwerbehindertengesetz (
SchwbG) zunächst ein Grad der Behinderung (
GdB) von 30 festgestellt. Seinen Antrag auf einen höheren
GdB sowie die Nachteilsausgleiche "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 31. Mai 1991; Teilabhilfebescheid vom 22. Juni 1992; Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 1993). Aufgrund eines Teilanerkenntnisses stellte der Beklagte im Klageverfahren den
GdB mit 40 fest. Im übrigen hatten Klage und Berufung keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 5.Oktober 1995; Beschluß des Landessozialgerichts (
LSG) vom 18. Dezember 1996). Der Gesundheitszustand des Klägers sei mit einem
GdB von 40 zutreffend gekennzeichnet. Die begehrten Nachteilsausgleiche ständen schon deshalb nicht zu, weil die Schwerbehinderteneigenschaft (§ 1
SchwbG) fehle.
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision macht der Kläger ua geltend, das
LSG habe den Gesamt-
GdB zu gering eingeschätzt, weil es von einem unzutreffenden Einzel-
GdB für die Funktionsstörungen am linken Ellenbogengelenk ausgegangen sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beschluß des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Dezember 1996, das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 5. Oktober 1995 sowie die Bescheide des Beklagten vom 31. Mai 1991 und 3. Februar 1993 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen
GdB von 50 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "G" und "RF" festzustellen, hilfsweise, den Beschluß des Landessozialgerichts aufzuheben und den Rechtsstreit zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Veränderungen am Ellenbogengelenk seien mit einem Teil-
GdB von 10 ausreichend berücksichtigt und erhöhten deshalb den Gesamt-
GdB nicht.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) einverstanden erklärt.
Die Revision des Klägers ist iS des Hilfsantrages begründet. Das
LSG hat bei Einschätzung des Gesamt-
GdB die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (
AHP) nicht richtig angewendet und daher Feststellungen unterlassen, ohne die sich nicht abschließend entscheiden läßt, ob der
GdB des Klägers nur 40 beträgt. Der angegriffene Beschluß ist deshalb aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das
LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2
SGG).
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist es tatrichterliche Aufgabe, über den Beweiswert einzelner Umstände und Beweismittel zu entscheiden und den maßgeblichen Gesamt-
GdB, der sich aus einer Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen ergibt, nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der Anhaltspunkte in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl Urteil des Senats vom 9.März 1988 - 9/9a RVs 14/86 - SozSich 1988, 381 = MesoB 20a/229 unter Bezugnahme auf BSGE 41, 99 = SozR 2200 § 581 Nr 5; SozR 3870 § 3 Nrn 4 und 5 und SozR 3-3870 § 4 Nrn 1, 5). Die Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegt als tatrichterliche Würdigung nur beschränkter Überprüfung darauf, ob der Tatrichter Rechtsbegriffe verkannt hat oder bei seiner Beurteilung wesentliche Umstände außer acht gelassen, gegen Verfahrensvorschriften, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl SozR 3-3870 Nr 5). Das
LSG hat hier den in den rechtsnormähnlichen
AHP (vgl dazu die ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt SozR 3- 3870 § 4 Nr 19 mwN und
BVerfG SozR 3-3870 § 3 Nr 6) geregelten Begriff einer "Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk stärkeren Grades" - bewertet mit einem
GdB von 20 bzw 30 (vgl
AHP 1983 S 110 und - inhaltsgleich -
AHP 1996 S 144 f) - verkannt. Es meint, darunter falle eine stärkere als die mit genauen Maßen angegebene und mit einem
GdB von 0 bis 10 bewertete geringgradige Bewegungseinschränkung nur, wenn zugleich - anders als hier - die Unterarmdrehbeweglichkeit eingeschränkt sei.
Das trifft nicht zu. Der dem Tatbestand "Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk stärkeren Grades" beigefügte Zusatz "(insbesondere der Beugung einschließlich Einschränkung der Unterarmdrehbeweglichkeit)" legt lediglich fest, daß ein
GdB von 20 bis 30 auch dann gilt, wenn die Funktion des Ellenbogengelenks außer beim Strecken und Beugen zusätzlich noch beim Drehen des Unterarms eingeschränkt ist. Dadurch wird aber eine Bewertung stärkerer Einschränkungen nur der Streckung und Beugung des Ellenbogens mit einem
GdB von 20 bis 30 nicht ausgeschlossen.
Das
LSG hat es - von seinem Ausgangspunkt her zu Recht - offengelassen, wie stark die Bewegungsfähigkeit des linken Ellenbogengelenks beim Kläger eingeschränkt ist. Ob nur in dem Ausmaß, wie es das SG nach dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen
Dr. S. vom 17. März 1994 festgestellt hatte (Beugung bis 160; Streckung bis -10), oder so stark, wie es der Sachverständige
Dr. W. in seinem Gutachten vom 4. Juni 1996 in einem Parallelrechtsstreit beschrieben hatte (Beugehemmung bei 105; Streckhemmung bei 40). Auf dieser unzureichenden tatsächlichen Grundlage hat das
LSG die Einschätzung des Gesamt-
GdB mit 40 durch das SG gebilligt, weil der dort zugrunde gelegte Einzel-
GdB von 10 für die Funktionseinschränkungen am Ellenbogengelenk durch eine stärkere als die dort bereits festgestellte Einschränkung nur der Streckung und Beugung ohnehin nicht übertroffen werden könne. Sollten sich im wiedereröffneten Berufungsverfahren die von
Dr. W. erhobenen Befunde bestätigen und die von ihm beschriebene "Hemmung" eine "Bewegungseinschränkung" iS der
AHP 1996 sein, so hätte das
LSG zu überprüfen, ob es bei einem Gesamt-
GdB von nur 40 bleiben kann, obwohl statt bisher mit 10 die Bewegungseinschränkung ("stärkeren Grades") im Ellenbogengelenk dann mit einem Einzel-
GdB von mindestens 20 zu bewerten wäre. Während nämlich ein Einzel-
GdB von 10 - von Ausnahmefällen abgesehen - nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung führt, ist das bei einer mit einem
GdB von 20 bewerteten Funktionsbeeinträchtigung durchaus möglich, wenn auch vielfach nicht gerechtfertigt (vgl
AHP 1996, 35).
Das
LSG wird auch darüber zu entscheiden haben, ob nach dem inzwischen eingetretenen Gesamtzustand der Behinderung (vgl zum maßgeblichen Zeitpunkt bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen BSGE 73, 25, 27 = SozR 3-2500 § 116 Nr 4 und Senatsurteil vom 2. Juli 1997 - 9 RVs 9/96 - VersorgVerw 1997, 94) die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "G" und "RF" vorliegen.
Das
LSG wird schließlich über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.