I. Bei dem Kläger wurde 1988 ein Blasenkarzinom entfernt. Das Versorgungsamt stellte daraufhin als Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz (
SchwbG) "Harnblasenteilausschneidung" mit einem Grad der Behinderung (
GdB) um 50 fest. 1993 anerkannte es unter Wegfall der heilungsbewährten Harnblasenteilausschneidung als Behinderung "Depression und Reizknie" mit einem nunmehrigen
GdB um 30. Im Widerspruchsbescheid stellte das Versorgungsamt als weitere Behinderung ein "Wirbelsäulensyndrom" fest, ohne den
GdB zu erhöhen.
Das Sozialgericht (SG) hat das beklagte Land verurteilt, als weitere Behinderung "Karpaltunnel-Syndrom rechts und Migräne" mit einer
GdB um 40 festzustellen. Das Landessozialgericht (
LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit der - vom
LSG zugelassenen - Revision macht der Kläger geltend, das
LSG habe die Behinderung Reizknie bei der Beurteilung der Gesamtbehinderung (GesamtGdB) nicht berücksichtigt. Der Beklagte habe bei der seinerzeitigen Feststellung der Behinderung "Reizknie" einen Einzel-
GdB um 20 zugrunde gelegt, obwohl schon zu diesem Zeitpunkt keine Funktionsstörungen mehr vorgelegen hätten. Daran sei der Beklagte gebunden.
II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das
LSG hat den
GdB nach Ablauf der Heilungsbewährung - wie schon der Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden - zutreffend auf weniger als 50 eingeschätzt, so daß die Klägerin nicht mehr schwerbehindert i.
S. des § 1
SchwbG ist. Ohne Erfolg wendet die Klägerin dagegen ein, der
GdB betrage weiterhin 50, weil entgegen der Auffassung des
LSG bei der
GdB-Festsetzung eine bereits bei Erlaß des Herabsetzungsbescheides vom 10.1.1994 nicht mehr vorliegende, aber dort noch festgestellte Behinderung Reizknie mit einem Einzel-
GdB von 20 zu berücksichtigen sei. Nur die Verwaltung sei nach § 45
SGB X befugt, die rechtswidrig getroffene Feststellung einer Behinderung aufzuheben. Solange das nicht geschehen sei, hätten die Gerichte auch eine tatsächlich nicht vorliegende, aber bindend festgestellte Behinderung
GdB-erhöhend zu berücksichtigen. Diese Ansicht trifft nicht zu.
Die Klägerin gesteht zu, daß bereits bei Erlaß des Herabsetzungsbescheides vom 10.1.1994 keine Funktionsstörungen der Kniegelenke - mehr - vorgelegen haben, mithin nach den Auswirkungen der tatsächlich bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen der
GdB in dem für die Beurteilung der Sachlage maßgeblichen Zeitpunkt nur 40 betragen hat. Sie verlangt aber, den
GdB über die von den Instanzgerichten vorgenommene Korrektur - von 30 auf 40 - hinaus wegen der tatsächlich nicht vorliegenden, aber "verbindlich festgestellten Behinderung" Reizknie bei 50 zu belassen. Diese Forderung ist unbegründet.
Inwieweit der Beklagte im Bescheid vom 10.1.1994 mit "Reizknie" überhaupt Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung und so i.
S. des § 3
Abs. 1 Satz 1
SchwbG eine Behinderung bezeichnet hat (
vgl. BSG SozR 3870 § 4
Nr. 3 und SozR 3-1300 § 48
Nr. 25), ob damit i.
S. des § 4
Abs. 1
SchwbG eine Feststellung getroffen hat (
vgl. BSGE 60, 11/13 und SozR 3870 § 4
Nr. 1) und eine solche Feststellung als Verfügungssatz der Bindung zugänglich wäre,
obwohl davon weder Steuervorteile noch Nachteilsausgleiche noch sonstige Berechtigungen und anders als im sozialen Entschädigungsrecht von der anerkannten Schädigungsfolge auch keine Ansprüche auf Heilbehandlung abhängen, kann offenbleiben (offengelassen bereis in SozR 3870 § 4
Nr. 3;
vgl. auch Saul, VersorgVerw 1996, 74 sowi Biebrach-Nagel, VersorgVerw 1997, 8). Selbst wenn all das der Fall wäre, o bleiben bindend getroffene Regelungen im Verwaltungsakt vom 10. Januar 1994 doch dadurch unberührt, daß das
LSG einen Einzel-
GdB für diese "verbindlich festgestellten aber zu nichts berechtigende Behinderung nicht berücksichtigt hat. Denn ein solcher Einzel-
GdB wird nicht festgestellt und ist auch hier vom Beklagten nicht festgestellt worden. Den für die Festsetzung des Gesamt-
GdB im Bescheid vom 10.1.1994 zugrunde gelegten Einzelgraden der Behinderung kommt keine Bindungswirkung zu (
vgl. BSG SozR
Nr. 44 zu § 77
SGG; SozR 3870 § 4
Nr. 1 SozR 3-3870 § 4
Nr. 5; Urteil vom 18.12.1996 - 9 RV 17/95 - SGB 1997, 165). Zwar setzt eine Behinderung,
anders als die Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht, notwendig einen Grad von mindestens 10 voraus (
vgl. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
SchwbG 1996 [AHP 1996], Nrn. 16 und 17,
S. 28). Daraus läßt sich aber nicht im Gegenschluß folgern, jede in einem Bescheid aufgeführte "Behinderung" - i.
S. eines gegenüber dem
SchwbG erweiterten Sprachgebrauchs (s. dazu weiter unten) - müsse bei der Einschätzung des (Gesamt-)
GdB mit einem Einzel-
GdB berücksichtigt werden. Gerade die von der Klägerin geltend gemachte Verknüpfung zwischen "Behinderung" und Einzel-
GdB wird in Bescheiden der Versorgungsverwaltung nicht festgestellt.
Eine solche Feststellung von Einzelgraden der "Behinderung(en)" verstieße gegen die Vorstellung des
SchwbG, wonach es - entgegen dem in der Praxis der Versorgungsverwaltung und in der Rechtsprechung üblichen Sprachgebrauch - nicht mehrere "Behinderungen", sondern nur einen Gesamtzustand der Behinderung gibt, der zwar auch auf den Auswirkungen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen beruhen kann, der aber stets nur mit einem (Gesamt-)
GdB zu bewerten ist. Das ergibt sich aus § 3
Abs. 1 Satz 4,
Abs. 2 und § 4
Abs. 1 und 3
SchwbG. Die
AHP folgen dieser Terminologie. Sie sprechen nicht von mehreren "Behinderungen" und deren Graden, sondern schreiben vor, daß die Versorgungsverwaltung für mehrere zugleich bestehende Funktionsbeeinträchtigungen jeweils einen Einzel-
GdB "anzugeben" hat (
AHP 1996,
Nr. 19
Abs. 1,
S. 36). Dabei handelt es sich aber lediglich um Einsatzgrößen, mit denen die Einschätzung des (Gesamt-)
GdB einerseits vorbereitet, andererseits nachvollziehbar begründet und damit überprüfbar gemacht wird. Darin erschöpft sich die Bedeutung der Einzel-
GdB. Sie gehen als bloße Meßgrößen für mehrere zugleich vorliegende Funktionsbeeinträchtigungen restlos im (Gesamt-)
GdB auf, und dieser allein gibt das Maß der Behinderung nach den Gesamtauswirkungen sämtlicher Funktionsbeeinträchtigungen an. Sofern Verwaltung und Gerichte dies beachten, hat der Senat keine Bedenken, weiterhin der in Praxis und Rechtsprechung fest eingebürgerten Übung zu folgen, und schlagwortartig von "Behinderungen" zu sprechen, obwohl damit strenggenommen Funktionsbeeinträchtigungen gemeint sind.
Danach hat die Fehleinschätzung des
GdB in den angefochtenen Bescheiden - anders als von der Klägerin geltend gemacht - keine rechtswidrig begünstigenden Auswirkungen gehabt. Solche Auswirkungen hätten sich nur ergeben können, wenn der Beklagte die im Zeitpunkt der Herabsetzungsentscheidung tatsächlich bestehende Gesamtbehinderung (Behinderung i.
S. des § 4
Abs. 1
SchwbG) mit einem überhöhten
GdB eingeschätzt hätte. Dieser überhöhte
GdB wäre verbindlich geworden und der Klägerin deshalb im Widerspruchsverfahren und im anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren erhaltengeblieben. Hier lag der Fall aber umgekehrt. Der Beklagte hatte den
GdB zu niedrig eingeschätzt und deshalb gegenüber dem Ausgangsbescheid vom 24.11.1988 zu stark herabgesetzt. Denn er hatte von den tatsächlich vorhandenen "Behinderungen" nur "Depressionen", nicht aber "Wirbelsäulensyndrom", "Karpaltunnel-Syndrom rechts und Migräne" berücksichtigt. Dadurch wurde der für die tatsächlich bestehende Behinderung zutreffende
GdB von 40 unterschritten, obwohl der Beklagte zusätzlich zu "Depressionen" noch tatsächlich nicht bestehende Funktionseinschränkungen wegen der "Behinderung Reizknie" in die
GdB-Einschätzung einbezogen hatte. Mit einem
GdB von - nur - 40 ist der Status der Klägerin so geregelt, wie es das
SchwbG verlangt.