Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der mittlerweile nur noch für die Zeit bis zum Abschluss der beruflichen Erstausbildung angegriffene Gerichtsbescheid ist zutreffend.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Denn der - mittlerweile nur noch für die Zeit bis zum Abschluss der beruflichen Erstausbildung - angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat für die in Rede stehende Zeit keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B".
Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin sind die
§§ 69 Abs. 4,
146 Abs. 2 SGB IX, ohne dass zugleich die Voraussetzungen für eine Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse gemäß § 48
Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB X) zu prüfen wären. Denn bei der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für ein Merkzeichen (hier des Merkzeichens "B") handelt es sich um einen der selbstständigen Anfechtung fähigen Verwaltungsakt im Sinne des § 31
SGB X, den der Beklagte hier nach der Aufhebung seiner ursprünglich getroffenen Feststellung durch seinen Bescheid vom 18. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2004 - quasi wie bei einer erstmaligen Feststellung - neu erlassen soll.
Nach den §§ 69
Abs. 4, 146
Abs. 2
SGB IX in der insoweit bis heute geltenden Fassung des mit Wirkung vom 12. Dezember 2006 in Kraft getretenen Gesetzes vom 2. Dezember 2006 (BGBl. I
S. 2742) hat die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständige Behörde die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" festzustellen, wenn der schwerbehinderte Mensch bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge seiner Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen ist. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 die
AHP in ihrer jeweils geltenden Fassung (zuletzt Ausgabe 2008 -
AHP 2008) zu beachten, die gemäß § 69
Abs. 1 Satz 5
SGB IX für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2
VersMedV abgelöst worden sind. Die
AHP sind zwar kein Gesetz und sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die
AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (
vgl. z. B. Bundessozialgericht -
BSG -, BSGE 91, 205), weshalb sich auch der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 auf die genannten
AHP stützt. Für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 ist demgegenüber für die Verwaltung und die Gerichte die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Anlage zu § 2
VersMedV maßgeblich, mit der die in den
AHP niedergelegten Maßstäbe mit lediglich redaktionellen Anpassungen in eine normative Form gegossen worden sind, ohne dass die bisherigen Maßstäbe inhaltliche Änderungen erfahren hätten.
Nach
Nr. 32
AHP 2008, mit der die vergleichbaren Regelungen in den früheren
AHP ohne inhaltliche Änderungen - angepasst an die Neufassung des ebenfalls nicht mit inhaltlichen Änderungen verbundenen
§ 146 Abs. 2 SGB IX - ebenfalls nur fortgeschrieben worden sind, ist eine Berechtigung für eine ständige Begleitung
bzw. zur Mitnahme einer Begleitperson bei schwerbehinderten Menschen (bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" oder "H" oder - wie die Bezugnahme in
Nr. 32
Abs. 1 Satz 1
AHP 2008 auf
§ 145 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX erweist, der wiederum auf § 145
Abs. 1 Satz 1
SGB IX Bezug nimmt - "Gl" vorliegen) gegeben, die infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zu beachten, ob bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels notwendig ist oder bereit sein muss oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen
(z. B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind (
vgl. Nr. 32
Abs. 2 Satz 1 und 2
AHP 2008). Die Berechtigung für eine ständige Begleitperson ist anzunehmen bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden und den in
Nr. 30
Abs. 4 und 5
AHP 2008 genannten Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist (
vgl. Nr. 32
Abs. 3
AHP 2008). Nach
Nr. 30
Abs. 5 Satz 2
AHP 2008 ist die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr bei Hörbehinderten wiederum nur dann gerechtfertigt, wenn Störungen der Orientierungsfähigkeit zu bejahen sind, was nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit der Fall ist, und zwar auch nur für schwerbehinderte Menschen im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr)
bzw. für schwerbehinderte Menschen im Erwachsenenalter in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion
(z. B. bei Sehbehinderung oder geistiger Behinderung). Diese Bewertungsgrundsätze sind nunmehr im Teil D der Anlage zu § 2
VersMedV niedergelegt, wobei dort die
Nr. 2 Buchstabe b und c sowie für die Hörbehinderten die
Nr. 1 Buchstabe f Satz 2 einschlägig sind.
Die in den vorgenannten Bewertungsgrundsätzen zum Ausdruck gebrachten Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin nicht erfüllt. Denn die Klägerin gehört zwar aufgrund der bei ihr von Geburt an vorliegenden (praktischen) Taubheit beidseits mit einem Grad der Behinderung von 100 zu den schwerbehinderten Menschen. Ferner liegen bei ihr die Voraussetzungen für die Merkzeichen "H" und "Gl" vor. Bei ihr lassen sich jedoch keine rechtlich relevanten Störungen der Orientierungsfähigkeit im Sinne der
Nr. 30
Abs. 5 Satz 2
AHP 2008/Teil D
Nr. 1 Buchstabe f Satz 2 der Anlage zu § 2
VersMedV feststellen, weil derartige Störungen bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit ohne weitere Voraussetzungen nur bei Kindern (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) anzunehmen sind, während bei Erwachsenen darüber hinaus erforderlich ist, dass sie neben ihrer Taubheit oder an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit auch noch an erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (wie
z. B. an einer Sehbehinderung oder geistigen Behinderung) leiden. Eine derartige Störung wird von der 1988 geborenen Klägerin, die bereits im Jahre 2004 das 16. Lebensjahr vollendet hat, selbst nicht behauptet. Anhaltspunkte für eine solche Störung bestehen in ihrem Fall auch nach Lage der Akten nicht. Denn die Klägerin hat sich im vorstehenden Zusammenhang letztlich nur darauf berufen, dass sie bei immer wieder auftretenden Störungen im öffentlichen Nah- und Fernverkehr fremder Hilfe bedürfe, weil sie sich auf derartige Unwägbarkeiten nicht vorbereiten könne und ihr insoweit auch Handzettel nicht weiterhelfen würden. Eine ergänzende Behinderung, wie eine Sehbehinderung oder eine geistige Behinderung oder eine Behinderung, die den vorgenannten Behinderungen gleichstehen könnten, lässt sich hieraus nicht ableiten, so dass der Senat insoweit auch nicht in eine weitere Sachaufklärung einzutreten hatte.
Soweit die Klägerin überdies geltend gemacht hat, dass die in den
AHP bzw. der Anlage zu § 2
VersMedV genannte Altersgrenze von 16 Jahren zu niedrig sei und der Korrektur jedenfalls dann bedürfe, wenn sich der schwerbehinderte Mensch - wie sie - noch in einer beruflichen Erstausbildung befinde, führt dieses Vorbringen zu keinem anderen Ergebnis. Denn wie das
BSG bereits mehrfach entschieden hat, hat ein vor Spracherwerb Ertaubter, der die Gehörlosenschule abgeschlossen und das 16. Lebensjahr vollendet hat, im Regelfall keinen Anspruch auf das Merkzeichen "B", woran eine spätere Ausbildung nichts zu ändern vermag (
vgl. BSG SozR 3 - 1300 § 48
Nr. 57 und Urteil vom 10. Dezember 2003 -
B 9 SB 4/02 R -, zitiert nach juris). Insoweit kann nämlich nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der - wie die Klägerin - des Lesens und Schreibens kundige Gehörlose bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel gehäuft auf Kommunikation mit seinen Mitmenschen angewiesen ist. Denn er kann schriftliche Beschreibungen zu Rate ziehen und seine Mitmenschen schriftlich um Auskunft bitten. Sollte es dennoch zu gelegentlichen Beeinträchtigungen kommen, kann gleichwohl noch nicht von einer Störung der Orientierungsfähigkeit gesprochen werden (
vgl. BSG a.a.O.). Dieser Rechtsprechung des
BSG schließt sich der Senat aufgrund eigener Prüfung an. Besonderheiten, die im Fall der Klägerin dennoch eine andere Betrachtung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil Gründe hierfür gemäß § 160
Abs. 1
Nr. 1 und 2
SGG nicht vorliegen.