Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist in der Gestalt, die er durch das Teilanerkenntnis erhalten hat, rechtmäßig und der Kläger daher nicht in seinen Rechten gemäß § 54
Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) verletzt. Der Kläger hat weder Anspruch auf einen höheren
GdB als 90 noch auf das Merkzeichen "B".
Gemäß § 48
Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (
SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung in diesem Sinne ist unter anderem gegeben, wenn der veränderte Gesundheitszustand eine Änderung des
GdB von 10 bedingt und/oder zum Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Nachteilsausgleichs führt (Teil A, Ziffer 7 a der Versorgungsmedizinischen Grundsätze). Dabei ist die Bewertung für die Zeit ab Antragstellung bis zum 31.12.2008 unter Heranziehung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht festzustellen (zur Anwendung der jeweils für einen Zeitraum geltenden Anhaltspunkte/Grundsätze:
BSG, Urteil vom 30.09.2009,
B 9 SB 4/08 R). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kam den Anhaltspunkten zwar keine Normqualität zu, es handelte sich aber um antizipierte Sachverständigengutachten, die aus Gründen der Gleichbehandlung normähnlichen Charakter hatten und von den Sozialgerichten wie untergesetzliche Normen anzuwenden waren (
BSG, Urteil vom 18.09.2003,
B 9 SB 6/02 R;
BSG,
BSG, Urteil vom 12.06.2003, B 9
VG 1/02 R). Für die Zeit ab 01.01.2009 ist die Verordnung zur Durchführung des § 1
Abs. 1 und 3, des § 30
Abs. 1 und des § 35
Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 (
VersMedV) Grundlage für die Feststellung des
GdB. Aus diesem Wechsel ergeben sich hier keine Abweichungen, da der Wortlaut der maßgebenden Abschnitte der "Anhaltspunkte" sowie der Anlage zu § 2
VersMedV ("Versorgungsmedizinische Grundsätze") identisch ist.
Im Funktionsbereich "Gehirn einschließlich Psyche" (
vgl. zu den einzelnen Funktionssystemen Teil A, Ziffer 2, e. der Versorgungsmedizinischen Grundsätze) leidet der Kläger an einem Zustand nach lakunärem Hirninfarkt mit leichter Parese und Feinbeweglichkeitsstörung der rechten Hand sowie vereinzelten Wortfindungsstörungen auf dem Boden einer subkortikalen Arteriosklerotischen Enzephalopathie. Die Kammer folgte der Einschätzung des Sachverständigen, dass hierfür nach Ziffer 3.1.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein
GdB von 40 angenommen werden kann. Außerdem besteht beim Kläger ein leichteres depressives Syndrom mit reaktiven Anteilen und zusätzlich bestehendem Verdacht auf Anteilen im Sinne eines hirnorganischen Psychosyndroms (Persönlichkeitsveränderung und ängstliches Verhalten). Die Kammer folgt der Einschätzung des Sachverständigen und hält nach Ziffer 3.7 einen
GdB von 30 für angemessen. Insgesamt hält die Kammer im Bereich "Gehirn, einschließlich Psyche" einen
GdB von 50 für angemessen.
Im Funktionsbereich "Rumpf" leidet der Kläger an einer Funktionseinschränkung der Wirbelsäule bei Verschleiß. Die Kammer geht davon aus, dass hierfür nach Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze wie vom Sachverständigen angenommen der bisherige
GdB von 20 fortgeführt werden kann. Es gab jedenfalls keine Anhaltspunkte für eine höhere Bewertung.
Im Funktionsbereich "Beine" leidet der Kläger an einer arteriellen Durchblutungsstörung, die bisher mit einem
GdB von 50 bewertet wurde. Die Kammer konnte offen lassen, ob dieser Wert gegebenenfalls bereits zu hoch ist. Hierfür bestehen deswegen Anhaltspunkte, weil der Kläger bei der Untersuchung durch
Dr. I. angegeben hat, nachmittags etwa 2 Stunden lang spazieren gehen zu können. Es gab jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass ein noch höherer
GdB hierfür anzusetzen wäre, zumal auch
Dr. S., der den Kläger wegen der Durchblutungsstörungen behandelt, einen
GdB von 50 für angemessen hielt. Außerdem leidet der Kläger an einem Gichtleiden mit Beeinträchtigung der linken unteren Gliedmaßen, das angesichts der eher geringen Auswirkungen im Bereich der linken Großzehe nach Ziffer 15.2 in Verbindung mit Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze maximal mit einem
GdB von 10 zu bewerten ist.
Im Funktionsbereich "Atmung" leidet der Kläger an einer Atemfunktionsstörung bei obstruktiver Ventilationsstörung. Die Kammer folgt der Einschätzung des Sachverständigen, dass hierfür nach Ziffer 8.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze weiterhin ein
GdB von 20 anzusetzen ist.
Im Funktionsbereich "Ohren" leidet der Kläger ausweislich des Berichts des behandelnden HNO-Arztes
Dr. T. vom 10.07.2008 an einer geringgradigen beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit, die die Beklagte zutreffend mit einem
GdB von 10 bewertet hat.
Die Kammer hielt es nicht für angezeigt, für die Schwindelanfälle einen eigenständigen
GdB zu vergeben. Die genaue Ursache der Schwindelanfälle ist unklar.
Dr. I. hat hierzu angegeben, dass er die Schwindelanfälle nicht separat bewertet habe, da diese in dem
GdB für die Hirndurchblutungsstörungen und die psychische Erkrankung berücksichtigt worden seien. Dies überzeugte die Kammer, da der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt hat, dass die Schwindelanfälle am ehesten auf psychische Faktoren im Sinne eines Sicherheitsdenkens zurückzuführen sind.
Der Gesamt-
GdB ist mit 90 zu bewerten. Die Bildung des Gesamt-
GdB bemisst sich nach Teil A, Ziffer 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Bei der Ermittlung des Gesamt-
GdB dürfen die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nach Ziffer 3, a. nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-
GdB ungeeignet. Maßgebend sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Für die Bildung des Gesamt-
GdB ist insbesondere von Bedeutung, ob einzelne Funktionsbeeinträchtigungen voneinander unabhängig sind und damit verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, sich überschneiden, sich aufeinander nachteilig auswirken oder sich die Funktionsbeeinträchtigung eines Leidens durch das Hinzutreten eines anderen Leidens nicht verstärkt (Ziffer 3, d. aa., bb., cc. und dd.). Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hält die Kammer den von der Beklagten anerkannten Gesamt-
GdB von 90 für angemessen. Führendes Leiden ist die arterielle Durchblutungsstörung der Beine mit einem
GdB von 50. Daneben bestehen die im Bereich "Gehirn einschließlich Psyche" mit einem
GdB von ebenfalls 50 zusammengefassten Folgen des Hirnschlags einschließlich der psychischen Beeinträchtigung. Da zwischen diesen Bereich keine Überschneidung anzunehmen ist, hielt die Kammer es für gerechtfertigt, den Gesamt-
GdB auf 80 zu erhöhen. Dieser Wert war um weitere 10 Punkte zu erhöhen, wegen der Atembeschwerden und dem Wirbelsäulenleiden. Zwar handelt es sich dabei um zwei leichtere Störungen, bei denen es vielfach nicht gerechtfertigt ist, den Gesamt-
GdB zu erhöhen. Da es jedoch zwei voneinander unabhängige Funktionsstörungen sind, die sich auch mit den anderen Leiden nicht überschneiden, ist ein Anhebung um 10 Punkte gerechtfertigt. Die Hörminderung und das Gichtleiden rechtfertigen hingegen keine weitere Anhebung des Gesamt-
GdB. Denn von Ausnahmefällen
(z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen
GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Es lagen keine Anhaltspunkte vor, die einen Ausnahmefall begründet hätten.
Bezüglich des Merkzeichens "B" folgt die Kammer der Einschätzung von
Dr. I., dass der Kläger die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt. Gemäß
§ 146 Abs. 2 SGB IX ist ständige Begleitung bei schwerbehinderten Menschen notwendig, die bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zunächst zu prüfen, ob bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig fremde Hilfe beim Ein- oder Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels notwendig ist oder bereit sein muss. Die Berechtigung für eine ständige Begleitung ist nach Ziffer Teil D, Ziffer 2, c. der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bei Querschnittgelähmten, Ohnhändern, Blinden und Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken anzunehmen, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist. Bei Anfallskranken ist die Beurteilung nach Teil D, Ziffer 1, e. der Versorungsmedizinschen Grundsätze von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten. Der Kläger gehört zwar nicht zum Personenkreis der Anfallskranken. Die von ihm geklagten Schwindelanfälle können aber von den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Gruppen am ehesten mit diesem Personenkreis verglichen werden. Letztlich kann der Kläger diesem Personenkreis jedoch nicht gleichgestellt werden. Selbst wenn die Angaben des Klägers zur Häufigkeit der vorgetragenen Schwindelanfälle als wahr unterstellt würden, folgt die Kammer den Ausführungen von
Dr. I. in der ergänzenden Stellungnahme vom 08.04.2010, dass die hieraus folgenden Auswirkungen nicht vergleichbar sind mit einem Anfallsleiden, das das Merkzeichen "B" rechtfertigen würde. Denn im Gegensatz zu den normierten "epileptischen Anfällen" erlauben es die Beschwerden des Klägers noch, Vorsichtsmaßnahmen in Gestalt des sich Abstützens an Dingen oder Personen, des rechtzeitig Hinsetzens
etc. zu ergreifen und so Stürze zumindest in den meisten Fällen zu vermeiden. Das ist bei dem mit einem epileptischen Anfall verbundenen Bewusstseinsverlust nicht möglich (zur fehlenden Vergleichbarkeit bei Möglichkeit von Gegenmaßnahmen siehe auch:
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.08.2008, L 10 SB 112/04;
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.10.2002, L 7 SB 97/01). Mit Anfällen im Sinne des Teil D, Ziffer 2, c. in Verbindung mit Teil D, Ziffer 1, e. sind daher nur hirnorganische Anfälle vergleichbar, insbesondere epileptische Anfälle, aber auch hypoglykämische Schocks bei Zuckerkranken, also Anfälle, die mit Bewusstseinsverlust und Sturzgefahr verbunden sind (
BSG, Beschluss vom 10.05.1994,
9 BVs 45/93;
LSG Saarland, Urteil vom 06.11.2007,
L 5 SB 72/06;
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.08.2008, L 10 SB 112/04). Da der Kläger schon allein aufgrund der Art der Schwindelanfälle nicht mit Personen vergleichbar ist, denen wegen eines Anfallsleidens das Merkzeichen "B" zuzuerkennen ist, konnte die Kammer offen lassen, ob das Merkzeichen "B" außerdem aufgrund der Häufigkeit der Schwindelanfälle zu verneinen war. In der Rechtsprechung wurde beispielsweise entschieden, dass ein- bis zweimal wöchentlich (Bayerisches
LSG, Urteil vom 05.06.2001,
L 18 SB 29/01) oder sogar bis zu drei Mal wöchtentlich (
LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 20.09.2002,
L 13 SB 29/00;
LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.10.1996,
L 4 Vs 145/95) auftretende Gehstörungen oder Schwindelanfälle einen Notfall darstellten, der das Merkzeichen "B" jedoch nicht rechtfertige.
Soweit der behandelnde Arzt
Dr. L. wiederholt ausgeführt hat, dass er das Merkzeichen "B" im Fall des Klägers als erfüllt ansieht, folgte die Kammer nicht. Die Kammer fand die Ausführungen von
Dr. L. bereits deshalb nicht überzeugend, weil er die Schwindelerscheinungen wiederholt auf den Hirnschlag im Jahr 2007 zurückführte, obwohl der Kläger bereits vor Jahren das Merkzeichen "B" mit dem Hinweis auf Schwindelanfälle beantragt hatte, beispielsweise im Jahr 2002 als er gelegentlich noch einer Tätigkeit als Kaufhausdetektiv nachging.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG. Die von der Beklagten im Rahmen des Teilanerkenntnisses abgegebene Erklärung, 1/3 der Kosten zu tragen, hielt die Kammer bereits für großzügig. Denn der Kläger hat zum einen das Merkzeichen "B" nicht erreicht, das für ihn von weit höherer Bedeutung ist als ein höherer
GdB, und er ist zum anderen auch bezüglich des zuletzt beantragten
GdB von 100 unterlegen. Eine höhere Kostenübernahme als die angebotenen 1/3 war daher nicht gerechtfertigt.
Gegen das Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben. Da weder eine Dienst-, noch eine Sach- oder Geldleistung, sondern die Feststellung einer Behinderung Streitgegenstand ist, kommt es auf den Wert des Streitgegenstandes nicht an (§ 144
Abs. 1
Nr. 1
SGG).