Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, da dieser über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und auch auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden ist (§§ 110
Abs. 1
S. 2, 153
Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -).
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Der Senat deutet dabei das Begehren des Klägers im Rechtsmittelverfahren vor allem anhand dessen Berufungsschreibens vom 02.08.2009 als - allein - auf die Zuerkennung der Merkzeichen "aG" und "B" gerichtet.
Hinsichtlich des vom Kläger begehrten Merkzeichens "B" bedarf es keiner Entscheidung des Senats darüber, ob die bestehenden gesundheitlichen Funktionsbeeinträchtigungen die Gewährung dieses Nachteilsausgleichs in der Sache rechtfertigen. Denn indem der Kläger erstmalig im Berufungsverfahren die Feststellung des Merkzeichens "B" geltend gemacht hat, handelt es sich diesbezüglich um eine Klageänderung nach § 99
SGG, für die neben den Zulässigkeitsgründen für eine Klageänderung (
vgl. § 99
Abs. 1
SGG) auch die Prozessvoraussetzungen erfüllt sein müssen (
vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl. (2008), § 99 Rn. 13a). Vorliegend fehlt es schon an einer gerichtlich überprüfbaren Entscheidung des Beklagten (
vgl. § 54
Abs. 1
SGG), so dass die allein statthafte kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage insoweit bereits als unzulässig abzuweisen ist. Da der Beklagte vorprozessual nicht mit diesem Begehren befasst war, liegt hier auch keine vergleichbare Fallkonstellation vor, in der es nur an einem abgeschlossenen Vorverfahren mangels Widerspruchsbescheides fehlt und zwecks Nachholung des Widerspruchsverfahrens die Aussetzung nach § 114
Abs. 2
SGG analog geboten ist (
vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 78 Rn. 34
ff.; s. auch Urteil des erkennenden Senats vom 11. Mai 2010 - L 6 AS 41/2010; zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de). Im Übrigen sei, ohne dass es hier noch darauf ankäme, angemerkt, dass sich die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "B" auch nicht mit den Feststellungen im Gutachten des Sachverständigen L vom 31.03.2010 begründen lassen.
Die Feststellung des Merkzeichens "aG" betreffend hat das SG die Klage - deren am 11.03.2009 vorgenommene Umstellung von der Untätigkeits- zur kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 02.03.2009 fristgerecht
i.S.v. § 87
Abs. 2
SGG erfolgt ist - zu Recht abgewiesen.
Die Bescheide vom 13.05.2008 und 15.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2009 sind hinsichtlich der Nichtanerkennung des Nachteilsausgleiches "aG" rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54
Abs. 2
S. 1
SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung dieses Merkzeichens.
Soweit der (Widerspruchs-)Bescheid zunächst rechtswidrig war, da die Bezirksregierung Münster bei Erlass des streitbefangenen Widerspruchsbescheides vom 20.03.2009 nicht (mehr) zuständig war und demzufolge das Vorverfahren gemäß § 78
Abs. 1
SGG nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde (
vgl. im Einzelnen
LSG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2009 -
L 10 SB 39/09 -, in juris), ist dieser Mangel nachträglich mit Rückwirkung geheilt worden. Denn der durch
Art. 3 des Gesetzes zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen in Nordrhein-Westfalen (JuMoG NRW, GV NRW, 30
ff.) neu eingefügte § 4a
AG-
SGG NRW bestimmt, dass diese Landesbehörde Widerspruchsbescheide in den Angelegenheiten nach
§§ 69 und
145 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) erlässt, die den Kreisen und kreisfreien Städten als kommunale Selbstverwaltung
i.S.v. § 85
Abs. 2 Satz 1
Nr. 4 ,1. Hs.
SGG übertragen sind (
vgl. LSG NRW a.a.O.). Diese am 08.02.2010 in Kraft getretene Bestimmung regelt die Sonderzuständigkeit im Sinne von
Art. 85
Abs. 2
S. 1
Nr. 4 2. Hs.
SGG rückwirkend ab dem 01.01.2008 (Art 4 JuMoG NRW).
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" ist § 69 Abs 4
SGB IX. Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung i.
S. des § 6
Abs. 1
Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (
§ 3 Abs 1 Nr 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Erläuternd für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung sind Abschnitt II
Nr. 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) und Teil D, Ziff. 3 lit. b) der seit Beginn des Jahres 2009 geltenden
"Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG), Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung. Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert i.
S. des § 6 Abs 1 Nr 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Zunächst gehört der Kläger - unstreitig - nicht zu dem in den oben genannten Vorschriften explizit aufgeführten Personenkreis. Der streitige Nachteilsausgleich "aG" steht ihm auch nicht deshalb zu, weil er dem in der genannten Vorschrift aufgeführten Personenkreis gleichzustellen wäre. Letzteres ist dann der Fall, wenn die Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und der behinderte Mensch sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie der genannte Personenkreis oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Unter Beachtung der vom Bundessozialgericht (
BSG) mit Urteilen vom 29.03.2007,
B 9a SB 5/05 R,
B 9a SB 1/06 R und
B 9/9a SB 5/06 R (zitiert nach juris) aufgestellten Kriterien kommt es allein darauf an, unter welchen Bedingungen sich der schwerbehinderte Mensch, nämlich nur mit fremder Hilfe und mit großer Anstrengung und dies praktisch von den ersten Schritten an, außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann. Die vom Sachverständigen
Dr. L gutachterlich aufgeführten Erkrankungen des Klägers rechtfertigen eine solche Gleichstellung nicht. Es lässt sich insbesondere nicht die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger sich wegen der die eingeschränkte Gehfähigkeit bedingenden Erkrankungen der inneren Organe sowie des Gefäßleidens praktisch von den ersten Schritten außerhalb eines Kraftfahrzeugs nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung zumutbar bewegen kann.
So führen die kardio-vaskulären und pulmonalen Erkrankungen des Klägers für sich betrachtet nicht zur Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Denn nach Teil D, Ziff. 3 lit. c)
VMG rechtfertigen erst Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz (Einzel-
GdB 80 bis 100) oder Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades (Einzel-
GdB 80 bis 100) die Gleichstellung. Dieses schwerwiegende Ausmaß haben weder das mit einem Einzel-
GdB 60 beurteilte Herzleiden noch die mit einem Einzel-
GdB 30 beurteilte chronische Bronchitis. Ausweislich des Gutachtens des
Dr. L schränkt die Beeinträchtigung der unteren Extremitäten aufgrund der mit einem
GdB von 50 zu bewertenden arteriellen Verschlusskrankheit das Gehvermögen des Klägers ebenfalls nicht auf das Schwerste ein. Durch diese Behinderungen ist der Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen
Dr. L insbesondere auch nicht ständig auf einen Rollstuhl angewiesen - dabei genügt entgegen der Auffassung des Klägers die bloße Nutzung/Verordnung eines Rollstuhls nicht (
vgl. Teil D, Ziff. 3 lit. c) VMG) -; die Annahme, dass die klägerseits besonders betonte Sehnenscheidenentzündung am rechten Arm etwa der alternativen Benutzung von Gehhilfen wie Gestock/Gehrad ständig entgegenstehen könnte, verbietet sich angesichts des vom Sachverständigen beschriebenen (nur) unregelmäßigen Auftretens dieser - auch nur mit einem 10-er Wert einzustufenden - Reizerscheinung. Auch ausgehend von dem tatsächlich noch bestehenden Restgehvermögen erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens nicht. Vielmehr sind nach der Einschätzung des Sachverständigen
Dr. L Wegstrecken von 50 bis 100 Metern mit vorgenannten Gehhilfen möglich, wobei dann wegen der Interaktion zwischen den vorbezeichneten Leiden auftretende Beschwerden in Form von Luftnot und Muskelbeschwerden zwar die Einlegung einer Pause erforderlich machen, hiernach jedoch eine Fortsetzung der Wegstrecke deutlich über 100 Meter hinaus bei entsprechender Einlegung von (weiteren) Pausen noch möglich sein soll. Dabei spricht der Umstand, dass der Kläger vermehrt Pausen einlegen muss, zwar für eine gewisse Erschöpfung, reicht jedoch für die Zuerkennung des Merkzeichens noch nicht aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszu- ständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr 1 Satz 2 1. Halbsatz zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO
bzw. Teil D Ziff. 3 lit. b)
VMG genannten Vorschrift haben; solche sind von dem Sachverständigen
Dr. L gutachterlich aber gerade nicht beschrieben worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht, § 160
Abs. 2
Nr. 1 und
Nr. 2
SGG.