Die Berufung der Klägerin ist zulässig aber unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 17. Februar 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2006 rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen.
Rechtsgrundlage für die mit den streitigen Bescheiden vorgenommene Aufhebung ist § 48 des Zehnten Sozialgesetzbuches (
SGB X). Denn in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen ist eine wesentliche Änderung gegenüber den im Zeitpunkt der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" durch Bescheid vom 17. April 1996 vorliegenden Verhältnissen eingetreten. Eine solche Änderung ist mit Vollendung des 16. Lebensjahres der Klägerin eingetreten, mit dem sich die rechtlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Vorliegens des Merkzeichens "G" und in der Folge auch des Merkzeichens "B" geändert haben.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens "G" sind bei der Klägerin seit Vollendung des 16. Lebensjahres nicht mehr erfüllt.
Gemäß
§ 145 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch -
SGB IX - haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Über das Vorliegen der von § 145
Abs. 1 Satz 1
SGB IX geforderten gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69
Abs. 1 und 4
SGB IX). Nach
§ 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - d.h. altersunabhängig von nichtbehinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 10. Dezember 1987,
9a RVs 11/87, BSGE 62, 273 = SozR 3870 § 60
Nr. 2). Darüber hinaus sind die als antizipiertes Sachverständigengutachten vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit zu beachten, und zwar vorliegend in dem für den maßgeblichen Zeitpunkt Dezember 2006 maßgeblichen Fassung 2005 (
AHP 2005). In
Nr. 30
Abs. 3 bis 5
AHP 2005 (Seite 137-138) ist vorgegeben, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, um annehmen zu können, dass ein behinderter Mensch infolge einer Einschränkung des Gehvermögens in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gehvermögen des Menschen von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also dem Körperbau und etwaigen Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die Anhaltspunkte diejenigen heraus, die außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen. Die Anhaltspunkte beschreiben dabei Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können (
BSG, Urteil vom 13. August 1997,
9 RVs 1/96, SozR 3-3870 § 60
Nr. 2).
Die in
Nr. 30
Abs. 3 der
AHP 2005 aufgeführten Fallgruppen lagen im Falle der Klägerin im Dezember 2006 nicht vor.
Die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ließ sich zunächst nicht auf eine behinderungsbedingte Einschränkung des Gehvermögens gründen, da bei der Klägerin weder sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen
GdB von wenigstens 50 bedingen (
vgl. Nr. 30
Abs. 3 Satz 1
AHP 2005), noch Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem
GdB unter 50 gegeben sind, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken,
z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem
GdB von 40 (
vgl. Nr. 30
Abs. 3 Satz 2
AHP 2005).
Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ergibt sich ab Dezember 2006 auch nicht mehr aus der bei der Klägerin von Geburt an vorliegende, an Taubheit grenzende beidseitige Schwerhörigkeit mit Sprachstörungen unter Berücksichtigung der Vorgaben in
Nr. 30
Abs. 1 Satz 1
AHP 2005, wonach auch Störungen der Orientierungsfähigkeit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können. Den in
Nr. 30
Abs. 5 Satz 1
AHP 2005 hierzu genannten Fallgruppen (Sehbehinderung mit einem
GdB von mindestens 70 oder mit einem
GdB von 50 oder 60 in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktionen, Taubheit im Kindesalter - in der Regel bis zum 16. Lebensjahr -, Taubheit im Erwachsenenalter bei Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktionen, geistige Behinderungen, wenn die behinderten Menschen sich auf den nicht täglich benutzten Wegen nur schwer zurecht finden können) lässt sich entnehmen, dass bei Schwerhörigkeit/Taubheit mit Vollendung des 16. Lebensjahres eine Veränderung hinsichtlich der Anforderungen für die Annahme des Merkzeichens "G" eintritt. Anders als im Kindesalter ist ab Vollendung des 16. Lebensjahres nicht mehr die bloße Taubheit für die Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen des Merkzeichens "G" ausreichend, sondern es muss eine Kombination der Taubheit mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktionen oder geistigen Behinderungen vorliegen, die dazu führen, dass die behinderten Menschen sich auf den nicht täglich benutzten Wegen nur schwer zurecht finden können. Diese Voraussetzungen lagen bei der Klägerin in dem für die Entscheidung nach § 48
SGB X allein maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides im Dezember 2006, nicht vor. Dies ergibt sich -wie das Sozialgericht richtig ausgeführt hat- aus dem Sachverständigengutachten der
Dr. D vom 22. April 2009. Auf die zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils wird insofern gemäß § 153
Abs. 2
SGG Bezug genommen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den eingeholten Befundberichten der behandelnden Ärzte im Berufungsverfahren. Diese haben die Klägerin zum Teil im Dezember 2006 noch gar nicht behandelt. Die Befundberichte der sie zu diesem Zeitpunkt bereits behandelnden Augenärzte
Dr. S,
Prof. Dr. R und
Dr. S bestätigen zudem die Einschätzungen der Sachverständigen
Dr. D, dass eine erhebliche Sehbehinderung nicht vorliege. Denn die mitgeteilten Visuswerte (mit Korrektur durch Brille jeweils 0,8 gemäß
Dr. S
bzw. rechts 0,6 und links 0,7 gemäß
Prof. Dr. R) rechtfertigen nach den im Entziehungszeitpunkt Dezember 2006 maßgeblichen Vorgaben der
AHP 2005
Nr. 26.4 (Seite 50
ff.) nur die Annahme eines
GdB von 10. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sich auch aus den Angaben ihres nunmehr behandelnden Hals-, Nasen- und Ohrenarztes
Dr. N nichts anderes ergeben. Dieser hat insbesondere in dem von der Klägerin in Bezug genommenen Befund vom 08. Januar 2008 keine Angaben hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts Dezember 2006 gemacht und diese auch auf die Nachfrage im Berufungsverfahren in seinem Befundbericht aus Januar 2010 nicht nachholen können, sondern angegeben, die Klägerin im Dezember 2006 noch nicht behandelt zu haben.
Auch die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "B" sind mit Vollendung des 16. Lebensjahres der Klägerin entfallen, so dass die Entziehung dieses Merkzeichens nach § 48
Abs. 1
SGB X nicht rechtswidrig ist.
Gemäß
§§ 69 Abs. 4,
146 Abs. 2 SGB IX hat die für die Durchführung des BVG zuständige Behörde die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" festzustellen, wenn der schwerbehinderte Mensch bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge seiner Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen ist.
Nach
AHP 2005
Nr. 32 (Seite 140) ist hierfür Voraussetzung, dass der oder die Behinderte bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere infolge einer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen ist. Hierfür ist gemäß
Nr. 32
Abs. 2
AHP entscheidend, ob bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels notwendig ist oder bereit sein muss oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (
z.B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind. Dies ist nach
Nr. 32
Abs. 3
AHP 2005 anzunehmen bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden und den in Nummer 30
Abs. 4 und 5 genannten Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist. Diese Voraussetzungen lagen - wie bereits zur Frage des Merkzeichens "G" ausgeführt- bei der Klägerin seit Vollendung des 16. Lebensjahres nicht mehr vor, da sich zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" veränderten und nicht mehr gegeben waren. Ein Fall nach
Nr. 32
Abs. 3
AHP 2005 lag damit ab Dezember 2006 nicht mehr vor, so dass die Entziehung des Merkzeichens "B" zutreffend erfolgt ist.
Zudem hat die Sachverständige
Dr. D überzeugend das Vorliegen der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "B" nach
Nr. 32
Abs. 2
AHP 2005 verneint. Dass im Falle der Klägerin bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels notwendig ist oder bereit sein muss oder Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen erforderlich sind, lässt sich danach nicht feststellen. Insofern hatte die Klägerin auch keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "B" nach
Nr. 32
Abs. 2
AHP 2005, der der Entziehung des Merkzeichens ab Vollendung des 16. Lebensjahres entgegenstehen könnte, nachdem die Voraussetzungen für eine Feststellung nach
Nr. 32
Abs. 3
AHP entfallen waren.
Auch für die Frage des Merkzeichens "B" kann sich aus dem Befundbericht des die Klägerin nunmehr behandelnden Hals-, Nasen- und Ohrenarztes
Dr. N nichts anderes ergeben, da dieser keine Angaben hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts Dezember 2006 enthält.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war mangels Vorliegen der Voraussetzungen von § 160
Abs. 2
SGG nicht zuzulassen.