Urteil
Schwerbehindertenrecht - Merkzeichen - sozialgerichtliches Verfahren - einstweiliger Rechtsschutz - Anordnungsgrund - Abwarten auf Entscheidung in der Hauptsache - regelmäßig kein erheblicher Nachteil

Gericht:

LSG Mecklenburg-Vorpommern 3. Senat


Aktenzeichen:

L 3 SB 16/14 B ER | L 3 SB 56/14 B PKH


Urteil vom:

04.08.2014


Grundlage:

Leitsatz:

Merkzeichen können regelmäßig nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zuerkannt werden.

Rechtsweg:

SG Rostock, Beschluss vom 4.02.2014

Quelle:

Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Rostock vom 4. Februar 2014, mit dem der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt worden ist, wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Rostock vom 4. Februar 2014, mit dem der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist, wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um den Grad der Behinderung (GdB) der Antragstellerin und die Zuerkennung des Merkzeichens B.

Die 1934 geborene Antragstellerin leidet im wesentlichen an Knie- und Schulterschmerzen bei Zustand nach TEP im linken Kniegelenk und im linken Schultergelenk und an Osteoporose bei Zustand nach Wirbelkörperfraktur LWK 3 und 4. Zuletzt hat ihr der Antragsgegner auf ihren Änderungsantrag vom 30. April 2013 mit Bescheid vom 2. September 2013 in Gestalt der Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2013 und des Änderungsbescheides vom 10. April 2014 einen GdB von 50 sowie das Merkzeichen G zuerkannt. Die Voraussetzungen für einen höheren GdB und das Merkzeichen B lägen nicht vor, so dass der Antrag insoweit abzulehnen sei. Der Antragsgegner hat sich hierbei auf seine sozialmedizinischen Ermittlungen gestützt und ferner die Stellungnahme der behandelnden Fachärztin für innere Medizin Dr. W. vom 19. September 2013 berücksichtigt, nach der bei der Antragstellerin trotz des zur Verfügung stehenden Rollators eine erhebliche Fall- und Sturzneigung bestehe, weil der Rollator wegen der "kaputten" linken Schulter nicht sicher genutzt werden könne. Die Bewältigung längerer Strecken und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel seien der Antragstellerin ohne ständige Begleitung oder Hilfestellung durch ihren Ehemann nicht möglich. Ähnlich hat sich der behandelnde Facharzt für Orthopädie Dr. Sch. in einer Stellungnahme vom 10. September 2013 geäußert.

Gegen die Ablehnung der Zuerkennung der Merkzeichen G und B sowie eines höheren GdB hat die Antragstellerin am 28. November 2013 Klage erhoben und zugleich einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Unter Berücksichtigung ihrer berechtigten Interessen und in Abwägung mit den öffentlichen Interessen sei es ihr wegen der regelmäßig langwierigen Verfahrensdauer nicht zumutbar, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.


Die Antragstellerin hat beantragt,

unter Abänderung des Bescheides des Antragsgegners vom 2. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2013 die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche G und B festzustellen, den Grad der Behinderung mit mindestens 60 zu bemessen und ihr einen entsprechenden Ausweis auszustellen

und

ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.



Der Antragsgegner hat beantragt

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Er hat die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G im Verfahren anerkannt und sich im Übrigen auf seinen Vortrag im Verwaltungsverfahren gestützt.

Das Sozialgericht Rostock hat den Eilantrag und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 4. Februar 2014 abgelehnt.

Die Anträge seien nur insoweit zulässig, als der Beklagte nicht bereits ein Teilanerkenntnis abgegeben habe. Im Übrigen seien sie unbegründet.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG könne das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese vorläufige Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheine. Dies sei der Fall, wenn der Hauptsacheanspruch mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit bestehe (Anordnungsanspruch), dem Antragsteller bei ungeregeltem Zustand bis zur Hauptsacheentscheidung eine über Randbereiche hinausgehende Rechtsverletzung drohe (Anordnungsgrund) und diese Gefahr schwerer wiege als die Nachteile, die dem Antragsgegner durch den Erlass der einstweiligen Anordnung drohten.

Es könne offen bleiben, ob eine vorläufige Zuerkennung von Merkzeichen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits grundsätzlich ausgeschlossen und die Antragstellerseite auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen sei. Jedenfalls könne ein Anordnungsgrund im Verfahren nach dem SGB IX nur in eng begrenzten Ausnahmefällen angenommen werden; dann müsse eine besondere Härte vorliegen und besondere Gründe, die eine solche Anordnung gebieten würden

Die ärztlichen Stellungnahmen der Dres. W. vom 19. September 2013 und Sch. vom 10. September 2013 könnten allenfalls offene Erfolgsaussichten in der Hauptsache begründen, seien aber nicht geeignet, eine besondere Eilbedürftigkeit für den Erlass einer vorläufigen Regelung zu begründen, die - wie hier - den Ausgang des Hauptsacheverfahrens vorwegnehmen würde. Die Behauptung, dass die gesamtgesellschaftliche Teilhabe und Integration der Antragstellerin unter den gegenwärtigen Umständen dauerhaft und endgültig irreparabel beeinträchtigt sei, wenn keine Regelung bis zur Entscheidung der Hauptsache zugunsten der Antragstellerin erfolge, sei durch nichts untermauert und glaubhaft gemacht worden.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe habe zurückgewiesen werden müssen, weil die Rechtsverfolgung aus den vorgenannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete, § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114, 115 ZPO.

Gegen den ihr am 6. Februar 2014 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 6. März 2014 Beschwerde erhoben. Die Antragstellerin könne wegen ihrer Schmerzen und ihre Gangunsicherheit, verbunden mit der traumatisierenden Wirkung der durchgemachten Stürze und aus Angst vor weiteren Brüchen und Operationen nicht mehr ohne ständige Begleitung am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Gegenwärtig werde sie von ihrem Ehemann begleitet, auch wenn dieser ebenfalls gesundheitlich angeschlagen sei. Die Antragstellerin habe ferner einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Das Sozialgericht verkenne offenbar den im Sozialrecht herrschenden Untersuchungsgrundsatz, von dem die Gerichte auch im Eilverfahren nicht befreit seien. Die Antragstellerin habe hinreichend deutlich gemacht, dass sie ohne die beantragten Feststellungen dauerhaft an der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sei. Sie habe deutlich gemacht, dass sie für jegliche Bewegung fremder Hilfe bedürfe, die sie sich finanziell nicht leisten könne. Für die Glaubhaftmachung genüge zwar nicht die Möglichkeit einer Tatsache, aber deren überwiegende Wahrscheinlichkeit; gewisse Zweifel seien hinnehmbar. Es genüge, wenn bei mehreren ernsthaft in Betracht kommenden Möglichkeiten nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände mehr für den behaupteten als für andere mögliche Geschehensabläufe spreche. Das Sozialgericht hätte aber jedenfalls zumindest Prozesskostenhilfe bewilligen müssen, nachdem ein Teilanerkenntnis im Beschwerdeverfahren erfolgt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Beschwerdevortrages wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze verwiesen.


Die Antragstellerin beantragt zuletzt,

den Beschluss des Sozialgerichts Rostock vom 4. Februar 2014 aufzuheben und den Antragsgegner unter Aufhebung des Bescheides vom 2. September 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2013 und unter Berücksichtigung des Bescheides vom 10. April 2014 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, der Antragstellerin das Merkzeichen B zuzuerkennen, einen GdB von mindestens 60 festzustellen und der Antragstellerin einen entsprechenden Ausweis auszustellen,

sowie,

der Antragstellerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten für beide Instanzen zu bewilligen.


Der Antragsgegner beantragt,

die Anträge abzulehnen.

Er stützt sich im Wesentlichen auf den Inhalt des angegriffen Beschlusses und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.


II.

Die Beschwerden sind zulässig, aber unbegründet.

Der Senat schließt sich den Begründungen des Sozialgerichts sowohl für die Ablehnung des Eilantrages als auch des Prozesskostenhilfeantrages an und verzichtet gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG im Wesentlichen auf eine weitere Begründung.

Insbesondere hat die Antragstellerin weder in der ersten Instanz noch im Beschwerdeverfahren einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die von ihr zutreffend dargelegten Voraussetzungen einer solchen Glaubhaftmachung sind nicht erfüllt. Denn es ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin auch ohne vorläufige Zuerkennung des Merkzeichen B oder eines höheren GdB die Zeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache ohne erhebliche Nachteile abwarten kann. Die Antragstellerin selbst hat eingeräumt, dass ihr die mit dem begehrten Merkzeichen verbundene ständige Begleitung von ihrem Ehemann gewährt wird, obwohl auch dieser gesundheitlich angeschlagen sei. Vor diesem Hintergrund kann dahin stehen, dass die Antragstellerin nur behauptet, aber in keiner Weise glaubhaft gemacht hat, dass ihr jegliche finanziellen Mittel für eine anderweitige Begleitung fehlten. Ferner kann dahinstehen, dass auch dem Senat Fälle vorliegender Art, in denen um ein Merkzeichen oder den GdB gestritten wird, einer einstweiligen Anordnung, die die Hauptsache vorwegnehmen müsste, nicht zugänglich erscheinen.

Das Sozialgericht hat auch zutreffend und trotz des zwischenzeitlichen Teilanerkenntnisses keine Prozesskostenhilfe bewilligt. Denn auch bereits zuvor hat die Antragstellerin weder einen Anordnungsgrund für die sofortige Zuerkennung des Merkzeichens B noch für die sofortige Zuerkennung des Merkzeichen G oder für einen höheren GdB glaubhaft gemacht.

Wegen der fehlenden Erfolgsaussichten der Beschwerde war der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen, § 73a SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO.

Die Kostenentscheidung des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Referenznummer:

R/R7655


Informationsstand: 12.09.2018