Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25. Februar 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "B" (Berechtigung für eine ständige Begleitung).
Der 1954 geborene Kläger bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Aufgrund eines angenommenen Anerkenntnisses im Verfahren vor dem Sozialgericht Ulm (SG, Az. XXX) wurden der Grad der Behinderung (
GdB) mit 80 und die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "G", jeweils ab 3. August 2011, festgestellt. Hierzu erging der Ausführungsbescheid vom 3. Januar 2013. Die Feststellung des
GdB wurde auf die versorgungsärztliche Einschätzung der Funktionsbeeinträchtigungen "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom, chronisches Schmerzsyndrom" und "Lungenfunktionseinschränkung" jeweils mit einem Teil-
GdB von 50 sowie "koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, abgelaufener Herzinfarkt" mit einem Teil-
GdB von 10 gestützt.
Am 23. September 2013 beantragte der Kläger die Zuerkennung des Merkzeichens "B". Hierzu verwies er auf eine von ihm in der Ostseeklinik P. in Anspruch genommene Rehabilitationsmaßnahme im Dezember 2012, wonach sich kurzfristig durch verschiedene unterstützende Maßnahmen eine geringfügige Verbesserung gezeigt habe. Er sei bei den Anwendungen aber nicht alleine, sondern immer in einer Gruppe gewesen. Die Teilnehmenden seien im Bedarfsfall sofort mit unterstützenden Maßnahmen zur Stelle gewesen. Kein Schritt sei ohne eine Begleitperson unternommen worden, welche sofort hätte helfend eingreifen können. Diese Menschen seien ihm auch bei Hindernissen wie Steigungen und Treppen unterstützend zur Seite gestanden. Mit seinem Antrag gehe es ihm darum, die zeitliche und finanzielle Belastung bisheriger Begleitpersonen zu minimieren. Nach Rücksprache mit der Straßenverkehrsbehörde könne er bei Zuerkennung des Merkzeichens "B" zudem in die Gruppe derjenigen aufgenommen werden, die eine Parkerleichterung erhalten könnten. Hinzu komme, dass er das von ihm unterhaltene Kraftfahrzeug nur in einer Entfernung von etwa 350 m zu seinem Wohnhaus parken könne.
Zur Begründung seines Antrags legte er ferner eine ärztliche Bescheinigung der ihn behandelndes Fachärzte für Innere Medizin sowie Lungen- und Bronchialheilkunde beziehungsweise Pneumologie Dres. K./L. vom 6. November 2012 vor, wonach er sich wegen einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung in Behandlung befinde. Er habe bereits bei geringer Belastungsstufe Atemnot angegeben. Lungenfunktionell habe eine schwergradige obstruktive Ventilationsstörung objektiviert werden können. Diese chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung habe er bereits drei Monate zuvor diagnostizieren können. Bei einer Bodyplethysmographie am 22. August 2012 sei ein forciertes exspiratorisches Volumen (FEV1) von 1,21 l/min festgestellt worden, habe also nur 32 % der forcierten Vitalkapazität betragen. Er gehe davon aus, dass wegen des unauffälligen echokardiographischen Befundes die chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung die Hauptursache für die vom Kläger angegebene Atemnot sei.
Der in der Ostseeklinik P. tätige Facharzt für Orthopädie
Dr. W. berichtete über den dortigen stationären Aufenthalt vom 5. bis 26. Dezember 2012, dass eine auf entzündeten und dauerhaft verengten Atemwegen beruhende chronisch-obstruktive Lungenerkrankung
COPD im Stadium II (
ICD-10 J44.82), ein Alkohol- und Nikotinabusus, eine Adipositas im Stadium I bis II, eine arterielle Hypertonie, eine koronare Herzerkrankung bei einem Zustand nach Implantation eines Stents bei Ein-Gefäßerkrankung sowie der Verdacht auf eine Hepatose bei hohem Gamma-Glutamyl-Transpeptidase (GGT)-Spiegel diagnostiziert worden seien. Die zurückgelegte Wegstrecke habe im Sechs-Minuten-Gehtest mit Blutgasanalyse bei der Anreise 315 m und bei der Abreise 415 m betragen. Bei der Entlassungsuntersuchung habe der Kläger eine deutliche Verbesserung der kardio-pulmonalen Belastbarkeit sowie des Hustens und der belastungsbedingten Luftnot angegeben. Die Lunge sei auskultatorisch frei gewesen. Der Blutdruck sei mit 125/80 mmHg gemessen worden. Die Pulsfrequenz habe 60/min betragen. Der Kläger habe noch Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule infolge einer Prellung angegeben, die er sich unmittelbar vor der Entlassung am Strand zugezogen habe. Sonst seien keine Auffälligkeiten festgestellt worden. Bei der Bodyplethysmographie am 6. Dezember 2012 sei eine mittelschwere obstruktive Ventilationsstörung im Stadium Gold II mit leichter Überblähung und bei der gleichen Untersuchung am 19. Dezember 2012 eine schwere obstruktive Ventilationsstörung im Stadium Gold III mit wiederum leichter Überblähung festgestellt worden.
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2013 lehnte der Beklagte den Antrag auf Feststellung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "B" mit der Begründung ab, zur Mitnahme einer Begleitperson seien Menschen mit Schwerbehinderung berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen seien. Diese Voraussetzungen lägen beim Kläger nicht vor. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2014 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 7. März 2014 beim Beklagten Klage erhoben, mit welcher er nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung beim SG begehrt hat, unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung den Beklagten zu verurteilen, bei ihm das Merkzeichen "B" ab dem 23. September 2013 festzustellen. Zur Begründung hat er sich auf den von dem Assistenzarzt
Dr. Sch. in Vertretung für den Chefarzt der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie der Alb Fils Kliniken in G.,
Prof. Dr. Sch., unterschriebenen vorläufigen Entlassbrief über den stationären Aufenthalt vom 27. April bis 2. Mai 2014 gestützt, wonach eine Dyspnoe, am ehesten bei exazerbierter
COPD im Stadium Gold
IV, bei Ausschluss einer Lungenarterienembolie und einer tiefen Beinvenenthrombose, sowie aktuell eine koronare Zwei-Gefäßerkrankung diagnostiziert worden sind.
Das SG hat schriftliche sachverständige Zeugenaussagen bei dem Arzt für Allgemeinmedizin
Dr. R., dem Hausarzt des Klägers, bei
Dr. Sch. sowie den beiden Internisten und Pneumologen R. F. und
Dr. L. eingeholt.
Nach der Einschätzung von
Dr. R., bei dem der Kläger seit 2006 in Behandlung ist und der unter anderem eine koronare Zwei-Gefäßerkrankung und eine exazerbierte
COPD im Stadium Grad
IV mit schwerer Obstruktion diagnostiziert hat, sei der Kläger bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht regelmäßig auf eine Hilfeleistung angewiesen.
Dr. Sch. hat berichtet, beim Kläger stünden zwei chronische Erkrankungen im Vordergrund, die Herzschwäche und die chronische Lungenerkrankung. Beide brächten dauerhaft eine mittelschwere Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit mit sich. In Zeiten akuter, vorübergehender Verschlechterung zumindest einer der beiden Erkrankungen, was mehrmals pro Jahr auftreten könne, sei gar von einer schweren Beeinträchtigung auszugehen. Eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei dem Kläger in stabilen Phasen nur eingeschränkt mit Hilfestellung möglich, in Phasen mit akuter Verschlechterung gar unmöglich.
R. F. hat kundgetan, den Kläger Mitte Dezember 2013 einmalig untersucht zu haben. Anamnestisch liege eine obstruktive Ventilationsstörung vor. Diagnostiziert habe er eine chronisch-obstruktive Bronchitis, die in mittelschwerer Form vorliege. Wegen der Lungenfunktionseinschränkung sei der Kläger bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht regelmäßig auf eine Hilfeleistung angewiesen. Zu dieser Einschätzung ist auch
Dr. L. gelangt, der den endgültigen Entlassungsbericht von
Prof. Dr. Sch. vorgelegt hat. Der Kläger befinde sich seit Ende August 2012 in seiner Behandlung, die letzte Untersuchung sei Ende Mai 2014 erfolgt. Auf seinem Fachgebiet liege eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung vor. Bei der letzten Untersuchung sei eine schwergradige zentrale und periphere obstruktive Ventilationsstörung reproduzierbar gewesen. Blutgasanalytisch habe sich eine leichtgradige respiratorische Insuffizienz gefunden. Der Sauerstoffpartialdruck (pO2) sei mit 65 mmHg gemessen worden. Im Mai habe der FEV1-Wert 1,47 l/min betragen, habe also 40,2 % des Sollwertes entsprochen.
Das SG hat weiterhin ein Gutachten bei dem Internisten und Kardiologen
Dr. H. eingeholt. Nach einer klinischen Untersuchung des Klägers am 20. Oktober 2014 hat dieser ausgeführt, auf seinen Fachgebieten lägen insbesondere eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung mit einem FEV1-Wert von 1,79 l/min, was 49 % der Norm entspreche, und normaler Blutgasanalyse sowie eine koronare Herzerkrankung mit Zustand nach perkutaner transluminaler Koronarangioplastie des Ramus circumflex, kurz RCX-PTCA, im Juli 2008, ohne aktuell relevante Stenosen und mit guter Herzfunktion vor. Ferner habe er insoweit einen Zustand nach einem Nicht-ST-Hebungsinfarkt, kurz NSTEMI, festgestellt. Die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung bewerte er mit einem
GdB von 60, da bereits bei alltäglicher leichter Belastung wie etwa dem Gehen Luftnot auftrete. Beim Belastungs-EKG habe der Kläger 50 Watt erreicht, bevor der Test wegen Atemnot habe abgebrochen werden müssen. Für die koronare Herzerkrankung setze er einen
GdB von 20 an. Müssten beim Ein- und Aussteigen im öffentlichen Personennahverkehr Treppen überwunden werden, sei fremde Hilfe notwendig. Würden behindertengerechte Busse eingesetzt, also solche, bei denen keine Stufen zu überwinden seien, sei fremde Hilfe nicht erforderlich.
Zur weiteren Begründung seines Begehrens hat der Kläger vorgebracht, die Anstrengung überhaupt bestehe darin, erst einmal auf den Bahnsteig zu kommen. Probleme träten dann beim Ein-, Aus- und Umsteigen auf, wenn auch das Einsteigen in den Bus weniger problematisch sei. Unproblematisch sei es, wenn er einen Sitzplatz bekommen habe. Bei dem von
Dr. H. durchgeführten Belastungs-EKG habe er zwar 50 Watt erreicht. Die Untersuchung habe jedoch bereits nach drei Minuten wegen Luftmangels abgebrochen werden müssen. Bei späteren Tests mit dem Ergometer hätten alle Versuche bei einer Belastungsstufe von 10 Watt nach zehn Minuten wegen Atemnot beendet werden müssen. Das Busunternehmen, welches seinen Wohnort anfahre, halte nur zwei behindertengerechte Busse vor.
Ferner hat der Kläger den Entlassungsbericht des Chefarztes der Abteilung Atemwegserkrankungen und Allergien der Median Klinik H.,
Dr. H., über einen stationären Aufenthalt vom 17. Dezember 2014 bis 13. Januar 2015 vorgelegt. Danach seien unter anderem eine
COPD im Stadium Grad III nach Gold mit gehäuften Exazerbationen (
ICD-10 J44.89) sowie eine koronare Drei-Gefäßerkrankung, ein Zustand nach einem Myokardinfarkt und dem Einsatz eines Stents im Jahre 2008 (
ICD-10 I25.13) sowie eine hypertensive Herzkrankheit (
ICD-10 I11.90) diagnostiziert worden. Bei dem standardisierten Sechs-Minuten-Gehtest Mitte Januar 2015 habe der Kläger eine Gehstrecke von 220 m, auch wegen Rückenschmerzen, nur eingeschränkt zurücklegen können. Es liege eine mittelschwere Obstruktion zentral und peripher vor. Zudem habe eine schwere Überblähung mit Erniedrigung der inspiratorischen Vitalkapazität (VC/IN) und Verschlechterung beim Rehabilitationsende nach Exazerbation, eine schwere Einschränkung der globalen und spezifischen Diffusionskapazität sowie eine eingeschränkte Atemmuskelkraft mit deutlich verstärkter Beanspruchung der Atempumpe, hingegen kein pO2-Abfall bei Belastung festgestellt werden können. Das Ergometertraining sei dem Kläger zwar schwergefallen, er habe nur 10 Watt bewältigt. Die übrigen Behandlungen habe er hingegen durchführen können. Er habe regelmäßig Gebrauch von der Klimatherapie durch tägliche Spaziergänge gemacht.
Das SG hat mit Urteil vom 25. Februar 2015 die angefochtene Verwaltungsentscheidung aufgehoben und den Beklagten verurteilt, beim Kläger die Voraussetzungen für das Merkzeichens "B" ab dem 23. September 2013 festzustellen (nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung beim SG allerdings ab "24.09.2013"). Die Kammer sei zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, jedenfalls beim Ein- und Aussteigen, wegen seiner Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich auf fremde Hilfe angewiesen sei. Die Kammer stütze ihre Überzeugung auf dessen glaubhafte Einlassungen im Laufe des Verfahrens, den persönlichen Eindruck, welcher im Rahmen der mündlichen Verhandlung gewonnen worden sei, und letztlich auf das internistisch-kardiologische Gutachten von
Dr. H.. Der gerichtliche Sachverständige habe die wegen der Lungen- und Herzerkrankungen bestehenden Funktionsbehinderungen schlüssig dargelegt, wobei er bei der Lungenfunktionsprüfung eine Einschränkung um bis zu zwei Drittel gegenüber den Normalwerten festgestellt habe. Er habe bereits für die Lungenerkrankung einen Teil-
GdB von 60 für angemessen gehalten und letztlich ausgeführt, der Kläger benötige jedenfalls beim Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel Unterstützung, soweit eine Treppe zu bewältigen sei. Zwar habe
Dr. H. weiter angenommen, der Kläger benötige bei behindertengerechten Bussen keine fremde Hilfe. Die Kammer habe indes berücksichtigt, dass der in G. wohnhafte Kläger regelmäßig auf öffentliche Verkehrsmittel in Form von Landbussen angewiesen sei, welche gerade nicht regelmäßig über behinderungsgerechte Einstiegsmöglichkeiten verfügten. Der Kammer sei darüber hinaus bekannt, dass auch im Regionalverkehr der Deutschen Bahn
AG jedenfalls teilweise kein behinderungsgerechter Einstieg für Menschen vorhanden sei, die auf den Rollstuhl angewiesen seien. Dem Kläger, welcher bei längeren Wegstrecken grundsätzlich einen Rollator benötige, sei die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel von G. bis U. oder auch bei weiteren Strecken nicht ohne fremde Hilfe möglich. Zu Recht weise der Kläger auf die Haltestellen im Personennahverkehr in abgelegenen Ortsteilen größerer Städte hin, welche durchweg nicht barrierefrei für Nutzende von Rollstühlen oder Rollatoren ausgerichtet seien. Die Bordsteine seien vielfach nicht abgesenkt, so dass ein Einstieg selbst in einen der wenigen behinderungsgerecht ausgestatteten Busse in den Randgebieten von G. ohne eine Unterstützungshandlung durch eine weitere Person überhaupt nicht möglich sei.
Gegen die dem Beklagten am 26. März 2015 zugestellte Entscheidung hat dieser am 9. April 2015 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen,
Dr. W. habe in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme von Januar 2015, die noch im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt worden sei, ausgeführt, es bestehe zwar eine mittelschwere bis schwere chronisch-obstruktive Lungenerkrankung. Trotzdem sei dem Kläger nach der Untersuchung von
Dr. H. ergometrisch noch eine Belastbarkeit bis zur 50-Watt-Stufe möglich gewesen. Die Gehstrecke sei von diesem mit 400 bis 600 m eingeschätzt worden. Bei dieser Belastbarkeit beziehungsweise Gehfähigkeit sei es dem Kläger noch möglich, bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Schwierigkeiten ein- und auszusteigen; selbst dann, wenn der Ein- oder Ausstieg nicht ebenerdig möglich sei. Auch während der Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln sei eine fremde Hilfe nicht erforderlich. Das SG habe außer Acht gelassen, dass es nicht auf die konkreten Verhältnisse beim Regionalverkehr der Deutschen Bahn
AG in G. und U. ankomme, sondern die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "B" beim Kläger allgemein vorliegen müssten. Hierzu habe
Dr. W. überzeugend ausgeführt, dass die Benutzung eines Rollators nicht von vornherein die Zuerkennung des Merkzeichens "B" rechtfertige. Dieses gesundheitliche Merkmal stehe ferner nur dann zu, wenn bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig fremde Hilfe erforderlich sei. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Die Schwierigkeiten des Erreichens eines öffentlichen Verkehrsmittels wie etwa Treppenstufen, defekte Fahrstühle und Ähnliches seien für die Zuerkennung des Merkzeichens "B" nicht relevant. Unerheblich sei, ob die Lungenfunktionseinschränkung mit einem Teil-
GdB von 50 zu bewerten sei wie bislang oder mit einem solchen von 60, wie ihn
Dr. H. einschätze. Ein
GdB in dieser Höhe entspräche bei vergleichsweiser Anwendung von Teil B,
Nr. 9.1.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (
VG) einer Einschränkung bei alltäglicher Belastung, etwa Treppensteigen bis zu einem Stockwerk. Das bedeute aber keinesfalls, dass eine pulmonale Leistungseinschränkung bereits nach wenigen Treppenstufen auftrete, etwa bei einem nicht ebenerdigen Einstieg in einen Zug der Deutschen Bahn
AG. Die Sitzungsvertreterin habe sich nach Urteilsverkündung durch das SG notiert, ihr sei die Zuerkennung nicht nachvollziehbar, da sie den Kläger habe laufen sehen. Auch habe dieser während der dortigen mündlichen Verhandlung nichts von Schmerzen erwähnt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25. Februar 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat sich auf die Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil gestützt. Die von ihm noch zu bewältigende Gehstrecke habe sich von 430 m Ende 2012 auf aktuell 230 m reduziert. Bei längeren Gehstrecken ohne Steigung und Hindernisse verwende er zur Unterstützung und als "Rastplatz" einen Rollator. Bei kürzeren Strecken verwende er zur Schonhaltung einen Gehstock.
Dr. H. habe die Untersuchungsergebnisse teilweise unzutreffend wiedergegeben. Die letzten Jahre sei er kein einziges Mal mit 50 Watt auf einem Ergometer gefahren. Der Test habe nach drei Minuten bei etwa 25 Watt abgebrochen werden müssen. Es sei ein Notfallspray zum Einsatz gekommen. Ohnehin halte er nichts von Ärzten, die einen persönlich nicht kennen oder sich gerade einmal fünfzehn Minuten Zeit für die Untersuchung nehmen würden. Der FEV1-Wert habe bei einer Bodyplethysmographie aktuell nur noch 1,12 l/min betragen, was 30,4 % des Sollwertes entspreche. Er habe überdies Panikattacken, weshalb er seit 2014 weder ein Konzert oder ein Lokal noch eine Abendveranstaltung besucht habe. Attacken träten mitunter auch auf, wenn er das Gefühl habe, den Bus nicht rechtzeitig zu erreichen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die SG-Akte S 14 SB 4299/11 sowie die Verwaltungsakte des Beklagten (2 Bände) verwiesen.
Die nach § 151
Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§§ 143, 144
Abs. 1
SGG) des Beklagten ist begründet. Dessen Bescheid vom 14. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "Berechtigung für eine ständige Begleitung", die im Schwerbehindertenausweis durch die Eintragung des Merkzeichens "B" dokumentiert wird, liegen seit der diese Feststellung begehrenden Antragstellung des Klägers am 23. September 2013 bis aktuell nicht vor. Das SG hätte die in der Sache als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54
Abs. 1
SGG) erhobene Klage daher abweisen müssen.
Die Feststellung von Merkzeichen richtet sich nach den Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX), zuletzt geändert durch
Art. 1a des am 15. Januar 2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/
EG vom 7. Januar 2015 (BGBl II
S. 15).
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen (
§ 69 Abs. 4 SGB IX) und stellen auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus (§ 69
Abs. 5
SGB IX).
Zu diesen Merkmalen gehört die Berechtigung für eine ständige Begleitung, also das Merkzeichen "B". Gemäß
§ 146 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sind zur Mitnahme einer Begleitperson Menschen mit Schwerbehinderung berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Die Feststellung bedeutet nach § 146
Abs. 2 Satz 2
SGB IX nicht, dass die Person mit Schwerbehinderung, wenn sie nicht in Begleitung ist, eine Gefahr für sich oder für andere darstellt.
Der seit 1. Januar 2009 an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (
AHP) getretenen
Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1
Abs. 1 und 3, des § 30
Abs. 1 und des § 35
Abs. 1 BVG (
Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I
S. 2412) lassen sich im Ergebnis keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Nachteilsausgleiches entnehmen. Denn die
VG sind hinsichtlich der getroffenen Regelungen für den nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleich "B" unwirksam, da es insoweit zum Erlasszeitpunkt an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung gefehlt hat. Eine solche Ermächtigung hat sich weder in § 30
Abs. 17 BVG in der Fassung bis zum 30. Juni 2011 beziehungsweise § 30
Abs. 16 BVG in der Fassung ab dem 1. Juli 2011 noch in sonstigen Regelungen des BVG oder des
SGB IX gefunden (Urteile des Senats vom 9. Juni 2011 -
L 6 SB 6140/09 -, juris und vom 4. November 2010 - L 6 SB 2556/09; Urteile des
LSG Baden-Württemberg vom 9. Mai 2011 -
L 8 SB 2294/10 - und vom 14. August 2009 -
L 8 SB 1691/08 -, jeweils juris, sowie vom 24. September 2010 - L 8 SB 4533/09; Dau, jurisPR-SozR 4/2009,
Anm. 4).
Diesen Mangel hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz vom 7. Januar 2015 beseitigt und mit
§ 70 Abs. 2 SGB IX eine neue Verordnungsermächtigung unmittelbar im
SGB IX eingefügt. Danach wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ermächtigt, durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des
GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend und nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Da die
VersMedV einschließlich ihrer
Anlage zu § 2 nicht auf der Grundlage dieser erst seit 15. Januar 2015 gültigen Verordnungsermächtigung erlassen worden ist, ist nach wie vor deren Anwendung hinsichtlich der hier streitgegenständlichen Feststellung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "B" nicht möglich. Diesem Umstand hat der Gesetzgeber durch den ebenfalls mit Gesetz vom 7. Januar 2015 neu eingefügten
§ 159 Abs. 7 SGB IX Rechnung getragen. Danach gelten, soweit noch keine Verordnung nach § 70
Abs. 2
SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30
Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30
Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Hierdurch konnte zwar nicht die bezüglich der in den
VG enthaltenen Regelungen zu den Merkzeichen "G", "B", "aG" und "Gl" teilunwirksame
VersMedV neu erlassen oder als Verordnung für anwendbar erklärt werden, da es insoweit schon an der Zuständigkeit des Gesetzgebers hinsichtlich einer vom BMAS zu erlassenden Verordnung fehlt. Mit noch hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut (
vgl. zum rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklarheit
BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 3. September 2014 - 1 BvR 3353/13 -, juris) hat der Gesetzgeber jedoch mit der in § 159
Abs. 7
SGB IX getroffenen Regelung zum Ausdruck gebracht, dass er sich den insoweit maßgeblichen Verordnungstext in der Anlage zu § 2
VersMedV, also die unter
VG,
Teil D, Nrn. 1 bis
4 getroffenen Bestimmungen, zu eigen macht und bis zum Inkrafttreten der neuen Verordnung nach § 70
Abs. 2
SGB IX insoweit die
VG Gesetzescharakter haben (
vgl. BT-Drucks 18/3190,
S. 5).
Nach den
VG, Teil D, Nr. 2 gilt, dass für die unentgeltliche Beförderung einer Begleitperson nach dem
SGB IX die Berechtigung für eine ständige Begleitung zu beurteilen ist (Buchst. a). Eine solche ist bei Menschen mit Schwerbehinderung, bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "Gl" oder "H" vorliegen, gegeben, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zu beachten, ob sie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels angewiesen sind oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen
(z. B. bei Sehbehinderung oder geistiger Behinderung) erforderlich sind (Buchst. b). Die Berechtigung für eine ständige Begleitung ist anzunehmen bei Querschnittgelähmten, Ohnhändern, Blinden und Sehbehinderten, Hörbehinderten, Menschen mit geistiger Behinderung sowie Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist (Buchst. c). Diese Anforderungen decken sich mit denjenigen, die nach der Rechtslage bis 14. Januar 2015 galten (
vgl. Urteil des Senats vom 21. Februar 2013 -
L 6 SB 5788/11 -, juris, Rz. 23).
Dahinstehen kann, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung der Berechtigung für eine ständige Begleitung nur dann als erfüllt anzusehen sind, wenn Menschen mit Schwerbehinderung allgemein bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind oder ob die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles in den Blick zu nehmen sind. Für Ersteres könnte sprechen, dass bereits nach den
VG, Teil D,
Nr. 1 Buchst. b in Bezug auf die Voraussetzungen für eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen "G"), die beim Kläger mit Bescheid vom 3. Januar 2013 festgestellt worden sind und welche für die Zuerkennung des Merkzeichens "B" nach den
VG, Teil D,
Nr. 2 Buchst. b vorliegend gerade gegeben sein müssen, da bei ihm die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen "Gl" und "H" nicht festgestellt sind, eine allgemeine Beurteilung zu erfolgen hat (
vgl. Sächsisches
LSG, Urteil vom 20. Mai 2015 - L 6 SB 184/14 -, juris, Rz. 51;
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. April 2015 - L 13 SB 210/12 -, juris, Rz. 20). Für Letzteres könnte angeführt werden, dass die Außerachtlassung der konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles in den
VG, Teil D,
Nr. 1 Buchst. b ausdrücklich erwähnt ist, in den
VG, Teil D,
Nr. 2 Buchst. b demgegenüber nicht. Hiergegen könnte wiederum eingewendet werden, dass es in den
VG, Teil D,
Nr. 1 Buchst. b lediglich der Klarstellung bedurfte, da Maßstab der erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr Wegstrecken im Ortsverkehr sind, wohingegen nach den
VG, Teil D,
Nr. 2 Buchst. b von vornherein darauf abgestellt wird, ob Menschen mit Schwerbehinderung bei der Benutzung von Verkehrsmitteln "regelmäßig" auf fremde Hilfe angewiesen sind. Vorliegend liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "B" zur Überzeugung des Senats beim Kläger nach den vorliegenden medizinischen Befundunterlagen indes auch dann nicht vor, wenn maßgeblich wäre, dass der Kläger regelmäßig Strecken mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegt, bei denen nur eingeschränkt Busse und Bahnen mit Niederflurtechnik zum Einsatz kommen, also überwiegend beim Ein- und Ausstieg Treppenstufen überwunden werden müssen.
Hinweise auf Orientierungsstörungen haben sich weder nach den Arztdokumenten noch nach dem Vorbringen des Klägers ergeben. Die von ihm angeführten Panikattacken, die fachärztlich nicht belegt sind, halten ihn nicht wegen einer fehlenden Begleitperson seit 2014 davon ab, ein Konzert, ein Lokal oder eine Abendveranstaltung zu besuchen. Dahingehend hat er sich nicht eingelassen. Dass die Attacken auch auftreten, wenn er Angst hat, den Bus nicht rechtzeitig zu erreichen, ist kein Nachteil, der durch eine Begleitperson beim Ein- und Ausstieg oder während der Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel behoben werden könnte. Wegen der koronaren Herzerkrankung ohne aktuelle Stenosen und guter Herzfunktion ist der Kläger nach den schlüssigen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen
Dr. H. bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ebenfalls nicht regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen.
Aber auch in Bezug auf die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung liegen auf der Grundlage der objektivierten Funktionseinschränkungen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "B" nicht vor. Nach der Untersuchung des Klägers durch
Dr. H. ist diesem ergometrisch noch eine Belastbarkeit bis 50 Watt möglich gewesen. Diesen Wert hat der Kläger nach Übersendung des Gutachtens im Schreiben vom 2. Februar 2015 an das SG nicht als fehlerhaft bezeichnet. Darin hat er lediglich darauf hingewiesen, dass die Untersuchung nach etwa drei Minuten wegen Luftmangels habe abgebrochen werden müssen. Den Abbruch hat auch
Dr. H. in seinem Gutachten dokumentiert. Im Schreiben vom 14. August 2015 hat der Kläger demgegenüber nun erstmals ausgeführt, der Ergometertest habe nach drei Minuten bei etwa 25 Watt abgebrochen werden müssen. Weder nach dem
SGG noch nach der Zivilprozessordnung (
ZPO) gibt es zwar eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere; im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128
Abs. 1 Satz 1
SGG, § 286
ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben und sonstigen Einlassungen zu würdigen. Gleichwohl kann das Gericht im Rahmen der Gesamtwürdigung den zeitlich früheren Aussagen aufgrund des Gesichtspunktes, dass sie von irgendwelchen Überlegungen, die darauf abzielen, das Klagebegehren zu begünstigen, noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren zumessen (
vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R -, SozR 4-2700 § 4
Nr. 1, Rz. 12; Urteile des Senats vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW - juris, Rz. 144 und vom 21. Mai 2015 - L 6 U 1053/15 -, juris, Rz. 34). Hiervon geht der Senat vorliegend aus. Die Angaben im Schreiben von Februar dieses Jahres sind unmittelbar nach Übersendung des Gutachtens von
Dr. H. gemacht worden. In dem betreffenden Schriftstück hat sich der Kläger noch unbeeinflusst der späteren Kenntnis von entscheidungsrelevanten Kriterien wie der erreichten Wattzahl bei der Ergometerbelastung, welcher erst mit der Berufungseinlegung durch den Beklagten stärkeres Gewicht beigemessen worden ist, kritisch mit den Ausführungen von
Dr. H. auseinandergesetzt und hierbei lediglich auf den Abbruch nach drei Minuten wegen Atemnot hingewiesen, nicht aber die von
Dr. H. angeführte Wattzahl als unzutreffend bezeichnet. Der Senat ist daher überzeugt, dass der Kläger die 50-Watt-Stufe erreichte, auch wenn die Ergometerbelastung nach wenigen Minuten wegen Atemnot hatte abgebrochen werden müssen.
Dr. H. hat zwar über den stationären Aufenthalt des Klägers in der Median Klinik H. von Mitte Dezember 2014 bis Mitte Januar 2015 berichtet, das Ergometertraining sei diesem sehr schwer gefallen und habe nur bis 10 Watt bewältigt werden können. Es ist hingegen nicht nachgewiesen, dass der Grund für den Abbruch in der Atemnot des Klägers lag, zumal er die übrigen Behandlungen überwiegend bewältigen und nur teilweise wegen Infektexazerbationen nicht wahrnehmen konnte. Bei einer so geringen Belastbarkeit wäre ohnehin zu erwarten gewesen, dass bereits das bloße Aufstehen aus dem Bett schwer fiel. Dass dem nicht so war, lässt sich den weiteren Ausführungen von
Dr. H. entnehmen, wonach der Kläger regelmäßig Gebrauch von der Klimatherapie durch tägliche Spaziergänge gemacht hatte. Dies ist zudem ein Hinweis darauf, dass die Atemnot nicht ursächlich für die Beendigung der Ergometerbelastung bereits bei 10 Watt gewesen sein kann.
Der FEV1-Wert ist von
Dr. H. Ende Oktober 2014 mit 1,79 l/min ermittelt worden, was einem Volumenanteil von immerhin noch 49 % der Vitalkapazität beim Ausatmen entspricht und damit um lediglich etwas mehr als die Hälfte niedriger als der Sollwert liegt. Dieser Wert deckt sich mit dem von
Dr. L. bei einer Bodyplethysmographie Anfang Oktober 2014 festgestellten. Soweit dieser den Kläger behandelnde Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde die FEV1-Werte Ende Juni 2015 mit 1,41 l/min (38,2 %) und jüngst Mitte August 2015 mit 1,12 l/min (30,4 %) festgestellt hat, deutet sich zwar eine Verschlechterung an. Gleichwohl kann deswegen noch nicht angenommen werden, dass dieser Messwert der Lungenfunktionsprüfung, der erstmals Mitte August 2015 wieder mehr als zwei Drittel niedriger als der Sollwert gelegen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate anhält (
vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX), wodurch eine weitere relevante Einschränkung der Lungenfunktion objektiviert wäre (
vgl. VG, Teil B, Nr. 8.3), die Einfluss auf das Erfordernis regelmäßiger Hilfe bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln haben könnte. Denn schon bei der von Dres. K./L. durchgeführten Bodyplethysmographie Ende August 2012 war ein FEV1-Wert von nur 1,21 l/min (32 %) festgestellt worden, der sich in der Folgezeit hingegen wieder gebessert hatte. Umstände, derentwegen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden müsste, dass sich dieser Wert durch keine Behandlungsmethode in nächster Zeit verbessern ließe, liegen nicht vor. Daneben ist die von
Dr. H. durchgeführte Blutgasanalyse normal gewesen. Der Sauerstoffpartialdruck ist von
Dr. L. Ende Mai 2014 mit 65 mmHG gemessen worden; ein pO2-Abfall bei Belastung ist auch während des stationären Aufenthaltes des Klägers in der Median Klinik H. Ende 2014/Anfang 2015 nicht festgestellt worden.
Die vom Kläger ebenerdig zurücklegbare Gehstrecke ist von
Dr. H. ferner mit 400 bis 600 m eingeschätzt worden. Selbst die Strecke von 230 m, wie sie der Kläger für die Ebene nunmehr als nur noch möglich zu gehen angibt, mag zwar ein Hinweis darauf sein, dass ihm wegen zunehmender Atemnot auch der Ein- und Ausstieg bei öffentlichen Verkehrsmitteln schwer fällt. Nach Auffassung des Senats ist dem Kläger der Zustieg und das Verlassen solcher Beförderungsmittel gleichwohl noch zumutbar möglich, selbst dann, wenn wenige Treppenstufen überwunden werden müssen. Während der Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln ist der Kläger ohnehin nicht regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen. Dies hat er während des erstinstanzlichen Verfahrens eingeräumt, indem er ausgeführt hat, keine Begleitperson zu benötigen, wenn er einen Sitzplatz gefunden hat.
Dr. H. ist zwar hinsichtlich des Betretens und Verlassens von Bussen und Bahnen zu einer anderen Einschätzung gelangt. Auf der Grundlage der von ihm erhobenen Befunde ist seine Auffassung, wonach der Kläger wegen der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung, die bei ihm bereits bei alltäglicher leichter Belastung wie etwa dem Gehen zu Luftnot führe, bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln beim Ein- und Aussteigen auf fremde Hilfe angewiesen sei, wenn er Treppenstufen überwinden müsse, hingegen nicht nachvollziehbar. Seine Bewertung der Funktionsbeeinträchtigungen wegen der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung mit einem
GdB von 60 orientiert sich an den
VG, Teil B,
Nr. 8.3, wonach für Krankheiten der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion mittleren Grades (das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei alltäglicher Belastung, etwa Spazierengehen mit einer Geschwindigkeit zwischen 3-4
km/h, Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit) ein
GdB-Rahmen von 50 bis 70 eröffnet ist. Ein mögliches Treppensteigen bis zu einem Stockwerk bedeutet aber nicht, dass eine pulmonale Leistungseinschränkung bereits nach wenigen Trittstufen, die bei öffentlichen Verkehrsmitteln allenfalls zu erwarten sind und auch nach den vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Bildkopien die Anzahl von vier nicht übersteigt, auftritt, die es dem Kläger nicht mehr ermöglichte weiterzugehen. Hierauf weist auch der Beklagte, gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von
Dr. W., der sich insoweit allerdings, ohne dass eine Notwendigkeit hierfür bestünde, an die
VG, Teil B, Nr. 9.1.1, also die Einschränkung der Herzleistung, anlehnt, im Ergebnis zutreffend hin.
Da für die Zuerkennung des Merkzeichens "B" nach den
VG, Teil D,
Nr. 2 Buchst. b ausschließlich zu beachten ist, ob Menschen mit Schwerbehinderung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels angewiesen sind, ist die bauliche Beschaffenheit von Haltestellen, Bahnsteigen oder Bahnhöfen ohne Belang.
Davon, dass der Kläger bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge seiner Behinderungen nicht regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist, geht im Übrigen auch der diesen seit 2006 behandelnde Hausarzt
Dr. R. aus, obwohl er unter anderem neben einer koronare Zwei-Gefäßerkrankung eine exazerbierte
COPD im Stadium Grad
IV mit schwerer Obstruktion diagnostiziert hat. Die den Kläger behandelnden Internisten und Pulmologen R. F., der den Kläger allerdings nur einmalig Ende 2013 untersucht hat, und
Dr. L., bei dem der Kläger seit August 2012 in Behandlung ist, sind ebenfalls der Ansicht, dass dieser bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist.
Dr. Sch. hat zwar geäußert, in Zeiten akuter, vorübergehender Verschlechterung zumindest einer der beiden das Herz und die Lunge betreffenden Erkrankungen, was mehrmals pro Jahr auftreten könne, sei gar von einer schweren Beeinträchtigung auszugehen. Eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei dem Kläger in stabilen Phasen nur eingeschränkt mit Hilfestellung möglich, bei Phasen mit akuter Verschlechterung gar unmöglich. Damit beschreibt er aber lediglich abstrakt möglicherweise auftretende Beeinträchtigungen, die im Falle des Klägers eine Begleitperson erforderten, ohne darauf einzugehen, ob dieser konkret und inwieweit, insbesondere unmittelbar nach dem stationären Aufenthalt in den Alb Fils Kliniken in G. ob der dort erhobenen Befunde, bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmittels auf fremde Hilfe angewiesen gewesen ist. Dies wird für Ende 2012 auch durch den Entlassungsbericht von
Dr. W. über die stationäre Behandlung vom 5. bis 26. Dezember 2012 in der Ostseeklinik P. bestätigt. wonach nur bei starker Anstrengung leichte Atemnot zu verzeichnen war, wobei der übergewichtige Kläger weiterhin einen Alkohol- und Nikotinabusus betreibt.
Selbst wenn der Einschätzung von
Dr. H. gefolgt würde, dass der Kläger zur Überwindung der Trittstufen beim Ein- und Aussteigen in einen Bus oder eine Bahn fremder Hilfe bedarf, obwohl dies nicht näher begründet worden und nicht ohne Weiteres bei einem beschriebenen Restgehvermögen von 400 bis 600 m nachvollziehbar ist, worauf der Beklagte, gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von
Dr. W. zu Recht hingewiesen hat, bedeutet dies nicht, dass der Kläger regelmäßig auf eine Begleitperson angewiesen ist. Denn solche Hindernisse müssen bei der Benutzung von Verkehrsmittels nicht in dieser nach den
VG, Teil D,
Nr. 2 Buchst. b geforderten Häufigkeit überwunden werden, da auch auf den vom Kläger angegebenen Strecken, etwa von seinem Wohnort nach U. und zurück, bereits derzeit sowie künftig nach getätigten Neuinvestitionen in aller Regel vermehrt, zumindest im öffentlichen Personenverkehr (
vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 Behindertengleichstellungsgesetz - BGG), Busse und Bahnen mit Niederflurtechnik eingesetzt werden, bei denen der Zu- und Ausstieg insoweit barrierefrei (
§ 4 BGG) möglich ist. Selbst das Busunternehmen, welches den Wohnort des Klägers ansteuert, hält, wie dieser vorgetragen hat, derzeit zumindest zwei behindertengerechte Busse vor.
Nach alledem war der Berufung des Beklagten stattzugeben und das erstinstanzliche Urteil aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160
Abs. 2
SGG nicht vorliegen.