Urteil
Ermittlung des Grades der Behinderung - Voraussetzung der Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B"

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat


Aktenzeichen:

L 13 SB 23/16


Urteil vom:

14.12.2017


Grundlage:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligen streiten noch über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) sowie über die Zuerkennung der Merkzeichen G und B.

1999 war bei dem 1947 geborenen Kläger ein GdB von 60 festgestellt worden. Am 12. Dezember 2011 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag, mit dem er auch die Merkzeichen G, B, aG, T und RF begehrte. Der Beklagte holte im Verwaltungsverfahren das Gutachten des Arztes Dr. S vom 2. Mai 2012 ein, der den Gesamt-GdB weiterhin auf 60 einschätzte und die gesundheitlichen Voraussetzungen der begehrten Merkzeichen verneinte. Hierzu ermittelte der Gutachter folgende Einzel-Behinderungen:

1. Persönlichkeitsstörung mit psychosomatischen Beschwerden (Einzel-GdB von 50),

2. degenerative Wirbelsäulenveränderungen, langanhaltende Nervenwurzelreizerscheinungen im Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich, rheumatische Beschwerden (Einzel-GdB von 30),

3. relative Blasen- und Mastdarminkontinenz, Fettstoffwechselstörung (Einzel-GdB von 20),

4. Fettleber (Einzel-GdB von 10),

5. Bluthochdruck (Einzel-GdB von 10).

Dem Gutachten folgend lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 21. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2012 ab.

Hiergegen hat der Kläger sich mit der beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage gewandt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gutachten der Ärztin Dr. F vom 19. Juli 2013 mit ergänzender Stellungnahme vom 19. Oktober 2013 eingeholt, die bei dem Kläger folgende Einzelbehinderungen festgestellt hat:

1. Persönlichkeitsstörung mit psychosomatischen Beschwerden (Einzel-GdB von 50),

2. Wirbelsäulenfunktionsstörungen (Einzel-GdB von 20),

3. relative Harnblasen- und Mastdarminkontinenz (Einzel-GdB von 20).

Die gesundheitlichen Voraussetzungen von Merkzeichen hat die Gutachterin verneint. Ferner hat das Sozialgericht die schriftliche Auskunft nach Aktenlage des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. B vom 19. Oktober 2015 eingeholt. Mit Gerichtsbescheid vom 14. Dezember 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren zunächst weiterverfolgt, im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter auf die Zuerkennung eines höheren GdB von mindestens 80 und der Merkzeichen G und B reduziert hat.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin, für psychosomatische Medizin und ärztliche Psychotherapie Dr. S vom 27. März 2017, der nach Untersuchung des Klägers folgende GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt hat:

1. Persönlichkeitsstörung mit anankastischen und paranoiden Anteilen (Einzel-GdB von 50),

2. rezidivierende Lumbalgien bei degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule (Einzel-GdB von 20),

3. Dranginkontinenz und neurogene Blasenentleerungsstörung (Einzel-GdB von 20),

4. leichtgradige sensorische Stuhlinkontinenz, gebessert (Einzel-GdB von 10),

5. Bluthochdruck mit Organbeteiligung (Fundus hypertonicus, Herzinsuffizienz) (Einzel-GdB von 20),

6. Schlafapnoesyndrom mit Notwendigkeit nasaler Überdruckbehandlung (Einzel-GdB von 20).

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2015 zu ändern sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 21. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2012 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 12. Dezember 2011 einen Grad der Behinderung von mindestens 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G und B festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seine Entscheidung für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

Rechtsweg:

SG Berlin, Gerichtsbescheid vom 14.12.2015 - S 199 SB 2593/12

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin verhandeln und entscheiden; § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage mit der angefochtenen Entscheidung zu Recht abgewiesen.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Grad der Behinderung von mehr als 40.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), die am 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist, festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.

Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils vom 5. Oktober 2015 und sieht nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Auch die weiteren Ermittlungen rechtfertigen keine andere Entscheidung.

Die psychische Erkrankung des Klägers bedingt nach Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV einen Einzel-GdB von 50, da er nach den fachärztlichen Feststellungen des Sachverständigen Dr. S an stärker behindernden psychischen Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten leidet.

Die Funktionsstörung der Wirbelsäule ist als Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Der Senat schließt sich den überzeugenden und übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. F und Dr. S an, die den Vorgaben nach Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV entsprechen.

Für die relative Harninkontinenz des Klägers ist nach Teil B Nr. 12.2.4 der Anlage zu § 2 VersMedV ein Einzel-GdB von 20 anzusetzen.

Im Funktionssystem Verdauung sind die Funktionsstörungen des Klägers nach der Überzeugung des Senats mit einem Einzel-GdB von 10 zu würdigen (vgl. Teil B Nr. 10.2.4 der Anlage zu § 2 VersMedV).

Der Bluthochdruck ist nach Teil B Nr. 9.3 der Anlage zu § 2 VersMedV mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, da nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. S eine mittelschwere Form mit Organbeteiligung in der Gestalt eines Fundus hypertonicus und einer beginnenden hypertensiven Herzkrankheit mit Belastungsherzinsuffizienz vorliegt.

Für das Schlaf-Apnoe-Syndrom mit der Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung ist in Teil B Nr. 8.7 der Anlage zu § 2 VersMedV ein Einzel-GdB von 20 vorgesehen.

Liegen - wie hier - mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Bei dem Kläger ist der Gesamt-GdB danach mit 60 festzusetzen. Der Einzel-GdB von 50 für die psychische Erkrankung ist nach Überzeugung des Senats im Hinblick auf das mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertenden Wirbelsäulenleiden um einen Zehnergrad heraufzusetzen. Eine weitere Erhöhung ist im Hinblick auf die übrigen Behinderungen nicht gerechtfertigt, da nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. S die wesentliche Behinderung auf psychischem Gebiet dominiert.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G".

Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Alternativ können sie nach § 3a Abs. 2 Kraftfahrzeugsteuergesetz eine Ermäßigung der Kraftfahrzeugsteuer um 50 v. H. beanspruchen. Über das Vorliegen der damit angesprochenen gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 1 und 4 SGB IX).

Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - d.h. altersunabhängig von nichtbehinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 10. Dezember 1987, 9a RVs 11/87, BSGE 62, 273 = SozR 3870 § 60 Nr. 2). Allerdings ist es für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht ausreichend, dass diese Wegstrecke nicht in dem genannten Zeitraum bewältigt werden kann. Das Gesetz fordert in § 145 Abs. 1 Satz 1, § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX darüber hinaus, dass Ursache der beeinträchtigten Bewegungsfähigkeit eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sein und diese Behinderung dessen Gehvermögen einschränken muss (sog. "doppelte Kausalität", siehe BSG, Urteil vom 24. April 2008 - B 9/9a SB 7/06 R -, SozR 4-3250 § 146 Nr. 1). Hierzu hatte das Bundessozialgericht die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) herangezogen, die in Nr. 30 Abs. 3 bis 5 Regelfälle beschrieben, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen waren und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen konnten (so BSG, Urteil vom 13. August 1997, - 9 RVs 1/96 -, SozR 3-3870 § 60 Nr. 2). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gaben die AHP an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen mussten, bevor angenommen werden konnte, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist". Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird. Darunter sind neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, zu nennen. Von diesen Faktoren filterten die AHP all jene heraus, die nach dem Gesetz außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des schwerbehinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen (vgl. BSG, Urteil vom 13. August 1997, a.a.O.).

Diese Grundsätze gelten auch auf der Grundlage der in der Anlage zu der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" weiter, und zwar unabhängig davon, ob - wie überwiegend vertreten wird (so Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4; Oppermann, in: Hauck/Noftz, GK SGB, Loseblattwerk Stand: 2013, Rn. 36a zu § 69 SGB IX; LSG Baden-Württemberg, seit Urteil vom 23. Juli 2010 - L 8 SB 3119/08 - in ständiger Rechtsprechung, zuletzt Urteil vom 24. Januar 2014 - L 8 SB 2723/13 -; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Dezember 2009 - L 10 SB 39/09 -; offen gelassen von: LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Oktober 2013 - L 10 SB 154/12 -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2011 - L 13 SB 12/08 -) - die Vorschriften über die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" in Teil D Nr. 1d bis 1f der Anlage zu § 2 VersMedV mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage nichtig sind. Denn die in den AHP aufgestellten Kriterien wurden über Jahre hinweg sowohl von der Verwaltung als auch von den Gerichten in ständiger Übung angewandt, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" als gewohnheitsrechtlich anerkannt zu betrachten sind (so auch LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Dezember 2009 - L 10 SB 39/09 -). Hinzu kommt, dass mit ihrer Verrechtlichung durch die VersMedV keine Änderung des Rechtszustandes beabsichtigt war, da sie materiell die Regelungen zum Merkzeichen "G" unverändert aus den AHP übernommen hat. Den genannten Bedenken hat der Gesetzgeber inzwischen mit dem Gesetz vom 7. Januar 2015 (BGBl. II S. 15) Rechnung getragen, indem er in § 70 Abs. 2 SGB IX mit Wirkung ab 15. Januar 2015 das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt hat, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts (Urteil vom 11. August 2015 -B 9 SB 1/14 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 21) verbleibt es für eine Übergangszeit bis zum Erlass einer neuen Rechtsverordnung bei der bisherigen Rechtslage (vgl. § 159 Abs. 7 SGB IX; hierzu BT-Drucks 18/3190, S. 5).

Die Aufzählung der Regelbeispiele in Teil D Nr. 1d bis Nr. 1f der Anlage zu § 2 VersMedV enthält indes keine abschließende Listung der in Betracht kommenden Behinderungen aus dem Formenkreis einzelner medizinischer Fachrichtungen: Anspruch auf den Nachteilsausgleich G hat - über die genannten Regelbeispiele hinausgehend - vielmehr auch der schwerbehinderte Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falles aufgrund anderer Erkrankungen mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion und die zumutbare Wegstrecke dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis gleichzustellen ist (siehe BSG, Urteil vom 11. August 2015 - B 9 SB 1/14 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 21). Denn der umfassende Behindertenbegriff im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gebietet im Lichte des verfassungsrechtlichen als auch des unmittelbar anwendbaren UN-konventions-rechtlichen Diskriminierungsverbots (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG; Art. 5 Abs. 2 UN-BRK) die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen. Den nicht erwähnten Behinderungen sind die Regelbeispiele als Vergleichsmaßstab zur Seite zu stellen (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015 a.a.O. unter Hinweis auf das Urteil vom 13.8.1997 - 9 RVs 1/96 -, SozR 3-3870 § 60 Nr. 2).

Gemessen an diesen Maßstäben ist der Kläger nicht erheblich gehbehindert.

Der Sachverständige Dr. S hat in seinem Gutachten vom 19. April 2017 überzeugend herausgearbeitet, dass der Kläger weder aus organischen noch aus psychischen Gründen gehindert ist, Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen, die üblicherweise zu Fuß zurückgelegt werden. Im Übrigen erfüllt der Kläger nach den gutachterlichen Feststellungen weder die medizinischen Voraussetzungen der genannten Regelbeispiele noch leidet sie unter Erkrankungen, die den in Teil D Nr. 1d bis Nr. 1f der Anlage zu § 2 VersMedV genannten Regelfällen mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion gleichzustellen sind.

3. Der Kläger hat auch Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "B".

Nach § 146 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sind zur Mitnahme einer Begleitperson schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Abgesehen davon, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "Gl" oder "H" nicht vorliegen (vgl. Teil D Nr. 2b der Anlage zu § 2 VersMedV), ist der Sachverständige Dr. S in seinem Gutachten überzeugend zu dem Schluss gelangt, dass der Kläger bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel keiner Begleitung bedarf, da er hierbei nicht regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.

Referenznummer:

R/R7890


Informationsstand: 27.11.2018