I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17.09.2014 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch um Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach
Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt.
Die 1964 geborene Klägerin ist gelernte Krankenschwester und war vom 01.02.2011 bis 31.07.2012 als Hilfskraft im Gruppendienst eines Wohnheims der L. mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 12,25
Std. in der Frühschicht (täglich 2 1/4 Stunden) beschäftigt. Ihre Arbeit umfasste die Begleitung und Förderung behinderter Menschen. Sie musste auch Bad und Toilette reinigen.
Mit Schreiben vom 20.02.2013 meldete die Barmer GEK einen Erstattungsanspruch nach § 111
SGB X gegenüber der Beklagten an wegen allergischer Reaktion auf Putzmittel als mögliche Folge einer Berufskrankheit (BK). Die Klägerin ging davon aus, dass sie durch die Inhaltsstoffe von Putzmitteln krank geworden sei. Verwendet wurden laut Klägerin Milizid (
Dr. Schnell) und ein Lemon Duft-Neutralreiniger.
In Schilderungen zu Lebenslauf und Krankheitsverlauf berichtete die Klägerin
u. a. über einen Burn-Out 1999/2000 sowie Erschöpfungsphasen 2008, 2009 und 2010. Während der Arbeit für die L. sei sie zunehmend in extreme Müdigkeit geraten, wobei das Gedächtnis zuerst betroffen gewesen sei. Ein Handekzem habe sich vollständig zurückentwickelt, nachdem sie nicht mehr die Grundreinigung der Bäder durchführen musste. Von einer Virusgrippe im März 2011 habe sie sich nicht mehr vollständig erholt. Nach Urlaub im August 2011
bzw. ab Oktober 2011 habe sie kontinuierlich Gewicht zugenommen, ohne mehr zu essen, und sei immer mehr eingetrübt. Nach einem kleinen Radunfall im Januar 2012 seien undefinierbare Kniegelenkschmerzen aufgetreten. Durch Virusgrippe im April 2012 hätten sich die Symptome verschlimmert, mit Infektanfälligkeit und vollkommenem Zusammenbruch Anfang Juli. Konzentration und Kurzzeitgedächtnis hätten nachgelassen; sie sei schnell müde geworden. Den Juli habe sie frei gehabt und die meiste Zeit geschlafen. Ab Oktober 2012 seien ein Kribbeln im Kopf und an den Oberarmen aufgetreten, ein Hitzegefühl, auch entlang der Wirbelsäule, sie habe Gangstörungen gehabt, Bewegungseinschränkungen, Schmerzunempfindlichkeit an den Oberschenkeln und Polyneuropathien vom Kopf bis zu den Füßen. Sie habe alle Symptome von ME/CFS (= myelopathische Enzephalopathie/chronic fatigue syndrome). Saunagänge und Lymphdrainagen würden helfen.
Die Klägerin führte ihre Beschwerden auf eine Lösemittelvergiftung zurück. Mangels Einweisung habe sie den Kaltreiniger fälschlicherweise in heißem Wasser aufgelöst und dabei inhaliert. Sie sei nicht psychisch krank, werde aber auf die Psychoschiene geschoben.
Auf die übersandten ärztlichen Unterlagen der Zahnärzte Dres. D., des Allgemeinmediziners
Dr. H. und des Orthopäden
Dr. B. wird verwiesen. Der Durchgangsarzt
Dr. P. vom Krankenhaus A-Stadt nannte als Erstdiagnosen am 29.04.2013 eine "komplex neurologisch internistische Intoxikationsfolge oder eine chronische Psychose".
Der Gewerbearzt
Dr. H. führte mit Stellungnahme vom 26.04.2013 aus, dass nach Aktenlage keine Listen-Berufskrankheit vorliege. Weder liege eine geeignete Exposition am Arbeitsplatz noch eine berufsbedingte Beanspruchungsreaktion vor. Die Anerkennung einer BK könne nicht empfohlen werden.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.05.2013 die Anerkennung der geltend gemachten Beschwerden (Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schmerzen in den Oberarmen und Oberschenkeln, Gewichtszunahme und Konzentrationsstörungen) als BK oder Wie-Berufskrankheit ab. Die Beschwerden seien nicht in der Berufskrankheitenliste aufgeführt.
Zur Begründung ihres Widerspruchs vom 22.05.2013 führte die Klägerin im Wesentlichen aus, sie habe nicht gewusst, dass sich bei Verwendung des Reinigers in warmen Wasser Gase bilden könnten. Sie habe keine Gummihandschuhe mit langen Stulpen bekommen. Sie habe nur zeitweise Reinigungsarbeiten durchführen können, weil die Haut durch Saunagänge freitags entgiftet worden sei. Auch helfe ihrem Körper, dass sie sich nicht gegen Hepatitis impfen lasse und keine Medikamente nehme. Sie sei in den Wechseljahren und habe nun Diabetes. Untersuchungen, die für eine BK
Nr. 1317 hätten Beweise liefern können, seien nicht erfolgt. Die Klägerin legte Befunde der behandelnden Ärzte und Informationen zu dem verwendeten Kaltreiniger vor.
Der Neurologe und Psychiater
Dr. S. diagnostizierte im Arztbrief vom 30.07.2012 eine Neurasthenie, Anpassungsstörungen und ein Überlastungssyndrom. Die Klägerin sei zuletzt im August 2010 vorstellig gewesen. Sie sei seit Wochen niedergeschlagen, antriebsgemindert, energielos und könne sich nicht mehr zu Hobbys wie Tanzen oder Nordic Walking aufraffen. Die Scheidung sei erfolgt. Bei Untersuchung waren Mnestik, Konzentration und Bewusstsein unauffällig, das Denken formal eingeengt, bei Grübeln, dysthymen Affekt, Ratlosigkeit und Antriebsminderung. Im Arztbrief vom 02.10.2012 diagnostizierte
Dr. S. zusätzlich eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Im Arztbrief vom 15.10.2012 nannte
Dr. S. als Diagnosen Läsionen der Lumbosakralwurzeln sowie Verdacht auf Somatisierungsstörung und schloss eine Myopathie und Spannungskopfschmerz aus. Der Neurostatus sei unauffällig, ohne Anhalt für eine muskuläre Erkrankung im Sinne einer Myopathie, für radikuläre Symptome oder für eine zentralneurologische Störung; eine Nervenläsion im Bereich der Beine sei ausgeschlossen. Obwohl selten so eindrücklich ein psychosomatischer Zusammenhang zu erkennen sei, lehne die Klägerin eine psychische Erkrankung vehement ab, was den therapeutischen Zugang erschwere. Die Klägerin leide seit längerem an Burnout und sei seit Rehamaßnahmen 2008 und 2009 nicht mehr voll leistungsfähig. Es bestünden erhebliche psychosoziale langjährige Konflikte. Ein MRT des Kopfes habe keinen Befund ergeben. Paresen oder Auffälligkeiten der Muskeleigenreflexe, Muskelatrophien oder sensible Defizite lagen bei Untersuchung nicht vor, der Lasègue war negativ und die Koordinationsprüfungen und Hirnnerven waren unauffällig. Eine inkonstante Kraftminderung vor allem im Bereich der Oberschenkel beidseits bestünde; die Klägerin sei agitiert und panisch von einer körperlichen Erkrankung überzeugt.
Die Klägerin merkte dazu an, dass der Apparat defekt gewesen sei, dass sie wegen der Läsion der Lumbosakralwurzeln keine Beschwerden habe und ein Burnout sowie psychosoziale Konflikte vor 2000 vorgelegen hätten.
Das Krankenhaus der B. B-Stadt diagnostizierte nach Aufenthalt der Klägerin vom 29.01.2013 bis 01.02.2013 einen Verdacht auf somatoforme Störung und wahnhafte Störung bei unauffälligen körperlichen Befunden. Unauffällig waren der Hirnnervenstatus, der Kopf- und Halsbereich, die Muskeleigenreflexe (mittellebhaft auslösbar), die Koordination und das EEG. Es bestanden keine Paresen und keine Oberflächen- und Tiefensensiblitätsstörungen, die Propriozeption (= Eigenwahrnehmung) war uneingeschränkt, das Vibrationsempfinden betrug allseits 7-8/8, die komplexen Gangprüfungen waren regelrecht möglich, bei leicht unsicherem Blindgang und eine entzündliche ZNS-Erkrankung - insbesondere eine Neuroborreliose - konnte ausgeschlossen werden aufgrund unauffälliger Labor- und Liquordiagnostik. Die Klägerin könne ein Zurechtrücken ihres eigenen Erklärungsmodells nicht akzeptieren; wegen wahnhafter Störung wurde eine psychiatrische Weiterbehandlung empfohlen.
Im Arztbrief vom 12.12.2012 diagnostizierte der Endokrinologe
Dr. S. eine latente Hypothyreose bei atrophischer Schilddrüse, V.a. Insulinresistenz bei Adipositas und einen auszuschließenden Hypercortisolismus. Die Klägerin habe über extreme Müdigkeit, Schmerzen in Kopf, Oberarmen, Oberschenkel sowie Gewichtszunahme geklagt, mit Auftreten der Beschwerden nach Grippe Anfang 2012.
Das MRT des Schädels vom 04.09.2012 war unauffällig, ohne Anhalt für entzündliche Prozesse. Das MRT von HWS und BWS vom 24.06.2013 zeigte beginnende Osteochondrosen mit Bandscheibenprotrusionen im Bereich C 4 bis C 7.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2013 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 17.07.2013 Klage beim Sozialgericht Landshut (SG) erhoben und zunächst Anerkennung ihrer Gesundheitsstörungen als Arbeitsunfall und Berufskrankheit beantragt. Zur Begründung hat sie erneut auf die im Reiniger enthaltenen Gefahrstoffe hingewiesen und im Wesentlichen ihre Widerspruchsbegründung wiederholt. Es handele sich um chemische Reiniger.
Das SG hat Befundberichte des Orthopäden
Dr. B., des Allgemein- und Umweltmediziners
Dr. B. und der Neurologen und Psychiater Dres. N.-W. /W. eingeholt und die SG-Akte unter dem Az. über die Klage auf Erwerbsminderungsrente zum Verfahren beigezogen.
Anschließend hat das SG ein Gutachten des Neurologen und Psychiater
Dr. K. vom 03.06.2014 eingeholt, das dieser nach Untersuchung der Klägerin am 02.06.2014 erstellt hat.
Dr. K. hat bei der Klägerin eine psychische Störung entweder im Sinne einer wahnhaften Störung oder im Sinne einer ausgeprägten Somatisierungsstörung diagnostiziert. Diese stünde nicht mit Wahrscheinlichkeit im ursächlichen Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung. Bei Untersuchung seien Hirnnerven, Trigeminus- und Facialisnerv unauffällig gewesen, ebenso die Reflexe, die Koordinationsprüfungen und das EEG. Sensibilitätsstörungen mit Krankheitswert bestanden nicht bei normalen tiefensensiblen Qualitäten. Es hätten sich keine Hinweise für eine Polyneuropathie oder eine toxische Enzephalopathie ergeben. Hirnorganische Zeichen hätten weder im kognitiven noch im affektiven Bereich bestanden bei Hinweisen auf wahrscheinlich etwas sensitive Persönlichkeitsstruktur
bzw. sogar wahnhafte Störung. Die geltend gemachten Sensibilitätsstörungen seien mit hinreichender Sicherheit auszuschließen. Gegen eine toxische Erkrankung des Nervensystems spreche die kurze Dauer der Tätigkeit an der letzten Arbeitsstelle mit 2,15 Stunden täglich und nur teilweise mit Reinigungsarbeiten. Außerdem hätten sich die Beschwerden nach Ende der Exposition nicht zurückgebildet, wie es bei gewerblichen Intoxikationen grundsätzlich zu fordern sei
bzw. die Beschwerden seien erst nach Ende der Exposition aufgetreten, was aus psychiatrischer Sicht möglicherweise Ausdruck einer Kränkung gewesen sei. Zweifellos handele es sich um eine psychiatrische und nicht um eine körperliche Erkrankung aufgrund Intoxikation mit Lösungsmitteln.
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide zu verpflichten, eine Berufskrankheit
Nr. 1317 der Anlage 1 der BKV anzuerkennen.
Mit Urteil vom 17.09.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Denn die Krankheitsbilder einer BK
Nr. 1317 - eine Polyneuroapathie oder Enzephalopathie - seien nach dem überzeugenden Gutachten von
Dr. K. bei der Klägerin nicht nachgewiesen.
Auch keiner der behandelnden Ärzte oder Gutachter habe je eine entsprechende Diagnose gestellt oder entsprechende organisch-krankhafte Befunde erhoben. Die Ärzte würden vielmehr von einer psychischen Erkrankung im Sinne einer wahnhaften Störung
bzw. einer ausgeprägten Somatisierungsstörung ausgehen. So hätten die Neurologen und Psychiater Dres. N.-W./W. aufgrund einer Untersuchung am 30.07.2012 eine Neurasthenie, Anpassungsstörungen und ein Überlastungssyndrom diagnostiziert und am 02.10.2012 eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Das MRT des Schädels von September 2012 habe keine Auffälligkeiten erbracht. Die Neurologische Klinik des Krankenhauses der B. in B-Stadt habe keine Hinweise auf organische Genese der Beschwerden gefunden, sondern eine psychiatrische Erkrankung im Sinne einer wahnhaften Störung angenommen. Die Diagnose einer wahnhaften Störung habe
Dr. K. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) nach nervenärztlicher Behandlung am 28.02.2013 wiederholt. Die Neurologin und Psychiaterin
Dr. A. habe im Gutachten von Januar ein multiples körperliches Beschwerdebild bei Verdacht auf ausgeprägte Somatisierungsstörung genannt. Im Rehabilitationsverfahren vom 23.04. bis 28.05.2014 habe die I-Klinik eine wahnhafte Störung und Somatisierungsstörung diagnostiziert, ohne pathologische körperliche Befunde zu erheben.
Bei Untersuchung im Juni 2014 habe
Dr. K. einen unauffälligen Untersuchungsbefund festgestellt, ohne Hinweise auf eine durch Lösungsmittel verursachte neurologische oder psychiatrische Erkrankung. Hinsichtlich der geltend gemachten Sensibilitätsstörungen habe
Dr. K. keine Störungen der sogenannten epikritischen Qualitäten festgestellt, also des Lageempfindens, des Zahlenerkennens oder der Vibration. Zudem hätten sich weder im kognitiven noch im affektiven Bereich hirnorganische Zeichen für eine Enzephalopathie ergeben. Hinweise für durch organische Lösungsmittel bedingte Erkrankungen bestünden laut
Dr. K. nicht. Zudem sei bei durch Lösungsmittel bedingten Erkrankungen in aller Regel nach Beendigung der Exposition ein Rückgang der Beschwerden zu fordern, was bei der Klägerin nicht der Fall sei.
Gegen das am 31.10.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.11.2014 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (
LSG) eingelegt. Eine Polyneuropathie sei nachweisbar, wenn Untersuchungen daraufhin vorgenommen würden. Eine ganzheitliche Betrachtung der Symptome, der Anamnese, der umweltmedizinischen Untersuchungen und adäquate körperliche Untersuchung seien nötig. Ihr seien Untersuchungen
bzw. Therapien verweigert worden und in den Befundberichten werde gelogen. Sie sei nicht in der Verwendung der Reiniger unterwiesen worden; Schutzhandschuhe habe sie nicht erhalten.
Das
LSG hat zusätzlich die Schwerbehindertenakte der Klägerin beim D. Regionalstelle D-Stadt (
ZBFS) und die Akte der Deutschen Rentenversicherung Südbayern (DRV) beigezogen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass trotz wiederholter neurologisch-psychiatrischer Untersuchungen kein Arzt oder Gutachter in den beigezogenen Akten eine Polyneuropathie oder eine Enzephalopathie
bzw. eine hirnorganische Störung diagnostiziert hatte. Vielmehr werden die Diagnosen einer Anpassungsstörung, einer Somatisierungsstörung
bzw. somatoformen Störung oder eine wahnhaften Störung diskutiert, teils auf dem Boden einer neurasthenen Persönlichkeit oder einer schweren Persönlichkeitsstörung. Verwiesen wird insbesondere auf das Gutachten des Neurologen und Psychiaters
Dr. S. vom 15.11.2012 für die DRV, das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin
Dr. A. vom 20.08.2013 für das
ZBFS und vom 10.01.2014 für das SG im Rentenverfahren, den Rehabericht der I-Klinik über den Aufenthalt der Klägerin vom 23.04. bis 28.05.2014 sowie Arztbriefe des Neurologen und Psychiaters
Dr. S. vom 15.10.2012, des Neurologen
Dr. Z. vom 04.04.2013, den Bericht des Neurologen und Psychiaters
Dr. K. vom 16.04.2013, der Neurologin und Psychiaterin
Dr. S.-P. vom 15.05.2013 sowie des Neurologen und Psychiaters
Dr. R. vom 24.07.2013.
Mit Schreiben vom 28.01.2015 hat das
LSG die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie die objektive Beweislast für eine Krankheit im Sinne der BK
Nr. 1317 trägt und kein Gutachter oder Arzt diese Erkrankungen bisher diagnostiziert habe. Die Berufung habe keine Erfolgsaussicht und ein weiteres Gutachten von Amts wegen sei nicht nötig.
Daraufhin hat die Klägerin auf Untersuchungen der Nervenleitgeschwindigkeit in der Uniklinik B-Stadt hingewiesen. Die Assistenten seien bei den Messungen immer sehr geschockt; in den Arztbriefen sei dann alles in Ordnung. Sie werde ungerechtfertigt auf die Psychoschiene geschoben. Das
LSG hat die Unterlagen der Klinik für Neurologie und der Klinik für Psychiatrie am B. beigezogen. Die Klinik für Neurologie hat im Arztbrief vom 07.11.2014 einen Verdacht auf wahnhafte Störung diagnostiziert und angesichts der Klinik eine Polyneuropathie der Beine ausgeschlossen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem
LSG vom 30.06.2015 hat der Senat mit der Klägerin die Problematik des Nachweises entsprechender Krankheitsbilder einer Polyneuropathie und Enzephalopathie erörtert. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17.09.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2013 zu verpflichten, eine Berufskrankheit nach
Nr. 1317 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogenen Beklagtenakte, die SG-Akten unter dem Az. S 9 U 188/13 und, die Akte der DRV und des
ZBFS verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
A) Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung erweist sich als unbegründet. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK
Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV. Das Urteil des SG, das die Klage auf Feststellung einer BK
Nr. 1317 als unbegründet abgewiesen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Gemäß § 9
Abs. 1
SGB VII sind Berufskrankheiten (BKen) Krankheiten, die die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BKen bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der
Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung einer gefährdenden Tätigkeit versehen (Satz 2).
Nach ständiger
BSG-Rechtsprechung ist für die Feststellung einer Listen-BK danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o.ä. auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung
ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK (
vgl. z. B. BSG vom 15.09.2011 - B 2 U 25/10 R - Juris RdNr. 14). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (
vgl. BSG vom 15.09.2011- B 2 U 25/10 R - Juris RdNr. 24 m. w. N.).
Die BK
Nr. 1317 hat der Verordnungsgeber in der Anlage 1 zur BKV wie folgt bezeichnet: "Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische".
Wie das SG bereits zutreffend dargelegt hat, ist schon eine Krankheit der Klägerin im Sinne der BK
Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV - eine Enzephalopathie oder Polyneuropathie - nicht im Vollbeweis, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts (§ 153
Abs. 2
SGG).
Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: In Übereinstimmung mit vorherigen Untersuchungen von
Dr. S.,
Dr. A.,
Dr. Z.,
Dr. S.-P.,
Dr. S. und im Krankenhaus der B. in B-Stadt hat auch
Dr. K. bei Untersuchung der Klägerin am 02.06.2014 weder eine Polyneuropathie noch eine Enzephalopathie feststellen können.
Hinweise für eine Enzephalopathie oder hirnorganische Störungen lagen bei der Klägerin zu keinem Zeitpunkt vor, weder nach dem Gutachten von
Dr. K. noch nach den weiteren zahlreichen ärztlichen Befunden. Zuletzt hatte nochmals die neurologische Klinik der Uniklinik B-Stadt im November 2014 einen unauffälligen Hirnnervenstatus festgestellt, bei sensibel intakter Trigeminusfunktion, regelrechter facialisinnervierter Muskulatur und freien Nervenaustrittspunkten. Die von der Klinik veranlasste laborchemische Diagnostik zum Ausschluss einer autoimmun vermittelten Enzephalitis hat nach den Unterlagen negative Befunde ergeben.
Der Sachverständige
Dr. K. hat außerdem überzeugend eine Polyneuropathie mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen, da in seiner Untersuchung weder das Lageempfinden noch das Zahlenerkennen oder das Vibrationsempfinden der Klägerin gestört waren.
Ebenso hatte bereits das Krankenhaus der B. B-Stadt während des stationären Aufenthalts der Klägerin vom 29.01. bis 01.02.2013 eine Oberflächen- und Tiefensensibilitätsstörung ausgeschlossen bei allseitigem Vibrationsempfinden von 7-8/8, also im Normalbereich.
Dr. Z. hatte ebenfalls am 04.04.2013 zu einer Polyneuropathie passende Defizite - auch der Sensibilität - ausgeschlossen. Dem entspricht der Befund von
Dr. S.-P. vom 15.05.2013, wonach die motorische Neurographie Normalbefunde erbracht hatte, bei normalem Muskeltonus, ohne Paresen, unauffälligem Stand und Gang und einer in allen Qualitäten ungestörten Sensibilität. Die Muskeleigenreflexe waren in allen Untersuchungen über die Jahre unauffällig, auch bei der Untersuchung im November 2014.
Auch die neurologische Klinik der Uniklinik B-Stadt hat im Arztbrief vom 07.11.2014 eine Polyneuropathie der Beine ausgeschlossen, trotz einer gemessenen Nervenleitgeschwindigkeit, die für eine rein sensible Polyneuropathie spricht. Denn die klinischen Befunden sprachen laut Uniklinik gegen eine Polyneuropathie angesichts des beidseits erhaltenen Achillessehnenreflexes, des Vibrationsempfindens von 6/8 (Pallästhesie), was noch im Normbereich liegt, und fehlender Hinweise für Oberflächen- oder Tiefensensibilitätsstörungen. Die Klinik führte die gezeigte Gangstörung (breitbasig-unsicher) und die muskuläre Schwäche eher auf die langfristige körperliche Schonung zurück
bzw. sah sie als körperliche Manifestation des ausgeprägten Leidensdrucks bei Verdacht auf wahnhafte Störung. Bei anschließender Vorstellung in der Klinik für Psychiatrie wegen des sprunghaften Denkens bis zur Ideenflüchtigkeit, Logorrhoe und Affektlabilität wurde dort eine Somatisierungsstörung oder als Differentialdiagnose eine wahnhafte Störung bestätigt und eine stationäre Behandlung empfohlen.
Vor diesem Hintergrund ist nach wie vor ein entsprechendes Krankheitsbild nicht im Vollbeweis gesichert. Weitere Ermittlungen von Amts wegen sind nach Überzeugung des Senats angesichts der vorliegenden Unterlagen und Gutachten nicht veranlasst.
Im Übrigen hatte
Dr. K. bereits darauf hingewiesen, dass angesichts der Flüchtigkeit von Lösemitteln nach Ende der Exposition häufig eine Rückbildung von Symptomen zu erwarten ist und die von der Klägerin geschilderte Beschwerdezunahme nach Expositionsende gegen einen Ursachenzusammenhang mit der Lösemittelexposition spricht, zumal die Klägerin nur über einen Zeitraum von
ca. 1 1/2 Jahren in zeitlich geringem Umfang Lösemitteldämpfen ausgesetzt war. Denn bei täglicher Arbeitszeit von 2 1/4 Stunden umfasste nur ein Teil der Arbeitszeit die Reinigung von Bad und Toilette. Auch nach dem überarbeiteten Merkblatt zur BK
Nr. 1317 aus dem Jahr 2005 (BArbBl. 3/2005
S. 49
ff.) wird unter Punkt 3 dargelegt, dass sich lösungsmittelbedingte Polyneuropathien häufig nach Unterlassung der Exposition verbessern. Ferner wird ausgeführt, dass sie sich in der Regel in engem zeitlichen Zusammenhang mit der beruflichen Lösungsmittelexposition entwickeln, wobei die klinische Diagnose der Polyneuropathie auch noch zwei bis drei Monate nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit erstmals gestellt werden kann. Im BK-Report 2/2007 zur BK 1317 wird dementsprechend unter 3.3 (Bl. 138) ausgeführt, dass aufgrund vorliegender Untersuchungen eine toxische Polyneuropathie nach Expositionsende zeitlich begrenzt über wenige Monate eine Verschlechterung der Symptomatik zeigen kann, es jedoch langfristig nicht zu einer weiteren Verschlechterung, sondern zu einer weitgehenden Rückbildung der Symptomatik kommt, auch wenn im Einzelfall Reststörungen, insbesondere bei anfangs schwer betroffenen Patienten, auch dauerhaft persistieren können. Vor diesem Hintergrund lässt sich die erstmals über zwei Jahre nach Expositionsende gemessene eingeschränkte sensible Nervenleitgeschwindigkeit ohne entsprechende klinische Symptomatik nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die leichte Lösemittelexposition als Ursache zurückführen. Die Einschätzung von
Dr. K. erweist sich auch im Abgleich mit dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand als schlüssig und überzeugend.
Die Argumentation der Klägerin, ihre gesundheitlichen Beschwerden seien auch deswegen auf die Lösemittelbelastung an ihrem letzten Arbeitsplatz zurückzuführen, weil sie zuvor leistungsfähig und gesund gewesen sei, steht zudem im Widerspruch zu den vorliegenden ärztlichen Unterlagen. So waren im Rehabericht der I-Klinik über den Aufenthalt der Klägerin vom 02.07.2009 bis 06.08.2009 eine Anpassungsstörung, eine längere depressive Reaktion sowie eine Neurasthenie diagnostiziert worden. Die Klägerin hatte damals als Beschwerden eine Gefühlsleere und Empfindungsstörungen seit Dezember 2008 geschildert, die sich in schnelle Anspannung und Reizbarkeit gewandelt hätten. Zunehmender Stress in der Ehe mit Trennung 2007 und Erziehung der drei Kinder, von denen zwei eine Lernbehinderung hätten, waren damals als Auslöser der Beschwerden gesehen worden. Bereits während dieser Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2009 waren Auffassungs-, Konzentrations- und Merkfähigkeit sowie Gedächtnis der Klägerin beeinträchtigt und sie klagte bei Entlassung weiter über Müdigkeit und Erschöpfung, wobei ihre Leistungsfähigkeit am Nachmittag rapide nachließ. Die Klägerin hat selbst in ihrem Lebenslauf für die DRV im Rahmen des Antrags auf Erwerbsminderungsrente Erschöpfungszustände
u. a. 2008 nach Pflege schwerbehinderter Kinder und 2010 nach einer Teilzeittätigkeit mit 20 Wochenstunden geschildert.
Die Klägerin hat schon mangels eines entsprechenden gesicherten Krankheitsbildes keinen Anspruch auf Feststellung einer BK
Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV. Daher kann der Senat offenlassen, ob die kurzfristigen Einwirkungen von Lösemitteldämpfen überhaupt die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllen.
B) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
C) Gründe gemäß § 160
Abs. 2
SGG zur Zulassung der Revision sind weder vorgetragen noch ersichtlich.