Urteil
Anspruch auf Kostenerstattung einer Hörhilfeversorgung aufgrund einer anerkannten Lärmschwerhörigkeit nach der Berufskrankheitenziffer (BK) 2301 - Kategorie 3 der Rahmenvereinbarung Hörgeräte (VbgHG)

Gericht:

LSG Niedersachsen


Aktenzeichen:

L 14 U 68/16


Urteil vom:

18.01.2017


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 10. März 2016 aufgehoben und die gegen sie gerichtete Klage abgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, dem Kläger die Kosten für eine Hörgeräteversorgung mit dem Hörgerätesystem der Marke Phonak Bolero Q 70-SP in Höhe von Euro 2.592,- zu erstatten.

Die Beigeladene hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Rechtsweg:

SG Oldenburg, Bescheid vom 10. März 2016 - S 72 U 44/13

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger aufgrund einer bei ihm anerkannten Lärmschwerhörigkeit nach der Berufskrankheitenziffer (BK) 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) einen Anspruch auf Kostenerstattung einer Hörhilfeversorgung (Hörgerätesystem der Marke Phonak Bolero Q 70-SP) nach der Kategorie 3 der Rahmenvereinbarung Hörgeräte (VbgHG) in Höhe eines Betrages von Euro 2.592,- hat.

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) erkannte mit Bescheid vom 21. März 1994 eine bei dem 1968 geborenen Kläger vorliegende Hörstörung als BK nach der Ziffer 2301 ohne rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) an.

Aufgrund eines von dem Kläger am 10. Oktober 2002 gestellten Verschlimmerungsantrags war zwischen den Beteiligten streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Rentenleistungen aufgrund der Folgen der BK-Ziffer 2301 hat. In einem beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zum Aktenzeichen L 14 U 32/07 geführten Berufungsverfahren schlossen die Beteiligten einen Vergleich, der mit Beschluss vom 21. Februar 2012 nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 278 Abs. 6 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) protokolliert wurde und zur Beendigung des Berufungsverfahrens führte. Danach verpflichtete sich die Beklagte zum einen zur Zahlung von Rentenleistungen an den Kläger auf Grundlage einer MdE um 30 v.H. mit Wirkung vom 1. Januar 2002. Zum anderen wurden die BK-Folgen neu bezeichnet (knapp geringgradige Schwerhörigkeit beiderseits und Ohrgeräusche beiderseits, Anpassungsstörung bei fortgesetzter Belastung durch den lärmbedingten Tinnitus mit wechselnder depressiver Stimmung, kognitiver Störung mit hoher innerer Anspannung und Einengung des Denkens und Fühlens auf das Ohrgeräusch).

Über die Krankenkasse des Klägers - Handelskrankenkasse Bremen (Beigeladene) - (Eingang dort am 5. April 2012) erhielt die Beklagte dann mit Schreiben vom 12. April 2012 einen Antrag auf Kostenübernahme für eine Hörgeräteversorgung des Hörgeräteakustikers E., F., vom 3. April 2012 zuständigkeitshalber übersandt mit dem Hinweis, dass sie - die Beigeladene - als Kostenträger nicht zuständig sei. Aus dem Schreiben des Hörgeräteakustikers E. geht hervor, dass um Genehmigung eines beigefügten Kostenvoranschlags für eine Hörgeräteversorgung mit einem nun angepassten Hörsystem Phonak Solana SP gebeten werde. Die bisherige Hörhilfeversorgung des Klägers mit dem Hörsystem Widex Bravo B12 sei aufgrund der progredienten Hörverschlechterung von der akustischen Verstärkung nicht mehr ausreichend. Der Kostenvoranschlag bezifferte die Kosten für die Hörgeräteversorgung mit Euro 4.320,-.

Die Beklagte forderte hierauf von dem Hörgeräteakustiker die Anpassungsunterlagen an und legte diese ihrem beratenden Hörgeräteakustiker-Meister G. vor, der in seiner Stellungnahme vom 6. Juni 2012 ausführte, dass aus den beigezogenen Unterlagen keine ausreichende Begründung für das in die Kategorie 3 VbgHG vorgeschlagene Hörsystem vorliege. Schon formell könne das vorgeschlagene Hörgerät nicht beantragt werden, weil eine ausreichende Testung von Hörgeräten der Kategorie 2 nicht anzuerkennen sei. Die bei dem Kläger vorliegende Schwerhörigkeit sei mit Hörgeräten der Kategorie 2 sicherzustellen. Auf dem deutschen Hörgerätemarkt stünde eine Vielzahl von Hörgeräten zur Verfügung, die zum Ausgleich der bei dem Kläger bestehenden Schwerhörigkeit geeignet erschienen.

Dementsprechend bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 14. Juni 2012 die Kostenübernahme für eine beiderseitige Hörgeräteausstattung nach der Kategorie 2 VbgHG. Wegen der Hörverluste und der Ohrgeräusche (Tinnitus) bestehe ein Bedarf an Hörgeräten, die die Folgen der Lärmschwerhörigkeit ausgleichen sollten. Vorgeschlagen worden sei von dem Hörgeräteakustiker zwar ein teures Gerät der Kategorie 3. Die Auswertung der Anpassungsunterlagen verglichen mit den Hörbeeinträchtigungen des Klägers habe aber ergeben, dass Hörgeräte der Kategorie 2 sachgerecht seien und dass auf dem deutschen Markt eine Vielzahl von Geräten dieser Kategorie geeignet seien. Für eine Kategorie-3-Ausstattung gebe es keine ausreichende Begründung.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 21. Juni 2012 Widerspruch, den er mit Schreiben vom 13. Juli 2012 im Wesentlichen dahingehend begründete, dass er dringend auf eine Versorgung mit dem empfohlenen Gerät Phonak Solana SP angewiesen sei.

Die Beklagte legte den Aktenvorgang hierauf dem beratenden HNO-Arzt Prof. Dr. H., I., vor, der in seiner Stellungnahme vom 6. August 2012 zusammengefasst ausführte, dass rein medizinisch betrachtet eine Kategorie-3-Versorgung begründet sei. Ebenso stehe aus medizinischer Sicht fest, dass diese Versorgung im Wesentlichen durch den nicht berufsbedingten Nachschaden erforderlich sei, wenngleich die grundsätzliche Zuständigkeit der Beklagten für eine Hörgeräteversorgung, da Lärm als wesentliche Teilursache gelte, gegeben sei. Eine Alternativversorgung durch Tinnitusmasker sei wegen des Ausmaßes des Hörverlustes nicht sinnvoll. Die Verdeckungswirkung einer Hörgeräteversorgung auf den Tinnitus sei im Einzelfall nicht sicher vorhersagbar. Prinzipiell sei allerdings mit einer Kategorie-3-Versorgung nicht zwingend auch eine im Vergleich zur Kategorie-2-Versorgung verbesserte Tinnitussymptomatik zu schließen.

Ausweislich eines Aktenvermerks vom 4. September 2012 sah die Beklagte eine Vorlage zur Beurteilung an Prof. Dr. J. vor, nahm davon dann jedoch Abstand.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2013 wies die Beklagte dementsprechend den Widerspruch des Klägers zurück.

Hiergegen hat dieser am 25. Juli 2006 Klage beim Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben und die Messergebnisse mit den Hörgeräten Phonak Bolero Q-70 SP und allen Vergleichshörsystemen des Hörgeräteakustikers E. vom 7. August 2012 übersandt. Ferner hat er mit Schriftsatz vom 2. August 2013 mitgeteilt, dass er das Hörgerät bereits auf eigene Kosten beschafft hat. Die zusätzlichen Kosten betrügen ausweislich der ärztlichen Verordnung vom 5. Dezember 2011 bzw. Rechnung des Hörgeräteakustikers von 3/2013 Euro 2.592,-. Die Erstattung dieses von ihm getragenen Eigenanteils werde begehrt.

Die Beklagte hat hierzu zunächst mit Schriftsatz vom 22. Juli 2013 mitgeteilt, dass sie die Kostenpauschale in Höhe von Euro 2.200,- für die Hörgeräteversorgung nach der Kategorie 2 übernommen habe. Die weiteren Kosten, die aufgrund der selbst gewünschten Versorgung (Mehrkosten durch die Versorgung mit einem Kategorie 3-Gerät) entstanden seien, könnten nicht übernommen werden. Ferner hat die Beklagte eine Stellungnahme ihres beratenden Hörgeräteakustikers K. vom 30. Mai 2013 zum Verfahren gereicht, der eine Versorgung mit einem Hörgerät der Kategorie 2 VbgHG weiterhin als ausreichend und wirtschaftlich angesehen hat.

Im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger unter Vorlage eines Entlassungsberichts der L. vom 5. Dezember 2014 sowie eines Berichts von Prof. Dr. M., HNO-Arzt, N., vom 18. Mai 2015 vorgetragen, dass die Überprüfung einer Versorgung mit einem Cochlea-Implantat beabsichtigt sei.

Die Beklagte reichte eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Prof. Dr. O., HNO-Arzt, vom 28. September 2015 zum Verfahren, der ebenfalls eine Versorgung mit Hörgeräten der Kategorie 2 als ausreichend ansah.

Das SG hat mit Schreiben vom 18. Januar 2016 einen ausführlichen Hinweis erteilt und der Beklagten die Abgabe eines Anerkenntnisses angeraten. Dies hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 26. Januar 2016 abgelehnt und zur Begründung u.a. auf einen Aufsatz von J. /P., HNO 4/2015 "Wer zahlt was?" verwiesen.

Nach vorheriger Anhörung vom 2. Februar 2016 hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 10. März 2016 den Bescheid der Beklagten vom 14. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2013 aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger Kosten in Höhe von Euro 2.592,- für eine Hörgeräteversorgung mit dem Hörgerätesystem der Marke Phonak Bolero Q 70-SP zu erstatten. Die auf Erstattung von Zinsen gerichtete Klage hat das SG hingegen abgewiesen. Zur Begründung hat das SG zusammengefasst ausgeführt, dass sich der Anspruch des Klägers aus § 26 Abs. 2 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) bzw. aus § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) ergebe. Die Ablehnung der Kostenübernahme im Bescheid vom 14. Juni 2012 nach der Kategorie 3 sei unrechtmäßig gewesen. Die Versorgung des Klägers mit dem Hörgerät Phonak Bolero Q70-SP sei notwendig gewesen. Die Testergebnisse des Hörgeräteakustikers hätten ergeben, dass die Hörgeräteversorgung mit dem vom Kläger angeschafften Gerät die bestmögliche Versorgung darstelle. Eine Beschränkung der Hörgeräteversorgung auf Hörgeräte der Kategorie 2 ergebe sich nicht aus dem Gesetz. Der Anspruch des Klägers scheitere auch nicht am Wirtschaftlichkeitsgebot, denn dem Hörgerätesystem komme im Alltag des Klägers ein wesentlicher Gebrauchsvorteil zu. Es handele sich nicht um ein Gerät, dessen Bedienung im Einzelfall nicht ausreichend gewährleistet sei oder dass in erster Linie Bequemlichkeit und besseren Komfort biete.

Gegen den ihr am 21. März 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte mit am 4. April 2016 beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen eingegangenen Schriftsatz vom 30. März 2016 Berufung eingelegt, die sie inhaltlich mit ihrem Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren begründet. Ergänzend führt sie aus, dass die Rahmenvereinbarung über die Versorgung mit Hörsystemen den Vorgaben des Bundessozialgerichts (Urteil vom 17. Dezember 2009 - Az.: B 3 KR 20/08 R) entsprächen und in der gesetzlichen Unfallversicherung die Hörgeräteauswahl hiernach erfolge. Alternativen zu dem nicht bewilligten Hörgerät der Kategorie 3 hätten danach eindeutig bestanden. Eine Versorgung mit dem besten und sehr preisintensiven Hörgerät sei nicht notwendig gewesen.

Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren am 17. Oktober 2016 durch seinen Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem der vorher von Amts wegen mit einer Begutachtung des Klägers und anschließender Gutachtenerstattung beauftragte Sachverständige Prof. Dr. J., Q., sein am 28. September 2016 schriftlich erstelltes Sachverständigengutachten mündlich erläutert und den Beteiligten für Rückfragen zur Verfügung gestanden hat. Der Sachverständige ist dabei im Wesentlichen zum Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger eine hochgradige bis an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit vorliege, die überwiegend außerberuflich bedingt sei. Lärmbedingt sei ausschließlich eine knapp geringgradige Lärmschwerhörigkeit. Die erhebliche Zunahme der Schwerhörigkeit habe außerberufliche Ursachen. Die Kosten für eine Hörgeräteversorgung nach Kategorie 3 seien erforderlich, diese seien jedoch von der Krankenkasse des Klägers zu übernehmen.

Anschließend hat der Senat mit Beschluss vom 20. Oktober 2016 die Beiladung der hKK nach § 75 Abs. 2 SGG beschlossen.


Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 10. März 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.


Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Er beruft sich auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung.

Die Beigeladene, die schriftsätzlich keinen Antrag gestellt hat, hat ausgeführt, dass sie den Antrag des Klägers fristgemäß an die Beklagte weitergeleitet habe. Damit sei diese im Außenverhältnis zum Kläger - gleich nach welchen Rechtsvorschriften - zuständig geworden. Der Einschätzung des Sachverständigen sei nicht zu folgen. Es handele sich bei den Aussagen des Klägers im Rahmen der Testungen um subjektive Eindrücke, die anhand der Leistungsauswertungen nicht belegbar und somit nicht nachvollziehbar seien. Nicht jede vom Versicherten als optimal empfundene Versorgung habe die Krankenkasse zu übernehmen. Im Übrigen sei der Beurteilung des Sachverständigen nicht zu folgen, dass die außerberufliche Schwerhörigkeit die berufliche Schwerhörigkeit in den Jahren der Verschlechterung überholt habe, denn der heutige Zustand sei nicht der entscheidende Beurteilungsmaßstab. Ein Leistungsanspruch setze insoweit eine objektive und subjektive Erforderlichkeit unter Betrachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes voraus. An diesen Voraussetzungen fehle es vorliegend. Die Hörgeräteversorgung nach der Kategorie 2 sei ausreichend.

Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2016 hat sich zunächst der Kläger mit einer Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Beigeladene hat ihre Zustimmung mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2016 erteilt, die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2016.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakte zum Verfahren L 14 U 32/07 verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 155 Abs. 3 SGG i.V.m. § 155 Abs. 4 SGG durch seinen Berichterstatter als Einzelrichter durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 2 SGG) entscheiden, weil die Beteiligten übereinstimmend dieser Vorgehensweise zugestimmt haben.

Die gem. §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt worden und somit zulässig.

Das Rechtsmittel der Beklagten hat in der Sache insoweit Erfolg, als der gegen sie ergangene Gerichtsbescheid des SG Oldenburg vom 10. März 2016 aufzuheben und die Beigeladene zu der von dem Kläger geltend gemachten Kostenerstattung in Höhe von Euro 2.592,- zu verurteilen ist, denn ihr gegenüber ergibt sich der Kostenerstattungsanspruch des Klägers aus § 13 Abs. 3 SGB V.

Eine Verurteilung der Beigeladenen in diesem Verfahren ist gemäß § 75 Abs. 5 SGG auch möglich, obwohl diese bislang keine Entscheidung getroffen hat. Die Vorschrift verlangt nämlich kein Vorverfahren auf Seiten eines Beigeladenen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 75 Rn. 18a und b). Dies folgt auch aus dem Schutzzweck der §§ 75 Abs. 5 SGG, wonach Antragsteller ohne Umwege einfach und schnell eine Entscheidung erhalten sollen.

Die Beklagte ist gegenüber dem Kläger nicht zur Kostenerstattung verpflichtet. Gemäß § 26 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der nachfolgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) u. a. Anspruch auf Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf ergänzende Leistungen. Diese sind nach Abs. 4 Satz 2 der genannten Vorschrift als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Ausnahmen sollen nur dann gelten, wenn dies im SGB VII oder SGB IX ausdrücklich vorgesehen ist. Eine Kostenerstattung für selbstbeschaffte Hörhilfen, wie sie der Kläger im vorliegenden Fall geltend macht, findet indes unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V statt. Diese Vorschrift ist in der gesetzlichen Unfallversicherung auch entsprechend anwendbar, da hier eine Regelungslücke hinsichtlich der Kostenerstattung, z. B. von selbst beschafften Hilfsmitteln, besteht, die auf diesem Wege sachgerecht ausgefüllt wird (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 - Az.: B 2 U 38/05 R - Rn. 13, zitiert nach juris) Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V in entsprechender Anwendung liegen im Fall des Klägers gegenüber der Beklagten indessen nicht vor. Danach setzt die Kostenerstattungspflicht des Unfallversicherungsträgers in Bezug auf von Versicherten selbst beschaffte notwendige Leistungen voraus, dass er eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Die Beklagte hat aber zu Recht die von dem Kläger geltend gemachte Kostenerstattung für die Anschaffung der Hörhilfen der Kategorie 3 der VbgHG abgelehnt. Dies geht zur Überzeugung des Senats aus dem von Prof. Dr. J. am 28. September 2016 erstellten Sachverständigengutachten hervor. Dieser hat ausführt zunächst einmal für den Senat plausibel und nachvollziehbar ausgeführt, dass aufgrund der Ergebnisse der vergleichenden Hörgeräteanpassung durch den Hörgeräteakustiker des Klägers (vier geprüfte Hörgeräte, wobei drei dieser Geräte der Kategorie 2 und eines der Kategorie 3 entsprach) das Hörgerät Phonak Bolero Q70-SP den Ausfall des Hörvermögens des Klägers am besten ausgleicht. Mit diesem Hörgerät kann Störschall, Schallimpulse und Nebengeräusche schneller erkannt und ausgelöscht werden. Da der Kläger an einer weit fortgeschrittenen Hörstörung mit einem Hörverlust von durchschnittlich 80 Prozent leidet, ist das ihm mit 20 Prozent verbliebene Hörvermögen so zu verstärken, dass er wieder alles hört; dies kann nach der Einschätzung des Sachverständigen, der der Senat folgt, nur mit einem hochwertigen Hörgerät gelingen. Diese Einschätzung überzeugt den Senat, denn sie steht in Übereinstimmung mit den Ausführungen der beratungsärztlichen Stellungnahme des Prof. Dr. H. vom 6. August 2012, der ebenfalls aus medizinischer Sicht die Versorgung des Klägers mit einem Hörgerät der Kategorie 3 befürwortet hat.

Die Kosten für die Hörhilfeversorgung des Klägers nach Kategorie 3 sind allerdings von der Beigeladenen zu übernehmen. Dies ergibt sich, worauf der Sachverständige Prof. Dr. J. zutreffend hingewiesen hat, aus Ziffer 4.5.3 der Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301 - Königsteiner Empfehlung - 2. Auflage Juli 2012), die der Senat als allgemeinen Erfahrungssatz seiner Einschätzung zu Grunde legen kann (hierzu BSG, Urteil vom 2. Mai 2001 - Az.: B 2 U 24/00 R - Rn. 30 - und Urteil vom 12. April 2005 - Az.: B 2 U 6/04 R - Rn. 17 - jeweils zitiert nach juris). Diese Regelung sieht vor, dass die Versorgung Lärmschwerhöriger mit Hörgeräten ist aus HNO-ärztlicher Sicht im Allgemeinen indiziert ist, wenn die Kriterien nach der Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses erfüllt sind. Voraussetzung ist weiterhin, dass die Hörhilfen gewünscht sind, akzeptiert werden und die Versicherten in der Lage sind, sie zu bedienen. In den Fällen einer multifaktoriellen Verursachung einer Schwerhörigkeit erfolgt die Hörgeräteversorgung zulasten der Gesetzlichen Unfallversicherung, wenn - und solange - der Ursachenbeitrag der arbeitsbedingten Lärmeinwirkung als rechtlich wesentlich zu beurteilen ist. Der Sachverständige hat hierzu ebenfalls für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass der Anteil der arbeitsbedingten Lärmeinwirkung jedoch nicht wesentlich für die Hörhilfeversorgung des Klägers ist. Ausweislich des am 21. Februar 2012 vor dem Senat protokollierten Vergleichs besteht bei dem Kläger lediglich eine geringgradige Schwerhörigkeit beiderseits mit Ohrgeräuschen beiderseits. Nach den Ausführungen des Sachverständigen werden zwar auch bei einer knapp geringgradigen Lärmschwerhörigkeit Hörgeräte angepasst. Allerdings ist der berufsbedingte Anteil an der mittlerweile bei dem Kläger eingetretenen Gesamtschwerhörigkeit als sehr gering einzuschätzen. Unter Hinweis auf die allein zahlenmäßige Gegenüberstellung einer MdE um 10 v.H. für die berufliche Schwerhörigkeit und einer MdE um 60 v.H. für die mittlerweile vorliegende bis an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit, auch noch ohne Berücksichtigung der Ohrgeräusche, hat der Sachverständige deutlich gemacht, dass der berufliche Lärmanteil nicht als wesentlich einzustufen ist. Diese Einschätzung überzeugt den Senat ebenfalls, weil sie mit den Einschätzungen von Prof. Dr. H. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 6. August 2012 übereinstimmt, der ebenso auf den bei dem Kläger als erheblich zu bezeichnenden Nachschaden hingewiesen hat. Dementsprechend ergibt sich bereits unter Anwendung der Königsteiner Empfehlungen, dass die Beklagten nicht der für die Hörgeräteversorgung zuständige Leistungsträger ist. Insofern die Beklagte bereits mit Bescheid vom 14. Juni 2012 eine Hörgeräteversorgung nach der Kategorie 2 anerkannt und dem Kläger bereits den hierfür anfallenden Festbetrag in Höhe von Euro 2.200,- erstattet hat, ist sie an dieser Feststellung gebunden.

Insofern die Beigeladene einwendet, dass der Sachverständige Prof. Dr. J. fehlerhaft auf den heutigen Zustand des Hörvermögens des Klägers abstellt, läuft diese Auffassung ins Leere, denn nach den Königsteiner Empfehlungen ergibt sich die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers für die Hörgeräteversorgung nur "solange" (Ziffer 4.5.3) die arbeitsbedingte Lärmeinwirkung als rechtlich wesentlich zu beurteilen ist. Ebenso wären z.B. so genannte Nachschäden bei der Einschätzung der MdE nicht zu berücksichtigen. Aus diesem Grund ist eine umfassende medizinische Beurteilung der gesamten Entwicklung der Hörstörung erforderlich (siehe z.B. zur Frage der Kostentragung für eine CI-Implantation, wenn Personen mit anerkannter Lärmschwerhörigkeit später aus anderen Ursachen ertauben: Brusis/Alberty/Meister in DGUV-Forum 12/2016, Seite 15 f. - "CI-Implantation bei anerkannter Lärmschwerhörigkeit und nachfolgender lärmunabhängiger Ertaubung - Kostenträger Krankenkasse oder Berufsgenossenschaft?").

Die Zuständigkeit der Beigeladenen für den Kostenerstattungsanspruch des Klägers nach § 13 Abs. 3 SGB V, den das SG zutreffend und in nicht zu beanstandender Weise unter Angabe der maßgeblichen Rechtsprechung des BSG geprüft und anerkannt hat, ergibt sich - worauf diese zu Recht hingewiesen hat - zwar nicht aus § 14 Abs. 2 SGB IX, weil sie den Kostenübernahmeantrag des Hörgeräteakustikers vom 3. April 2012 fristgemäß innerhalb der Zwei-Wochen-Frist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX an die Beklagte weitergeleitet hat. Allerdings regelt § 11 Abs. 5 SGB V, dass auf Leistungen dann kein Anspruch besteht, wenn sie Folgen eines Arbeitsunfalls oder - wie hier - einer Berufskrankheit sind. Es bleibt also bei der Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung, soweit unfallunabhängige bzw. bk-unabhängige Erkrankungen bzw. Leistungen zu erbringen sind (siehe Plagemann in jurisPK-SGB V, 3. Auflage 2016, § 11 Rn. 38). Wie bereits oben ausgeführt, erfolgt die Hörhilfeversorgung des Klägers damit zu Lasten der Krankenkasse, hier der Beigeladenen, die für die Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V zuständig ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Es hat kein Anlass bestanden, die Revision zuzulassen.

Referenznummer:

R/R8906


Informationsstand: 11.10.2022