Urteil
Zur Anerkennung einer Lendenwirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung

Gericht:

LSG Hessen


Aktenzeichen:

L 3 U 253/15


Urteil vom:

24.01.2017


Grundlage:

  • SGB VII § 9 Abs. 1 |
  • BKV Anlage 1 Nr. 2108

Leitsatz:

Eine Begleitspondylose im Sinne der Konsensempfehlungen setzt schon begrifflich einen engeren zeitlichen Zusammenhang zum Auftreten der zur Anerkennung beantragten bandscheibenbedingten Veränderungen voraus.

Rechtsweg:

SG Fulda, Urteil vom 12.04.2013 - S 4 U 78/08

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Hessen

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 12. April 2013 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Lendenwirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der 1948 geborene Kläger, der seit dem Jahr 1963 in versicherter Tätigkeit im Bäckerhandwerk tätig war, teilte mit Schreiben vom 20. September 2006 gegenüber der Beklagten mit, dass er durch die gesetzliche Rentenversicherung seit 1. März 2004 als berufsunfähig bewertet werde, und beantragte die Zahlung einer "Zusatzrente" durch die Beklagte.

Auf Anforderung der Beklagten legte der Kläger ein Attest seines behandelnden Hausarztes Dr. C. vom 12. März 2007 vor, wonach bei dem Kläger im Vordergrund schwerwiegende Veränderungen im Bereich der Bandscheiben sowie chronische Beschwerden in beiden Armen stünden, bezüglich derer aufgrund der Anamnese und des Krankheitsverlaufs von einer Berufserkrankung auszugehen sei.

Der Kläger gab im Rahmen einer Selbstauskunft vom 1. April 2007 an, erstmals 1966 Wirbelsäulenbeschwerden gehabt zu haben. Zu seinem beruflichen Werdegang führte er aus, von 1963 bis 1966 eine Bäckerlehre absolviert zu haben. Anschließend habe er in verschiedenen Bäckereien in Österreich und in der Schweiz gearbeitet und von 1970 bis 1972 seinen Wehrdienst abgeleistet. Hiernach habe er mit vorübergehenden verhältnismäßig kurzen Unterbrechungen bis zum 15. Dezember 2003 in verschiedenen Bäckereien in der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet.

Auf ein Anschreiben der Beklagten vom 26. März 2007 erfolgte eine ärztliche Verdachtsanzeige auf das Vorliegen einer Berufskrankheit durch den behandelnden Hausarzt Dr. C. vom 2. April 2007, der eine Vielzahl medizinischer Unterlagen übersandte.

Aus diesen Unterlagen ergeben sich anamnestisch mehrere Operationen wegen Bandscheibenvorfällen mit Rezidiven in den Segmenten L4/L5 und L5/S1 in den 1970 und 80er Jahren, beginnend 1972. Der Chirurg Dr. D. berichtete unter dem 18. Dezember 2006 von radiologischen Untersuchungsergebnissen vom 14. Oktober 2005, wonach eine ausgeprägte Osteochondrose in den Segmenten L4/5 und L5/S1 mit Spondylarthrosen sowie eine Spinalkanalstenose L4/5 und L5/S1 beschrieben wird.

Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten trug die Informationen des Klägers und seiner Arbeitgeber, soweit diese noch erreichbar waren, zusammen und führte in seiner Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition des Klägers vom 26. September 2007 aus, dass die Arbeitsplatzbeschreibung des Klägers mit den Erfahrungswerten des TAD, die seitens der Arbeitgeber des Klägers, soweit diese noch ausfindig gemacht werden konnten, bestätigt worden seien, nicht vereinbar seien. Daher könne keine valide Belastungsberechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) durchgeführt werden. Letztlich würden die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 als nicht erfüllt angesehen werden.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Oktober 2007 die Anerkennung der Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit ab und stellte fest, dass auch die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 BKVO nicht erfüllt seien. Daher bestehe auch kein Anspruch auf Entschädigungsleistungen. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit den besonderen Einwirkungen im Sinne der BK Nr. 2108 nicht in dem geforderten Umfang ausgesetzt gewesen sei.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers vom 18. Oktober 2007 wies die Beklagte nach erneuter Stellungnahme des TAD vom 2. Juni 2008 mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2008 wegen des fehlenden Nachweises der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 1. August 2008 Klage bei dem Sozialgericht Fulda (Sozialgericht) erhoben.

Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat der Kläger zu seinen Arbeitsplätzen als Bäcker und den jeweils dort aufgetretenen Hebe- und Tragebelastungen Fragebögen ausgefüllt. Auf der Basis dieser klägerischen Angaben hat der TAD der Beklagten bei dem Kläger eine Gesamtbelastungsdosis von 18 MNh errechnet, hierzu aber in seiner Stellungnahme vom 18. Juli 2011 ausgeführt, die vom Kläger angegebenen Werte seien bei Weitem überhöht bzw. die geschilderten Arbeitsweisen unrealistisch und widersprächen den Angaben der Arbeitgeber.

Sodann hat das Sozialgericht ein Sachverständigengutachten nach Lage der Akten bei dem Dipl.-Ökotrophologen E., E-Stadt im Taunus, eingeholt, das dieser unter dem 8. September 2011 erstattet hat. Darin ist der Sachverständige zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt, dass die seitens des Klägers angegebenen Arbeiten mit wenigen Ausnahmen dem Berufsbild des Bäckers entsprächen. Soweit der Kläger angebe, an Tischen mit einer Arbeitshöhe von 80 cm gearbeitet zu haben, sei dies zwar möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Die Arbeit in der Backstube bestehe zu maximal der Hälfte der Arbeitszeit aus der reinen Aufarbeitung an Tischen. Da der Kläger in seinen Ausführungen angebe, einen Funktionsposten als Teigmacher bekleidet zu haben, müsse seine anteilige Arbeitszeit an den Tischen nochmals deutlich niedriger gewesen sein. Die von dem Kläger dargestellten Gewichte und Mengen seien zum Teil überzogen und widersprächen sich zum Teil in den einzelnen Fragebögen. Dies zeige sich auch bei der Einschätzung des Gewichtes der Abzieher. Hier habe die Gewichtsangabe des Klägers bei 37,5 kg gelegen, während der Backofenhersteller des benannten Geräts das Gewicht mit 11,5 kg angebe. Selbst zwei Meter lange Abzieher aus Stahl (bis ca. 1970) hätten nur maximal 18-20 kg gewogen. Die aufgeführten Gebäckmengen, die täglich in den Betrieben hergestellt worden seien, erschienen realistisch. Allerdings passe dazu meist nicht die vom Kläger angegebene Mehl- und Teigmenge. Die Menge der tatsächlich bewegten Mehlsäcke liege zum Teil bei fast der Hälfte der angegebenen Größenordnung. Die vom Kläger beschriebenen Arbeiten am Ofen seien teilweise so kaum möglich.

Auf hiergegen gerichtete Einwendungen des Klägers hat der Sachverständige E. mit Datum vom 2. Dezember 2011 eine ergänzende Stellungnahme vorgelegt.

Der TAD der Beklagten errechnete sodann auf der Basis der Feststellungen des Sachverständigen E. eine Gesamtbelastungsdosis des Klägers von 16,8 MNh (Stellungnahme vom 5. April 2012), wies aber weiterhin auf Bedenken gegen die zugrunde liegenden Angaben des Klägers hin.

Anschließend legte die Beklagte eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. F. vom 2. Mai 2012 vor. Dieser wies darauf hin, dass der Kläger bereits 1972 erstmals wegen eines Bandscheibenvorfalls in Höhe L4/L5 operiert worden sei, nachdem er erst eine 6 jährige berufliche Tätigkeit absolviert habe. Unter Berücksichtigung der Berechnungen des TAD werde somit deutlich, dass bei der erstmaligen Dokumentation einer bandscheibenbedingten Erkrankung die für die Anerkennung einer berufsbedingten Verursachung notwendige untere Grenze von zehn Jahren ebenso wenig erreicht worden sei, wie auch nur ansatzweise die notwendige berufliche Belastung.

Das Sozialgericht hat im Weiteren die Schwerbehindertenakte des Klägers vom Versorgungsamt Fulda, GZ xxxxx, beigezogen und hieraus medizinische Unterlagen aus den Jahren 1981 bis 2006 zu den Akten genommen. Hierunter befinden sich ein Befundbericht des Orthopäden Dr. G. vom 1. September 1981, bei dem sich der Kläger erstmals im November 1978 vorgestellt hatte, und der Befund einer CT-Untersuchung der LWS vom 15. Januar 1996, die hinsichtlich der Lendenwirbelsäulensegmente L2/L3 und L3/L4 eine unauffällige Darstellung ergeben hatte. In den Segmenten L4/L5 und L5/S1 zeigten sich Höhenminderungen der Zwischenwirbelräume.

Sodann hat das Gericht ein Sachverständigengutachten des Radiologen Dr. H., vom 24. August 2012 eingeholt. Darin stellt der Sachverständige fest, dass bei dem Kläger eine unregelmäßige Begrenzung sowie eine gering degenerative Signalminderung der Deck- und Bodenplatte im Segment L4/L5 vorlägen. Weiterhin seien eine ausgeprägte bis subtotale Höhenminderung des Intervertebralraumes L4/L5 sowie eine fortgeschrittene Höhenminderung im Segment L5/S1 gegeben. In beiden Segmenten zeige sich ein ausgeprägter Signalverlust der Restbandscheiben im Sinne einer "black disc". Ein minimaler Signalverlust zeige sich ebenfalls im Bandscheibenfach L3/L4. Im Segment L5/S1 zeige sich eine vollständige Degeneration des rechten Facettengelenks mit Aufbrauchen des Gelenkspaltes und kugeliger Deformierung. In den Segmenten L3/L4 und L4/L5 bestehe eine relative bis absolute Spinalkanalstenose. Es lägen breitbasige, betont nach rechts reichende Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten L4/L5 und L5/S1 vor. Zudem zeigten sich henkelförmige submarginale Spondylophyten betont in den Segmenten L2/3 bis L5/S1. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass sich bei dem Kläger ein fortgeschrittener degenerativer Verschleiß der unteren Lendenwirbelsäule, betont in den Segmenten L4/L5 und L5/S1 zeige. Die Einengung des Spinalkanals im Segment L3/L4 und L4/L5 beruhe auf einem über Jahre gewachsenen degenerativen Verschleiß. Die Beschwerden des Klägers seien durch einen entzündlichen Reizzustand der Nervenwurzel S1 rechts zu erklären; die bei dem Kläger gefundenen degenerativen Veränderungen seien in ihrem Ausmaß nach den Erfahrungen der alltäglichen Praxis als gering über dem Durchschnitt der Altersgruppe liegend zu bewerten, wobei die mehrfach durchgeführten Bandscheibenoperation sicherlich zu einer Beschleunigung der Veränderungen geführt hätten.

Hierzu hat der Beratungsarzt der Beklagten unter dem 12. September 2012 darauf hingewiesen, dass die aktuelle Befundung keine weitreichenden Schlüsse im Hinblick auf die BK 2108 zulasse. Im Hinblick auf das Krankheitsbild der 70er Jahre sei festzuhalten, dass zum damaligen Zeitpunkt die erforderliche Gesamtbelastungsdosis nicht erreicht worden sei. Auch wenn man aktuell von einer Begleitspondylose ausgehe, sei festzuhalten, dass sich eine solche in der CT-Untersuchung vom 15. Januar 1996 nicht finde.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. April 2013 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei zwar während seiner versicherten Tätigkeit gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK Nr. 2108 ausgesetzt gewesen, wobei offen bleiben könne, ob er die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfülle, wovon die Kammer aufgrund der Berechnungen des TAD der Beklagten ausgehe, der eine Gesamtbelastungsdosis von 17 MNh angenommen habe. Selbst wenn man mit den Feststellungen des Sachverständigen E., die die Kammer nicht in Zweifel ziehe, davon ausgehen müsse, dass die Angaben des Klägers überhöht seien, dürfte sich eine Reduzierung, die unter die Untergrenze von 12.5 MNh reiche, wohl nicht annehmen lassen. Hierauf komme es jedoch letztlich nicht an, da sich die bei dem Kläger vorliegenden Bandscheibenschäden vom Schadensbild her nicht so darstellten, dass sie sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Belastung zurückführen ließen.

Nach Zustellung dieses Urteils bei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22. Mai 2013 hat dieser zunächst bei dem Hessischen Landessozialgericht am 21. Juni 2013 einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) unter Vorlage eines Entwurfs einer Berufungsschrift gestellt. Nachdem der Senat dem Kläger mit Beschluss vom 28. November 2013 - dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 18. Dezember 2013 - PKH bewilligt hat, hat der Kläger sodann am 24. Dezember 2013 Berufung gegen das Urteil vom 22. Mai 2013 eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Der Senat hat das Verfahren zunächst mit Beschluss vom 10. Februar 2014 ruhend gestellt, um die Entscheidung des Bundessozialgerichts in dem dortigen, die BK Nr. 2108 betreffenden Revisionsverfahren B 2 U 6/13 R abzuwarten.

Der Senat hat das Verfahren am 1. Dezember 2015 von Amts wegen wiederaufgerufen.

Der Kläger ist der Auffassung, mit einer Einwirkungsbelastung von 17 bis 18 MNh aufgrund seiner Tätigkeit als Bäcker von 1963 bis 2003 habe er langjährig eine belastende Tätigkeit im Sinne der BK Nr. 2108 ausgeübt. Der vom BSG genannte untere Grenzwert von 12,5 MNh, unterhalb dessen auf einzelfallbezogene medizinischen Ermittlungen verzichtet werden könne, sei in seinem Fall erheblich überschritten. Auch würden die Voraussetzungen der Konstellation B1 oder B2 der Konsensempfehlungen erfüllt: Bei ihm seien Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L4/L5 und L5/S1 im Vollbeweis gesichert; in diesen Segmenten zeige sich zudem ein ausgeprägter Signalverlust der Restbandscheiben im Sinne einer "black disc" und in den Segmenten L3/L4 und L4/L5 werde eine Einengung des Spinalkanals diagnostiziert. Außerdem lasse sich den Konsensempfehlungen selbst auch das Erreichen der MDD-Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh als Anwendungsvoraussetzung nicht entnehmen. Sollte ein Vorliegen der Konstellationen B1 oder B2 verneint werden, wäre auch dann im Einzelfall ein Ursachenzusammenhang nicht ausgeschlossen und müsste im Rahmen der Amtsermittlung festgestellt werden, ob individuelle, dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende Umstände vorliegen, die im konkreten Einzelfall den Ursachenzusammenhang als hinreichend wahrscheinlich erscheinen ließen.


Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 22. Mai 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Oktober 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2008 zu verurteilen, die bei ihm bestehende Lendenwirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtmäßig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Senat ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere in den medizinischen Unterlagen und im Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Dem Kläger war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 67 Abs. 1 SGG zu gewähren. Er hat innerhalb der Berufungsfrist einen PKH-Antrag gestellt, über den der Senat mit Beschluss vom 28. November 2013 entschieden hat. Während der Dauer des PKH-Verfahrens ist kein Verschulden des Klägers an der Versäumung der Berufungsfrist festzustellen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, Rdnr. 7b zu § 67). Nach Zustellung dieses Beschlusses am 18. Dezember 2013 hat der Kläger sodann fristgerecht gem. § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt sowie die Berufungseinlegung gem. § 67 Abs. 2 Satz 3 SGG nachgeholt.

Die zulässige Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts und die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner LWS-Erkrankung als BK nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII (bis zum In-Kraft-Treten des SGB VII § 551 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung -RVO-) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV gehören hierzu bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die jeweils zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Ausgehend hiervon war der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als Beschäftigter versichert und währenddessen grundsätzlich auch ihrer Art nach gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV ausgesetzt. Diese Einwirkungen sind nach Überzeugung des Senats jedoch nicht als wesentliche (Mit-)Ursache des Wirbelsäulenleidens des Klägers wahrscheinlich zu machen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie dass eine Krankheit vorliegt. Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht worden sein (haftungsbegründende Kausalität). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5, RdNr. 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises vorliegen. Eine absolute Sicherheit muss dabei nicht erzielt werden. Erforderlich ist aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (BSGE 6, 144; Keller a.a.O. Rdnr. 3b zu § 128 m.w.N.). Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287 [BSG 02.02.1978 - 8 RU 66/77]; 61, 127, 128). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 6/13 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 7, RdNr. 10, m.w.N. - juris). Bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.F.). Der ursächliche Zusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59 [BSG 19.03.1986 - 9a RVi 2/84]).

Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im BK Recht gilt, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 sowie B 2 U 26/04 = BSGE 96, 196 - 209 [BSG 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R]). Die Theorie der wesentlichen Bedingung basiert auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (sog. conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens und Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen der erstbehandelnden Ärzte sowie der gesamten Krankengeschichte. Trotz dieser Ausrichtung am individuellen Versicherten ist der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Einzelfall der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und Gesundheitsschäden zugrunde zu legen.

Abweichend von einem Arbeitsunfall als einem zeitlich begrenzten Ereignis, das oftmals relativ eindeutig die allein wesentliche Ursache für einen als Unfallfolge geltend gemachten Gesundheitsschaden ist, ist die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei Berufskrankheiten in der Regel schwieriger. Denn angesichts der multifaktoriellen Entstehung vieler Erkrankungen, der Länge der zu berücksichtigenden Zeiträume und des Fehlens eines typischerweise durch berufliche Einwirkung verursachten Krankheitsbildes bei vielen Berufskrankheiten stellt sich letztlich oft nur die Frage nach einer wesentlichen Mitverursachung der Erkrankung durch die versicherten Einwirkungen (s. BSG, Urteil vom 27. Juni 2006, B 2 U 7/05 R - Juris).

Ausgehend hiervon war der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als Beschäftigter versichert und währenddessen grundsätzlich auch ihrer Art nach gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV ausgesetzt. Diese Einwirkungen sind nach Überzeugung des Senats jedoch nicht als wesentliche (Mit-)Ursache der unstreitig bei dem Kläger bestehenden bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule wahrscheinlich zu machen.

Fraglich ist bereits, ob der Kläger beruflichen Belastungen durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung ausgesetzt war, die für die bei ihm bestehende bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS ursächlich sein könnten. Ausgehend von den auf der Grundlage der Angaben des Klägers erfolgten Berechnungen des TAD erfüllt dieser zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung dieser BK. Hiernach unterlag er einer beruflichen Hebe- und Tragebelastung, die der TAD im Ausmaß von 16,8 MNh ermittelt hat. Der TAD der Beklagten hat sich zur Quantifizierung der Hebe- und Tragebelastung des Klägers des sogenannten Mainz-Dortmunder-Dosis-Modells (MDD-Modell) bedient. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 18. März 2003 - B 2 U 13/02 R juris - und vom 19. August 2003 - B 2 U 1/02 R juris -) ist das MDD-Modell eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK Nr. 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten" oder "langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau umschriebenen Einwirkungen. Da das MDD Modell für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte festsetzt, die erreicht werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko für Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann, sondern die angegebenen Richtwerte insbesondere für die Gesamtbelastungsdosis als bloße Orientierungswerte anzusehen sind, kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein Unterschreiten dieser Werte das Vorliegen einer BK von vornherein ausschließt. Da Orientierungswerte aber andererseits auch keine unverbindliche Größe sind, die beliebig unterschritten werden kann, ist unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu entscheiden (so das BSG im Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R juris -). Das BSG hat in dieser Entscheidung am MDD-Modell grundsätzlich festgehalten. Da es aufgrund einer vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften initiierten Fallkontrollstudie zur besseren epidemiologischen Klärung der Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwischen beruflichen Belastungen und Entstehung von bandscheibenbedingten Wirbelsäulenerkrankungen (sog. Deutsche Wirbelsäulenstudie von 2007) Hinweise gibt, dass auch unterhalb des Orientierungswertes nach dem MDD-Modell ein erhöhtes Risiko für bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS bestehen kann, hat es das BSG im Urteil vom 30. Oktober 2007 für sachgerecht erachtet, den unteren Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS ausgeschlossen ist und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, im Licht dieser neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse auf die Hälfte des im MDD-Modell vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh für Männer zu reduzieren. Diesen Vorgaben entsprechend hat der TAD der Beklagten in seiner letzten Stellungnahme vom 5. April 2012 die Hebe- und Tragebelastung des Klägers in seiner Tätigkeit als Bäcker von Januar 1966 bis 15. Dezember 2003 auf der Basis der Angaben des Klägers mit 16,8 MNh ermittelt, womit sich eine Gesamtbelastungsdosis ergibt, die den Orientierungswert von 12,5 MNh überschreitet. Der TAD hat jedoch erhebliche und für den Senat auch nachvollziehbare Zweifel an den seitens des Klägers behaupteten Belastungen geäußert. Dies bedarf vorliegend im Ergebnis jedoch keiner weiteren Aufklärung, sondern kann dahinstehen, denn ein Ursachenzusammenhang ist jedenfalls im Rahmen der anschließend erforderlichen fachmedizinischen Klärung zu verneinen. Denn die Tatsache, dass sowohl die arbeitstechnischen Voraussetzungen schweren Hebens und Tragens als auch der vom Verordnungsgeber in der BK Nr. 2108 geforderte Befund eines bandscheibenbedingten LWS-Leidens zur Überzeugung des Berufungsgerichts nachgewiesen sind, führt nicht zu der im Sinne eines Anscheinsbeweises zu rechtfertigenden Annahme (dazu § 9 Abs. 3 SGB VII), dass damit auch von einem wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang der Erkrankung mit der beruflichen Belastung im Rahmen der medizinischen Zusammenhangsbeurteilung auszugehen ist. Denn die Pathogenese bandscheibenbedingter LWS-Erkrankungen ist vielgestaltig und der berufliche Einfluss ist nur einer unter vielen denkbaren Kausalfaktoren, so dass es immer einer individuellen Abwägung im Einzelfall bedarf und der ursächliche Zusammenhang mit beruflichen Belastungseinwirkungen anhand zusätzlicher Merkmale positiv festzustellen und zu begründen ist, wobei das Berufungsgericht folgende Kriterien als für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Rahmen der BK Nr. 2108 wesentlich ansieht: das Krankheitsbild - insbesondere in Form eines die Altersnorm überschreitenden Wirbelsäulenbefundes einerseits und eines belastungskonformen Schadensbildes andererseits, das Bestehen einer konstitutionellen Veranlagung bzw. weitergehender konkurrierender Erkrankungen sowie die Eignung der belastenden Einwirkung zur Verursachung der Krankheit, biomechanische Begleitumstände wie Körperhaltung und zur Verfügung stehende Hilfsmittel, individuelle Konstitution und zeitliche Korrelation zwischen Erkrankungsverlauf und beruflichen Überlastungen (dazu Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), Kommentar, Anm. 6.2. zu M 2108; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 499 bis 508 sowie Urteil des BSG vom 27. Juni 2006 - Az: B 2 U 13/05 R - juris). Auch die "Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten BKen der LWS", die "Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung", gehen von diesen Vorgaben aus (ebenso Urteil des BSG vom 27. Juni 2006). Es handelt sich dabei um eine Zusammenfassung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse für eine qualifizierte Begutachtung der BK Nrn. 2108 und 2110. Die Autoren gehören einer interdisziplinären Arbeitsgruppe von Sachverständigen an, die selbst intensiv in die Zusammenhangsbegutachtung bei LWS-Erkrankungen eingebunden sind, und die auf Anregung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichtet wurde. Diese Konsensempfehlungen stellen - jedenfalls soweit sie einvernehmlich verfasst wurden - den von der Rechtsprechung bei Beurteilung derartiger Zusammenhangsfragen zugrunde zu legenden aktuellen Erkenntnisstand dar (BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 6/13 R - juris). Die Konsensempfehlungen beschreiben das belastungskonforme Schadensbild durch den Vergleich der Veränderungen zwischen Beschäftigten mit hoher Wirbelsäulenbelastung und der Normalbevölkerung hinsichtlich der Kriterien Lebensalter beim Auftreten der Schädigung, Ausprägungsgrad in einem bestimmten Alter, Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden an der LWS sowie Lokalisationsunterschiede zwischen biomechanisch hoch und mäßig belasteten Wirbelsäulenabschnitten der gleichen Person und Entwicklung einer Begleitspondylose (dazu: S. 212, 214 der Konsensempfehlungen unter Ziffer 1.1.3). An der Feststellung eines belastungskonformen Schadensbildes ist festzuhalten, da eine bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung an den beiden unteren Segmenten dem typischen Degenerationsmuster in der durch Heben und Tragen nicht belasteten Bevölkerung entspricht (dazu Mehrtens Brandenburger, Die Berufskrankheitenverordnung (BKV), Kommentar, M2108 Seite 42; Grosser/Schröter im Anhang 1 der Konsensempfehlungen: Anmerkungen zu den nicht im Konsens beurteilten Fallkonstellationen S. 219). Auch das Bundessozialgericht weist in seiner neuesten Rechtsprechung unter Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie darauf hin, dass Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden im nach der BK-Nr. 2108 belasteten Kollektiv zu 96 % mit denen der Normalbevölkerung identisch sind (BSG, Urteil vom 23. April 2015, B 2 U 6/13 R - juris - Rdnr. 21), die auf innere Ursachen zurückgeführt werden müssen. Ein solches allgemein verbreitetes Erkrankungsbild kann nicht als belastungstypisch bezeichnet werden und als belastungskonform nur dann, wenn über das mono- oder bisegmentale Erkrankungsbild hinaus ein Hinweis auf eine Einwirkung durch die beruflich bedingte mechanische Dauerbelastung in einem nicht erkranken LWS-Segment besteht. Eine derartige mechanische Dauerbelastung behindert den Flüssigkeitsaustausch der Bandscheibe und soll so zu belastungsinduzierten Veränderungen führen. Sind die Grundvoraussetzungen zur Anerkennung erfüllt - also das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung einerseits und einer ausreichenden beruflichen Belastung andererseits sowie einer plausiblen zeitlichen Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung - soll anhand folgender Kriterien abgewogen werden, ob ein Ursachenzusammenhang wahrscheinlich ist: Eine Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren drei Segmenten der LWS spricht eher für einen Zusammenhang, ein Befall der HWS und/oder der BWS je nach Fallkonstellation eher gegen einen Zusammenhang der Befunde mit beruflichen Belastungen. Eine Aussparung der beiden unteren LWS-Segmente spricht gegen eine berufliche Verursachung, Begleitspondylosen haben eine positive Indizwirkung, wenn sie über das Altersmaß hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen. Bei Vorliegen einer Begleitspondylose soll eine BK-Anerkennung auch in Betracht kommen, wenn konkurrierende Ursachen erkennbar werden, die das Schadensbild nicht durch deren überragende Qualität erklären. Im Übrigen enthalten die Konsensempfehlungen 21 Fallkonstellationen, wobei für sechs Konstellationen kein Konsens erzielt werden konnte, wofür als Gründe neben dem Phänomen der Begleitspondylose als Positivkriterium die Bedeutung degenerativer HWS-Veränderungen als möglicher Hinweis auf ein schicksalhaftes Geschehen zu nennen sind. Bei der Beurteilung der übrigen 15 Befundkonstellationen bestand Einigkeit.

Zur Überzeugung des Senats ist vorliegend keine der in den Konsensempfehlungen definierten Befundkonstellationen gegeben, bei denen ein Zusammenhang als wahrscheinlich beurteilt werden muss, insbesondere kann die bei dem Kläger bestehende Erkrankung der LWS nicht der Konstellation B1 oder B2 nach den Konsensempfehlungen zugeordnet werden. Für sämtliche B-Konstellationen wird nach den Konsensempfehlungen vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall hat. Für sämtliche Fallkonstellationen nach den Konsensempfehlungen wird im Übrigen als Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhanges zwischen Erkrankung und beruflicher Belastung verlangt, dass die berufliche Belastung eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung aufweist ("z. B. ausreichende Exposition muss der Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des Zeitraums zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab"). Bei bereits länger zurückliegender Aufgabe der belastenden Tätigkeit ist nach den Konsensempfehlungen der Befund zum Zeitpunkt der belastenden Tätigkeit wegweisend.

Zum Zeitpunkt der Aufgabe seiner belastenden Tätigkeit am 15. Dezember 2003 lag bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung in den Segmenten L5/S1 und L4/L5 vor, die für die Zuordnung zu einer B-Konstellation in Betracht kommen. Bei dem Kläger ist jedoch bereits erstmals im Jahr 1970 oder 1972 (Die aktenkundigen Angaben variieren hier.) der vorliegende Bandscheibenvorfall in L4/L5 operiert worden und damit bereits zu einem Zeitpunkt eingetreten, zu dem noch nicht das Merkmal der Langjährigkeit der Einwirkungen festgestellt werden kann. Der Kläger war damals maximal 24 Jahre alt und hatte maximal 7 Jahre den Beruf des Bäckers ausgeübt. Bis zu diesem Zeitpunkt errechnet sich zudem auch nach den Angaben des Klägers nur eine MDD-Gesamtdosis von 3,33 MNh, der BSG-Grenzwert von 12,5 MNh war also noch deutlich unterschritten.

Fraglich ist dies indes im Hinblick auf den Bandscheibenvorfall in dem Segment L5/S1. Auch hier lässt sich zunächst der genaue Zeitpunkt der Diagnose nicht feststellen; die zeitlichen Angaben zu der hier erfolgten ersten Operation variieren in den anamnestischen Angaben der aktenkundigen Arztberichte. Vor dem Hintergrund eines vom Versorgungsamt Kassel eingeholten Befundberichtes des Orthopäden Dr. G. vom 1. September 1981 (Bl. 6 SbA), der bei der erstmaligen Vorstellung des Klägers im November 1978 anamnestisch Bandscheibenoperationen in zwei Segmenten in den Jahren 1972 und 1976 erhoben hat, muss der zweite Bandscheibenschaden spätestens 1976 diagnostiziert worden sein. Zwar benennt Dr. G. hier in der Anamnese als zweites betroffenes Segment offensichtlich fälschlicherweise L3/L4, aus dem von ihm erhobenen Röntgenbefund vom 20. März 1981 ergibt sich aber eindeutig der postoperative Befund in dem Segment L5/S1. Da der Kläger zu den von ihm in den 1970er Jahren ausgeübten Tätigkeiten keine Fragebögen ausgefüllt und vorgelegt hat, ist insoweit auch keine Berechnung durch den TAD erfolgt. Wie bereits ausgeführt, können die diesbezüglichen Zweifel aber zurückstehen, da selbst bei unterstellt, dass bis zum Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Segment L5/S1 die Summe der berufsbedingten Einwirkungen den BSG-Grenzwert von 12,5 MNh erreicht hat, eine Anerkennung auch in diesem Fall wegen der fehlenden medizinischen Voraussetzungen nicht erfolgen kann.

Hier liegt zunächst kein Fall der Konstellation B1 der Konsensempfehlungen vor. Diese Konstellation setzt für die Anerkennung einer monosegmentalen bandscheibenbedingten Erkrankung im Segment L5/S1, aber auch einer bisegmentalen bandscheibenbedingten Erkrankung im Segment L4/L5 das Vorliegen einer Begleitspondylose voraus. Eine solche Begleitspondylose liegt bei dem Kläger nicht vor. Außerhalb des nicht berufsbedingt geschädigten Segmentes L4/L5 und des hier zu prüfenden Schadens im Segment L5/S1 liegt bei dem Kläger ausweislich des radiologischen Gutachtens des Dr. H. vom 24. August 2012 zwar eine Spondylophytenbildung in den Segmenten L3/L4 und L2/L3 vor; diesbezüglich legt aber Dr. F., wie auch bereits das Sozialgericht festgestellt hat, nachvollziehbar und überzeugend dar, dass diese nicht als Begleitspondylose festgestellt werden kann, da eine solche auch ca. 20 Jahre nach dem ersten Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 durch die Computertomographie der LWS vom 15. Januar 1996 ausgeschlossen wird. Der dort erhobene Befund beschreibt nicht nur die in den Segmenten L4/L5 und L5/S1 bestehenden Veränderungen, sondern auch für die Segmente L2/L3 und L3/L4 ausdrücklich eine unauffällige Darstellung. Die Begleitspondylose setzt in jedem Fall schon begrifflich einen engeren zeitlichen Zusammenhang zum Auftreten der zur Anerkennung beantragten bandscheibenbedingten Veränderungen voraus. Eine Spondylose in einem von Chondrose oder Bandscheibenvorfall betroffenen Segment kam nach der Definition der Konsensempfehlungen (S. 216) sogar nur als Begleitspondylose gewertet werden, wenn sie bereits vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung nachgewiesen war.

Die Bandscheibenerkrankung im Segment L5/S1 erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der Konstellation B2. Bei dieser Konstellation fehlt die Begleitspondylose und der Zusammenhang wird nur dann als wahrscheinlich angesehen, wenn mindestens eines der in der betreffenden Konstellation genannten Zusatzkriterien erfüllt ist. Auch das Zusatzkriterium "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben - bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 "black disc" im MRT in mindestens 2 angrenzenden Segmenten" ist nicht erfüllt. Da vorliegend allenfalls ein monosegmentaler Vorfall in L5/S1 zu berücksichtigen ist, bedarf es einer "black disc" im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten. Dabei muss zunächst der nicht berufsbedingt entstandene Bandscheibenschaden im Segment L4/L5 außer Betracht bleiben. Der Sachverständige Dr. H. hat im Übrigen jedoch nur in einem weiteren Segment, nämlich in L3/L4, einen "minimalen Signalverlust" beschrieben. Ob ein solcher geringfügiger Signalverlust bereits eine "black disc" im Sinne des ersten Zusatzkriteriums darstellt, bedarf vorliegend daher keiner weiteren Aufklärung. Im Übrigen kann auch diese Veränderung im Segment L3/L4 noch bis ins Jahr 1996 eindeutig ausgeschlossen werden.

Die Zusatzkriterien "besonders intensive Belastung" und "besonderes Gefährdungspotential" liegen hier nicht vor.

Dabei kann hinsichtlich der Frage einer besonders intensiven Belastung dahinstehen, ob insoweit als "Richtwert für die Lebensdosis" der im MDD-Modell vorgeschlagene Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh für Männer oder aber der vom BSG für das Erfordernis der Aufnahme medizinischer Ermittlungen als maßgeblich erachtete Orientierungswert von 12,5 MNh zugrunde zu legen ist. Ausgehend von den Angaben des Klägers zu seinen beruflich bedingten wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten und den diese zugrunde legenden Berechnungen durch den TAD fehlt an jeglichen Hinweisen, dass der Kläger in einem Zeitraum von weniger als 10 Jahren vor dem Auftreten der bandscheibenbedingten Erkrankung im Segment L5/S1 spätestens im Jahr 1976 einer Belastung von mindestens 12,5 MNh ausgesetzt war.

Ebenso wenig ergeben sich irgendwelche Hinweise auf ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen. Als Anhaltspunkt hierfür beschreiben die Konsensempfehlungen das Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosisrichtwertes durch hohe Belastungsspitzen, die bei Männern ab einer Belastung von 6 kN im einzelnen Hebe- und Tragevorgang gesehen werden. Dieser halbierte Tagesdosisrichtwert beträgt 2,75 kNh. Ausgehend von den Angaben des Klägers ergeben sich vorliegend pro Schicht je drei Hebe- und Tragevorgänge, die diesen Belastungswert von 6kN erreichen bzw. überschreiten (9,3 bzw. 9,5 kN). Hieraus ergibt sich auch nicht annähernd eine Belastung von 2,75 kNh.

Damit entspricht die bei dem Kläger festgestellte Befundsituation der Konstellation B3 (lediglich mono- oder bisegmentaler Bandscheibenschaden an den untersten LWS-Segmenten ohne Begleitspondylose und ohne Vorliegen eines Zusatzkriteriums), bei der es unter den Teilnehmern der Konsensarbeitsgruppe bezüglich der Beurteilung eines Kausalzusammenhangs keinen Konsens gab und daher keine Anerkennungsempfehlung ausgesprochen wurde. Nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 23. April 2015, B 2 U 6/13 R - juris - Rdnr. 26) soll der fehlende Konsens aber nicht so zu deuten sein, dass damit eine Anerkennung des Verursachungszusammenhanges im Einzelfall unmöglich wäre. Vielmehr soll im Rahmen der Amtsermittlung festgestellt werden, ob es nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft einen anerkannten Erfahrungssatz gibt, nach dem isolierte Bandscheibenvorfälle ohne die in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien durch schweres Heben und Tragen verursacht werden können.

Einen solchen durch neue Erkenntnisse bestätigten Erfahrungssatz hat der Senat nicht feststellen können. Grosser, Meyer-Clement und Schröter (Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie, in: Der medizinische Sachverständige 2015, Seiten 140 bis 143) haben diese Frage untersucht und nach Bewertung der 2007 veröffentlichten Studie und ihrer 2013 veröffentlichten Nachauswertung (DWS II) festgestellt, dass deren Inhalt weder neue Dosisrichtwerte begründet noch neue medizinische Kriterien für die Zusammenhangsbeurteilung hergibt (ebenso: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. April 2014, L 9 U 121/11 - juris - Rdnr. 40; Kranig, Die Krux mit dem Kreuz - Anmerkungen zu dem Urteil des BSG vom 23. April 2015 zur Berufskrankheit Nr. 2108, in: Die Sozialgerichtsbarkeit 2016, 504, 509). Selbst Prof. J., der bei der Erarbeitung der Konsensempfehlungen die Auffassung vertreten hat, die Konstellation B3 sei zur Anerkennung zu empfehlen, spricht sich in "Informationen für den Gutachter der Berufskrankheit 2108" (Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 2014, 35, 43) lediglich für eine Überarbeitung der Konsensempfehlungen aus und führt speziell zur Konstellation B3 aus, dass die Studienergebnisse "im Rahmen einer multivarianten Auswertung überprüft werden" sollten. Für die Beurteilung des Einzelfalls verwertbare Ergebnisse hat auch er nicht mitgeteilt und auch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnungen hat nach Vorstellung der Ergebnisse der DWS im ärztlichen Sachverständigenbeirat die Aufnahmen neuer Beratungen abgelehnt und weiteren Forschungsbedarf konstatiert, so dass die DGUV keinen Anlass sieht, die bisherigen Empfehlungen zur Bearbeitung der BK 2108 zu verändern (dazu: Römer in: Hauck, Sozialgesetzbuch, SGB VII, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, Anhang zu K § 9 Anlage zur BKV BK-Nrn. 2108 bis 2110, Seite 13).

Die vom BSG auch für die Konstellation B3 geforderte Einzelfallprüfung mit Bewertung aller relevanten Kriterien führt nach Durchführung durch den Senat nicht zu einer für den Kläger positiven Entscheidung. Bei Betrachtung des Einzelfalls ergeben sich vorliegend weder unter Berücksichtigung der mit der ausgeübten Tätigkeit verbundenen Belastungen noch aus dem vorliegenden Erkrankungsbild, wie sie bereits ausführlich dargelegt worden sind, Besonderheiten, die insoweit hier ausnahmsweise eine abweichende Bewertung oder auch nur weitere Ermittlungen begründen könnten.

Ein deutliches Überwiegen der Kriterien, die für einen (wesentlichen) Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Einwirkung und den Bandscheibenschäden sprechen und diesen somit wahrscheinlich machen, lässt sich hier nach alledem nicht feststellen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK Nr. 2108 sind nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 SGG nicht vorgelegen haben.

Referenznummer:

R/R7348


Informationsstand: 19.07.2017