Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 19. September 2013 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Streitig ist, ob die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, dem Kläger Übergangsleistungen nach § 3
Abs. 2 Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zu erbringen.
Der 1949 geborene Kläger war nach Ablegung des Abiturs von September 1967 bis August 1968 Hilfspfleger in einem Krankenhaus, studierte anschließend Humanmedizin und erhielt im August 1974 seine Approbation. Von Oktober 1974 bis Oktober 1975 arbeitete er als Assistenzarzt und war nach anschließender Ableistung des Grundwehrdienstes von Januar 1976 bis Februar 1978 als ärztlicher Leiter eines NVA-Fliegerbataillons tätig. Anschließend nahm er eine Tätigkeit in der Anästhesiologischen Universitätsklinik H. auf, schloss dort seine Ausbildung zum Facharzt für Anästhesiologie ab und war hier bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 7. Juni 2004 als solcher sowie leitender Notarzt (mit Tätigkeit in verschiedenen Operationssälen, Aufwachräumen und Intensivstationen) beschäftigt. Nach dem Ende der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bezog der Kläger vom 19. Juli 2004 bis zum 5. Dezember 2005 Verletztengeld und anschließend bis zum 20. März 2006 Arbeitslosengeld (60,77
EUR täglich). Ab dem 1. Dezember 2005 erhielt er von der Ärzteversorgung Sachsen-Anhalt eine bis zum 30. November 2010 befristete Berufsunfähigkeitsrente, die auf Grundlage des Bescheides vom 1. Juni 2010 anschließend unbefristet geleistet wurde (Dezember 2005 i.H.v. 1.493,74
EUR, ab Januar 2005 monatlich 1.531,39
EUR, ab Januar 2007 monatlich 1.523,77
EUR, ab Januar 2008 monatlich 1.531,39
EUR und ab Januar 2009 monatlich 1.539,05
EUR). Seit März 2014 ist der Kläger Altersrentner. Im Jahr vor der Arbeitsunfähigkeit erzielte er laut Mitteilung seiner Bezügestelle einen monatlichen Nettoverdienst von rund 4.700,00
EUR.
Unter dem 17. September 2004 zeigte die Betriebsärztin des Universitätsklinikums H. der Beklagten den Verdacht einer beruflich erworbenen offenen Lungentuberkulose an.
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt schätzte in seinem Gutachten vom 12. April 2005 auf Grundlage der Diagnosen Arthritis, Divertikulose des Darms, Diabetes mellitus, Angina pectoris, Hypertonie und degenerative Wirbelsäulenerkrankung ein, es sei von einer drohenden Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Klägers auszugehen.
Nach dem Entlassungsbericht vom 16. September 2005 über die vom 12. Juli bis zum 9. September 2005 in der
S. Rehabilitationsklinik erfolgte ambulant-teilstationäre Behandlung sei der Kläger in seiner Erwerbsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Aus orthopädischer Sicht sei eine Tätigkeit als Anästhesist über drei Stunden täglich derzeit nicht möglich.
In der Begründung seines Antrags auf Erteilung eines Schwerbehindertenausweises vom 6. November 2005 gab der Kläger u.a. an, die Morgensteifigkeit seiner Gelenke betrage gegenwärtig immer noch 90 Minuten. Der Gelenkstatus gehe mit erheblichen Einschränkungen der Mobilität sowie der Funktionen des täglichen Lebens einher. Auch sitzende Tätigkeiten seien nur zeitlich begrenzt möglich.
Die Beklagte zog weitere ärztliche Berichte sowie bildgebende Befunde bei und holte von dem Chefarzt der R.-K.-Klinik am Städtischen Klinikum St. G. L.
Prof. Dr. G. das Gutachten vom 22. November 2005 ein. Dieser diagnostizierte eine Lungentuberkulose vorwiegend im linken Oberlappen mit anzunehmendem Streuherd im dritten Segment. Er empfahl die Anerkennung einer Berufskrankheit nach
Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV (BK 3101 - Infektionskrankheiten bei Versicherten im Gesundheitsdienst) und nahm als deren Folgen Gelenkbeschwerden, eine deutliche Minderung des Allgemeinzustandes, eine Minderung der groben Kraft in den oberen Extremitäten sowie eine deutliche Störung der Feinmotorik an. Die antituberkulöse Behandlung sei seit Anfang 2005 abgeschlossen. Zu empfehlen sei eine intensive Rehabilitation sowie eine Nachbegutachtung in einem Jahr. Eine dauerhaft wettbewerbsfähige Ausübung seines Berufs sei dem Kläger nicht (mehr) möglich.
Der Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit H. gelangte in seinem Gutachten vom 13. Dezember 2005 zu der Einschätzung, gegenwärtig könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Tätigkeit nur unter drei Stunden täglich verrichten.
In seiner auf Veranlassung der Beklagten abgegebenen Stellungnahme vom 16. Februar 2006 empfahl
Prof. Dr. L. vom Deutschen Zentralinstitut zur Bekämpfung der Tuberkulose ebenfalls die Anerkennung einer BK. Zwar habe der bakterielle Nachweis einer beruflich verursachten Tuberkulose beim Kläger nicht geführt werden können. Dies sei aber bei 30 % der Betroffenen der Fall. Im Vordergrund der Beschwerden des Klägers stünden die funktionellen Einschränkungen auf orthopädischem Gebiet, die für eine reaktive Gelenkmanifestation als Folge der Tuberkulose sprächen. Ebenso wie Prof
Dr. G. empfehle er die Bewertung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (
MdE) um 100 vom Hundert (vH), die Fortsetzung rehabilitativer Maßnahmen sowie eine Nachbewertung in einem Jahr. Die berufliche Tätigkeit als Anästhesist und Intensivmediziner sei mit der erhöhten Gefahr einer Tuberkuloseinfektion verbunden.
In seinem Rentenantrag vom 20. Januar 2006 wies der Kläger u.a. darauf hin, dass ihn trotz Schmerztherapie auch gegenwärtig multiple Arthralgien der Knie-, Hüft-, Hand- und Fingergelenke sowie Schmerzen im Bereich der Ober- und Unterschenkel, des Beckens und der Wirbelsäule plagten.
Mit Bescheid vom 28. Februar 2006 erkannte die Beklagte beim Kläger ab dem 7. Juni 2004 eine Lungentuberkulose als BK 3101 an.
Die Beklagte ließ den Direktor der U-klinik und P-klinik für Innere Medizin I H.
Prof. Dr. K. das Gutachten vom 11. Juli 2006 erstellen. Dieser stellte im Wesentlichen die Diagnosen Zustand nach Lungentuberkulose im Juni 2004 mit möglicher reaktiver Arthritis (aktuell kein Anhalt für chronische tuberkulöse Arthritis), Arthrose der Radiocarpalgelenke beiderseits, im Grundgelenk des zweiten Fingers rechts sowie in den Endgelenken des zweiten Fingers beiderseits, beginnende Coxarthrose beiderseits, Diabetes mellitus und Divertikulose des Colons.
Mit Bescheid vom 8. August 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2007 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung einer Verletztenrente ab und stellte als BK-Folgen durch CT nachgewiesene Veränderungen der Lunge im linken Oberlappen ohne funktionelle Auswirkungen, welche sich röntgenologisch nicht mehr darstellen ließen, fest. In dem vor dem Sozialgericht (SG) Halle geführten nachfolgenden Klageverfahren (S 23 U 74/07) übermittelte die Beklagte die Stellungnahme ihres Beratungsarztes Privatdozent (PD)
Dr. B. vom 6. Mai 2008, in der dieser die Einholung eines orthopädischen Gutachtens empfahl. In diesem (erstellt unter dem 28. Mai 2009) gelangte
Dr. S. zu den Diagnosen blande Arthritis einzelner Langstrahlengrund- und -mittelgelenke rechtsbetont an den Händen, beginnende Polyarthrose an den Langstrahlenendgelenken des zweiten und dritten Fingers beiderseits, Polyarthralgien an weiteren Gelenken (überwiegend ohne objektivierbaren Befund), beginnende Coxarthrose rechts (wahrscheinlich maßgeblich für die rechtsbetonten Hüft- und Kniebeschwerden), Reizung des rechten Kreuz-Darmbeingelenks (ursächlich nicht weiter aufklärbar) sowie derzeit noch sehr diskrete Arthrosis deformans der Großzehengrundgelenke ohne funktionelle Störungen. Im Rahmen der tuberkulösen Erkrankung sei es zu einer reaktiven Polyarthritis (Poncet-Syndrom) gekommen. Die fortbestehenden arthritischen Komponenten an den Händen seien mit hoher Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die anerkannte BK 3101 zurückzuführen, während die übrigen Diagnosen als schicksalhaft anzusehen seien. Besonders beim Vorliegen des Gens HLA-B27 entwickle sich eine reaktive Arthritis auch dann, wenn die Tuberkulose als Grunderkrankung bereits komplett zur Ausheilung gekommen sei. Die BK-Folgen bedingten (ab Ende der Arbeitsunfähigkeit) eine
MdE um 20 vH, wobei eine Besserung nicht realistisch erscheine. Mit Vergleich vom 25. August 2009 erkannte die Beklagte daraufhin eine Arthritis einzelner Langstreckengrund- und -mittelgelenke der Hände mit manifester Beugebehinderung in den Grundgelenken der Langstrahlen und resultierendem inkompletten Faustschluss als weiterer BK-Folge sowie ab dem 6. Dezember 2005 einen Anspruch auf Verletztenrente nach einer
MdE um 20 vH an (entsprechender Ausführungsbescheid vom 7. Oktober 2009 in der Fassung des Bescheides vom 11. November 2009).
Mit Bescheid vom 30. November 2009 lehnte die Beklagte die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 BKV ab, da beim Kläger die Gefahr des Wiederauflebens
bzw. der Verschlimmerung der BK unter Berücksichtigung seines individuellen Gesundheitszustandes sowie der Verhältnisse am Arbeitsplatz nicht über den Grad hinausgehe, der bei anderen Versicherten bei vergleichbarer Beschäftigung bestehe.
Hiergegen erhob der Kläger am 8. Dezember 2009 Widerspruch und führte zur Begründung u.a. aus, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG, Urteil vom 22. März 1983 - 2 RU 22/81 - juris) genüge für das Vorliegen einer Gefahr bereits eine statistisch erhöhte Möglichkeit des Wiederauflebens
bzw. der Verschlimmerung der BK. Bei ihm komme hinzu, dass die BK zu schweren, irreversiblen Gesundheitsstörungen geführt habe. Wegen des Risikos einer Neuinfektion werde er auch keine Aktivitäten zur Wiederaufnahme seiner Tätigkeit mehr entwickeln.
Auf entsprechende telefonische Anfrage der Beklagten gab PD
Dr. B. am 15. Dezember 2009 die Einschätzung ab, aufgrund der durchgemachten Tuberkuloseerkrankung sei der Kläger wesentlich besser vor einer Neuinfektion geschützt, als nicht hieran erkrankte Personen. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2010 wies die Beklagte den Widerspruch daraufhin als unbegründet zurück. Es sei nicht erkennbar, dass beim Kläger das Erkrankungsrisiko durch den individuellen Gesundheitszustand erhöht sei. Die BK-Folgen beschränkten sich auf die chronischen Fingerbeschwerden beiderseits;
Prof. Dr. G. habe keine krankhaften Lungenbefunde erhoben. Veränderungen, die eine besondere Gefahr für eine Exazerbation darstellten, seien nicht gesichert. PD
Dr. B. habe sogar einen besseren Schutz vor Neuinfektionen bestätigt.
Am 14. Mai 2010 hat der Kläger vor dem SG Klage erhoben und zur Begründung sein Widerspruchsvorbringen unter Beifügung umfangreicher Literaturauszüge vertieft. Entgegen der Ansicht PD
Dr. B.s führe eine durchgemachte Tuberkulose nach neuerem medizinischen Kenntnisstand nicht zu einer entsprechenden Immunität. Aktuelle Studien hätten im Gegenteil gezeigt, dass eine Neuinfektion auch bei bereits infizierten Patienten möglich sei. Bei einer Neuinfektion bestehe durch Behandlung der Folgen des Poncet-Syndroms eine besondere Gefahrensituation. Abgesehen davon gehe auch mit einem Diabetes mellitus ein erhöhtes Erkrankungsrisiko einher und sei der komplizierte Therapieverlauf zu berücksichtigen. Im Übrigen hat sich der Kläger auf das vom SG eingeholte Gutachten gestützt.
Weiter hat er darauf verwiesen, dass er die gefährdende Tätigkeit eingestellt und Anfang 2010 seine Diensträume im Klinikum geräumt habe. Die von der Ärzteversorgung Sachsen-Anhalt ursprünglich unbefristet gewährte Rente (Bescheid vom 3. Februar 2006) habe wegen § 59
Abs. 1
BAT-O eine unmittelbare Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedeutet. Da er zu diesem Zeitpunkt seinen Beruf aber unbedingt habe erhalten wollen und die Auswirkungen der BK noch nicht absehbar gewesen seien, habe er zunächst eine befristete Rentengewährung durchsetzen müssen. Erst nach Vorlage des entsprechenden Bescheides vom 28. März 2006 sei sein Arbeitgeber unter dem 3. Mai 2006 bereit gewesen, das Arbeitsverhältnis ruhend zu stellen. Mit Schreiben vom 6. Mai 2010 habe er die Ärzteversorgung Sachsen-Anhalt dann um Entfristung der Rente gebeten und ihr unter Hinweis insbesondere auf das Gutachten
Dr. S.s mitgeteilt, dass eine Wiederaufnahme der Tätigkeit als Anästhesist wegen der erheblichen Folgewirkungen der Infektion und der hiermit verbundenen Risiken endgültig ausgeschlossen sei. Infolge Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit sei auch eine Minderung des Verdienstes
bzw. ein wirtschaftlicher Nachteil eingetreten. Denn vor Eintritt der Erkrankung sei er vollschichtig berufstätig gewesen und habe ein Jahreseinkommen von
ca. 90.000,00
EUR erzielt. Nach dem Ende der Lohnfort-/Krankengeldzahlung sei dieser Verdienst vollständig entfallen und er habe lediglich Berufsunfähigkeitsrente erhalten.
Die Beklagte hat ihre bisherige Ansicht wiederholt und ergänzend die beratende Stellungnahme des Pulmologen
Dr. A. vom 1. Februar 2012 nebst der von diesem beigefügten Fachaufsatz vorgelegt. Danach sei der Kläger im Vergleich zu anderen Anästhesisten am konkreten Arbeitsplatz keiner erhöhten Gefahr einer Reinfektion ausgesetzt. Die nicht erst seit den letzten Jahren vorliegende Erkenntnis, dass eine vorausgegangene Tuberkuloseerkrankung keinen ausreichenden Schutz vor einer Reinfektion biete, bedeute im Umkehrschluss bei erneuter Exposition nämlich nicht zugleich ein erhöhtes Risiko. Ein normal eingestellter Diabetes mellitus erhöhe die Infektionsgefahr allenfalls minimal.
Das SG hat von dem Arbeitsmediziner
Prof. Dr. N. das Gutachten nach Aktenlage vom 6. Februar 2013 erstellen lassen. Dieser hat beim Kläger einen Zustand nach abgelaufener Lungentuberkulose mit begleitendem Poncet-Syndrom diagnostiziert. Der Diabetes mellitus sei nicht auf die Tuberkuloseerkrankung zurückzuführen. Die Tätigkeit in der Anästhesie und Notfallmedizin sei mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden und daher nicht mit dem allgemeinem Erkrankungsrisiko in einem Land mit niedriger Tuberkuloseinzidenz gleichzusetzen. Werde dies berücksichtigt, sei die Wahrscheinlichkeit einer Reinfektion nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand sogar mit 30 % zu veranschlagen. Eine zweite Erkrankungsepisode trete jedoch extrem selten ein. Allein aus diesen Überlegungen lasse sich daher noch nicht ableiten, dass der Kläger bei Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit der erhöhten Gefahr des Wiederauflebens
bzw. der Verschlimmerung der bestehenden BK ausgesetzt sei. Nach neuen Studien sei das Risiko einer Neuinfektion bei Patienten mit Diabetes mellitus gegenüber solchen ohne diese Vorerkrankung jedoch etwa um das Doppelte erhöht. Es lasse sich heute allerdings nicht sagen, welcher infizierte Mensch an einer Tuberkulose erkranke und welcher die Infektion zeitlebens beherrschen könne. Neben Risikofaktoren, die das Immunsystem negativ beeinflussten (
z.B. immunsupprimierende Medikamente, psychosoziale Belastungen) seien insoweit auch genetische Dispositionen von Bedeutung. Der Kläger gehöre, da er sich schon einmal infiziert und eine aktive Tuberkulose entwickelt habe, zu den Menschen mit genetischer Disposition sowohl für die Infektion als auch für die Progression der Infektion zur aktiven Tuberkulose. Auch dies reiche zur Begründung einer erhöhten Infektionsgefahr bei Aufnahme der bisherigen Tätigkeit aber noch nicht aus. Denn die Erkrankung sei gut zu therapieren und heile in der Regel ohne Komplikationen aus. Eine erneute Infektion sei für den Kläger aber deshalb problematisch, weil seine Tuberkulose einen besonders schweren Verlauf genommen und er das seltene Poncet-Syndrom entwickelt habe. Daher müsse bei ihm im stärkeren Maße als bei Beschäftigten mit unkompliziertem Tuberkuloseverlauf darauf geachtet werden, dass es zu keiner erneuten Infektion mit möglicherweise erneuter Tuberkuloseepisode komme. Eine aktuelle Studie zeige, dass die Komplikationsrate bei einer zweiten Erkrankungsepisode höher sei und der Behandlungsverlauf schlechter ausfalle. Sofern dies möglich sei, sollte eine zweite Tuberkuloseepisode daher vermieden werden. In Kombination der aufgezeigten Aspekte (erhöhte Infektionswahrscheinlichkeit wegen Diabetes mellitus, genetische Disposition sowie schwerer Verlauf der Tuberkulose) sei daher beim Kläger bei Fortsetzung seiner Tätigkeit mit erhöhter Infektionsgefährdung gegenüber Tuberkulosebakterien die Gefahr eines Wiederauflebens oder der Verschlimmerung seiner BK gegeben.
Die Beklagte hat die weitere Stellungnahme
Dr. A.s vom 24. April 2013 übermittelt, wonach auf Grundlage der gegenwärtigen Studienlage ein generell erhöhtes Risiko einer Tuberkuloseinfektion bei Personen mit Diabetes mellitus - gerade in Ländern mit einer Inzidenz wie Deutschland - medizinisch nicht gesichert sei. Die Frage einer Verschlimmerung der BK nach Wiederaufnahme der gefährdenden Tätigkeit stelle sich nur, wenn tatsächlich eine Reininfektion eintrete, was auch nach
Prof. Dr. N. als extrem selten anzusehen sei. Zur vom Sachverständigen diskutierten genetischen Disposition bleibe anzumerken, dass diese nicht zwingend für eine erhöhte Reinfektionsrate spreche. Der schwere Verlauf einer stattgehabten Tuberkuloseerkrankung beinhalte kein erhöhtes Risiko für eine erneute Infektion. Insgesamt sei das Gutachten von
Prof. Dr. N., der ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der Tuberkulose sei, schlüssig und mit neuerer Literatur unterlegt.
Mit Urteil vom 19. September 2013 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2010 dem Grunde nach verpflichtet, dem Kläger Übergangsleistungen nach § 3 BKV zu gewähren und hierzu in den Gründen ausgeführt: Eine Gefahr im Sinne von § 3
Abs. 1 Satz 1 BKV liege nach der Rechtsprechung des
BSG vor, wenn das Risiko einer Schädigung für den Versicherten am konkreten Arbeitsplatz durch seinen individuellen Gesundheitszustand über den Grad hinausgehe, der bei anderen Versicherten bei vergleichbarer Beschäftigung bestehe (
z.B. Urteil vom 22. März 1983 - 2 RU 22/81 - s.o.). Entsprechendes sei hier der Fall. Beim Kläger habe sich während der abgelaufenen Lungentuberkulose ein Poncet-Syndrom entwickelt. Bei weiterer Ausübung seiner Tätigkeit bestehe die Gefahr der Wiedererkrankung mit kompliziertem Verlauf
bzw. der Verschlimmerung der bestehenden BK-Folgen, wobei eine Neuinfektion sowohl nach
Prof. Dr. N. als auch
Dr. A. unbedingt zu vermeiden sei. Dabei sei entgegen der Ansicht der Beklagten nicht entscheidend, dass beim Kläger ein erhöhtes Erkrankungsrisiko gegenüber vergleichbaren Beschäftigten nur mit Wahrscheinlichkeit bestehe. Denn ansonsten werde der Präventionscharakter des § 3 BKV verkannt und in Kauf genommen, dass der Kläger sich der Gefahr einer wiederum schwer verlaufenden Neuinfektion
bzw. Verschlimmerung der bestehenden BK-Folgen aussetze. Es komme auch nicht darauf an, ob bereits ein gesichertes medizinisches Wissen hinsichtlich der Risikoerhöhung bei Diabetes mellitus
bzw. bei genetischer Disposition existiere. Die bestehende Gefahr habe den Kläger auch zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit bewogen, womit zwischen einer drohenden Neuinfektion und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang bestehe.
Gegen das ihr am 15. Januar 2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. Februar 2014 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt und ist zur Begründung bei ihrer Auffassung geblieben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 19. September 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die Entscheidung des SG.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 6. Januar 2015 hat
Prof. Dr. N. an seiner gutachtlichen Bewertung festgehalten.
Ferner haben die Beteiligten u.a. die zwecks Feststellung einer Verschlimmerung der BK-Folgen erstellten Gutachten des Handchirurgen PD
Dr. S. vom 16. Juni 2015 sowie des Orthopäden/Unfallchirurgen
Dr. D. vom 24. Oktober 2016 übermittelt, wonach sich für die BK-Folgen weiterhin eine
MdE um 20 vH ergebe. Das entsprechende sozialgerichtliche Verfahren (S 33 U 45/16) haben die Beteiligten daraufhin in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Unter dem 6. Juli 2017 hat der Urologe
Prof. Dr. H. auf entsprechende gerichtliche Anfrage mitgeteilt, der Kläger leide seit 2002 an einem Harnsteinleiden beider Nieren. Akute Harnsteinkoliken stellten die Ausübung der hochverantwortlichen Tätigkeit als anästhesiologischer Oberarzt mit Einsätzen im Operationssaal sowie in Intensivstationen im Dreischichtsystem erheblich in Frage, da höchste Fachkompetenz und absolute körperliche Fitness des Narkosearztes bei anspruchsvollen operativen Eingriffen (
z.B. Organtransplantationen) unabdingbar sei. Unter Berücksichtigung seiner Multimorbidität sei eine fachspezifische berufliche Belastung des Klägers im Universitätsklinikum im Zeitraum 2006 bis 2014 als unzumutbar anzusehen gewesen.
Der Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Doz.
Dr. R. hat mit Schreiben vom 11. Juli 2017 von einem chronisch hyperkeratotischen
bzw. rhagadiformen Ekzem im Bereich der Hände berichtet und eingeschätzt, dem Kläger sei aufgrund der ständig wiederkehrenden Hauterscheinungen eine Tätigkeit als Anästhesist nicht möglich gewesen. Zu einer gleichlautenden Bewertung ist unter dem 24. Juli 2017 der Rheumatologe
Dr. L. gelangt. Der Kläger sei angesichts der chronisch anhaltenden entzündlichen Polyarthropathie nicht fähig gewesen, eine Tätigkeit als Anästhesist auszuüben.
Die Allgemeinmedizinerin
Dipl.-Med.
S. hat mit Schreiben vom 27. Juli 2017 weitere ärztliche Befunde (u.a. zu den unter dem 21. Februar und 9. Mai 2006 sowie 2. Mai 2007 beschriebenen Diagnosen Angina pectoris, Hypertonie, Arthralgien der Hand- und Fingergelenke sowie Gon- und Coxarthrosen rechts) übermittelt und hierzu gemeint, dem Kläger sei ein Einsatz als Anästhesist nicht möglich gewesen.
Schließlich hat das Universitätsklinikum H. unter dem 5. Dezember 2017 mitgeteilt, der Kläger sei bis zu seinem Ausscheiden aus dem Dienst im Juni 2004 lange als anästhesiologisch verantwortlicher Oberarzt für den Bereich Gynäkologie tätig gewesen. Er habe dort außerdem 24-Stunden-Oberarztdienste mit einem breiten Verantwortungsspektrum u.a. für die Kliniken der Neurochirurgie, Urologie und Orthopädie geleistet. Sein besonderer Schwerpunkt habe daneben in der Rettungsmedizin gelegen, innerhalb der er auch als Leitender Notarzt der Stadt H. fungiert habe. Außerdem sei er intensiv in der Ausbildung und Lehre tätig gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung des Senats.
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151
Abs. 1
SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 30. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2010 beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54
Abs. 2 Satz 1
SGG, weil die Beklagte darin die Erbringung von Übergangsleistungen im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat.
Nach § 3
Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit
Abs. 1 Sätze 1 und 2 BKV hat der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung einem Versicherten, der die gefährdende Tätigkeit unterlässt, weil die Gefahr nicht zu beseitigen ist, dass eine BK entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, zum Ausgleich der hierdurch verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Für den Anspruch ist danach erforderlich, dass der Versicherte aufgrund seiner versicherten Tätigkeit Einwirkungen auf seine Gesundheit ausgesetzt ist, die aktuell eine konkretindividuelle Gefahr u.a. des Wiederauflebens
bzw. der Verschlimmerung einer BK begründen. Weiterhin muss die gefährdende Tätigkeit wegen der fortbestehenden Gefahr eingestellt werden, und es muss dadurch zu einer konkreten Verdienstminderung und/oder sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen kommen (siehe nur
BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 -
B 2 U 33/08 R - juris).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Ein Anspruch aus § 3
Abs. 2 Satz 1 BKV scheidet vorliegend deshalb aus, weil kein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen der Gefahr des Wiederauflebens/der Verschlimmerung der BK und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit bestand. Darauf, ob zwischen der Einstellung und der - hier vorliegenden - Minderung des Verdienstes
bzw. sonstiger wirtschaftlicher Nachteile ein ursächlicher Zusammenhang zu bejahen ist, kommt es daher nicht mehr an (
vgl. hierzu nur
BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 33/08 R - a.a.O.).
Übergangsleistungen dienen dazu, Versicherten einen Minderverdienst auszugleichen, der ihnen wegen des Ausscheidens aus der gefährdenden Tätigkeit aus Gründen präventiven Selbstschutzes erwächst. Auf Grundlage der Ermächtigung des § 9
Abs. 6
Nr. 1
SGB VII schafft § 3
Abs. 2 Satz 1 BKV einen Anreiz dafür, die gefährdende Tätigkeit einzustellen, um die Entstehung einer BK zu unterbinden oder der Gefahr ihres Wiederauflebens
bzw. ihrer Verschlimmerung zu entgehen, "weil" diese fortbesteht. Das ist von vornherein aber dann nicht der Fall - und die gesetzliche Zweckbestimmung nicht erfüllbar -, wenn dem Versicherten die tatsächliche Fähigkeit zur Verrichtung der gefährdenden Tätigkeit fehlt. Die Anwendung von § 3
Abs. 2 Satz 1 BKV setzt mithin im Sinne einer realisierbaren Möglichkeit die tatsächlich noch vorhandene freie Wahl auch zur Ausübung der gefährdenden Arbeit voraus, was wiederum bedingt, dass der Versicherte persönlich noch in der Lage ist, die Anforderungen des gefährdenden Arbeitsplatzes zu erfüllen. Ist ihm das infolge seines gesundheitlichen Leistungsvermögens dagegen nicht mehr möglich, besteht kein rechtlich wesentlicher Kausalzusammenhang zwischen der BK und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit (so für den Fall einer noch nicht entstandenen BK ausdrücklich
BSG, Urteil vom 20. Februar 2001 -
B 2 U 10/00 R - SozR 3-5670 § 3
Nr. 5). Übergangsleistungen nach § 3
Abs. 2 Satz 1 BKV sollen den Betroffenen präventiv zur Aufgabe der - tatsächlich noch möglichen - gefährdenden Tätigkeit bewegen. Dem Ausgleich der durch berufsbedingte Gesundheitsstörungen entstandenen Nachteile dienen dagegen die Leistungen des
SGB VII.
Hier bestand für den Kläger außerhalb der eigenen Ansteckungsgefahr gesundheitsbedingt gar keine Möglichkeit, seine bisherige berufliche Tätigkeit weiter auszuüben. Das folgt nicht nur aus dem Gutachten des MDK Sachsen-Anhalt vom 12. April 2005, sondern ebenso aus der Einschätzung des Reha-Entlassungsberichts vom 16. September 2005, nach dem der Kläger allein aus orthopädischer Sicht eine Tätigkeit als Anästhesist über drei Stunden täglich nicht bewältigen konnte. Zu einer gleichlautenden Bewertung ist
Prof. Dr. G. in seinem Gutachten vom 22. November 2005 gelangt und hat eine dauerhaft wettbewerbsfähige Verrichtung der Tätigkeit eines Anästhesisten/Notarztes angesichts der von ihm beschriebenen deutlichen Minderung der groben Kraft in den oberen Extremitäten sowie der deutlichen Störung der Feinmotorik nachvollziehbar verneint. Nichts Abweichendes ergibt sich schließlich aus dem Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit H. vom 13. Dezember 2005, wonach der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Tätigkeit über drei Stunden täglich verrichten könne.
Diese ärztliche Beurteilung deckt sich auch mit der Selbsteinschätzung des Klägers, wie sie sich aus seinen Schreiben vom 6. November 2005 und 20. Januar 2006 ergibt. Denn hierin hat er nicht nur auf die bezeichneten gutachtlichen Bewertungen verwiesen, sondern die wegen der multiplen Knie-, Hüft-, Hand-, Finger-, Ober- und Unterschenkel-, Becken- sowie Wirbelsäulenbeschwerden bestehenden erheblichen Einschränkungen der Mobilität sowie der Funktionen des täglichen Lebens betont und sich selbst zur Verrichtung sitzender Tätigkeiten nur zeitlich begrenzt für fähig gehalten.
Danach verbleiben für den Senat nicht nur für die Zeit bis Anfang 2006 keine ernsten Zweifel, dass der Kläger seiner beruflichen Tätigkeit als Anästhesist tatsächlich nicht mehr nachgehen konnte. Vielmehr gilt dies auch für den nachfolgenden Zeitraum bis zum Eintritt in den Ruhestand im März 2014. Insoweit haben nämlich die langjährig behandelnden Ärzte des Klägers
Prof. Dr. H., Doz.
Dr. R.,
Dr. L. sowie
Dipl.-Med.
S. im Juli 2017 ebenfalls die einhellige Einschätzung abgegeben, dass dem Kläger die Ausübung seines Berufs im Universitätsklinikum nicht möglich war. Diese Beurteilung ist unter Berücksichtigung des vom Universitätsklinikum H. unter dem 5. Dezember 2017 beschriebenen Einsatzbereichs des Klägers mit 24-Stunden-Oberarztdiensten in Operationssälen sowie auf Intensivstationen, die ohne körperliche Fitness nicht zu bewerkstelligen sind, ohne weiteres plausibel. Hierauf hat in seinem Bericht vom 6. Juli 2017 insbesondere
Prof. Dr. H. nachvollziehbar hingewiesen. Daneben wird diese Bewertung durch die erhobenen ärztlichen Befunde untermauert, denen zwischen Anfang 2006 bis Anfang 2014 keine wesentliche Besserung zu entnehmen ist. Dem entspricht schließlich die Eigenbeurteilung des Klägers, nach der die Morgensteifigkeit
bzw. Schmerzstärke am 8. Februar 2006 bei 90 Minuten
bzw. - auf eine Skala von 0-100 - bei einem Wert von 60 lagen. Seit dem 12. September 2008 hat
Dr. L. für die Zeit bis zum 16. Juli 2014 insoweit durchgehend 180 Minuten dokumentiert und für dieses Datum eine Schmerzstärke von 100 angegeben.
Auf diese Erwägungen kommt es für die Leistungsablehnung deshalb entscheidend an, weil beim Kläger eine für den Anspruch nach § 3
Abs. 2 Satz 1 BKV nötige, durch berufliche Einwirkungen auf den Gesundheitszustand bewirkte konkretindividuelle Gefahr u.a. des Wiederauflebens/der Verschlimmerung einer BK bestand.
Eine solche ist gegeben, wenn das Risiko einer Schädigung für den Versicherten im Vergleich zu anderen Betroffenen mit gleichartigen Tätigkeiten erhöht ist. Erforderlich ist die auf den einzelnen Versicherten konkret bezogene Feststellung, ihm drohe wegen seines individuellen Gesundheitszustandes bei Fortsetzung der gefährdenden Tätigkeit u.a. das Wiederaufleben der BK. Für diese Risikoprognose mit hypothetischer Kausalitätsbewertung ist die Würdigung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Standes der arbeitsmedizinischen Erkenntnisse maßgeblich (
BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 33/08 R - s.o.).
Davon ausgehend war für den Kläger die unterstellte Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines individuellen Gesundheitszustandes im Vergleich zu anderen Anästhesisten/Notfallärzten mit einem gesteigerten Risiko des Wiederauflebens
bzw. der Verschlimmerung seiner BK und ihrer Folgen verbunden. Auch der Senat hält hierbei das Gutachten von
Prof. Dr. N. für überzeugend, der dieses auf Basis des aktuellen einschlägigen Erkenntnisstandes erstellt und dessen Darlegungen
Dr. A. ausdrücklich als schlüssiges Expertenwissen bezeichnet hat.
Bezugspunkt des Infektionsrisikos ist vorliegend nicht die im Allgemeinen niedrige Tuberkuloseinzidenz in Deutschland, sondern der konkrete Arbeitsplatz des Klägers. Darauf, dass die Tätigkeit in der Anästhesie und Notfallmedizin mit erhöhter Infektionsgefährdung gegenüber Tuberkulosebakterien einhergeht, war bereits von
Prof. Dr. L. hingewiesen worden. Laut
Prof. Dr. N. liegt die Wahrscheinlichkeit einer Reinfektion insoweit bei 30 %. Zwar ist eine Wiedererkrankung nach dem Sachverständigen extrem selten zu beobachten. Beim Kläger kommen indessen besondere Umstände hinzu. So leidet er unter Diabetes mellitus. Im Hinblick hierauf ist es nachvollziehbar, wenn der arbeitsmedizinische Sachverständige unter Berücksichtigung des gesteigerten Infektionsrisikos am Arbeitsplatz des Klägers unter Heranziehung - allein verfügbarer - aktueller mexikanischer Studien darauf verweist, dass die Infektionsgefahr bei Patienten mit Diabetes mellitus gegenüber solchen ohne dieses Leiden etwa um das Doppelte erhöht ist. Auch diesen Umstand lässt
Prof. Dr. N. zur Bejahung einer konkretindividuellen Gefahrerhöhung aber nicht genügen, da eine entsprechende Infektion nicht zwingend zum Ausbruch einer Tuberkulose führt. Das erscheint dem Senat ebenfalls plausibel. Da der Kläger sich schon einmal infiziert und überdies eine aktive Tuberkulose entwickelt hat, gehört er aber zusätzlich zur Gruppe der Menschen mit genetischer Disposition sowohl für die Infektion als auch die Progression der Erkrankung. Auf diesen Aspekt hatte zuvor bereits
Dr. S. aufmerksam gemacht. Das Argument, dass eine ausgebrochene Tuberkulose grundsätzlich gut zu therapieren ist und regelmäßig komplikationslos ausheilt, verfängt beim Kläger deshalb nicht, weil seine Tuberkuloseerkrankung mit der Ausbildung des seltenen Poncet-Syndroms einen besonders schweren Verlauf genommen hat. Laut
Prof. Dr. N. ist die Komplikationsrate bei einer Wiedererkrankung nach aktueller Studienlage höher und fällt der Behandlungsverlauf schlechter aus. Es leuchtet daher mit dem Sachverständigen ein, dass beim Kläger im stärkeren Maße als bei Vergleichsbeschäftigten mit unkompliziertem Tuberkuloseverlauf darauf geachtet werden muss, eine Reinfektion zu verhindern. In Zusammenschau des Diabetes mellitus, seiner genetischen Disposition sowohl für die Infektion als auch Ausbildung einer aktiven Tuberkulose sowie der bei ihm eingetretenen schweren Verlaufsform der Erkrankung mit Ausbildung des Poncet-Syndroms bestand damit für den Kläger bei erneuter Aufnahme seiner Tätigkeit eine gesteigerte Gefahr des Wiederauflebens der Lungentuberkulose
bzw. Verschlimmerung der anerkannten BK-Folgen.
Was den Einwand
Dr. A.s anbelangt, eine genetische Disposition spreche nicht zwingend für ein erhöhtes Infektionsrisiko, hat
Prof. Dr. N. seine Schlussfolgerung schon nicht allein hiermit begründet. Entsprechendes gilt in Bezug auf ein von
Dr. A. angezweifeltes generell erhöhtes Risiko einer Tuberkuloseinfektion beim Vorliegen eines Diabetes mellitus. Abgesehen davon ist entgegen der beratungsärztlichen Sichtweise im Rahmen des § 3 BKV nicht (allein) auf das Bestehen eines erhöhten Reinfektionsrisikos, sondern entscheidend auf eine gesteigerte Schädigungsgefahr hinsichtlich des bestehenden Gesundheitszustandes abzustellen. Denn die präventive Zielrichtung der Norm soll vor aktuellen Gesundheitsgefahren schützen und der Vorbeugung sowie Krankheitsverhütung dienen (
BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 33/08 R - juris). Wegen dieser Funktion kommt es auch nicht darauf an, dass sich die Verschlimmerungsfrage erst im Fall des (seltenen) Ausbruchs einer Wiedererkrankung nach tatsächlicher Wiederaufnahme der gefährdenden Tätigkeit abschließend beantworten lässt. Denn auch genau hiervor soll § 3 BKV Schutz bieten. Die Einbeziehung der schweren Verlaufsform der Tuberkulose des Klägers in seine Risikoprognose seitens
Prof. Dr. N. stellt sich deshalb auch nicht als Fehler dar, sondern wird dem Gesetzeszweck vielmehr gerecht. Ist die Komplikationsrate bei einer Wiedererkrankung nämlich höher und der Behandlungsverlauf zugleich schlechter, kann dem Betroffenen die mit der erhöhten Gefahr einer Wiedererkrankung verbundene Rückkehr in seine versicherte Tätigkeit schon vorbeugend nicht zugemutet werden, mag ein tatsächlicher Krankheitsausbruch für sich betrachtet auch selten sein.
Schließlich wäre auch die für den Anspruch auf Übergangsleistungen erforderliche Einstellung der gefährdenden Tätigkeit erfüllt. Denn der Kläger hat die Tätigkeit als Anästhesist/Notfallarzt seit dem 4. Juli 2004 tatsächlich nicht wieder ausgeübt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160
Abs. 2
Nr. 1
SGG zugelassen, da der Entscheidung des
BSG vom 20. Februar 2001 (B 2 U 10/00 R - a.a.O.) - anders als hier - ein Sachverhalt zugrunde lag, bei dem eine BK noch nicht entstanden war.