Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 1
Abs. 1
S. 2, 151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -).
Sie ist unbegründet. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden; denn es hat zu Recht bei der Klägerin die streitige Berufskrankheit
Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) vom 20.6.1968 (BGBl I
S. 721) festgestellt.
Hier entscheidet das Gericht über eine Feststellungsklage gemäß § 55
Abs. 1
SGG. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG) ist eine Klage auf Feststellung zulässig, dass ein Unfall ein Arbeitsunfall ist; dies gilt auch für Berufskrankheiten entsprechend. Ein Antrag, einen Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit dem Grunde nach zu entschädigen, ist als Antrag auf Feststellung des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit auszulegen (Keller in Meyer-Ladewig Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage, § 55, Rn. 13b
m.w.N.).
Im vorliegenden Fall ist das frühere Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden, weil der Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs VII (
SGB VII) am 1.1.1997 eingetreten ist (§ 212
SGB VII;
BSG vom 18.11.1997, MedR 1999, 45). Die Ausnahmeregelung des § 214
Abs. 3
SGB VII, wonach die Vorschriften über Renten
usw. auch für Versicherungsfälle gelten, die vor dem Tag des Inkrafttretens des Gesetzes eingetreten sind, wenn diese Leistungen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals festzusetzen sind, greift hier nicht ein (Becker in Becker, Franke, Molkentin,
SGB VII, 3. Auflage, § 214, Rn. 5). Denn festzusetzen in diesem Sinne sind Leistungen, wenn der Anspruch entstanden ist (§ 40
Abs. 1 Sozialgesetzbuch I). Nach dieser gesetzlichen Regelung ist ein Anspruch entstanden, sobald die im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Der Anspruch ist mit dem vor dem 1.1.1997 eingetretenen Versicherungsfall der Infektion entstanden.
Die Klägerin war während ihrer Praktikantentätigkeit gesetzlich unfallversichert gemäß § 539
Abs. 1
Nr. 7 RVO. Danach sind in der Unfallversicherung die im Gesundheits- oder Veterinärwesen oder in der Wohlfahrtspflege Tätigen gesetzlich versichert. § 551
Abs. 1 RVO regelt, dass als Arbeitsunfall ferner eine Berufskrankheit gilt. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der
Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch die Arbeit in bestimmten Unternehmen verursacht worden sind. Zum damaligen Zeitpunkt der Praktikantentätigkeit galt die Berufskrankheiten-Verordnung in der Fassung vom 8.12.1976 (BGBl I
S. 3329), in dessen Anlage 1 unter
Nr. 3101 als Berufskrankheit Infektionskrankheiten anerkannt sind, "wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war."
Nach der Rechtsprechung des
BSG sind § 539
Abs. 1
Nr. 7 RVO und
Nr. 3101 Anlage 1 zur BKVO im Zusammenhang zu sehen. Die Einbeziehung der in
Nr. 7 genannten Personen in den Kreis der Pflichtversicherten wird mit dem erhöhten Ansteckungsrisiko bezüglich Infektionskrankheiten beim Umgang mit bestimmten Bevölkerungsgruppen gesehen (
BSG vom 25.8.1961, BSGE 15, 41, 45;
BSG vom 27.10.1961, BSGE 15, 190,193). Dieser der Anlage zur BKVO zu Grunde liegende Gesetzeszweck, der Grund für die Aufnahme der Krankenhäuser, Heil- und Pflegeanstalten
usw. in den Katalog der gefährlichen Betriebsarten war, besteht auch weiterhin (Schlegel in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts,
Bd. 2, Unfallversicherungsrecht, § 17, Rn. 2 f.). Ausreichend ist hiernach für die Entschädigung als Berufskrankheit der Nachweis einer Infektionskrankheit und die (frühere) Tätigkeit in einem Unternehmen des Gesundheitsdienstes oder der Wohlfahrtspflege. Ein ursächlicher Zusammenhang in der Gestalt, dass die Infektionskrankheit gerade auf diese Tätigkeit - und nicht
z.B. auf einen privaten Urlaub in Übersee mit hoher Ansteckungsgefahr,
z.B. bei Typhus - zurückzuführen ist, muss nicht bewiesen werden. Dieser Zusammenhang wird vielmehr vermutet.
Auch wenn die Verletzung mit einer infizierten Spritze im Rahmen einer Heilbehandlung im Krankenhaus ein geschützter Arbeitsunfall ist, muss im vorliegenden Fall jedoch bezüglich der Tatbestandsvoraussetzungen zwischen Arbeitsunfall und Berufskrankheit unterschieden werden. Die für das Berufskrankheitenrecht typischen Schwierigkeiten im Feststellungsverfahren beruhen auf einer Entstehungsursache, die sich vom klassischen Arbeitsunfall mit seinem leicht erkennbaren, plötzlichen, zeitlich eng auf einer Arbeitsschicht begrenzten Geschehen unterscheidet. Bei Berufskrankheiten geht es überwiegend um oft langwierige, allmähliche Entwicklungsprozesse von Erkrankungen und um vielfältige Entstehungsursachen. Dies schließt aber nicht aus, dass auch bei einer Berufskrankheit eine unfallartige Entstehung, also ein einmaliges Ereignis zu Grunde liegen kann. Es besteht dann eine Anspruchsgrundlagenkonkurrenz mit dem Vorrang der Vorschriften über die Berufskrankheiten (Koch in Schulin, a.a.O., § 35, Rn. 26;
BSG vom 18.11.1997, a.a.O.;
BSG vom 24.7.1985, SozR 5670 Anlage 1,
Nr. 3102,
Nr. 1).
Die Voraussetzungen der
Nr. 3101 sind im vorliegenden Fall gegeben. Die Klägerin war als Praktikantin in einer Klinik im Gesundheitsdienst tätig. Wesentlicher Inhalt des Begriffs Gesundheitsdienst ist der Dienst zum Schutz, zur Erhaltung, Förderung oder Wiederherstellung der Gesundheit gefährdeter Menschen oder zur Pflege unheilbar Kranker oder Gebrechlicher. Alle Tätigkeiten im Rahmen der "geschlossenen" Gesundheitsfürsorge sind darunter zu verstehen,
z.B. die Tätigkeit in Krankenhäusern, Heil- und Pflegeanstalten, wobei das gesamte Personal in den Schutzbereich dieser Regelung einbezogen ist. Denn bei jedem Beschäftigten eines Krankenhauses besteht das erhöhte Risiko, sich an einer Infektionskrankheit anzustecken (Merkblatt zur BK-
Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung, I. Vorkommen und Gefahrenquelle; Schoenberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage,
S. 704).
Ein Gesundheitsschaden im Sinne eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes ist hiernach eine Berufskrankheit, wenn sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 551
Abs. 1
S. 2 RVO in Verbindung mit einer in der Anlage 1 zu BKVO aufgeführten Krankheit erfüllt sind. Als regelwidrig wird ein Körperzustand beurteilt, der von der durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägten Norm abweicht. Eine derartige Erkrankung ist auch eine
HIV-Infektion (Merkblatt BK-
Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung, III. Krankheitsbilder und Diagnosen,
Nr. 3.
HIV-Infektion/ Aids). Zu den Tatbestandsmerkmalen können im Allgemeinen auch versicherungsrechtliche Begriffe zählen, so vor allem das Element des Zwangs zur Tätigkeitsaufgabe. Diese ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erforderlich.
Die Klägerin war aufgrund der Praktikantentätigkeit in der
S.-Klinik einer Infektionsgefahr in besonderem Maße ausgesetzt. Der Senat schließt sich der ständigen Rechtsprechung des
BSG an, die sich insbesondere mit den Beweisanforderungen bezüglich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Berufstätigkeit und des erhöhten Ansteckungsrisikos befasst hat (
BSG vom 18.11.1997, a.a.O.,
BSG vom 21.3.2006, UV-Recht Aktuell 2006, 216 f.;
BSG vom 2.4.2009, NZS 2010, 345 f.;
BSG vom 2.04.2009, BSGE 103, 45
ff.;
BSG vom 2.04.2009, NZS 2010, 404
ff.;
BSG vom 15.9.2011, NZS 2012, 151 f.). Dieser Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass bei dem Nachweis einer erhöhten Infektionsgefahr durch eine berufliche Tätigkeit in einem Krankenhaus und einer Infektionskrankheit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der versicherten Tätigkeit vorliegt (siehe auch
BSG vom 30.5.1988 USK 8887). Die zumindest erforderliche Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und einer Infektionskrankheit ist grundsätzlich gegeben, wenn nachgewiesen ist, dass der Versicherte bei der Berufstätigkeit - sei es durch einen Patienten, einen Mitarbeiter oder auf sonstige Weise - einer besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt war. Bei diesem Nachweis kann dann in der Regel auch davon ausgegangen werden, dass der Versicherte sich die bei ihm aufgetretene Infektionskrankheit durch die besondere berufliche Exposition zugezogen hat. Im Gegensatz dazu ist eine freiwillige sexuelle Betätigung stets unversichert. Der Schluss von einer berufsbedingt erhöhten Ansteckungsgefahr auf eine berufliche Ursache der aufgetretenen Infektionskrankheit ist somit gerechtfertigt, wenn neben der Gefährdung durch die versicherte Tätigkeit keine anderen, den privaten Lebensbereich zuzuordnenden Infektionsrisiken bestanden haben. Kommen sowohl berufliche als auch außerberufliche Verrichtungen als Ansteckungsquelle in Betracht, von denen aber nur eine allein die Krankheit ausgelöst haben kann, muss entschieden werden, ob sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine der unter Versicherungsschutz bestehenden Handlungen als Krankheitsursache identifizieren lässt. Hierbei kommt es auf eine Gesamtwürdigung der beiden Risikobereiche an.
Der Verordnungsgeber nimmt somit typisierend bei einer besonderen Infektionsgefahr im Sinne der BK 3101 an, dass bei Vorliegen der Infektionskrankheit die haftungsbegründende Kausalität grundsätzlich gegeben ist. In diesem Fall tritt aufgrund der Nachweisschwierigkeit eines konkreten Infektionsvorgangs die Infektionsgefahr an die Stelle der Einwirkungen, die entsprechend den Anforderungen an das Merkmal der Einwirkungen im Vollbeweis nachzuweisen ist. Diese besondere Gefahrenexposition kann sich aufgrund der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit, nämlich des Personenkreises oder der Objekte, mit oder an denen zu arbeiten ist, und der Übertragungsgefahr der ausgeübten Verrichtungen ergeben, die sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit und nach der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährlichen Handlungen bestimmt. Dabei genügt nicht eine schlichte Infektionsgefahr, vielmehr setzt die BK 3101 eine erhöhte Infektionsgefahr voraus (
BSG vom 2.4.2009, a.a.O.).
Hat ein Versicherter während der in Betracht kommenden Ansteckungszeit einen potentiell geeigneten Kontakt zu einer nachweislichen Infektionsquelle (Personen mit
HIV-positivem Befund oder infektiösen Untersuchungsmaterialien), liegt die besondere Ansteckungsgefährdung nahe. Der Nachweis wird erhärtet, wenn direkt nach der Exposition (Nadelstich- oder Schnittverletzungen) eine Blutprobe entnommen wird und in diesem Zeitpunkt keine
HIV-Antikörper nachweisbar sind, diese jedoch bei späteren Nachuntersuchungen auftreten. Gehören potentielle infektionsgeeignete Kontakte, wie Schnitt- und Nadelstichverletzungen, nachweislich zum Tätigkeitsprofil, kann je nach den Umständen, der Nachweis eines solchen Ereignisses gegenüber der nachweislich infizierten Person entbehrlich sein (Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, Stand Januar 2010, BK 3101, Rn. 22.3
m.w.N. der Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall hat eine (im Vergleich zum allgemeinen Infektionsrisiko der Bevölkerung) erhöhte Infektionsgefahr bei der Klägerin bestanden, weil sie in einem Krankenhaus für Chirurgie und innere Medizin tätig war und dort bereits im Zusammenhang mit Blutentnahmen einer signifikant erhöhten Ansteckungsgefahr im Umgang mit Spritzen ausgesetzt war.
Der Nachweis einer infizierten Kontaktperson legt zwar eine erhöhte Infektionsgefahr nahe. Nach der Rechtsprechung des
BSG (Urteil vom 2.04.2009, NZS 2010, 404
ff.) ist dieser Schluss jedoch nicht zwingend. Daraus entnimmt das Gericht, dass der hier nicht gelungene Nachweis der von der Klägerin angegebenen Patienten nicht allein zur Ablehnung der BK 3101 führen kann. Maßgebend ist vielmehr eine Gesamtwürdigung der o.g. Tatbestandsmerkmale unter Einbeziehung eines dem privaten Lebensbereich zuzuordnenden Infektionsrisikos sowie her vorliegenden Beweiserleichterungen (
BSG vom 2.4.2009, BSGE 103, 45 ff;
BSG vom 21.3.2006, UV-Recht Aktuell 2006, 216
ff.).
Bezüglich des Beweismaßstabes ist hier zu beachten, dass grundsätzlich alle anspruchsbegründenden Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts im Sinne des sogenannten Vollbeweises nachgewiesen werden müssen. Für die Kausalzusammenhänge wird die sogenannte hinreichende Wahrscheinlichkeit als ausreichend erachtet. Vollbeweis bedeutet, dass die Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist. Er ist dann erbracht, wenn kein vernünftiger Mensch noch Zweifel am Vorliegen der zu beweisenden Tatsache hat (
BSG vom 17.4.2013, Die Sozialgerichtsbarkeit 2013, 345; Ziegler in Becker, Franke, Molketin, a.a.O., § 8, Rn. 17 f.
m.w.N.). Ein Vollbeweis kann auch auf Grund von Indizien
bzw. einer Indizienreihe bestehen.
Im Rahmen der Beweiswürdigung können auch bei einem Vollbeweis ausnahmsweise die Beweisanforderungen im Einzelfall herabgesetzt werden. Eine solche Herabsetzung der Beweisanforderungen ist dann zulässig, wenn besondere Umstände der versicherten Tätigkeit sonst mögliche Beweismittel ausschließen (
z.B. bei dem Betriebsbann,
LSG Schleswig-Holstein vom 23.10.2003, Die Sozialgerichtsbarkeit 2004, 422).
Im vorliegenden Fall ist von einer Beweiserleichterung zu Gunsten der Klägerin auszugehen, weil zur Zeit der Infektion (Juli bis August 1982) nach den Feststellungen des Sachverständigengutachtens eine geeignete Untersuchungsmethode zum Nachweis einer
HIV-Infektion in Deutschland sowie Verhaltensregeln von Klinikpersonal gegenüber an
HIV-erkrankten Patienten und Dokumentationspflichten bei hier auftretenden Spritzenunfällen noch nicht vorhanden gewesen sind. Zum anderen ist auch zu berücksichtigen, dass die Einschränkung der Ermittlungen durch
Prof. Dr. G. in der
S.-Klinik im Jahr 1987 auf Patienten mit einer Sternal-Punktion nicht die denkbaren Infektionsrisiken durch eine Stichverletzung mit einer infizierten Spritze völlig erfasst hat. Insofern waren die damaligen Ermittlungen bei der Klinik nicht ausreichend und sie können auch nicht mehr nachgeholt werden (Ziegler, a.a.O., Rn. 22). Für den Kausalzusammenhang - hier der erhöhten Infektionsgefahr bei der Tätigkeit in der
S.-Klinik - genügt als Beweismaßstab die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Sie ist gegeben, wenn die für das Vorliegen des ursächlichen Zusammenhangs sprechenden Gründe deutlich überwiegen (Ziegler, a.a.O., § 8 Rn. 21; Brandenburg in Becker, Franke, Molkentin,
SGB VII, 3. Aufl., § 9, Rn. 52
ff. m.w.N.).
Der Senat ist aufgrund des ärztlichen Sachverständigengutachtens von
Prof. Dr. C. und dessen ergänzender Stellungnahme vom 1.7.2013 der Überzeugung, dass die Klägerin während der Praktikantentätigkeit in der
S.-Klinik im Juli und August 1982 einer besonderen Gefahr ausgesetzt gewesen ist, an einer
HIV-Infektion zu erkranken. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, dass in Deutschland in den Großraumregionen wie Berlin, Hamburg, Köln, Düsseldorf, Frankfurt und B-Stadt ein erhöhtes Infektionsrisiko für Aids bestand und dass durch den Flugverkehr internationale Gäste mit unbekanntem Infektionsstatus nach B-Stadt kommen. Vor allem ist, wie schon ausgeführt wurde, zu beachten, dass die Klägerin bei der Mithilfe bei Blutentnahmen in der Klinik einem besonderen Infektionsrisiko ausgesetzt war. Es gab zum damaligen Zeitpunkt noch keine Hygiene-Verhaltensregeln für den Umgang mit beruflich bedingten Nadelstichverletzungen. Bei dieser Praktikantentätigkeit ist es nach den glaubwürdigen Angaben der Klägerin zu einer tiefen(!) Nadelstichverletzung mit der Übertragung von Patientenblut gekommen. Die von ihr beschriebene Symptomatik im Anschluss an die Praktikantentätigkeit ist ein Indiz für einen in mehr als 50 % der Fälle beschriebenen Krankheitsverlauf. Nach der Primärinfektion kommt es nach dem Sachverständigen zum akuten retroviralen Syndrom mit einer der Grippe ähnlichen Symptomatik (fieberhafte Erkrankungen mit Mund- und Rachenschleimhautentzündung, Herpes labialis, Durchfälle, Hautausschlag). Darauf folgt eine Phase, die unbehandelt nach mehreren Jahren (5 bis 10 Jahre) zum Vollbild Aids führt. Während dieser Phase ist ein Patient häufig nicht als mit
HIV-infiziert auszumachen, weil klinisch keine bis wenige Symptome bestehen. Der Sachverständige hat auch betont, dass der Inhalt einer mit infiziertem Blut gefüllten Spritze bei der Blutabnahme für die Infektion mit
HIV ausreicht.
Der Senat ist ferner im Anschluss an das Sachverständigengutachten der Überzeugung, dass die Klägerin nicht zur typischen Risikogruppe für
HIV-Infektion zählt. Das allgemeine Risiko, sich mit
HIV zu infizieren (
z.B. durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr) kann für Frauen aus der Allgemeinbevölkerung, wenn sie nicht bestimmten Risikogruppen angehören, als gering und damit nicht messbar bezeichnet werden. Risikogruppen sind in erster Linie Drogenabhängige, Partnerinnen bisexueller Männer, Menschen mit Hämophilie oder Multitransfusions-Empfänger. Nach dem Sachverständigen muss aufgrund der schlüssigen Angaben der Klägerin zur Nadelstichverletzung von 1982 und dem nachfolgenden akuten retroviralen Syndrom zugrundegelegt werden, dass der zeitliche Ablauf einer
HIV-Infektion mit dem Infektionszeitpunkt im Sommer 1982 und der Entwicklung erster Symptome im Frühjahr 1987 eher nachgewiesen ist als eine spätere Infektion mit deutlich schnellerem Verlauf.
Schließlich geht der Senat im Hinblick auf die glaubwürdigen Angaben der Klägerin auch davon aus, dass vor oder während der Praktikantentätigkeit eine Gefahr der Ansteckung mit dem
HIV-Virus nicht bestanden hat, da sie vor 1984 keinen Geschlechtsverkehr hatte.
Gemäß § 551
Abs. 3 RVO gilt als Zeitpunkt des Versicherungsfalles der Beginn der Krankheit, oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, der Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Der Sachverständige legt hier den Zeitpunkt der ersten Diagnose der
HIV-Infektion zu Grunde, nämlich den März 1987. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Infektion bereits im Juli
bzw. August 1982 erlitten hat. Denn es ist zwischen der Infektion als Entstehungsquelle der Krankheit und der Krankheit selbst, die nachgewiesen sein muss, zu unterscheiden.
Der Sachverständige hat im Gutachten festgestellt, dass die
MdE im Hinblick auf die
HIV-Enzephalopathie, Lipodystrophie und Zerstörung des Immunsystems 70 v.H. beträgt. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin 1994 ihren Beruf als Kinderkrankenschwester aufgegeben hat und in diesen Beruf wegen
HIV-Infektion auch nicht mehr zurückkehren konnte
bzw. kann.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160
Abs. 2 Nrn. 1, 2
SGG).