Die zulässige Berufung der Beklagten ist im Wesentlichen unbegründet. Zu Recht hat das SG mit Urteil vom 15.04.2004 den Bescheid der Beklagten vom 20.07.2000 und den Widerspruchsbescheid vom 12.06.2002 aufgehoben und festgestellt, dass beim Kläger eine BK-
Nr. 2108 BKV besteht. Allerdings ist die Beigeladene der für die Entschädigung der Berufskrankheit zuständige Unfallversicherungsträger. Insoweit war das Urteil des SG abzuändern. Im Übrigen war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
1. Vorliegend ist die BK-
Nr. 2108 BKV
i.V.m. § 9
Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) maßgeblich, weil der Versicherungsfall am 22.10.1997, mithin nach dem 01.01.1997, eingetreten ist.
Der Kläger hat die lendenwirbelsäulengefährdende Tätigkeit am 22.10.1997 völlig aufgegeben. Ab diesem Zeitpunkt war er arbeitsunfähig erkrankt und hat hiernach auch nicht wieder eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit ausgeübt, so dass als Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls nur der 22.10.1997 in Betracht kommt. Zwar hat der Kläger ab dem 01.01.1992 lediglich noch in geringem Umfang Tätigkeiten im Sinne der BK-
Nr. 2108 BKV ausgeübt. So hat er im Zeitraum vom 07.01.1992 bis 30.11.1994 ausweislich der Stellungnahme des TAD der G. -BG vom 24.11.1998 noch Tätigkeiten im Sinne der BK-
Nr. 2108 BKV verrichtet. Er war daneben ausweislich der Stellungnahme des TAD der St. -BG vom 06.11.1998 bis 21.10.1997 Ganzkörperschwingungen im Sinne der BK-
Nr. 2110 BKV, die dasselbe Zielorgan - nämlich die untere LWS - haben, ausgesetzt (
vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2006 - B 2 U 49/05 R -,
Rdnr. 18). Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Kläger keinen ausreichenden Einwirkungen im Sinne der BK-
Nr. 2108
bzw. 2110 BKV ausgesetzt war. Eine Tätigkeitsaufgabe ist nach ständiger Rechtsprechung des
BSG erst gegeben, wenn diejenigen Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt werden, welche die Berufskrankheiten der LWS herbeiführen oder verschlimmern (
BSG, Urteil vom 22.08.2000 -
B 2 U 34/99 -,
Rdnr. 24). Eine bloße Verminderung der Gefährdung genügt nicht (
BSG, Urteil vom 19.08.2003 - B 2 U 27/02 R -,
Rdnr. 14).
2. Beim Kläger sind die Voraussetzungen einer BK-
Nr. 2108 BKV gegeben. Eine Berufskrankheit nach BK-
Nr. 2108 BKV liegt vor, wenn der Versicherte an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS leidet, die durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht worden ist und der Versicherte durch die Erkrankung gezwungen wird, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die ursächlich für die Entstehung oder die Verschlimmerung dieser Erkrankung waren oder noch ursächlich sein können.
Für das Vorliegen des Tatbestandes der Berufskrankheit ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (so genannte haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Tätigkeit und der Erkrankung andererseits (so genannte haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (
vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2000 -
B 2 U 34/99 R -).
a) Die Feststellungen des TAD der Beklagten haben ergeben, dass beim Kläger angesichts einer beruflichen Gesamtbelastungsdosis nach dem MDD von 24,394 x 106 Nh ausreichende Einwirkungen im Sinne der BK-
Nr. 2108 BKV gegeben sind. Zudem war der Kläger Ganzkörpervibrationen im Sinne der BK-
Nr. 2110 BKV, die dasselbe Zielorgan haben, ausgesetzt (
vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2006 - B 2 U 49/05 R -).
b) Beim Kläger liegt auch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in Form eines Bandscheibenvorfalls L4/5 und einer Chondrose der Segmente L4/5 und L5/S1 vor. Das steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der schlüssigen Gutachten von
Prof. Dr. K. und
Dr. L. sowie
Dr. W. fest. Die Chondrose des Segments L4/5 wird auch durch den Arztbrief des Radiologen W1 über die CT-Untersuchung vom 25.11.1997 sowie die Krankenunterlagen des Landkreises T. (Röntgenuntersuchung 14.08.1984) bestätigt, die Zwischenwirbelraumerniedrigung am Segment L 5/S1 durch die Arztbriefe von
Dr. L1. und
Dr. B. vom 20.07.1993 aufgrund der Röntgenuntersuchung im Juli 1993 sowie des Radiologen D. über die Röntgenuntersuchung am 25.01.1996 und die Krankenunterlagen des Landkreises T. (Röntgenuntersuchung 06.09.1984). Nach dem Arztbrief des H. -Krankenhauses Z. vom 28.01.1998 bestand beim Kläger ein Laségue links bei 60° positiv und rechts bei 70° positiv. Auch
Dr. L. und
Dr. W. haben bei der Untersuchung des Klägers am 13.03.2001 neurologische Ausfallerscheinungen in Form einer deutlichen Fußheberschwäche links und einer Hypästhesie im Dermatom L5 links diagnostiziert. Daneben besteht ausweislich der übereinstimmenden Feststellungen durch
Prof. Dr. K. sowie
Dr. L. und
Dr. W. eine Chondrose auch am Segment L 3/4. Diese wird durch die Radiologin W1 ausweislich ihres Arztbriefs der über die CT-Untersuchung vom 25.11.1997 bestätigt.
aa) Gegen die berufliche Verursachung sprechende konkurrierende Ursachen hat
Prof. Dr. K. in seinem Gutachten in Übereinstimmung mit
Dr. L. und
Dr. W. für den Senat nachvollziehbar nicht feststellen können.
Prof. Dr. K. hat seinem Gutachten die "Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule" - Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des HVBG eingesetzten interdisziplinären Arbeitsgruppe (Trauma und Berufskrankheit 2005
S. 211) zugrunde gelegt. Dies entspricht der Rechtsprechung des
BSG (
BSG, Urteil vom 27.06.2006 -
B 2 U 13/05 -, Rdnrn. 12, 14).
Insbesondere lag beim Kläger weder eine Lumbalskoliose mit Scheitelpunkt in der unteren LWS (
vgl. Bolm-Audorff
u. a. "Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der LWS, a.a.O.,
S. 237) noch eine Skoliose mit einer Ausprägung von ) = 25° vor. Das steht zur Überzeugung des Senats aufgrund des schlüssigen Gutachtens von
Prof. Dr. K. fest.
Der 192
cm große Kläger wog 1974 104
kg, 1993 114
kg und wiegt 2009 ebenfalls 114
kg. Auch dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten von
Prof. Dr. K ... Seit seinem 16. Lebensjahr raucht der Kläger täglich 10 bis 15 Zigaretten. Eine Stoffwechselerkrankung besteht bei ihm ausweislich des Gutachtens von
Prof. Dr. K. nicht. Die vom Hausarzt regelmäßig durchgeführte Blutuntersuchung ergab keine erhöhten Blutzuckerwerte, normale Harnsäure- und Leberwerte. Laut Konsensempfehlungen können lebensstilbezogene Faktoren wie Rauchen, Gewicht, Arteriosklerose, Diabetes mellitus nach derzeitigem Wissenschaftsstand nicht als gesicherte Risikofaktoren für bandscheibenbedingte Erkrankungen gelten (Bolm-Audorff u.a., a.a.O.,
S. 247
ff.). Die Auffassung von
Prof. Dr. K. deckt sich auch diesbezüglich mit der von
Dr. L. und
Dr. W ...
bb) Beim Kläger ist auch eine plausible zeitliche Korrelation zwischen beruflicher Belastung und Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS vorhanden. Der Kläger begann im Alter von 14 Jahren eine Lehre zu einem mit schwerer körperlicher Belastung der Wirbelsäule verbundenen Beruf und war vom 01.09.1971 an im Beruf des Rinderzüchters tätig. Länger andauernde Arbeitsunfähigkeit wurde erstmals vom 30.03.1979 bis 01.05.1979 - nach mehrjähriger wirbelsäulenbelastender Tätigkeit als Lehrling und Rinderzüchter - festgestellt. Ein Prolaps wurde erst 1996 nach langjähriger beruflicher Tätigkeit mit einer Gesamtbelastungsdosis von 24 x 106 Nh erhoben.
cc) Eine Begleitspondylose (
vgl. zur Definition: Bolm-Audorff
u. a., a.a.O.,
S. 216
ff.) lag beim Kläger ausweislich der insoweit übereinstimmenden Einschätzungen von
Prof. Dr. K. und
Dr. T. nicht vor.
dd) Unstreitig bestehen beim Kläger ein Bandscheibenprolaps L4/5 und eine Chondrose zumindest I. Grades L4/5 und L5/S1. Das haben übereinstimmend
Prof. Dr. K. ,
Dr. T. sowie
Dr. L. und
Dr. W. auf der Grundlage der am zeitnahesten zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit gefertigten, noch vorhandenen Röntgenaufnahme vom 13.03.2001 festgestellt. Daneben ist der Senat aufgrund der übereinstimmenden Feststellungen von
Prof. Dr. K. sowie
Dr. L. und
Dr. W. vom Vorliegen einer Chondrose I. Grades auch am Segment L 3/4 überzeugt. Diese wird auch durch die Radiologin W1 ausweislich deren Arztbrief über die CT-Untersuchung vom 25.11.1997 bestätigt.
Der Nachweis eines Prolapses L5/S1 ist aufgrund der unterschiedlichen Wertungen im Arztbrief des Radiologen
Dr. S. vom 18.10.1996, im Arztbrief des Radiologen
Dr. M. aufgrund der CT-Untersuchung vom 17.01.1996 und der Radiologin W1 aufgrund der CT-Untersuchung vom 25.11.1997 nicht im Sinne des Vollbeweises nachweisbar.
Der am 16.04.1954 geborene Kläger war am 13.03.2001 46 Jahre alt. Eine Chondrose I. Grades ist nach den Konsensempfehlungen (Bolm-Audorff u.a., a.a.O.,
S. 214) altersuntypisch. Damit liegen die Voraussetzungen der Konstellation B2 1. Anstrich 1. Alternative der Konsensempfehlungen vor. Es besteht eine bandscheibenbedingte Erkrankung an den Segmenten L5/S1 und L4/5. Ein Vorfall am Segment L4/5 ist nachgewiesen. Die Höhenminderung und der Prolaps betreffen mehrere Segmente der LWS. Mit der von
Prof. Dr. Bolm-Audorff in seiner Stellungnahme vom 02.02.2009 geäußerten Auffassung, dass mit "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben"
i.S.d. Konstellation B2 1. Anstrich der Konsensempfehlungen der Befall von mindestens zwei Bandscheiben gemeint ist, stimmt der Senat überein. Würde unter Befall von "mehreren Bandscheiben" ein solcher von mindestens drei Bandscheiben verstanden, wäre der bisegmentale Bandscheibenschaden von der Konsensgruppe nicht geregelt worden. Davon ist nicht auszugehen.
Angesichts des Bandscheibenschadens an den Segmenten L5/S1, L4/5 und L3/4 beim Kläger kommt es vorliegend gar nicht auf die exakte Auslegung der Konstellation B2 1. Anstrich an. Aus Sicht des Senats würde jedoch auch ein Schaden lediglich an den Segmenten L 5/S1 und L4/5 ausreichen, um die Konstellation B 2 1. Anstrich und damit den Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und der beim Kläger vorhandenen bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS zu bejahen.
c) Beim Kläger bestand ausweislich der übereinstimmenden Einschätzungen von
Prof. Dr. K. ,
Dr. L. und
Dr. W. zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit ein Zwang zur Aufgabe.
3. Dem Gutachten von
Dr. G. vermag der Senat nicht zu folgen. Es sind im Gutachten bereits Diagnoseschlüssel fehlerhaft gebraucht. So ist ausgeführt, der Kläger sei 1975, 1974, 1977 und 1978 jeweils wegen Ischias (Diagnose-
Nr. 353) arbeitsunfähig gewesen. Die Diagnose-
Nr. 353 steht jedoch für Krankheiten von Nervenwurzeln und Plexus (Ministerium für Gesundheitswesen der DDR, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen der Weltgesundheitsorganisation, 9. Revision, 1975,
S. 138). Ausgenommen sind ausdrücklich Krankheiten der Bandscheibe und vertebragene Störungen. Zudem konnte
Dr. G. in ihrem Gutachten die Konsensempfehlungen noch nicht berücksichtigen.
Auch die Stellungnahme von
Dr. T. überzeugt den Senat nicht. Die Konsensempfehlungen geben den derzeitigen wissenschaftlichen Stand zu den Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule wieder. Das bestätigt auch die Rechtsprechung des
BSG.
4. Für das Verfahren ist - wovon übereinstimmend auch sowohl die Beklagte als auch die Beigeladene ausgehen - gemäß § 134
SGB VII die Beigeladene der zuständige Unfallversicherungsträger, weil ausweislich der Stellungnahmen des TAD der Beklagten vom 24.06.2008 zuletzt im Zeitraum von Januar 1992 bis November 1994 eine belastende Tätigkeit im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen vorlag (
vgl. Vereinbarung über die Zuständigkeit bei Berufskrankheiten vom 01.04.1994 in der ab 01.01.1997 geltenden Fassung mit Arbeitsanleitung - Stand: 12/08 -, in: Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand: 10/2009, F1, Erläuterungen 5.11 zu § 2).
Nach alledem war die Berufung der Beklagten im Wesentlichen zurückzuweisen. Es war festzustellen, dass die Beigeladene der für die Entschädigung der Berufskrankheit zuständige Unfallversicherungsträger ist.
5. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193
SGG. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160
Abs. 2
SGG liegen nicht vor.