Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Oktober 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des
LSG und der Zurückverweisung an dieses Gericht begründet. Das
LSG hat zu Unrecht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen, soweit das SG die Beklagte zur Anerkennung der BK Nr 1103 verurteilt hat. Die Ablehnung der Anerkennung dieser BK in dem Bescheid vom 25.8.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2005 war rechtswidrig. Bei dem Versicherten lag ein Zustand nach Oberlappenresektion links wegen nicht kleinzelligem Lungenkarzinom des linken Lungenoberlappens als Folge einer BK Nr 1103 vor. Das
LSG hat - von seiner Rechtsansicht her konsequent - selbst keine Feststellungen zur Höhe der
MdE getroffen. Der Senat konnte daher nicht entscheiden, ob das SG zu Recht die Beklagte zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer
MdE in Höhe von 100 vH verurteilt hat; deshalb musste der Rechtsstreit insoweit an das
LSG zurückverwiesen werden.
Streitgegenstand des Revisionsverfahrens - wie auch des Berufungsverfahrens - ist die Aufhebung der die BK Nr 1103 betreffenden Bescheide der Beklagten und ihre Verurteilung zur Anerkennung der BK Nr 1103 sowie zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer
MdE von 100 vH durch das SG. Nur insoweit hat das
LSG das Urteil des SG aufgehoben und die zulässige Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, Abs 4
SGG) abgewiesen (vgl insbesondere zur Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage
BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 - juris RdNr 10; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 13c).
Dass die Klägerin den Rechtsstreit nach dem während des Berufungsverfahrens eingetretenen Tod des Versicherten fortführt, steht der Zulässigkeit der Klagen nicht entgegen. Die Klägerin, die zur Zeit des Todes des mit ihr verheirateten Versicherten mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hatte, verfolgt als Sonderrechtsnachfolgerin einen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente und damit auf laufende Geldleistungen iS von § 56 Abs 1 Nr 1
SGB I. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung der BK Nr 1103 ist gegeben, denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass noch andere auf die Klägerin übergegangene Ansprüche gegen die Beklagte bestehen und ggf auch in einem Verfahren nach § 44
SGB X geltend gemacht werden können.
Das
LSG hat zu Unrecht unter Aufhebung des Urteils des SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr 1103 der Anlage 1 zur BKV liegen vor. Rechtsgrundlage für die Anerkennung dieser BK ist § 9 Abs 1
SGB VII iVm BK Nr 1103. BK Nr 1103 lautet: "Erkrankungen durch Chrom und seine Verbindungen". Der Tatbestand der BK Nr 1103 enthält darüber hinaus weder normative Vorgaben in Form einer Mindestdosis oder Mindestdauer der Einwirkung noch eine inhaltliche Eingrenzung der möglichen Krankheitsbilder. Nach § 9 Abs 1 S 1
SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Für die Feststellung einer Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Die Voraussetzungen der "versicherten Tätigkeit", der "Verrichtung", der "Einwirkungen" und der "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (stRspr; vgl zuletzt
BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 10 mwN).
1. Nach den bindenden Feststellungen des
LSG arbeitete der Ehemann der Klägerin von 1977 bis 1985 als Beschäftigter eines Stahlwerks. In dieser Tätigkeit war er nach § 2 Abs 1 Nr 1
SGB VII Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung. Während und aufgrund dieser versicherten Tätigkeit unterlag er den im Tatbestand der BK Nr 1103 genannten Einwirkungen "Chrom und seinen Verbindungen" durch Chrom-VI mit einer Dosis von 307,51 Chromatjahren.
2. Beim Versicherten bestand als Erkrankung iS von § 9 Abs 1
SGB VII iVm BK Nr 1103 ein Zustand nach Oberlappenresektion links wegen nicht kleinzelligem Lungenkarzinom des linken Lungenoberlappens im Stadium IIa. Nach den Feststellungen des
LSG sind Chrom-VI-Einwirkungen geeignet, Bronchialkarzinome zu verursachen. Bei der BK Nr 1103 handelt es sich um einen sog offenen BK-Tatbestand (vgl dazu Spellbrink, SR 2014, 140, 143; Bieresborn, NZS 2008, 354, 359), der ua keine konkrete Erkrankung benennt, die bei dem Versicherten diagnostiziert werden muss, um den BK-Tatbestand bejahen zu können. Anerkennungsfähig sind deshalb alle Krankheiten, die durch die benannten Einwirkungen potentiell verursacht werden können (vgl hierzu
BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 14).
3. Zwischen den festgestellten gefährdenden Einwirkungen iS der BK Nr 1103 durch Chrom-VI und der Lungenkrebserkrankung des Versicherten bestand nach den Feststellungen des
LSG ein ursächlicher Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Voraussetzung für die Anerkennung der BK Nr 1103 ist deshalb, dass die Lungenkrebserkrankung des Versicherten durch die während seiner versicherten Tätigkeit erfolgten Einwirkungen von Chrom-VI verursacht worden ist.
Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im BKen-Recht wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn auf dieser sog ersten Stufe feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier die Einwirkung durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische Ursache der Krankheit ist, stellt sich auf der sog zweiten Stufe die Frage, ob die Einwirkung auch rechtlich die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr ist (stRspr; vgl zuletzt
BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 19 mwN).
Das
LSG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhang sowohl hinsichtlich der sog arbeitstechnischen als auch arbeitsmedizinischen Voraussetzungen festgestellt (hierzu unter a). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz haben die festgestellten naturwissenschaftlich-kausalen Chromateinwirkungen die Lungenkrebserkrankung auch rechtlich wesentlich verursacht (hierzu unter b).
a) Nach den Feststellungen des
LSG hat die gefährdende Einwirkung durch Chrom-VI die Lungenkrebserkrankung des Versicherten verursacht. Das
LSG hat dazu ohne Verstoß gegen Bundesrecht und damit den Senat gemäß § 163
SGG bindend festgestellt (anders als in dem dem Urteil des Senats vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - zugrundeliegenden Verfahren), dass die Chromatbelastung von 307,51 Chrom-VI-Jahren, der der Versicherte durch seine versicherte Tätigkeit ausgesetzt war, geeignet war, die Lungenkrebserkrankung zu verursachen und dass diese Einwirkung auch (Mit-)Ursache für diese Erkrankung war. Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung auf der sog ersten Stufe ist zwar eine der revisionsrechtlichen Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte iS des § 163
SGG. Eine solche das Revisionsgericht bindende Wirkung besteht jedoch dann nicht, wenn das
LSG von einem nicht existierenden oder offenkundig falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen oder einen bestehenden Erfahrungssatz nicht angewandt hat und eine solche fehlerhafte Anwendung zulässig gerügt wird (vgl hierzu zuletzt
BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 28 mwN). Die Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale der jeweiligen die BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen sind revisionsrechtlich darauf überprüfbar, ob sie dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen (vgl
BSG vom 23.4.2015 -
B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 20, vom 27.6.2006 -
B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 und vom 27.6.2006 -
B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23). Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Maßgebend bei diesem ersten Schritt der Kausalitätsprüfung ist die Feststellung von wissenschaftlichen Erfahrungssätzen und deren Tragweite (vgl Spellbrink, SR 2014, 140, 144 ff und SR 2015, 15, 17). Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das jeweilige Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin ggf durch Sachverständige zu überprüfen (vgl
BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 28; vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68; vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch
BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20). Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also - von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen - Konsens besteht (
BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 17;
BSG vom 23.4.2015 -
B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 22;
BSG vom 27.6.2006 -
B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20). Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (
BSG vom 9.5.2006 -
B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 18).
Danach ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich das
LSG unter Berufung auf das durch das SG eingeholte medizinische Sachverständigengutachten des
Prof. Dr. S. auf Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2000 gestützt und eine Ursächlichkeit der Chromateinwirkungen für eine Lungenkrebserkrankung schon ab einer Dosis von 300 Chrom-VI-Jahren bejaht hat. Der Senat kann jedenfalls nicht feststellen, dass das
LSG damit einen offenkundig falschen Erfahrungssatz zugrunde gelegt oder einen bestehenden Erfahrungssatz außer Acht oder offensichtlich fehlerhaft angewandt hat. Denn ein allgemein anerkannter wissenschaftlicher Erkenntnisstand zur Dosis-Wirkungsbeziehung von Chromateinwirkungen und des Risikos, an Lungenkrebs zur erkranken, existiert nicht. Nach dem derzeitigen Stand in der medizinischen Wissenschaft besteht zwar Einigkeit darüber, dass eine inhalative Chromatexposition ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko bedingt (Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, 666, 667 unter Bezugnahme auf Studien von Gibb ua 2000, Mundt ua 2002, Luippold ua 2003), eine zuverlässige und allgemein akzeptierte Dosis-Wirkungsbeziehung bei Chromateinwirkungen konnte bislang aber nicht ermittelt werden (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 1176; Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, S 666, 674). Auch die von der Beklagten im Revisionsverfahren vorgelegte aktuelle Veröffentlichung aus dem Jahr 2015 (Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, S 666 ff), die insbesondere unter Berücksichtigung einer Studie aus dem Jahr 2006 (Birk ua) eine Risikoverdoppelung für Lungenkrebs in einem Bereich von 500 Chromatjahren bei 40 Jahren Lebensarbeitszeit annimmt, gibt insofern keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wieder, unabhängig davon, dass jedenfalls das Gesetz in § 9 Abs 1 S 2
SGB VII das Kriterium einer Risikoverdoppelung als Voraussetzung einer BK-Anerkennung nicht erwähnt (hierzu bereits
BSG vom 23.3.1999 -
B 2 U 12/98 R - BSGE 84, 30, 37 f = SozR 3-2200 § 551 Nr 12, S 42; skeptisch gegenüber dem Kriterium der Risikoverdoppelung ua auch P. Becker, SGb 2006, 449, 454). Vielmehr weisen die Autoren ausdrücklich darauf hin, dass die dem vorgeschlagenen Wert zugrundeliegenden Berechnungen eine Vielzahl von Unsicherheiten enthalten, und schlagen deshalb vor, ihre Ergebnisse lediglich als Orientierungswerte zu verstehen (Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, S 666, 673 f; so auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 1176).
Mithin besteht zwar derzeit ein wissenschaftlich gesicherter Grenzwert für eine Dosis-Wirkungsbeziehung nicht, den Forschungsergebnissen lässt sich jedoch die Tendenz entnehmen, bei immer geringeren Einwirkungsmengen eine naturwissenschaftliche Ursächlichkeit zu bejahen. Während im Jahr 1994 für die Annahme einer erheblichen inhalativen Chrom-VI-Belastung und die Anerkennung der BK Nr 1103 ein Chromat-Jahre-Wert von 2000 für CrO3 bzw 1000 für Chrom-VI für Lichtbogenschweißer und für andere Tätigkeiten Werte von 1000 für CrO3 bzw 500 für Chrom-VI vorgeschlagen wurden (Norpoth und Popp, zusammenfassend dargestellt bei Pesch ua, ASUMed 2009, S 336, 337), nennt eine Studie aus dem Jahr 2005 einen Grenzwert von 1300 Chromat-Jahren (Luippold, zusammenfassend dargestellt bei Pesch ua, ASUMed 2009, S 336, 340; dies ASUMed 2015, S 666, 671). Aufbauend auf einer Studie aus dem Jahr 2000 (Gibb ua) wurde im Jahr 2006 von einem ursächlichen Zusammenhang bei einem Wert von 300 Chromat-Jahren ausgegangen (Borsch-Galetke, zusammenfassend dargestellt bei Pesch ua, ASUMed 2009, S 336, 341; zu den Schwächen der Studien vgl Brüning/Pesch ua, ASUMed 2015, S 666, 670 ff; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 1176).
Die Tendenz zur Annahme immer geringerer Werte wird gestützt durch die von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (
BAuA) veröffentlichte Begründung in den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 910 zur Exposition-Risiko-Beziehung bei Chrom-VI. Ziel solcher präventiver Grenzwerte ist zwar die Ermittlung einer Dosis, ab der die ernsthafte Möglichkeit einer Gefährdung besteht, so dass aus ihnen keine direkten Aussagen über retrospektiv betrachtete Dosis-Wirkungsbeziehungen abgeleitet werden können (vgl hierzu Bieresborn, SGb 2016, 310, 319; Seidler, ZblArbeitsmed 2014, 325, 326). Dennoch können solche Studien - zumindest ergänzend - auch für die Kausalitätsprüfung herangezogen werden, da sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Aufschluss über Zusammenhänge zwischen Schadstoffexposition und Erkrankung geben können (vgl hierzu Spellbrink, Synkanzerogenese aus rechtlicher Sicht, in
DGUV (Hrsg), Erfahrungen mit der Anwendung von § 9 Abs 2
SGB VII , 6. Erfahrungsbericht, 2013, S 53, insb S 62 ff; Spellbrink, SR 2015, 15, 19; Seidler, ZblArbeitsmed 2014, 325, 329;
BAuA, TRGS 910 (in der Fassung vom 11.10.2016), S 34; Brünung/Pesch ua, ASUMed 2015, 666, 667). Nach der Begründung zu Chrom-VI in TRGS 910 (
BAuA, Ausschluss für Gefahrstoffe, Stand: November 2013, Ausgabe: April 2014, S 31) besteht nach derzeitigen Erkenntnissen eine ernsthafte Gefährdungsmöglichkeit bereits ab einer Konzentration von 12,5 µg/m³. Angesichts dieser Veröffentlichungen ist mithin für das Revisionsgericht nicht erkennbar, dass der vom
LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Erfahrungssatz offensichtlich falsch ist, nach dem ein naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang zwischen einer Lungenkrebserkrankung und einer Einwirkung von Chromat bereits bei 300 Chromatjahren vorliegen kann.
b) Zu Unrecht hat das
LSG dagegen die rechtliche Wesentlichkeit dieser Ursache für den eingetretenen Erfolg verneint, weil den Einwirkungen durch Nikotinrauch ein statistisch höheres Erkrankungsrisiko für die Krebserkrankung des Versicherten zugrunde lag als der Einwirkung durch Chrom-VI. Entgegen der Auffassung des
LSG kann im Rahmen der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung nicht ausschließlich das jeweilige Erkrankungsrisiko rein mathematisch gegenüber gestellt und ziffernmäßig abgewogen werden. Die nummerischen Verursachungsbeiträge durch Chrom einerseits und Nikotinkonsum andererseits hätten bereits auf der ersten (rein tatsächlichen) Prüfungsstufe festgestellt und abgewogen werden müssen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat die Chrom-VI-Einwirkung die Lungenkrebserkrankung auch auf der sog zweiten, rein rechtlichen Stufe der Kausalitätsprüfung rechtlich wesentlich verursacht.
Welche Ursache im Einzelfall rechtlich wesentlich ist und welche nicht, muss nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs vom Rechtsanwender (Juristen) wertend entschieden werden (grundlegend
BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17;
BSG vom 17.2.2009 -
B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31 RdNr 12). Die Wesentlichkeit einer (Mit-)Ursache ist eine reine Rechtsfrage, die sich nach dem Schutzzweck der Norm beantwortet (grundlegend P. Becker, MedSach 2007, 92; Spellbrink, MedSach 2017, 51, 55). Die rechtliche Wesentlichkeit ist zu bejahen, wenn die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist. Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung der Erkrankung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (
BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37;
BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 23). Das
BSG hat dabei schon immer betont, dass bei dieser Prüfung "wesentlich" nicht gleichzusetzen ist mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat (
BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 22). Folglich war in den seit längerer Zeit problematisierten Fällen der durch mehrere Ursachen (kumulativ oder additiv) verursachten Krebserkrankungen (sog Synkanzerogenese) schon immer diskutiert worden, dass auch (teil-)wesentliche Ursachen eine Entschädigungspflicht auslösen können, wenn auf der ersten Stufe der notwendige naturwissenschaftlich-philosophische Zusammenhang gesichert ist (vgl P. Becker, MedSach 2005, 115 und zuletzt P. Becker, ZblArbeitsmed 2015, 301; Spellbrink, BPUVZ 2012, 360, 365). So liegen die Verhältnisse hier.
Die versicherungsrechtliche Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers setzt voraus, dass die Rechtsgutsverletzung des Versicherten in den jeweiligen Schutzbereich der begründeten Versicherung fällt. Für Schäden, die außerhalb des Schutzzwecks der Norm liegen, muss der jeweils zuständige Unfallversicherungsträger nicht einstehen. Entscheidend ist mithin, ob der begründete Versicherungsschutz den Sinn und Zweck hat, gegen Schäden der konkret eingetretenen Art zu schützen. Die kausal auf den versicherten Chromateinwirkungen beruhende Lungenkrebserkrankung des Versicherten ist vom Schutzzweck der BK Nr 1103 umfasst. Die gesetzliche Unfallversicherung soll im Rahmen der BK Nr 1103 vor Erkrankungen, insbesondere vor Bronchialkarzinomen, durch betriebliche Chromatbelastungen schützen und im Falle des Eintritts einer solchen Erkrankung Leistungen gewähren. Der Verordnungsgeber hat dabei gerade keinen Schwellenwert festgeschrieben, der überschritten sein muss, damit die BK Nr 1103 festgestellt werden kann. Mithin zeigt bereits die Normformulierung der BK Nr 1103, dass Chrom und seine Verbindungen vom Verordnungsgeber auch niedrigschwellig als gefährlich eingestuft werden, was durch die oben (unter 3.a) referierten Forschungsbefunde eindrucksvoll belegt wird. Schutzzweck des Versicherungstatbestandes der BK Nr 1103 ist gerade die Gewährung von Versicherungsschutz bei Erkrankungen, die durch die als grundsätzlich gefährdend eingestuften Einwirkungen von Chrom und seinen Verbindungen hervorgerufen werden. Auch angesichts des Gefahrenpotentials dieses Stoffes hat der Verordnungsgeber den Wortlaut der BK Nr 1103 denkbar weit gefasst und die Anerkennung dieser BK gerade nicht von der Erreichung bestimmter Grenzwerte abhängig machen wollen. Damit ist eine Anerkennung der BK Nr 1103 auch nicht von vorneherein nur Nichtrauchern vorbehalten. Grund für die Einführung dieses BK-Tatbestandes war allein die Erkenntnis, dass sich durch metallische Chrome oder andere Verbindungen des Chroms gesundheitliche Schädigungen einstellen können (vgl BR-Drucks 194/1/52, S 2).
Die Wesentlichkeit der vom
LSG festgestellten (Mit-)Ursache ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil nach seinen Feststellungen als Mitursache neben die Einwirkung durch Chromat die unversicherte Einwirkung des Nikotinkonsums des Verletzten mit einer Dosis von 30 Packungsjahren trat. Denn die Einwirkung durch den Nikotinkonsum hat unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der BK Nr 1103 das Erkrankungsgeschehen rechtlich nicht derart geprägt, dass die Erkrankung nicht mehr dem Schutzbereich des Versicherungstatbestandes unterfällt. Es besteht zwar kein Automatismus dergestalt, dass die Bejahung des naturwissenschaftlichen Kausalitätszusammenhangs zwischen Einwirkung und Erkrankung auch die rechtliche Wesentlichkeit der Ursache zur Folge hätte. Für BKen, die "harte Kriterien" enthalten, wie die BK Nr 4104, die die Einwirkung einer berufsbedingten Asbestfaserstaub-Dosis von 25 Faserjahren verlangt, hat der Senat allerdings entschieden, dass bereits bei Nachweis dieser in der Norm selbst genannten Einwirkungsgröße eine Tatsachenvermutung für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Krebserkrankung und der Einwirkung von Asbest besteht (vgl
BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 24 ff). Diese Vermutung kann widerlegt werden, indem beispielsweise gezeigt wird, dass wegen der Art oder der Lokalisation des Tumors, wegen des zeitlichen Ablaufs der Erkrankung oder aufgrund sonstiger Umstände im konkreten Einzelfall ein ursächlicher Zusammenhang trotz der beruflichen Belastung nicht wahrscheinlich ist, nicht jedoch schon dadurch, dass der Versicherte auch außerberuflich Schadstoffeinwirkungen - wie langjähriges Zigarettenrauchen - ausgesetzt war, die nach wissenschaftlicher Erkenntnis geeignet sind, ebenfalls an dem befallenen Organ eine Krebserkrankung zu verursachen. Andernfalls bliebe angesichts vielfältiger, in ihren Wirkungen und Wechselwirkungen nur teilweise bekannter und erforschter gesundheitsschädlicher Umwelteinflüsse, denen jeder in seinem persönlichen Umfeld in mehr oder weniger großem Umfang ausgesetzt ist, die vom Verordnungsgeber aufgestellte Vermutung weitgehend bedeutungslos (so
BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 27).
Anders als die BK Nr 4104 enthält der Tatbestand der BK Nr 1103 zwar keinen Grenzwert, ab dem ein Ursachenzusammenhang zwischen Chromateinwirkung und Erkrankung vermutet wird. Der Verordnungsgeber hat im Text der BK Nr 1103 die Wirkungsbeziehung "Erkrankungen durch Chrom und seine Verbindungen" für entschädigungswürdig gehalten und keinen Ausschluss von Erkrankungen, die auch durch außerberufliche Einwirkungen verursacht werden können, vorgesehen. Wenn - wie vorliegend - ein naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang zwischen einer beruflichen Einwirkung und einer Erkrankung festgestellt wurde, kann die rechtliche Wesentlichkeit dieser Einwirkung nicht bereits deshalb verneint werden, weil eine andere, außerberufliche Einwirkung ebenfalls geeignet ist, die Erkrankung des Versicherten hervorzurufen. Denn dies würde die vom Gesetzgeber mit der Aufnahme einer Einwirkung in die BKV getroffene Wertentscheidung unterlaufen, dass die Beteiligten von deren generellen Eignung zur Verursachung bestimmter Erkrankungen und von deren Entschädigungswürdigkeit auszugehen haben (vgl Koch in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2, Unfallversicherungsrecht, 1996, § 36 RdNr 6). Das in BK Nr 1103 vorausgesetzte hohe Gefährdungspotential, das der Verordnungsgeber Chrom-VI zuschreibt, bliebe unberücksichtigt, wenn allein die abstrakte Möglichkeit, dass die Erkrankung durch eine andere (außerberufliche) Einwirkung verursacht wurde, und das Hinzutreten weiterer - statistisch gefährlicherer - Einwirkungen die Wesentlichkeit ausschließen könnte. Auch würde die Normierung eines BKen-Tatbestandes wie der BK Nr 1103 weitgehend bedeutungslos, insbesondere weil Krebserkrankungen regelmäßig multifaktorielle Geschehensabläufe zugrunde liegen, deren Ursachen teils im beruflichen, teils im außerberuflichen Bereich liegen, ohne dass insofern eine wissenschaftlich begründete exakte Bezifferung der jeweiligen Verursachungsbeiträge möglich ist (grundlegend Hallier, Synkanzerogenese aus medizinischer Sicht, in
DGUV (Hrsg), Erfahrungen mit der Anwendung von § 9 Abs 2
SGB VII (6. Erfahrungsbericht, 2013, S 72 ff)). Insofern erscheint es bei multifaktorieller Verursachung von Erkrankungen - wie vorliegend - auch nicht möglich, im Rahmen der Wesentlichkeitsprüfung einen Schwellenwert - wie etwa das sog Krasneysche Drittel - zu definieren (hierzu Spellbrink, BPUVZ 2012, 360, 365), den der Verursachungsbeitrag eines isoliert betrachteten Stoffes in jedem Falle überschritten haben müsste, um auch als rechtlich wesentlich betrachtet werden zu können (vgl hierzu auch Bultmann,
ASR 2016,140,148).
Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung wird der Versicherte vielmehr in dem gesundheitlichen Zustand geschützt, in dem er mit dem gefährdenden Stoff konfrontiert wird. Wenn - wie vorliegend - ein naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang zwischen einer beruflichen Einwirkung und einer Erkrankung festgestellt wurde, kann die rechtliche Wesentlichkeit dieser Einwirkung mithin nicht bereits deshalb verneint werden, weil eine außerberufliche Einwirkung ebenfalls geeignet war, die Erkrankung des Versicherten hervorzurufen. Zudem würde die Rechtsauffassung des
LSG, die Ermittlung der Wesentlichkeit sei anhand einer rein statistischen Gegenüberstellung vorzunehmen, im Ergebnis alle Raucher von Entschädigungsleistungen der Unfallversicherung ausschließen und damit dem Prinzip der gesetzlichen Unfallversicherung widersprechen, die grundsätzlich Versicherungsschutz auch bei bestehenden sonstigen gesundheitlichen Risiken bietet (vgl
BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 19).
Der Rechtsstreit war gemäß § 170 Abs 2 S 2
SGG an das
LSG zurückzuverweisen. Für eine abschließende Entscheidung durch den Senat darüber, für welchen Zeitraum und in welcher Höhe ein Anspruch auf eine Verletztenrente nach § 56
SGB VII besteht, reichen die vom
LSG getroffenen Feststellungen nicht aus. Dies richtet sich gemäß § 56 Abs 2 S 1
SGB VII ua nach dem Umfang der
MdE. Zur
MdE hat das
LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - keine Feststellungen getroffen. Diese hat es nach Zurückverweisung nachzuholen und über den Anspruch auf Verletztenrente unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zum Vorliegen einer BK Nr 1103 zu entscheiden (§ 170 Abs 5
SGG). Das
LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.