Urteil
Anerkennung einer Meningitis als Arbeitsunfall - Infektion einer Frühgeburt mit Krankenhauskeim

Gericht:

BSG


Aktenzeichen:

B 2 U 34/17 R


Urteil vom:

07.05.2019


Grundlage:

  • SGB VII § 8 |
  • SGB X § 44 |
  • RVO § 539 Abs. 1 Nr. 17a |
  • RVO § 559

Terminvorschau:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Infektion der Klägerin durch Krankenhauskeime, die eine Meningitis zur Folge hatte, als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.

Die Klägerin wurde am 9.4.1992 während der 30. Schwangerschaftswoche auf dem Weg zur Universitätsklinik R. in einem Krankenwagen geboren. In der neonatologischen Intensivstation der Kinder- und Jugendklinik der Universität R. wurde sie wegen einer Anpassungsstörung der Lunge mit Lungenentzündung apparativ beatmet und antibiotisch behandelt. Nach zwischenzeitlicher Stabilisierung waren am 8. Lebenstag erneut klinische Symptome einer Lungenentzündung und einer beginnenden Sepsis festzustellen. Ab dem 15. Lebenstag atmete die Klägerin spontan ohne Zeichen von Luftnot und war kreislaufstabil. Am 17. Lebenstag wurde die antibiotische Therapie beendet. Am 3.5.1992 traten plötzlich Apnoen und Bradykardien auf. Eine Lumbalpunktion ergab den Befund einer Meningitis; als Erreger wurde Pseudomonas aeruginosa diagnostiziert. In der Folgezeit kam es zur Ausbildung eines Hydrocephalus. 2001 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen "Antrag auf Entschädigung, Pflegegeld, Verletztenrente". Die Beklagte zog die medizinischen Unterlagen der Universitätskliniken R bei und holte zur Klärung der Ursachen für die Infektion ein Gutachten von Prof. Dr. S. ein, der 2002 zu dem Ergebnis kam, bei der Erkrankung der Klägerin habe es sich um eine auf der Intensivstation erworbene Meningitis gehandelt. Andere verantwortliche Ursachen für den Infektionshergang seien unwahrscheinlich. Der beratende Arzt der Beklagten führte aus, Pseudomonas aeruginosa sei weit verbreitet als Nass- oder Pfützenkeim, z.B. in Leitungswasser, Waschbecken, Toiletten, Wasch- und Spülmaschinen, Putzutensilien etc., im Krankenhaus etwa in Inkubatoren für Frühgeborene, Beatmungs- und Narkosegeräten. Auf Intensivstationen habe der Keim als Erreger eine große Bedeutung.

Die Beklagte lehnte 2003 sowohl die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) als auch einen Arbeitsunfall nach § 8 SGB VII ab. Die dagegen vor dem SG erhobene Klage, die Berufung und die Nichtzulassungsbeschwerde blieben erfolglos. 2008 stellte die Klägerin einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X, den die Beklagte ablehnte. Die auf die Feststellung einer BK beschränkte Klage hatte keinen Erfolg. Nach einem vor dem LSG geschlossenen Vergleich verpflichtete sich die Beklagte, den ablehnenden Bescheid nochmals zu überprüfen. Die Beklagte lehnte sodann die Aufhebung dieses Bescheides erneut ab (Bescheid vom 13.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2013). Das SG hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das LSG hat ausgeführt, die Klägerin gehöre zwar zu dem versicherten Personenkreis des hier noch anzuwendenden § 539 Abs. 1 Nr. 17a RVO, nach dem gegen Arbeitsunfall Personen versichert seien, denen von einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung stationäre Behandlung i.S. von § 559 RVO gewährt werde; denn die Klägerin habe sich zum Zeitpunkt der zu der Meningitiserkrankung führenden Infektion (zwischen dem 2. und 3.5.1992) in einer Krankenhausbehandlung befunden. Es fehle jedoch an der Unfallkausalität. Unfälle, die allein wesentlich durch eine fehlerhafte Behandlung eines Arztes oder eines Therapeuten verursacht würden, seien keine Arbeitsunfälle. Das Risiko der ärztlichen Behandlung selbst sei nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes. Es lasse sich nicht feststellen, dass die Infektion bei der Klägerin infolge einer besonderen Gefahr erfolgt sei, die mit der Entgegennahme der Krankenhausbehandlung verbunden und die nicht Folge der ärztlichen Behandlung gewesen sei. Nach allen Gutachten seien alle denkbaren Infektionsursachen lediglich theoretisch in Betracht zu ziehende Möglichkeiten. Durch welche der möglichen Gefahrenquellen mit Wahrscheinlichkeit die Infektion erfolgt sei, hätte keiner der Sachverständigen festzustellen vermocht. Die passive Entgegennahme der Krankenhausbehandlung könne daher nicht als Mitursache im naturwissenschaftlichen Sinne festgestellt werden. Dass der Keim Pseudomonas aeruginosa als typischer Krankenhauskeim anzusehen sei, könne nicht dazu führen, eine Verursachung der Infektion durch die bloße Anwesenheit der Klägerin in der Klinik zu bejahen, soweit der konkrete Vorgang des Kontakts mit dem Keim und die dadurch verursachte Infektion nicht festgestellt werden könne.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Terminbericht:

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Die Urteile der Vorinstanzen und die angefochtenen Bescheide der Beklagten waren aufzuheben. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung ihrer in der Universitätsklinik R. erlittenen Infektion als Arbeitsunfall. Auf den im Jahre 1992 erlittenen Unfall war das Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden. Der Klägerin wurde eine stationäre Krankenhaus-Behandlung zu Lasten ihrer Krankenkasse gewährt. Damit gehörte sie zum versicherten Personenkreis nach § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst a RVO. Hiernach waren versichert Personen, denen von einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung stationäre Behandlung i.S. von § 559 RVO gewährt wird. Es handelte sich auch um einen Unfall i.S. des § 548 RVO (heute § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII), denn die Infektion mit dem Erreger Pseudomonas aeruginosa war ein von außen auf den Körper der Klägerin einwirkendes, plötzliches Ereignis, das nach den Feststellungen des LSG während ihres Aufenthalts auf der neonatologischen Intensivstation der Uni-Klinik R. vor dem 3. Mai 1992 eingetreten ist. Durch dieses Unfallereignis erlitt die Klägerin eine Meningitis und damit unzweifelhaft einen Gesundheitsschaden. Die Klägerin hat im Zeitpunkt des Eintretens des Keims in den Körper auch eine versicherte Verrichtung ausgeübt. Versichert war nach § 539 Abs. 1 Nr. 17a RVO die (passive) Entgegennahme der Krankenhausbehandlung. Jede denkbare Verrichtung der Klägerin zum eingrenzbaren Zeitpunkt des Unfallereignisses stand in einem sachlichen Zusammenhang mit der an sich versicherten Tätigkeit des Entgegennehmens einer Krankenhausbehandlung. Es ist bei einem in einem Brutkasten liegenden, in der 30. Woche Frühgeborenen (sog. "Frühchen") keine Verrichtung denkbar, die nicht unter den Versicherungstatbestand des § 539 Abs. 1 Nr. 17 a RVO fällt. Die gilt auch für eventuelle Behandlungsfehler aufgrund mangelnder Desinfektion oder fehlender Schutzvorkehrungen durch Ärzte oder sonstiges Krankenhauspersonal. Auch eine - ebenfalls nicht festgestellte - Infektion der Klägerin durch ein Mitbringen des Keims durch die Eltern auf die Intensivstation als mögliche Ursache würde im vorliegenden Fall einen Behandlungs- bzw. Organisationsfehler des Klinikums darstellen und die versicherte Tätigkeit der Entgegennahme von Krankenhausbehandlung nicht unterbrechen. Angesichts der Hilflosigkeit der in der 30. Woche geborenen Klägerin bestand die versicherte Behandlungssituation letztlich ununterbrochen während des Aufenthalts auf der Intensivstation. Der Senat hat bereits 2010 klargestellt, dass bei dem hier maßgebenden Versicherungstatbestand eine fehlerhafte therapeutische Behandlung durch einen Arzt oder einen von ihm eingeschalteten Therapeuten jedenfalls den sachlichen Zusammenhang der Verrichtung mit der versicherten Tätigkeit nicht berührt (Urteil vom 27.4.2010, B 2 U 11/09 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 14, Rn. 20).

Auch die Unfallkausalität ist gegeben, denn das von außen auf den Körper einwirkende Ereignis des Eindringens des Keims hat den Gesundheitsschaden der Klägerin objektiv und rechtlich wesentlich verursacht. Zwar hat der Senat in dem Urteil vom 27.4.2010 auch klargestellt, dass die Unfallkausalität mangels Kausalzusammenhangs zu verneinen ist, wenn der Unfall allein wesentlich durch einen Behandlungsfehler eines Therapeuten oder des Pflegepersonals verursacht worden wäre. Unfälle, die allein wesentlich durch eine fehlerhafte Behandlung bei dem Erhalt ärztlich angeordneter Behandlungen verursacht werden, sind mangels Wesentlichkeit der Verrichtung des Versicherten für den Unfall keine Arbeitsunfälle. Dieses Risiko ist durch die private Arzt- bzw. Krankenhaushaftpflicht abzudecken. Hieran hält der Senat ausdrücklich fest.

Im vorliegenden Fall ist jedoch nach den Feststellungen des LSG ein solcher Behandlungsfehler zwar denkbare und mögliche Ursache der durch den Keim verursachten Meningitis, das LSG hat jedoch einen solchen konkurrierenden Kausalverlauf gerade nicht positiv feststellen können. Mithin war das Erhalten der Behandlung jedenfalls naturwissenschaftlich ursächlich für die Meningitis, auch wenn aufgrund der besonderen Konstellation der konkrete Infektionsweg nicht mehr feststellbar ist. Die passive Entgegennahme der Behandlung durch die Klägerin würde die Eigenschaft als wesentliche (versicherte) Ursache nur verlieren, wenn der nicht versicherte Behandlungsfehler die alleine wesentliche Ursache für die Infektion gewesen wäre. Dies bedeutet, dass die Möglichkeit eines ärztlichen (oder sonstigen der Klinik etwa durch Organisationsverschulden anzulastenden) Behandlungsfehlers als Ursache der Infektion als konkurrierende Ursachenfaktoren dargelegt und bewiesen werden müssen. Für diesen rechtsvernichtenden Einwand trägt die Beklagte die objektive Feststellungslast. Schließlich kam auch nicht die Erkrankung bzw. der allgemein geschwächte physiologische Zustand der Klägerin als frühgeborener Säugling als alternative wesentliche Ursache in Betracht. Die Krankheit als solche und der Krankheitsverlauf werden nicht vom Schutzzweck des § 539 Abs. 1 Nr. 17 a RVO erfasst. Hier steht jedoch nach den Feststellungen des LSG fest, dass vor dem Zeitpunkt der Infektion der Zustand der Klägerin stabil war und insofern keine "innere Ursache" für den konkreten Krankheitsverlauf vorlag. Das Ereignis war schließlich auch vom Schutzzweck der Norm des § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst a RVO umfasst. Diese soll den stationär versorgten Kranken vor den spezifischen Risiken schützen, die aus dem Krankenhausaufenthalt selbst resultieren.

Rechtsweg:

SG Düsseldorf, Urteil vom 08.04.2016 - S 16 U 173/13
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.09.2017 - L 15 U 326/16

Quelle:

Bundessozialgericht

Referenznummer:

R/R8109


Informationsstand: 19.07.2019