Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das angefochtene Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
LSG zurückzuverweisen ist. Die vom
LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch nicht aus.
Der vom Kläger verfolgte Anspruch auf Anerkennung der bei ihm bestehenden Lungenfibrose wie eine BK (Quasi-BK) und auf Entschädigung richtet sich noch nach den bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der RVO, da der als entschädigungspflichtig geltend gemachte Versicherungsfall jedenfalls vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Art 36 des Unfallversicherungs- Einordnungsgesetzes UVEG, § 212
SGB VII).
Nach § 551 Abs 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKVO bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs 1 RVO erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehören sowohl der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der nach den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO versicherten Tätigkeit als auch die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen. Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall zumindest hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK zu entschädigen ist. Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die BK-Liste aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 (nach In- Kraft-Treten der BKV nur noch "Anlage") zur BKVO noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten ( BSGE 79, 250, 251 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 mwN).
Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des
LSG (§ 163
SGG) erfüllt die vom Kläger geltend gemachte Krankheit nicht bereits die Merkmale einer in der Liste der Anlage 1 der BKVO bzw Anlage der BKV genannten BKen.
Das Tatbestandsmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung wäre hier dann als erfüllt anzusehen, wenn hinreichende Feststellungen in Form medizinischer Erkenntnisse dafür getroffen wären, dass die Personengruppe "Vollzeitelektroschweißer", zu der der Kläger nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen zu zählen ist, durch die Arbeit Einwirkungen ausgesetzt wäre, mit denen die übrige Bevölkerung nicht in diesem Maße in Kontakt käme (Einwirkungshäufigkeit) und die geeignet wäre, Lungenfibrosen hervorzurufen (generelle Geeignetheit). Das Erfordernis einer höheren Gefährdung bestimmter Personengruppen bezieht sich auf das allgemeine Auftreten einer Krankheit innerhalb dieser Gruppe. Auf eine Verursachung der Krankheit durch die gefährdende Tätigkeit im Einzelfall kommt es dabei nicht an. Ob eine Krankheit innerhalb einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder, um dann daraus schließen zu können, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt (BSGE 79, 250, 253 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 mwN; Brackmann/Krasney,
SGB VII, § 9 RdNr 46 mwN).
Ist im Ausnahmefall die gruppenspezifische Risikoerhöhung nicht mit der im Allgemeinen notwendigen langfristigen zeitlichen Überwachung derartiger Krankheitsbilder zum Nachweis einer größeren Anzahl gleichartiger Gesundheitsstörungen zu belegen, da etwa aufgrund der Seltenheit der Erkrankung medizinisch- wissenschaftliche Erkenntnisse durch statistisch abgesicherte Zahlen nicht erbracht werden können, kann zur Feststellung der generellen Geeignetheit der Einwirkung spezieller Noxen zur Verursachung der betreffenden Krankheit auch auf Einzelfallstudien, auf Erkenntnisse aus anderen Staaten, sowie auf frühere Anerkennungen entsprechender Krankheiten wie BKen nach § 551 Abs 2 RVO und damit zusammenhängende medizinisch- wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen werden (vgl BSGE 79, 250, 252 = SozR 3 aaO;
BSG, Beschluss vom 27. Mai 1997 - 2 BU 43/97 = HVBG-Info 1997, 2113 für den hier relevanten Fall einer Lungenfibrose bei einem Schweißer; Brackmann/Krasney, aaO).
Die gruppenspezifische Risikoerhöhung muss sich in jedem Fall letztlich aus "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" ( vgl § 551 Abs 2
iVm Abs 1 Satz 3 RVO) ergeben. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es muss sich um gesicherte Erkenntnisse handeln; nicht erforderlich ist, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner sind. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus (
BSG, Urteil vom 21. Januar 1997 - 2 RU 7/96 = HVBG-Info 1997, 1105; Brackmann/Krasney, aaO, RdNr 47 mwN).
Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, vermag der Senat anhand der berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht zu beurteilen. Zwar ist das
LSG zu der Überzeugung gelangt, dieser Tatbestand sei gegeben. Diese Feststellung kann der Senat seiner Entscheidung jedoch nicht zugrunde legen, weil sie in verfahrensfehlerhafter Weise zustande gekommen ist. Insoweit greift die auf § 103
SGG gestützte Verfahrensrüge der Beklagten durch.
Das
LSG hat seinen Feststellungen zur gruppentypischen Risikoerhöhung im Wesentlichen das im Verwaltungsverfahren von
Prof. Dr. W. erstattete Gutachten vom 3. Juli 1996 und ergänzend das vom SG eingeholte Gutachten des
Dr. S. vom 10. Juli 1998 zugrunde gelegt. Wie die Beklagte zutreffend geltend macht, reichen diese Beweismittel für die Annahme einer gruppenspezifischen Risikoerhöhung im obigen Sinne jedoch nicht aus. Nach den Umständen des vorliegenden Falles hätte sich das
LSG hinsichtlich dieser Frage zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen.
Eine Entscheidung kann nur dann auf Aussagen in einem Sachverständigengutachten gestützt werden, wenn dieses auf einer vollständigen Erfassung der tatsächlichen Grundlagen beruht sowie in sich widerspruchsfrei und schlüssig ist; es muss vollständig sein und alle Gesichtspunkte, auf die es im speziellen Zusammenhang ankommt, hinreichend abdecken. Erweisen sich die Ausführungen in einem Sachverständigengutachten als unklar, unverständlich oder unvollständig, ist das Tatsachengericht von Amts wegen verpflichtet (§ 103
SGG), eine weitere Sachaufklärung, etwa durch Herbeiführung einer Ergänzung bzw Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen oder durch Einholung eines weiteren Gutachtens, zu betreiben (
BSG SozR 2200 § 581 Nr 26; BVerwGE 71, 38, 45). Gelangt das Gericht in einem solchen Falle jedoch nicht zu einer entsprechenden weiteren Sachaufklärung, obwohl es sich hierzu angesichts der gesamten Umstände hätte gedrängt fühlen müssen, verletzt es seine Amtsermittlungspflicht nach § 103
SGG. Eine auf solchen Verfahrensfehlern beruhende Feststellung von Tatsachen entfaltet bei entsprechender Rüge keine Bindungswirkung nach § 163
SGG (
BSG SozR 1500 § 160 Nr 5;
BSG SozR 2200 § 581 Nr 26;
BVerwG aaO).
Das
LSG hätte hier nicht einfach ohne weitere Ermittlungen die entsprechenden Ausführungen in den Gutachten von
Prof. Dr. W. und
Dr. S. übernehmen und so zur Annahme einer gruppenspezifischen Risikoerhöhung bezüglich der Schweißertätigkeit zur Verursachung von interstitiellen Lungenfibrosen gelangen dürfen. Die Beklagte hat unter Verweis auf eine Entscheidung des SG Detmold (Urteil vom 17. September 1999 - S 14 U 50/97 = HVBG RdSchr VB 46/00) auf die seit Jahren kontrovers geführte, noch nicht abgeschlossene Diskussion zur gruppenspezifischen Risikoerhöhung und den deshalb bestehenden Mangel einer gefestigten herrschenden Ansicht in der medizinischen Wissenschaft und auf das zum selben Ergebnis kommende, auf ein Sachverständigengutachten aus dem Jahre 1999 gestützte Urteil des SG Heilbronn vom 24. Februar 2000 - S 6 U 1624/98 - hingewiesen. Das Berufungsgericht hätte sich - auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag - auch vor diesem Hintergrund und angesichts der Mängel der vorliegenden Sachverständigengutachten gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen zu den für die Ausfüllung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals erforderlichen Tatsachen anzustellen. Es hätte erkennen müssen, dass die maßgeblich in Bezug genommenen Ausführungen von
Prof. Dr. W. bzw von
Dr. S. unklar bzw unvollständig waren.
Anhand dieser Sachverständigengutachten ist nicht eindeutig nachvollziehbar, weshalb die Sachverständigen zur Annahme einer entsprechenden gruppenspezifischen Risikoerhöhung gelangen, da hierfür keine hinreichenden Grundlagen mitgeteilt werden. Zwar führt
Prof. Dr. W. in diesem Zusammenhang aus, erste Hinweise auf eine Assoziation zwischen Schweißrauch und Lungenfibrose seien bereits seit den 1950er Jahren bekannt und seitdem seien entsprechende Fallserien und Fallberichte veröffentlicht worden. Quellen hierfür, die eine kritische Überprüfung dieser Äußerung ermöglichen könnten, nennt
Prof. Dr. W. jedoch nicht. Aus seinem Gutachten, das - mit einer Ausnahme - weder über Literaturangaben in Fußnoten noch über ein Literaturverzeichnis verfügt, ergibt sich nicht, von welchen Wissenschaftlern oder Organisationen und zu welcher Zeit entsprechende Untersuchungen und Erhebungen angestellt worden sind (zur Notwendigkeit exakter Belegstellenangaben in medizinischen Gutachten bei umstrittenen Fragestellungen Marx/Klepzig, Basiswissen medizinische Begutachtung, 1998, S 64; vgl auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl, S 145). Ebenso wenig gibt das Gutachten Auskünfte numerischer Art, etwa zur Gruppengröße oder zur Krankheitshäufigkeit innerhalb der Gruppe bzw in der Gesamtbevölkerung.
Zwar kann es zur Feststellung einer gruppentypischen Risikoerhöhung nicht allein auf Methoden der Epidemiologie oder auf statistische Belege ankommen (Lauterbach/Koch,
SGB VII, § 9 RdNr 263 mwN), jedoch geben zahlenmäßige Übersichten - soweit vorhanden - im Sinne einer epidemiologischen Evidenz wertvolle Hinweise darauf, ob nun zB von einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und einer langfristigen zeitlichen Überwachung derartiger Krankheitsbilder ausgegangen werden kann oder ob - wofür hier vieles spricht (vgl Hessisches
LSG, Urteil vom 13. November 1996 - L 3 U 40/93 = HVBG-Info 1997, 1999) - nur ein vereinzelt vorkommendes Krankheitsbild vorliegt (vgl BSGE 59, 295, 299 = SozR 2200 § 551 Nr 27).
Aus solchen Angaben ergibt sich dann nämlich auch - für das Gericht nachvollziehbar - die Vorgehensweise bei der Ermittlung einer gruppentypischen Risikoerhöhung. Liegt umfangreiches Zahlenmaterial aus verschiedensten Veröffentlichungen vor, lässt sich unter Umständen bereits hieraus die gruppenspezifische Risikoerhöhung erkennen. Handelt es sich hingegen nur um vereinzelte Phänomene, ist eine Gruppentypik in anderer Form festzustellen.
Problematisch ist daher der Rückschluss, inwieweit sich zwischenzeitlich eine "herrschende" Meinung in der medizinischen Wissenschaft zu dieser Fragestellung gebildet hat. Zwar nimmt
Prof. Dr. W. in seinem Gutachten - insbesondere auch aufgrund der Studie von
Dr. Rösler ua vom Mai 1995 - für sich in Anspruch, die von ihm vertretene Auffassung sei die zu dieser Fragestellung herrschende. Da aber weder auf existierende Gegenmeinungen hingewiesen wird (vgl etwa Zober, ASP 1986, 89, 91; ders in Konietzko/Dupuis, Handbuch der Arbeitsmedizin, 1989,
IV-9.20.1 S 5) noch diese erörtert werden, ist das Gutachten an dieser Stelle erkennbar unvollständig.
Zu Recht weist in diesem Zusammenhang die Beklagte darauf hin, dass gerade im vorliegenden Fall wegen des Hinweises von
Prof. Dr. L. in seinem Schreiben vom 8. November 1995, eine gefestigte Lehrmeinung liege insoweit nicht vor, bereits für den Sachverständigen - und für das
LSG - hätte erkennbar sein müssen, dass in der hier relevanten Frage der gruppentypischen Risikoerhöhung durchaus verschiedene Auffassungen vertreten werden. Auch der Hinweis auf verbesserte Diagnosemethoden "in den letzten Jahren" vermag hier nicht die generelle Eignung einer Tätigkeit als Elektroschweißer zur Verursachung von Lungenfibrosen zu belegen, denn einerseits gibt der Sachverständige auch dafür keine überprüfbaren Nachweise an und andererseits weist er selbst darauf hin, dass die Entstehung einer Lungenfibrose eine Vielzahl von Ursachen haben kann.
Dem
LSG hätten sich daher auch zu diesem Aspekt weitere Ermittlungen zur Klarstellung bzw Ergänzung dieses Gutachtens durch
Prof. Dr. W. oder die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens aufdrängen müssen. Die Ausführungen von
Dr. S., auf die das
LSG seine Entscheidung ebenfalls stützt, können diese Mängel nicht ausgleichen. Zwar verweist
Dr. S. insoweit auf eine in der Literatur erschienene "Zusammenstellung der Weltliteratur" und auf Untersuchungen an 5.000 Lichtbogenschweißern und 500 Schweißern, die allerdings röntgenologisch keine sicheren Hinweise auf Lungenfibrosen erbracht hätten. Dennoch liege eine 1995 publizierte Untersuchung von
Prof. Dr. W. ua (= die oben zitierte Studie von Rösler ua) sechs Schweißer betreffend vor, bei denen zum einen eine langjährige Exposition gegenüber Schweißrauch unter ungünstigen Bedingungen bestanden habe und zum andern aber auch eine Lungenfibrose histologisch nachgewiesen sei. Eine eindeutige Begründung der von
Dr. S. daraus gezogenen Schlussfolgerung, Vollzeitelektroschweißer unterlägen einer gruppenspezifischen Risikoerhöhung, ist dieser Darstellung, zumal der Sachverständige selbst Gegenstimmen anführt, nicht zu entnehmen. Der Hinweis auf die Anerkennung jeweils einer entsprechenden Quasi- BK in den Jahren 1995 und 1996 durch einen Unfallversicherungsträger allein kann - obwohl die Heranziehung von vorangegangenen Anerkennungen durchaus ein geeignetes Mittel zur Feststellung der gruppenspezifischen Risikoerhöhung in selten vorkommenden Fällen ist - jedoch vor dem Hintergrund der von ihm selbst in Ansätzen dargelegten Kontroverse nicht mehr ausschlaggebendes Indiz für die Annahme des Tatbestandsmerkmals sein.
Durch die Kontroverse (vgl dazu
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. November 2000 - L 10 U 4773/98 = HVBG RdSchr VB 024/ 2001, Bl 11 des Urteilsumdrucks) wird nämlich deutlich, dass es eine breitere wissenschaftliche Auseinandersetzung gibt; erst eine sich daraus ergebende vorherrschende Meinung ist aber geeignet, das hier in Rede stehende Tatbestandsmerkmal auszufüllen. Schließlich ist bei einem solch kontroversen Meinungsstand auch der Hinweis auf eine Kommentarstelle ohne Untersuchung der dieser zugrundeliegenden Tatsachen zum Beleg einer generellen Geeignetheit nicht geeignet. Aus alledem folgt, dass die Ausführungen sowohl im Gutachten von
Prof. Dr. W. als auch von
Dr. S. bezüglich der Frage einer sich aus medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen ableitbaren gruppentypischen Risikoerhöhung bei Vollzeitelektroschweißern hinsichtlich interstitieller Lungenfibrosen unvollständig und so nicht nachvollziehbar sind.
Das Berufungsgericht hat daher entsprechende Ermittlungen - wie oben dargestellt - nachzuholen. Bereits aus diesem Grunde war die Sache an das
LSG zurückzuverweisen.
Aber selbst wenn man das Tatbestandsmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung aus § 551 Abs 1 Satz 3 RVO als erfüllt ansieht, kann hier die Anerkennung und Entschädigung einer Krankheit wie eine BK nur dann in Betracht kommen, wenn sich die diesbezüglich gewonnenen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse als "neu" iS von § 551 Abs 2 RVO erweisen. Ob dies der Fall ist, kann der Senat anhand der berufungsgerichtlichen Feststellungen nicht beurteilen. Diese sind unter Verstoß gegen §§ 103, 128 Abs 1
SGG zustandegekommen, was von der Revision ebenfalls ausdrücklich gerügt worden ist.
Grundsätzlich sind medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse dann "neu" iS von § 551 Abs 2 RVO, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch - dies ist im Zweifel der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - feststeht (BSGE 79, 250, 253 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9;
BSG, Urteil vom 21. Januar 1997 - 2 RU 7/96 -, HVBG-Info 1997, 1105; vgl nunmehr ausdrücklich § 9 Abs 2
SGB VII), dass sie bei der letzten Änderung der BKV - für den vorliegenden Fall ist auf den Erlass der BKV am 1. Dezember 1997 abzustellen - noch nicht berücksichtigt wurden. Dies ist stets der Fall, wenn die Erkenntnisse erst nach Erlass der letzten BKVO bzw etwaiger Änderungsverordnungen bekannt geworden sind (BSGE 21, 296, 298 = SozR Nr 1 zu § 551 RVO).
Nicht berücksichtigt vom Verordnungsgeber und somit "neu" sind aber auch diejenigen medizinisch- wissenschaftlichen Erkenntnisse, die trotz Vorhandenseins bei Erlass der letzten BKV oder einer Änderungsverordnung vom Verordnungsgeber entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erkennbar geprüft worden sind. Als neu in diesem Sinne gelten daher solche medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr, die nach erkennbarer Prüfung vom Verordnungsgeber als noch unzureichend bewertet wurden und deswegen eine Aufnahme der betreffenden Krankheit in die BK-Liste scheitert (
BSG SozR 3- 2200 § 551 Nr 14; BSGE 44, 90, 93, 94 = SozR 2200 § 551 Nr 9). Allerdings erweisen sich dann solche bereits überprüften Erkenntnisse wiederum als neu, wenn sie sich nach diesem Zeitpunkt zusammen mit weiteren, später hinzukommenden Erkenntnissen zur BK-Reife verdichtet haben (BSGE 59, 295, 301 = SozR 2200 § 551 Nr 27; BSGE 72, 303, 305 = SozR 3-2200 § 551 Nr 3;
BSG, Urteil vom 27. Mai 1997 - 2 RU 33/96 = HVBG-Info 1997, 2107).
Eine derartige Verdichtung ist anzunehmen, wenn dem Verordnungsgeber ausreichende, regelmäßig von einer herrschenden Meinung getragene medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die geeignet wären, die Einführung einer neuen BK iS von § 551 Abs 1 Satz 2 RVO bzw jetzt § 9 Abs 1 Satz 2
SGB VII zu tragen (BSGE 84, 30, 35 = SozR 3-2200 § 551 Nr 12;
BSG, Urteil vom 21. Januar 1997 - 2 RU 7/96 = HVBG-Info aaO). Ob und gegebenenfalls inwieweit sich der Verordnungsgeber mit der betreffenden Krankheit und der zu ihr bestehenden wissenschaftlichen Erforschung befasst hat, welche Erkenntnisse er überhaupt berücksichtigen konnte und welche Entscheidungen eventuell diesbezüglich bereits getroffen wurden (entweder eine Ablehnung der Aufnahme in die BK-Liste wegen unzureichender Erkenntnisse oder die beabsichtigte Aufnahme in die BK-Liste oder praktisch keine Entscheidung trotz Befassung des Sachverständigenbeirates bei dem BMA mit den vorliegenden Erkenntnissen), kann - sofern vorhanden - an der Veröffentlichung von Empfehlungen des Beirates im Bundesarbeitsblatt abgelesen werden (vgl hierzu Lauterbach/Koch,
SGB VII, § 9 RdNr 281). Ist jedoch zu dem betreffenden Krankheitsbild noch keine Empfehlung des Sachverständigenbeirats veröffentlicht worden, kann Art und Umfang der Befassung des Verordnungsgebers in erster Linie durch Einholung einer aussagekräftigen und detaillierten sachverständigen Auskunft festgestellt werden.
In gleicher Weise bieten sich zu diesem Zweck die Beiziehung der Protokolle von Ausschusssitzungen (vgl
BSG, Urteil vom 21. Januar 1997 aaO) und - falls dies noch nicht zu genügender Klarheit führt - schließlich auch die Vernehmung von Mitgliedern des Sachverständigenbeirates als Zeugen an.
Ergibt sich bei diesen Feststellungen, dass sich der Verordnungsgeber erkennbar mit den betreffenden Erkenntnissen befasst und diese als unzureichend für die Einführung einer BK abgelehnt hat, ist die Anerkennung und Entschädigung einer Krankheit wie eine BK durch Verwaltung und Gerichte ausgeschlossen (BSGE 79, 250, 254 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 mwN). Liegen dem Verordnungsgeber hingegen medizinisch- wissenschaftliche Erkenntnisse vor und finden auch aktive Beratungen zu der Frage statt, ob aufgrund dieser Erkenntnisse eine Empfehlung zur Aufnahme in die BK-Liste ergehen soll, ist davon auszugehen, dass diese Erkenntnisse für die Dauer des Entscheidungsprozesses einer Beurteilung der für die Anerkennung und Entschädigung einer Quasi-BK zuständigen Stelle entzogen sind; dh es tritt insoweit eine "Sperrwirkung" ein (
BSG, Urteil vom 31. Januar 1984 - 2 RU 67/82 = HVBG RdSchr VB 53/84;
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. November 2000 - L 10 U 4773/ 98 = HVBG RdSchr VB 024/2001 mwN zur Literatur). Zwar ergibt sich der Eintritt einer solchen Sperrwirkung nicht unmittelbar aus dem Regelungswortlaut (vgl etwa Mehrtens/Perlebach, BKVO, § 9 RdNr 7;
LSG Niedersachsen, Urteil vom 17. März 1994 - L 3 U 131/92 = HVBG-Info 1994, 1966). Jedoch rechtfertigt sich eine iS der Sperrwirkung einschränkende Auslegung des § 551 Abs 2 RVO einerseits aus gesetzessystematischen und andererseits auch aus praktischen Gründen. Die Regelungen des § 551 Abs 1 und 2 RVO werden vom Prinzip des Entscheidungsvorbehalts des Verordnungsgebers getragen.
Das bedeutet, dass im Grundsatz nur vom Verordnungsgeber in die Liste aufgenommene Berufskrankheiten entschädigt werden können und nur ausnahmsweise eine Anerkennung und Entschädigung wie eine BK in Betracht kommt (
BSG SozR 3-2200 § 551 Nr 14 mwN). Damit ist es dann vereinbar - und das gilt auch für die Einführung einer möglichen Rückwirkungsvorschrift (BSGE 72, 303, 305 = SozR 3-2200 § 551 Nr 3) -, dass der Versicherte, der ohnehin jederzeit damit rechnen muss, dass der Verordnungsgeber eine ihm günstige oder ungünstige Entscheidung trifft, für die zeitlich begrenzte Dauer der Beratungsphase keine ihm positive Entscheidung über die Anerkennung der jeweiligen Quasi-BK erwarten kann. Denn für den Fall, dass der Sachverständigenbeirat nach Abschluss der Beratungen dem Verordnungsgeber empfiehlt, die betreffende Krankheit in die BK-Liste aufzunehmen, kommt die Anerkennung als Quasi-BK wieder in Betracht. Wird der Verordnungsgeber im Anschluss an die Beratungen selbst tätig und nimmt die Krankheit in die Liste auf, ist ebenfalls eine Anerkennung, nunmehr im Rahmen des § 551 Abs 1 RVO (bzw nunmehr § 9 Abs 1
SGB VII), möglich.
Ergeben die Beratungen, dass die K-Reife noch nicht gegeben ist, scheidet eine Anerkennung ohnehin aus, so dass der Versicherte auch für den Fall, dass ihm gegenüber bereits während der Beratungen mit Hinweis darauf eine negative Entscheidung ergeht, kein Nachteil entsteht. Als zweckmäßig erweist sich eine solche Vorgehensweise deshalb, weil etwa im Zeitraum der Beratungen dem Versicherten gegenüber ausgesprochene positive Verwaltungsentscheidungen bei einer anders lautenden Empfehlung oder einer Nichtaufnahme in die BK-Liste nur mit erheblichem Aufwand wieder geändert werden könnten ( vgl dazu Jung, SGb 2002, 1 ff mwN).
Dies kann allerdings nur so lange gelten, wie die Beratungen aktiv betrieben werden und ein Abschluss der Beratungen innerhalb einer sozial verträglichen Zeitspanne zu erwarten ist. Werden aber aufgenommene Beratungen vom Sachverständigenbeirat nicht fortgeführt, ruhen also und sind ohne erkennbares Ergebnis abgebrochen worden, wird deutlich, dass der Verordnungsgeber von dem ihm zustehenden Vorrang keinen Gebrauch machen will. In einem solchen Fall lebt die Pflicht des Versicherungsträgers, über geltend gemachte Ansprüche auf Anerkennung von Quasi-BKen und damit letztlich auch über die Frage des Vorliegens neuer Erkenntnisse zu entscheiden, wieder auf. Wollte der Verordnungsgeber die Beurteilung weiter in seinem Zuständigkeitsbereich belassen, wäre der Sachverständigenbeirat nicht gehindert, die vorliegenden Erkenntnisse als noch nicht ausreichend zu qualifizieren und dadurch die Beratungen einstweilen zumindest zum Abschluss zu bringen (Brackmann/Krasney,
SGB VII, § 9 RdNr 48; Lauterbach/Koch,
SGB VII, § 9 RdNr 290).
Welche Zeitspannen nun für die jeweiligen Beratungen des Sachverständigenausschusses als noch sozial verträglich anzusehen sind und welche Aktivitäten im Sachverständigenbeirat bzw bei dem Verordnungsgeber stattfinden müssen, um noch von aktiv betriebenen Beratungen sprechen zu können, ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig (vgl BSGE 85, 24, 30 = SozR 3-2200 § 551 Nr 13).
Die hier zur Frage der "Neuheit" der Erkenntnisse vom
LSG herangezogenen Beweismittel - die Gutachten von
Prof. Dr. W. und
Dr. S. sowie die Auskünfte des BMA vom 31. Oktober 1998 und vom 8. Dezember 2000 - sind in ihrer Aussagekraft unvollständig, zumindest aber nicht eindeutig. Deshalb reichen sie zum Beweis ohne weitere Ermittlungen nicht aus. Dem
LSG hätte es sich nach den bereits oben zur Behandlung von Sachverständigengutachten dargelegten Grundsätzen, die sinngemäß auch für die Erforschung des Aussagegehaltes behördlicher Auskünfte gelten, aufdrängen müssen, weitere und insbesondere detailliertere Ermittlungen anzustellen. Auch insoweit liegt ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103
SGG) vor.
Da bereits die genannten Gutachten - wie oben dargelegt - keine hinreichende Auskunft zu der Fragestellung geben, ob sich zwischenzeitlich hinsichtlich der Gruppentypik eine überwiegende Meinung unter den betreffenden medizinischen Fachwissenschaftlern gebildet hat, kann diesen Gutachten nicht einmal im Ansatz entnommen werden, ob bestimmte Erkenntnisse "neu" iS von § 551 Abs 2 RVO sind. Dies wird zwar so von beiden Sachverständigen behauptet; eine nachvollziehbare Begründung unter Anführung von Belegstellen wird hingegen nicht mitgeteilt. Es mangelt insbesondere an einer - hier unerlässlichen - konkreten Datierung. Soweit das
LSG zur Frage der "Neuheit" ebenfalls noch auf die Studie von Rösler ua aus dem Jahre 1995 abstellt, hätte auch hier wegen des Vorliegens anderweitiger Anhaltspunkte eine weitere Nachforschung auf der Hand gelegen.
Zudem hätten sich auch gerade - und dies wird von der Beklagten zu Recht gerügt - im Hinblick auf die Auskünfte des BMA weitere Ermittlungen aufdrängen müssen, da diese Erklärungen teilweise in ihrem Sinngehalt zumindest mehrdeutig sind. Eindeutig kommt zwar in beiden Auskünften zum Ausdruck, dass seitens des Verordnungsgebers die Frage des Zusammenhangs zwischen der Tätigkeit als Schweißer und dem Auftreten einer Lungenfibrose aus Anlass der Änderung der BKV im Jahre 1997 nicht geprüft worden sei. Eine gewisse Mehrdeutigkeit beider Auskünfte besteht jedoch darin, dass einerseits mitgeteilt wird, es lägen keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, andererseits aber davon die Rede ist, der Verordnungsgeber habe Beratungen aufgenommen, die aber wieder ruhten. Es hätte an dieser Stelle zumindest klargestellt werden müssen, weshalb das BMA das Vorliegen neuer Erkenntnisse ausschließt und was es unter dem Begriff des Ruhens versteht.
Es wäre nämlich möglich, dass das BMA das Vorliegen neuer Erkenntnisse deshalb verneint hat, weil es trotz angeblichen Ruhens der Beratungen weiterhin von seinem Entscheidungsvorrang ausgeht. Es läge aber auch nahe, dass das BMA den Ausdruck des Ruhens dafür verwendet, dass die Beratungen zunächst mit negativem Ergebnis abgebrochen wurden, jedoch jederzeit wieder aufgenommen werden können, ohne dass bereits ein konkreter Zeitpunkt hierfür feststünde. Daher wäre aber auch eine ungeprüfte Übernahme der Aussage, es lägen keine neuen Erkenntnisse vor, im Sinne der Beklagten, die in den Auskünften des BMA bereits eine ablehnende Zwischenentscheidung sieht, ausgeschlossen. Jedenfalls hätte hier eine weitere Aufklärung erhebliche Auswirkungen für die Frage nach dem Grad der Befassung des Verordnungsgebers mit etwaigen medizinischen Erkenntnissen.
Auch der Verweis des
LSG auf die Ausführungen des Hessischen
LSG im Urteil vom 13. November 1996 (L 3 U 40/93 = HVBG-Info 1997, 1999) zu einer seit 1992 eingetretenen BK-Reife vermag die damit offenbar gewordene Beweislücke nicht zu schließen. Aus den Ausführungen des Hessischen
LSG ergibt sich nichts zum Stand der unzweifelhaft seit 1996 geführten Beratungen bei dem Verordnungsgeber. Ob tatsächlich von einem Ruhen der Beratungen "seit längerer Zeit" ohne erkennbares Ergebnis auszugehen ist, erscheint - wie von der Beklagten eingewandt - vor dem Hintergrund der dem
LSG ebenfalls bekannten Ausführungen des
LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 23. November 2000 - L 10 U 4773/98 = HVBG RdSchr VB 024/2001) zumindest zweifelhaft. Das
LSG Baden- Württemberg erwähnt nämlich, dass ihm das BMA mitgeteilt habe, die Zusammenhangsfrage werde seit September 1996 geprüft. Zwar hat das BMA dem
LSG Baden-Württemberg gegenüber offenbar ebenfalls angegeben, die Beratungen ruhten "seit längerer Zeit"; dennoch lässt sich aus alledem nicht ohne weiteres der eindeutige Schluss auf einen ergebnislosen Abbruch der Beratungen ableiten. Erst in einem solchen Fall aber wäre das
LSG nicht daran gehindert, entsprechende Erkenntnisse als "neu" iS des § 551 Abs 2 RVO zu bewerten.
Das
LSG wird nunmehr die genannten fehlenden Feststellungen zur Gruppentypik und ggf zur Neuheit der Erkenntnisse nachzuholen und unter Beachtung der hier festgelegten Grundsätze neu zu entscheiden haben. Auf die Revision der Beklagten war daher das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 1
SGG).
Das
LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.