Der Kläger wendet sich gegen die erneute Herabsetzung seiner Verletztenrente durch die beklagte Berufsgenossenschaft (
BG).
Bei dem 1935 geborenen Kläger, der seit 1964 als Autolackierer gearbeitet hatte, wurde im September 1987 ein Bronchialkarzinom entdeckt, aufgrund dessen ihm ein Teil des linken Lungenoberlappens entfernt wurde. Nach Beiziehung von ärztlichen Unterlagen und Gutachten, insbesondere von
Dr. M., erkannte die Beklagte eine Erkrankung durch Chrom oder seine Verbindungen als Berufskrankheit (BK) Nr 1103 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) sowie als deren Folge "Entfernung des linken Lungenoberlappens infolge Zinkchromat-Exposition. Missempfindungen an der linken oberen Thoraxseite" an und bewilligte eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (
MdE) von 100 vH als Dauerrente (Bescheid vom 5. Februar 1991). Aufgrund eines Gutachtens von
Dr. M. vom 28. Dezember 1992, in dem dieser keine relevante Lungenfunktionsbeeinträchtigung, wohl aber eine erhebliche psychische Belastung des Klägers aufgrund der Erkrankung feststellte, setzte die Beklagte die Rente auf eine
MdE von 60 vH herab, weil nach fünfjähriger Beobachtung kein Rezidiv des Lungenkrebses mehr aufgetreten sei (Bescheid vom 23. Februar 1993).
Nach Eingang weiterer ärztlicher Unterlagen und Einholung eines Gutachtens sowie zweier Stellungnahmen von
Dr. R., der im Vergleich zum Vorgutachten eine leichtgradige Restriktion, aber sonst keine Änderung feststellte und die
MdE zunächst auf 40 und später auf 30 vH schätzte, hörte die Beklagte den Kläger zunächst zu einer Herabsetzung der
MdE auf 40 vH und dann zu einer Herabsetzung auf 20 vH an.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2000 setzte die Beklagte die Verletztenrente auf eine
MdE von 20 vH ab 1. Februar 2000 herab mit der Begründung, es sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten, da nach über zehnjähriger Beobachtung kein Rezidiv des Lungenkrebses mehr aufgetreten sei und die konkreten Funktionsbeeinträchtigungen nicht mit einer höheren
MdE zu bewerten seien ( Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2000).
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht Ulm (SG) hat den Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben (Urteil vom 28. März 2001). Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (
LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 27. Februar 2003) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Grundlage für den Rentenanspruch des Klägers sei der letzte bindende Bescheid vom 23. Februar 1993. Die Voraussetzungen für eine Änderung dieses Bescheides gemäß § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (
SGB X) seien nicht erfüllt, da der Nachweis einer Besserung in den Verhältnissen, für den die Beklagte die objektive Beweislast trage, nicht geführt sei. Denn eine wesentliche Änderung in der die Höhe der Verletztenrente bestimmenden
MdE sei nicht festzustellen. Die Grundlagen für die Bemessung der
MdE hätten sich trotz des zwischenzeitlichen Wechsels von der Reichsversicherungsordnung (RVO) zum Siebten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (
SGB VII) nicht geändert. Maßgebend sei der Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die BK verursachten verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2
SGB VII). Eine Besonderheit bestehe vorliegend darin, dass die
MdE einer Krebserkrankung, mithin einer zu Rezidiven neigenden Erkrankung, zu bewerten sei. Im Versorgungs- und im Schwerbehindertenrecht sei bei solchen Erkrankungen die
MdE zunächst höher zu bewerten, als es die funktionellen Einschränkungen allein rechtfertigten. Erst nach Ablauf einer mehr oder weniger langen Zeit der "Heilungsbewährung" sei, wenn kein Rezidiv aufgetreten sei, die
MdE nur noch nach den Funktionsausfällen zu bemessen. Dieser Ablauf der Heilungsbewährung allein stelle eine wesentliche Änderung iS des § 48
SGB X dar. Eine vergleichbare Regelung gebe es für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht. Auch wenn die
MdE-Bewertung in der gesetzlichen Unfallversicherung anderen Kriterien als die Bewertung der
MdE im Versorgungsrecht oder die des Grades der Behinderung (
GdB) im Schwerbehindertenrecht folge, sei es zulässig, wenn die Unfallversicherungsträger bei Krebserkrankungen, die zu Rezidiven neigten, für eine Zeit der Heilungsbewährung eine höhere
MdE ansetzten, als dies die ansonsten festzustellenden Funktionseinschränkungen rechtfertigten. Die Beeinträchtigungen durch das Bewusstsein des Rezidivrisikos und eine ggf erforderliche Schonung wirkten sich auch auf das Erwerbsleben aus. Es sei daher nicht zu beanstanden, dass die Beklagte dem Kläger zunächst eine Verletztenrente nach einer
MdE von 100 vH gewährt habe und diese dann durch Bescheid vom 23. Februar 1993 nach fünf Jahren auf 60 vH herabgesetzt habe, weil kein Rezidiv aufgetreten sei. Die erneute Herabsetzung der
MdE durch die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 27. Januar 2000 allein mit dem Argument Heilungsbewährung sei jedoch nicht gerechtfertigt. Eine nochmalige Heilungsbewährung gebe es auch nicht im Versorgungs- und Schwerbehindertenrecht. Die vorliegenden Gutachten enthielten auch keinen Besserungsnachweis hinsichtlich der konkreten Funktionseinschränkungen. Zudem habe der Bescheid vom 23. Februar 1993 keinerlei Hinweis darauf enthalten, dass die Rente noch aus Gründen der Heilungsbewährung an sich zu hoch sei, während dies dem Kläger für die Rentengewährung vorher bekannt gewesen sei.
Mit der vom
LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Sie macht geltend, der Auffassung des
LSG könne nicht gefolgt werden, dass eine erneute Herabstufung der
MdE allein mit dem Argument der Heilungsbewährung und des weiteren Zeitablaufs nicht gerechtfertigt sei. Nach dem Beschluss des Senats vom 30. Juli 1985 - 2 BU 83/85, der an die Rechtsprechung zum Versorgungsrecht (BSGE 17, 63 f = SozR Nr 17 zu § 62 BVG) anknüpfe, könne in dem jahrelangen Inaktivbleiben einer ihrer Natur zu Rückfällen neigenden Krankheit eine wesentliche Änderung der Verhältnisse liegen. Eine ausschließlich an den objektivierbaren Funktionsausfällen ausgerichtete
MdE-Bewertung bereits nach einer Frist von fünf Jahren laufe im Übrigen den berechtigten Interessen des Klägers zuwider.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Februar 2003 und des Sozialgerichts Ulm vom 28. März 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil des
LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
LSG zurückzuverweisen ist. Die vom
LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung über die zwischen den Beteiligten umstrittene erneute Herabsetzung der Verletztenrente des Klägers nicht aus.
Voraussetzung für die Herabsetzung der Verletztenrente des Klägers ist ua das Vorliegen einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des die Verletztenrente bewilligenden Verwaltungsaktes vorgelegen haben (§ 48 Abs 1 Satz 1
SGB X). Bei der Feststellung der
MdE ist eine solche wesentliche Änderung nur gegeben, wenn die Änderung mehr als 5 vH beträgt und bei Renten auf unbestimmte Zeit - wie vorliegend - länger als drei Monate andauert (§ 73 Abs 3
SGB VII).
Die
MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens ( § 56 Abs 2 Satz 1
SGB VII in Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung: BSGE 63, 207, 209 = SozR 2200 § 581 Nr 28 mwN, vgl BT-Drucks 13/2204 S 90). Die Bemessung der
MdE hängt also von zwei Faktoren ab: Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (BSGE 6, 267, 268 = SozR Nr 25 zu § 128
SGG; SozR 2200 § 581 Nr 6). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der
MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (
BSG SozR 2200 § 581 Nr 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr 5 mwN; Burchardt in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung,
SGB VII Stand: Januar 2004, § 56 RdNr 67 ff). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der
MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden (
BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8). Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der
MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der
MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (
BSG aaO; Burchardt aaO).
Vom
GdB im Schwerbehindertenrecht, der sich nach der früheren Formulierung an dem durch regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustände verursachten Umfang der Funktionsstörungen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (vgl die offizielle Bezeichnung und § 3 Abs 1 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft <Schwerbehindertengesetz>; BSGE 82, 176 = SozR 3- 3870 § 4 Nr 24) und nach der heutigen Formulierung an den Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft orientiert (§ 69 Abs 1 Satz 3 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -
SGB IX), ist die
MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung, die auf die durch die Folgen des Versicherungsfalls verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens abstellt, grundsätzlich zu unterscheiden (
BSG SozR 2200 § 551 Nr 15, 23 jeweils mwN, Burchardt, aaO § 56 RdNr 72a, 88). Darüber hinaus gibt es im Schwerbehindertenrecht und im sozialen Entschädigungsrecht bindend vorgeschriebene Mindestvomhundertsätze für den
GdB bzw die
MdE für erhebliche äußere Körperschäden (vgl § 69 Abs 2 Satz 4
SGB IX, § 30 Abs 1 Satz 6 des Bundesversorgungsgesetzes <BVG> sowie die dazu ergangene Verwaltungsvorschrift Nr 5 zu § 30 BVG), die für die gesetzliche Unfallversicherung nicht gelten. Dass die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, 2004, im Folgenden: Anhaltspunkte) für die gesetzliche Unfallversicherung nicht nur aufgrund ihres Titels, sondern aufgrund des geschilderten anderen Bemessungsansatzes nicht unmittelbar gelten, entspricht der Rechtsprechung des Senats (
BSG SozR 2200 § 581 Nr 27 S 93; BSGE 82, 212, 216 = SozR 3-2200 § 581 Nr 5 S 17 f).
Daraus folgt nicht, dass die Gesichtspunkte, die der Rechtsprechung zur Heilungsbewährung im sozialen Entschädigungs- und im Schwerbehindertenrecht zugrunde liegen, in der gesetzlichen Unfallversicherung keine Berücksichtigung finden können. Diese sind vielmehr in der gesetzlichen Unfallversicherung entsprechend anzuwenden, soweit dies mit dem oben dargestellten Begriff der
MdE gemäß § 56 Abs 2
SGB VII im Einklang steht.
In einer zum Versorgungsrecht ergangenen Entscheidung hat das Bundessozialgericht <
BSG> (BSGE 17, 63, 64 = SozR Nr 17 zu § 62 BVG) erstmals dargelegt, dass bei einer Erkrankung, die zu Rückfällen neigt - im dortigen Fall eine Lungentuberkulose - erst nach Ablauf einer Bewährungsfrist von einer gesicherten Heilung ausgegangen werden kann. In dem jahrelangen Inaktivbleiben einer vorher aktiven und zu Rückfällen neigenden Krankheit liege ein Übergang vom Stadium der Aktivität zu dem der Inaktivität, der eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des damaligen § 62 Abs 2 BVG begründe. Dem hat sich der erkennende Senat in zwei Beschlüssen vom 11. Dezember 1980 - 2 BU 227/79 - und vom 30. Juli 1985 - 2 BU 83/85 - grundsätzlich angeschlossen.
Nach den Anhaltspunkten Nr 18 (7) sind Gesundheitsstörungen, die erst in der Zukunft zu erwarten sind, bei der
GdB/
MdE-Beurteilung nicht zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit des Abwartens einer Heilungsbewährung bei Gesundheitsstörungen, die zu Rezidiven neigen, stelle eine andere Situation dar; während der Zeit des Abwartens einer Heilungsbewährung sei ein höherer
GdB/
MdE-Wert, als er sich aus dem festgestellten Schaden ergibt, gerechtfertigt. Außerdem wird unter Nr 24 (3) ausgeführt: "Nach der Behandlung von Krankheiten, die zu Rezidiven neigen (zB bösartige Geschwulstkrankheiten, chronische Osteomyelitis), und nach Transplantationen innerer Organe ist bei der Herabsetzung des
GdB/
MdE-Grades Zurückhaltung zu üben. Auch bei gleich bleibenden Symptomen ist eine Neubewertung später zulässig, weil die Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellt." Unter Nr 26.1 (3) heißt es: "Nach Transplantationen innerer Organe und nach der Behandlung bestimmter Krankheiten, die zu Rezidiven neigen, ist bei der
GdB/
MdE-Bemessung eine Heilungsbewährung abzuwarten. Insbesondere gilt dies bei malignen Geschwulstkrankheiten. ... Der Zeitraum des Abwartens einer Heilungsbewährung beträgt in der Regel fünf Jahre." Eine weitergehende Begründung für diese Bewertungsgrundsätze ist den Anhaltspunkten nicht zu entnehmen.
Dass zu Rezidiven neigende Erkrankungen, insbesondere wenn es sich um lebensbedrohende Erkrankungen wie im vorliegenden Fall handelt, zu Beeinträchtigungen führen, die über die reine Funktionseinschränkung des betroffenen Organs hinausgehen und sich auf das Erwerbsleben auswirken, hat das
LSG zutreffend ausgeführt. Dies ist auch der einschlägigen Literatur zu entnehmen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl 2003, S 1181; Woitowitz, MedSach 97 (2001), 66 ff; vgl auch Jäger, MedSach 90 (1994), 47 ff mwN). Bei derartigen Erkrankungen sind bei der Schätzung der
MdE entsprechend den Verhältnissen des Einzelfalls ggf bestehende besondere Aspekte der Genesungszeit wie das Vorliegen einer Dauertherapie, ein Schmerzsyndrom mit Schmerzmittelabhängigkeit, Anpassung und Gewöhnung an den ggf reduzierten Allgemeinzustand, die notwendige Schonung zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes, psychische Beeinträchtigungen ( Antriebsarmut, Hoffnungslosigkeit), soziale Anpassungsprobleme usw, die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit haben, wie auch sonst bei der
MdE-Bewertung zu berücksichtigen (vgl zur Anpassung und Gewöhnung:
BSG SozR Nr 3 zu § 608
aF RVO; zu psychischen Beeinträchtigungen: BSGE 18, 173, 175 = SozR Nr 61 zu 542 RVO; zu mittelbaren Unfallfolgen allgemein: BSGE 1, 254, 256).
Für eine Art "Risikozuschlag" oder "Gefährdungs-
MdE" wegen der Prognoseunsicherheiten hinsichtlich der Entwicklung der Krankheit ist in der auf die verminderten Arbeitsmöglichkeiten bezogenen
MdE-Schätzung in der gesetzlichen Unfallversicherung kein Raum, weil auf die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und erst in Zukunft möglicherweise eintretende Schäden grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind (
BSG SozR 2200 § 581 Nr 6). Allerdings ist eine schon bestehende Rückfallgefahr, die bereits vor dem Eintritt des eigentlichen Rückfalls die Erwerbsfähigkeit mindert, bei der Bemessung der gegenwärtigen
MdE zu berücksichtigen (
BSG vom 15. Dezember 1966 - 2 RU 29/65 -, SGb 1967, 539, 541). Dies gilt auch für die anderen genannten Aspekte und ist bei der
MdE-Bewertung zu beachten. Ebenso wenig wie jedoch das allgemeine Rezidivrisiko eine pauschale
MdE-Erhöhung zu begründen vermag, sondern nur besondere Aspekte der Genesungszeit, führt der bloße Ablauf einer bestimmten rezidivfreien Zeit in der gesetzlichen Unfallversicherung automatisch zu einer
MdE-Herabsetzung. Es bedarf vielmehr einer Besserung der zuvor der
MdE-Bemessung zugrunde gelegten Funktionsbeeinträchtigungen bzw besonderen Aspekte, die die Erwerbsfähigkeit beeinflussen. Dies wird schon in dem Beschluss des Senats vom 11. Dezember 1980 - 2 BU 227/79, der von einer Konsolidierung der gesundheitlichen Folgen der BK ausgeht, deutlich. Soweit der Beschluss vom 30. Juli 1985 - 2 BU 83/85 - ohne weitere Begründung im Wesentlichen auf den reinen Zeitablauf abstellt, wird daran nicht festgehalten.
Inwieweit in der gesetzlichen Unfallversicherung sowohl für die
MdE-Heraufsetzung aufgrund typischer besonderer, die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender Aspekte in der Genesungszeit bei zu Rezidiven neigenden Erkrankungen als auch für die Herabsetzung und die dabei zu berücksichtigenden Zeiten gewisse Pauschalierungen möglich und angezeigt sind (vgl Keller, SGb 2002, 36, 40 ff, der eine Vereinheitlichung und interdisziplinäre Abstimmung anmahnt), ist eine Tatsachenfrage. Ebenso kann für die vorliegende Entscheidung dahingestellt bleiben, ob der Unfallversicherungsträger - wofür manches spricht - vergleichbar der Rechtslage im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht (vgl Nr 10 <10> der Anhaltspunkte) gehalten ist, einen klarstellenden Hinweis in den Bewilligungsbescheid aufzunehmen, wenn er die
MdE wegen besonderer Aspekte der Genesungszeit zunächst höher bewertet als es aufgrund der reinen Funktionsbeschränkung gerechtfertigt wäre.
Da es sich bei der
MdE-Erhöhung im Unfallversicherungsrecht nicht um eine Heilungsbewährung iS des sozialen Entschädigungsrechts oder Schwerbehindertenrechts handelt, sondern um eine Berücksichtigung besonderer Aspekte in der zum Teil sehr langen Genesungszeit bei zu Rezidiven neigenden Erkrankungen, ist kein Raum für eine schematische Übertragung der Grundsätze über die Heilungsbewährung. Dies bedeutet nicht, dass bestimmte in den Anhaltspunkten niedergelegte Erkenntnisse über die Entwicklung der entsprechenden Erkrankungen und ihrer Begleitumstände nicht berücksichtigt werden dürften. Jedoch ist immer der oben dargelegte grundsätzliche Unterschied zur gesetzlichen Unfallversicherung zu beachten.
Daher ist es rechtlich nicht zwingend, die Genesungszeit in der gesetzlichen Unfallversicherung ähnlich wie die Zeit der Heilungsbewährung im Schwerbehindertenrecht auf einen bestimmten Zeitraum von zB fünf Jahren zu beschränken. Die angesprochenen besonderen Aspekte der Genesungszeit lassen vielmehr - unter Beachtung des § 73
SGB VII - mehrere Abstufungen über einen längeren Zeitraum hinweg als denkbar erscheinen. Hierfür spricht zum einen die vorliegende Fallgestaltung, in der nach dem Ablauf der im Schwerbehindertenrecht vorgesehenen fünfjährigen Heilungsbewährung und entsprechend den oben aufgezeigten Unterschieden zur gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund der von dem Sachverständigen
Dr. M. diagnostizierten erheblichen psychischen Belastungen die
MdE zunächst nur auf 60 vH herabgesetzt wurde, obwohl der Sachverständige andererseits eine relevante Lungenfunktionsbeeinträchtigung nicht mehr feststellte. Auch Woitowitz (MedSach 97 <2001>, 66, 67 f) hat unter Hinweis auf die ebenfalls zu Lungenkrebs führende Schneeberger Lungenkrankheit Bedenken gegen eine schematische Übertragung der fünfjährigen Heilungsbewährung bei Lungenkrebs aus dem Schwerbehindertenrecht begründet dargelegt.
Nach diesen Grundsätzen ist das Urteil des
LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2
SGG). Denn das
LSG hat die Regelungen zur Heilungsbewährung im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht ohne Berücksichtigung der notwendigen Unterschiede auf die Genesungszeit bei zu Rezidiven neigenden Erkrankungen in der gesetzlichen Unfallversicherung übertragen. Bei dem derzeitigen Stand des Verfahrens ist dem Senat eine abschließende Entscheidung nicht möglich, weil die notwendigen Feststellungen, inwieweit sich der Gesundheitszustand des Klägers seit der letzten bestandskräftigen Feststellung vom 23. Februar 1993 aufgrund des Gutachtens von
Dr. M. gebessert hat, fehlen. Denn das Gutachten und die ergänzenden Stellungnahmen von
Dr. R. sind insofern nicht nachvollziehbar, weil dieser Sachverständige einerseits im Vergleich zum Vorgutachten zumindest keine Besserung feststellt und andererseits die
MdE nur noch auf 30 bzw 40 vH schätzt. Für die
MdE-Festsetzung der Beklagten in Höhe von 20 vH ist den Feststellungen des
LSG keine begründete ärztliche Aussage zu entnehmen.
Bei den anzustellenden Ermittlungen wird das
LSG zu beachten haben, dass, wie oben dargestellt, in der gesetzlichen Unfallversicherung, abweichend insbesondere vom Schwerbehindertenrecht, der reine Zeitablauf für einen Besserungsnachweis nicht genügt, sondern nur eine Besserung der zuvor der
MdE-Bemessung zugrunde gelegten Funktionsbeeinträchtigungen bzw besonderen Aspekte der Genesungszeit. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Vergleichsmaßstab für die Aufhebung nach § 48
SGB X nicht der damalige Bescheid, sondern die damaligen tatsächlichen Verhältnisse sind, wie sie meist in dem ihm zugrunde liegenden Gutachten zum Ausdruck kommen (
BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 18).
Falls sich nach diesen Ermittlungen die Herabsetzung der
MdE durch die Beklagte als rechtmäßig erweist, wird das
LSG ebenfalls zu klären haben, ob der Kläger aufgrund des Bescheides vom 23. Februar 1993 sowie der Begleitumstände Vertrauensschutz erworben hat (so wohl das
LSG-Urteil auf S 11) und inwieweit dies einer Aufhebung für die Zukunft entgegensteht.
Das
LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.