Urteil
Verletztenrente - MdE - Unfallfolge - Anlageleiden

Gericht:

LSG Bremen 2. Senat


Aktenzeichen:

L 2 U 64/96


Urteil vom:

16.03.1998


Grundlage:

  • RVO § 581 Abs 1 Nr 2 |
  • RVO § 548 Abs 1 S 1

Orientierungssatz:

1. Kein Anspruch auf Verletztenrente mangels Vorliegens von Unfallfolgen in rentenberechtigendem Grad.

Fundstelle HVBG-INFO 1999, 3329-3335 (red. Leitsatz und Gründe)

Verfahrensgang: vorgehend SG Bremen 1996-08-15 S 5 U 63/94 Urteil anhängig BSG B 2 U 32/99 R

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH

Tatbestand:

Streitig ist die Zahlung einer Verletztenrente.

Der am 1938 geborene Kläger war als Betriebselektriker bei der Rauchtabakfabrik M B GmbH, B, beschäftigt. -- Nach den Angaben der Arbeitgeberin in der Unfallanzeige vom 15. Mai 1962 erlitt er am 11. Mai 1962 einen Arbeitsunfall, indem er bei einem routinemäßigen Rundgang auf dem Betriebsgelände in eine etwa 1,80 Meter tiefe und etwa 1,80 Meter breite Grube stürzte; in der Anzeige heißt es weiter, der Kläger sei in den "G s. K" aufgenommen worden. In den Krankenunterlagen der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Bremen/Bremerhaven ist hierzu eingetragen, der Kläger habe sich eine Schädelprellung mit Verdacht auf Gehirnerschütterung und einen Wirbelbruch des dritten Lendenwirbelkörpers (LWK) zugezogen; er sei vom 11. Mai 1962 bis 17. Juli 1962 arbeitsunfähig krank gewesen und in der Unfallstation behandelt worden.

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 10. Oktober 1962 eine Gesamtvergütung für den Zeitraum vom 18. Juli 1962 bis 31. Januar 1963 auf der Grundlage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, mit dem er darauf hinwies, unfallbedingt leide er auch an Kniebeschwerden und Kopfschmerzen. Die Beklagte antwortete ihm mit Schreiben vom 12. November 1962, nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen habe er sich eine Knieverletzung nicht zugezogen. Bezüglich der Kopfschmerzen nehme sie Bezug auf das fachärztliche Gutachten von Dr. med. F, in dem ausgeführt sei, der neurologische Befund habe keine pathologischen Symptome gezeigt und das erlittene Kopftrauma vom 11. Mai 1962 habe zu keiner tieferen Läsion des Gehirns geführt. Möglicherweise habe er eine leichte Gehirnerschütterung erlitten, denn er sei benommen gewesen, die Beschwerden daraus seien aber weitgehend abgeklungen. -- Mit Bescheid vom 16. April 1963 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente für die Zeit nach Abluaf des Zeitraums, für den die Gesamtvergütung gezahlt wurde, ab und begründete dies damit, die Nachuntersuchung, die Dr. med. T durchgeführt habe, habe ergeben, daß wegen der Folgen des Unfalls vom 11. Mai 1962 eine MdE rentenberechtigenden Grades nicht mehr vorliege. Die beim Sozialgericht (SG) Bremen gegen die Bescheide vom 10. Oktober 1962 und 16. April 1963 erhobenen Klagen (S U 11/63 und S U 124/63) nahm der Kläger zurück.

In einem Durchgangsarztbericht der Chirurgin Dr. med. S vom 1. September 1988 heißt es, der Kläger sei an diesem Tag auf einer Treppe ausgerutscht und mit der rechten Schienbeinkante ein Stück die Treppe hinuntergeschrammt; er habe sich eine Prellung und Abschürfung der rechten Schienbeinvorderkante, eine Zerrung und Prellung im Hüftgelenk und eine Prellung der Lendenwirbelsäule zugezogen.

Die AOK Bremen/Bremerhaven meldete gegenüber der Beklagten am 2. August 1993 einen Erstattungsanspruch mit der Begründung an, der Kläger sei infolge des im Jahr 1962 erlittenen Arbeitsunfalls seit dem 26. März 1993 wegen eines "Zustands nach LWK-Stauchungsfraktur" arbeitsunfähig. Sie überreichte sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) im Lande Bremen vom 26. April 1993 und 18. Mai 1993, die die Diagnosen enthalten: "LWS-
Syndrom, Zustand nach alter LWK-Stauchungsfraktur, Hypertonus" und "lumbalgiforme Beschwerden ohne neurologische Symptomatik". Die AOK Bremen/Bremerhaven übersandte der Beklagten ferner Kopien von Karteikarten über Mitgliedschafts- und Erkrankungszeiten des Klägers.

Die Beklagte holte einen Bericht von dem den Kläger behandelnden Arzt Dr. med. W vom 12. November 1993 ein, in dem dieser mitteilte, der Kläger habe sich wegen lumbalgiformer Beschwerden in seiner Behandlung befunden. Ob zwischen den jetzt geklagten Beschwerden und der Verletzung im Jahr 1962 ein Zusammenhang bestehe, wie der Kläger annehme, könne von ihm nicht beantwortet werden, vielmehr sei hierzu ein fachorthopädisches Gutachten erforderlich. -- Die Beklagte holte ein fachchirurgisches Zusammenhangsgutachten von dem Arzt für Chirurgie Dr. med. I vom 26. Januar 1994 ein, in dem er zusammenfassend ausführte, als objektiv nachweisbare Folgen des Unfalls vom 11. Mai 1962 lägen eine minimale Formveränderung des Wirbelkörpers und eine geringfügige anteilige Einschränkung der Beweglichkeit des Rumpfes vor; die Fraktur des dritten Lendenwirbelkörpers sei fest knöchern verheilt. Als unfallunabhängige krankhafte Veränderungen bestünden bei dem Kläger: Verschleißerscheinungen an der Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule und mäßiggradige degenerative Veränderungen an der Lendenwirbelsäule mit einer leichten Verspannung der Rückenmuskulatur und einer Einschränkung der Beweglichkeit des Rumpfes, Folgen einer beidseitigen Ohrenoperation und Arthrose an beiden Hüftgelenken. Durch die Unfallfolgen werde lediglich noch eine MdE von unter 10 v.H. bedingt. Die von dem Kläger geklagten Beschwerden seien glaubhaft, sie würden jedoch nur zu einem geringfügigen und praktisch bedeutungslosen Anteil durch Verletzungsfolgen verursacht. Zum weitaus überwiegenden Teil würden sie durch die beschriebenen degenerativen Veränderungen an der Lendenwirbelsäule und den übrigen Wirbelsäulenabschnitten hervorgerufen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16. Februar 1994 die Neufeststellung einer Rente ab und bezog sich zur Begründung auf das fachchirurgische Zusammenhangsgutachten von Dr. med. I vom 26. Januar 1994. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 28. Februar 1994 Widerspruch ein, in dem er auf verbliebene Gesundheitsstörungen verwies, die seiner Ansicht nach auf den Unfall zurückzuführen seien. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28.3.1994, auf den verwiesen wird, Bl. 42 bis 44 Verwaltungsakte).

Der Kläger hat am 15. April 1994 beim SG Bremen Klage erhoben und die Zahlung einer Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente für Folgen der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen begehrt. Er hat vorgetragen, bei ihm bestünden ein Rückenleiden, ein Knieleiden sowie Kopfschmerzen, die sämtlich ihre Ursache in dem Unfall vom 11. Mai 1962 hätten. Es handele sich nicht um degenerative Verschleißerscheinungen. Er stehe seit langem bei einem Neurologen in Behandlung und nehme gegen Schmerzzustände Medikamente ein. Seine Erinnerung an den Unfall sei nicht lückenlos, vielmehr habe das Geschehen unmittelbar danach nachträglich erst durch den Betriebsablauf sowie einen Arbeitskollegen aufgeklärt werden können. Die Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule entstünden bei der geringsten Belastung. Aufgrund der vorhandenen Minderung der Körpergröße um etwa vier Zentimeter müsse davon ausgegangen werden, daß die seitliche Verbiegung der Lendenwirbelsäule durch die berufliche Belastung bedingt sei, die mit ständigem Heben schwerer Lasten verbunden gewesen sei. Der gesamte linke Arm schmerze und sei oft wochenlang kraftlos. Der Kläger hat verschiedene ärztliche Berichte (darunter Arztbriefe des Neurologen und Psychiaters Dr. med. K vom 24. Oktober 1983 und 14. Dezember 1983) zur Akte gereicht.

Die Beklagte hat sich auf das Ergebnis des Feststellungsverfahrens bezogen.

Das SG hat Befundberichte von dem Arzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. med. H vom 9. Juni 1994, von dem Hals-
, Nasen-, Ohrenarzt Dr. med. G vom 14. Juni 1994 (mit ärztlichen Unterlagen) und von dem Orthopäden Dr. med. F vom 14. Juni 1994 eingeholt. Dr. med. H hat mitgeteilt, auf neurologischem Gebiet zeigten sich keine Auffälligkeiten bis auf eine leichte Hypaesthesie der gesamten rechten Gesichtshälfte und des lateralen rechten Oberschenkels, der Befund des Elektroenzephalogramms (EEG) sei unauffällig gewesen, auf psychischem Gebiet bestünden eine subdepressive Grundstimmung und ein matter Affekt. Dr. med. G hat u.a. über einen Zustand nach einer Radikalhöhlen-Operation im Jahr 1963 berichtet, und Dr. med. F hat in seinem Befundbericht ein spondylogenes Lumbalsyndrom und eine idiopathische Coxarthrose links genannt.

Das SG hat sodann ein Gutachten von dem Arzt für Orthopädie Dr. med. F-W vom 3. November 1994 eingeholt. Er ist darin zu dem Ergebnis gekommen, daß als Restfolge des Arbeitsunfalls vom 11. Mai 1962 eine minimale Deformierung der oberen Deckplatte des dritten Lendenwirbelkörpers rechts ohne wesentliche funktionelle Störung der Wirbelsäulenfunktion bestehe und die MdE hierfür auf unter 10 v.H. einzuschätzen sei, wobei diese äußerst geringfügigen Unfallfolgen sich gut von den allgemeinen Altersveränderungen abgrenzen ließen. Diese bestünden in Form einer allgemeinen Spondylose der gesamten Wirbelsäule in allen Etagen mit einem mäßig starken Rundrücken und mit leichter empfindlicher Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule, einer beginnenden Coxarthrose links, von Spreiz- und Senkfüßen, eines alten chronischen Ohrleidens mit Gehörverlust und Zustand nach mehreren Ohroperationen, Neigung zu Kopfschmerzen, eines Bluthochdrucks und weiterer Alterserscheinungen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein Gutachten von Prof. Dr. med. R/Dr. med. B/Dr. med. K (O K S der D-K W) vom 16. März 1995 eingeholt, die zu dem gleichen Ergebnis gekommen sind wie Dr. med. I und Dr. med. F-W in ihren Gutachten. Gegenüber dieser Begutachtung hat der Kläger geltend gemacht, es handele sich nicht um ein Gutachten von Prof. Dr. med. R, sondern um eine Begutachtung durch Dr. med. K, der er niemals zugestimmt habe. -- Auf weiteren Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das SG ein Gutachten von Prof. Dr. med. S (Direktor der Neurologischen Klinik im Zentrum für neurologische Medizin des Z -- -- Z -- B-O) vom 11. März 1996 angefordert. Dieser hat darin zusammenfassend ausgeführt, aus neurologischer Sicht lägen keine Verletzungsfolgen vor, die wesentlich ursächlich auf den Unfall vom 11. Mai 1962 zurückzuführen seien. Es könne lediglich davon ausgegangen werden, daß der Kläger sich eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen habe, durch die es niemals zu anhaltenden neurologischen Symptomen auf Dauer, insbesondere nicht über einen Zeitraum von inzwischen über 30 Jahren, komme.

Das SG hat ferner noch einen Befundbericht von Dr. med. W vom 4. Juni 1996 (mit ärztlichen Unterlagen) eingeholt, in dem die Diagnosen genannt sind: Cervico-Brachial-
Syndrom, Lendenwirbelsäulensyndrom, arterielle Hypertonie, psychovegetativer Erschöpfungszustand.

Mit Urteil vom 15. August 1996 hat das SG die Klage abgewiesen und hilfsweise gestellte weitere Beweisanträge abgelehnt. Zur Begründung hat es sich den von der Beklagten und ihm eingeholten Gutachten angeschlossen. Es hat ferner ausgeführt, nachdem der Kläger von seinem Recht auf Anhörung eines bestimmten Arztes gemäß § 109 SGG durch Einholung zweier Gutachten auf zwei verschiedenen Sachgebieten Gebrauch gemacht habe, habe es keinen Anlaß gesehen, entsprechend den gestellten Beweisanträgen den Sachverhalt nach §§ 103, 106 SGG oder § 109 SGG weiter aufzuklären. Wegen der Begründung im einzelnen wird auf das Urteil (Bl. 154 bis 162 Prozeßakte) Bezug genommen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 9. Oktober 1996 zugestellte Urteil am 21. Oktober 1996 schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) Bremen 992 eine Verletztenrente in Höhe von mindestens 20
v.H. der Vollrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Auf Anfrage hat das Gericht vom Z St.-J-S, B, die Auskunft erhalten, daß Unterlagen aus dem Jahr 1962 (Behandlung des Klägers wegen Folgen des Unfalls vom 11. Mai 1962) nicht vorhanden seien; dies hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt. -- Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat es ein Gutachten von Priv. Doz. Dr. Dr. med. von S/Arzt für Orthopädie und Chirurgie N (O F A, H-K) vom 19. Oktober 1997 eingeholt. Sie sind darin zu dem Ergebnis gekommen, daß sich als Verletzungsfolge auf fachorthopädischem Gebiet lediglich der Zustand nach Deckplattenimpressionsfraktur des dritten Lendenwirbelkörpers finde, die jedoch zu einer folgenlosen Abheilung ohne wesentliche Fehlstatik und neurologische Defizite gekommen sei. Zeichen einer Instabilität fänden sich ebenfalls nicht. Die jetzt geklagten chronisch-rezidivierenden Lumbalgien mit pseudoradikulärer Ausstrahlung seien auf degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule im Bereich der Wirbelgelenke und auf eine myostatische Dysbalance zurückzuführen. Eine Impingement-Symptomatik des linken Schultergelenks und eine beginnende Gonarthrose rechts seien ebenfalls nicht als Unfallfolgen zu werten. Die unfallbedingte MdE sei auf unter 10 v.H. einzuschätzen. -
- Der Kläger macht zu diesem Gutachten geltend, entgegen den Ausführungen von Priv. Doz. Dr. Dr. med. von S/N seien sämtliche orthopädische Leiden, die in dem Gutachten festgestellt worden seien, auf den Unfall vom 11. Mai 1962 zurückzuführen und beruhten nicht auf altersbedingten Erscheinungen oder Abnutzungsvorgängen durch eine äußerst schwere berufliche Tätigkeit. Während der letzten Jahrzehnte habe er als Leiter der Elektroabteilung keine Arbeitsstelle gehabt, auf der er schwer körperlich habe arbeiten müssen und insbesondere Belastungen der Halswirbelsäule ausgesetzt gewesen sei. Hierzu beruft er sich auf eine Auskunft seiner Arbeitgeberin. Hinzuweisen sei darauf, daß er wenige Jahre vor dem Unfall aus der Bundeswehr kerngesund entlassen worden sei (Beweis: Beiziehung der Wehrpflichtigen-Akte des Kreiswehrersatzamtes B, den Kläger betreffend). Sämtliche jetzt von den Sachverständigen diagnostizierten Leiden seien, allerdings nicht in der jetzigen Schwere, schon vorhanden gewesen, als er im Mai 1963 wegen des Unfalls erstmals prozessiert habe. Schon damals seien bei ihm insbesondere Halswirbelsäulenverletzungen und Kalkablagerungen im Knie festgestellt worden (Beweis: Beiziehung der Akte des SG Bremen, Az. S U 11/63). Daß diese Feststellungen zu einem Zeitpunkt erfolgt seien, als er erst 30 Jahre alt gewesen sei, mache deutlich, daß es sich nicht um Alterserscheinungen handele. Im übrigen leide er -- unfallbedingt -- daran, daß er an den ersten drei Fingern beider Hände (Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger) gefühlsgemindert sei; dies hätten Priv. Doz. Dr. Dr. med. von S/N in ihrem Gutachten übersehen. Der Kläger beantragt, eine ergänzende Stellungnahme von Priv. Doz. Dr. Dr. med. von S einzuholen.

Das Gericht hat mit Schreiben vom 22. Dezember 1997 die Beteiligten darauf hingewiesen, daß es beabsichtigte, über die Berufung durch Beschluß gemäß § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden, und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Während sich die Beklagte hiermit einverstanden erklärt hat, ist der Kläger der Ansicht, daß die Voraussetzungen für eine Entscheidung im Beschlußwege nicht vorlägen.

Das Gericht hat die Unfallakte der Beklagten (Az. 4 U/05429/93S) beigezogen. Diese Akte und die Prozeßakte (Az. L 2 U 64/96, S 5 U 63/94) haben vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG). Sie ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente.

Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden die "Neufeststellung" einer Rente abgelehnt. Es kann dahinstehen, ob es sich hierbei um die Ablehnung einer Neufeststellung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -
- Verwaltungsverfahren, Schutz der Sozialdaten, Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten -- (SGB X) handelt (Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes) oder um die Entscheidung über einen neuen Antrag auf Zahlung einer Rente, denn die verbliebenen Unfallfolgen rechtfertigen keine MdE von mindestens 20 v.H. Eine Entscheidung über einen Verschlimmerungsantrag nach § 48 SGB X (Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung wegen Änderung der Verhältnisse) stellt der Bescheid vom 18. Februar 1994 nicht dar, denn der Bescheid vom 16. April 1963, mit dem die Zahlung einer Rente ab 1. Februar 1963 abgelehnt worden war, war kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, vielmehr erschöpfte er sich in der Ablehnung einer Leistung, ohne ein Dauerrechtsverhältnis zu begründen (BSGE 58, S. 27, 29; BSG SGb 1987, S. 510, 511).

Im vorliegenden Fall ist die Reichsversicherungsordnung (RVO) und nicht das am 1. Januar 1997 in Kraft getretene Sozialgesetzbuch Siebtes Buch -- Gesetzliche Unfallversicherung -- (SGB VII) anzuwenden, denn der Versicherungsfall ist vor dem 1. Januar 1997 eingetreten und die von dem Kläger begehrte Leistung (Verletztenrente) wäre -- wenn die Voraussetzungen hierfür vorlägen -- vor diesem Zeitpunkt festzusetzen gewesen, d.h. der Anspruch darauf wäre vor dem 1. Januar 1997 entstanden (§§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII, § 40 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch -- Allgemeiner Teil --, SGB I).

Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 547 RVO) sind dann zu gewähren, wenn ein Versicherter einen Arbeitsunfall im Sinne der §§ 548 ff. RVO erlitten hat. Gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO wird eine Verletztenrente nur gezahlt, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge des Arbeitsunfalles um wenigstens 1/5 gemindert ist. Der Verletzte erhält eine Rente, wenn die zu entschädigende MdE über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert (§ 580 Abs. 1 RVO).

Entschädigungsleistungen sind nur zu gewähren, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem zum Unfall führenden Verhalten besteht und zwischen diesem und dem Unfall sowie den geltend gemachten Gesundheitsstörungen ein Ursachenzusammenhang im Sinne der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung" gegeben ist. Nach dieser Kausalitätslehre sind unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen als Ursache oder Mitursache anzusehen, die nach der Auffassung des praktischen Lebens im Verhältnis zu anderen Bedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu seinem Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. BSG, Urteil vom 27.11.1980, Az. 8a RU 12/79, in SozR 2200 § 548 Nr. 51). Zu den Beweisanforderungen ist zu beachten, daß der ursächliche Zusammenhang nicht im Sinne eines strengen Nachweises erbracht, sondern nur hinreichend wahrscheinlich sein muß. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Umstände so stark überwiegen, daß die Entscheidung darauf gestützt werden kann und die dagegen sprechenden Umstände billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben müssen (BSGE 22, S. 203, 209; BSGE 43, S. 110, 113).

Diese erleichterte Beweisanforderung gilt jedoch nur für den ursächlichen Zusammenhang. Die einzelnen Glieder der Kausalkette müssen demgegenüber voll nachgewiesen werden im Sinne eines der Gewißheit nahekommenden Grades der Wahrscheinlichkeit (BSGE 45, S. 285, 287; Lauterbach, Bd. 1, 3. Aufl., Anm. C.III.3. zu § 548, S. 209/1 ff.; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, 72. Nachtrag, September 1989, S. 480 o II). Nur im Hinblick auf die jeweilige Beziehung zum Erfolg reicht das Vorliegen der Wahrscheinlichkeit aus (BSG, Urteile vom 29.2.1984, Az. 2 RU 24/83, und 29.3.1984, Az. 2 RU 21/83, HV-Info. 1986, 647 bis 651; BSG, Urteil vom 6.12.1989, Az. 2 RU 7/89, SGb 1990, S. 23; vgl. auch BSG, Urteil vom 30.5.1988, Az. 2 RU 33/87, im Rundschreiben Nr. 45/88 des Bundesverbandes der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand vom 25.8.1988). Kann eine Ursache dagegen nicht sicher festgestellt werden, stellt sich nicht einmal die Frage, ob sie im konkreten Einzelfall auch nur als Ursache im naturwissenschaftlichphilosophischen Sinne in Betracht zu ziehen ist (BSG, Urteil vom 6.12.1989, Az. 2 RU 7/89, unter Hinweis auf BSGE 61, 127 ff., 130).

Unter Anlegung dieser Beurteilungskriterien liegen Unfallfolgen, die eine MdE von mindestens 20 v.H. bedingen, nicht vor, vielmehr ist den vorliegenden Gutachten zu entnehmen, daß der Deckplattenimpressionsbruch des dritten Lendenwirbelkörpers folgenlos ohne wesentliche Fehlstatik und neurologische Defizite abgeheilt ist. Die von dem Kläger vorgebrachten Wirbelsäulenbeschwerden sind auf allgemeine Verschleißerscheinungen zurückzuführen, wie dies ebenfalls aus sämtlichen eingeholten Gutachten hervorgeht. Das gleiche gilt für die Beschwerden in anderen Körperregionen, die der Kläger zu Unrecht für Unfallfolgen hält.

Auf neurologischem Gebiet liegen keine Unfallfolgen vor. Es kann lediglich davon ausgegangen werden, daß der Kläger bei dem Unfall eine leichte Gehirnerschütterung erlitt, die folgenlos abgeklungen ist. Dies hat Prof. Dr. med. S in seinem Gutachten vom 11. März 1996 überzeugend dargelegt und hierzu darauf hingewiesen, daß das auch jetzt neurologisch sichere Fehlen von Hinweisen auf fokale Störungen eine Hirnsubstanzschädigung, also eine über eine Gehirnerschütterung hinausgehende Schädigung, durch den Unfall sicher ausschließe. Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren, er sei mit dem Kopf zuerst auf Beton aufgeschlagen und habe im Krankenhaus sich zwei Wochen lang ständig erbrochen, kann nicht als nachgewiesen angesehen werden. Für diese Umstände ist der Vollbeweis erforderlich, da es sich um Kausalkettenglieder handelt, während eine bloße Wahrscheinlichkeit nicht ausreicht. Krankenakten über den Unfall sind im Z S-J-S B, nicht mehr vorhanden, was das Krankenhaus dem Gericht mitgeteilt hat. Eine weitere Aufklärung über die seinerzeitigen Symptome ist daher nicht mehr möglich. Da in dem Schreiben der Beklagten vom 12. November 1962 an den Kläger ein Gutachten von Dr. med. F zitiert ist, wonach der neurologische Befund keine pathologischen Symptome gezeigt und das erlittene Kopftrauma zu keiner tieferen Läsion des Gehirns geführt habe, ist eher die Annahme gerechtfertigt, daß der Kläger tatsächlich nur eine leichte Gehirnerschütterung erlitten hat.

Den von dem Kläger gestellten Beweisanträgen braucht das Gericht nicht zu entsprechen. Es hat ihm Gelegenheit gegeben, einen weiteren Antrag nach § 109 SGG zu stellen, und entsprechend diesem Antrag das Gutachten von Priv. Doz. Dr. Dr. med. von S/Arzt für Orthopädie und Chirurgie N vom 19. Oktober 1997 eingeholt, so daß es über die Umstände, wie das Gutachten von Prof. Dr. med. R/Dr. med. B/Dr. med. K vom 16. März 1995 zustandegekommen ist, keinen Beweis zu erheben braucht. Angesichts des medizinisch aufgeklärten Sachverhalts besteht ferner keine Veranlassung, von den bisher gehörten Sachverständigen zusätzliche Stellungnahmen einzuholen. Dies gilt auch für Prof. Dr. med. S, denn er ist bei seiner Begutachtung zu Recht nicht davon ausgegangen, daß der Kläger mit dem Kopf zuerst auf Beton aufschlug und sich dadurch eine schwere, über eine Gehirnerschütterung hinausgehende Kopfverletzung, zufügte. -- Den Beweisanträgen, die der Kläger in seinem Schriftsatz stellt, mit dem er zu dem Gutachten von Priv. Doz. Dr. Dr. med. von S/N Stellung genommen hat, braucht das Gericht ebenfalls nicht zu entsprechen. Ob er "kerngesund" aus der Bundeswehr entlassen worden ist, ist unerheblich, denn darauf kommt es nicht an. Die Beiziehung der Wehrpflichtigen-Akte vom Kreiswehrersatzamt B ist daher entbehrlich. Ebenso ohne Bedeutung ist, ob er beruflich keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt gewesen war, so daß sich die Enholung einer Auskunft seiner ehemaligen Arbeitgeberin erübrigt. Er nennt in seinem Schriftsatz zahlreiche Beschwerden, die mit dem Unfall offensichtlich in keinem Zusammenhang stehen (wie Halswirbelsäulenbeschwerden, Kniebeschwerden, Gefühlsstörungen an Fingern beider Hände).-- Die Gerichtsakten SU 11/63 und SU 124/63 des SG Bremen, die die früheren Verfahren des Klägers betreffen, sind bereits 1979 vernichtet worden und können daher nicht beigezogen werden; es kann dahinstehen, ob die Beiziehung überhaupt erforderlich gewesen wäre.

Nach allem war die Berufung durch einstimmigen Beschluß nach § 153 Abs. 4 SGG zurückzuweisen. Die Beteiligten sind hierzu ordnungsgemäß angehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG). Eine nochmalige mündliche Verhandlung hat der Senat im Hinblick auf die eindeutige Sach- und Rechtslage nicht für erforderlich gehalten. Eine Zustimmung des Klägers zu dieser Verfahrensweise ist nicht erforderlich (BSG, Beschluß vom 16.3.1994, Az. 9 BV 151/93, veröffentlicht im Rundschreiben Nr. 102/94 des Bundesverbandes der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand vom 10.10.1994).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und der Senat weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.

Referenznummer:

KSRE024150422


Informationsstand: 06.03.2000