Streitig ist, ob der Kläger wegen einer Berufskrankheit (BK) nach
Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO (bandscheibenbedingte Veränderungen der Lendenwirbelsäule) zu entschädigen ist. Er war von 1959 bis September 1993 als Montagetischler bei demselben Arbeitgeber tätig; dabei hatte er überwiegend Fenster einzusetzen und zu reparieren sowie Fußböden zu verlegen. Nachdem der Kläger im September 1993 während der Arbeit eine Knieverletzung erlitten hatte und bei ihm ein Bandscheibenschaden aufgetreten war, prüfte die Beklagte auch das Vorliegen einer BK
Nr. 2108. Nach Einholung eines Berichts ihres technischen Aufsichtsdienstes und medizinischer Stellungnahmen lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen wegen einer solchen BK ab, weil bei dem Kläger ein langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung nicht gegeben sei. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers waren erfolglos. Das
LSG hat ausgeführt, der Anspruch scheitere daran, dass unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers und des Ergebnisses der Beweisaufnahme die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK
Nr. 2108 nicht als erfüllt angesehen werden könnten. Danach stehe fest, dass der Kläger "langjährig", d.h. mehr als die nach dem Merkblatt für die ärztliche Untersuchung der BK
Nr. 2108 zu fordernde Mindestzeit von 10 Jahren "schwere Lasten gehoben und getragen"
bzw. "in extremer Rumpfbeuge gearbeitet" habe, und zwar in einem zeitlichen Umfang von arbeitstäglich 2 Stunden, so dass der Zeitanteil wirbelsäulenbelastender Tätigkeiten bei einem damals üblichen Arbeitstag von 8 Stunden 25% betrage. Diese Exposition reiche zur Erfüllung der Anforderungen der BK
Nr. 2108 nicht aus, da nach Auffassung des Senats nur solche Beschäftigungen berücksichtigt werden könnten, bei denen wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten im Durchschnitt wenigstens während eines Drittels der täglichen Arbeitszeit angefallen seien. Die fehlende arbeitstägliche Belastung könne dadurch, dass der Versicherte deutlich länger als die im Merkblatt geforderte Mindestbelastungszeit von 10 Jahren wirbelsäulenbelastend gearbeitet habe, nicht ausgeglichen werden.
Die Revision des Klägers hatte insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
LSG zurückverwiesen worden ist.
Der Verordnungsgeber hat in
Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO bewusst auslegungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe zur Kennzeichnung der schädigenden Exposition verwandt, bei deren Konkretisierung mit Hilfe medizinischer Sachkunde das aktuelle medizinische Erfahrungswissen heranzuziehen ist. Mit seiner im wesentlichen aus den Motiven des Verordnungsgebers und einer Auslegung des vom BMA zu dieser Berufskrankheit herausgegebenen Merkblatts für die ärztliche Untersuchung gewonnenen Auffassung, die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten müssten mindestens während eines Drittels der täglichen Arbeitszeit verrichtet worden sein, wobei eine geringere Intensität der täglichen Belastung durch eine längere Zeit der Gesamtexposition nicht kompensiert werden könne, hat das
LSG medizinische Erfahrungssätze angenommen, die nicht belegt sind. Es wird bei der erneuten Behandlung der Sache unter Inanspruchnahme medizinischer Sachkunde - etwa durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens - festzustellen haben, ob eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit, wie sie der Kläger bei seiner Tätigkeit als Bau- und Montagetischler verrichtet hat, generell geeignet ist, eine Lendenwirbelsäulenerkrankung zu verursachen.
vorhergehende Enscheidungen:
SG Berlin - S 68 U 707/97 und
LSG Berlin - L 2 U 95/98