Urteil
Feststellungsklage - Zulässigkeit - Wehrdienstbeschädigung - berechtigtes Interesse an baldiger Feststellung - Bagatellschaden - Spätfolgen

Gericht:

BSG 9. Senat


Aktenzeichen:

9 RV 2/93


Urteil vom:

16.03.1994


Grundlage:

  • SVG § 81 |
  • SGG § 55 Abs 1 Nr 3

Leitsatz:

1. Das berechtigte Interesse an der alsbaldigen Feststellung, daß eine Körperverletzung, die noch keine Leistungsansprüche auslöst, eine Wehrdienstbeschädigung war, besteht sowohl dann, wenn die Verwaltung eine Wehrdienstbeschädigung verneint, als auch dann, wenn sie sich weigert, dazu überhaupt Stellung zu nehmen.

Fundstelle:

RegNr 21417 (BSG-Intern)

Rechtszug:

vorgehend SG Koblenz 1992-04-29 S 8 V 150/90 vorgehend LSG Mainz 1992-11-27 L 4 V 42/92

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH

Tatbestand:

Der Kläger zog sich während des Wehrdienstes eine trimalleoläre Sprunggelenksfraktur rechts zu. Er machte noch während des Wehrdienstes die Fraktur als Wehrdienstbeschädigung geltend. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 27. August 1990 die Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) ab, weil nicht für eine Dauer von mindestens sechs Monaten eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um wenigstens 25 vH erreicht werde. Es brauche bei dieser Sachlage nicht entschieden zu werden, ob es sich um eine Wehrdienstbeschädigung handele. Die 5 Tage vor Ende des Wehrdienstes erhobene Leistungsklage hat das Sozialgericht Koblenz (SG) nach weiterer Beweisaufnahme und Beiladung des Landes Rheinland-Pfalz abgewiesen, weil die MdE unter 25 vH liege, und zugleich entschieden, daß die Gesundheitsstörung "Schwellneigung nach operativ behandelter, knöchern fest verheilter trimalleolärer Sprunggelenksfraktur rechts mit beginnender Sekundärarthrose und endgradiger Bewegungseinschränkung" Folge einer Wehrdienstbeschädigung sei. Mit der Berufung hat der Beklagte geltend gemacht, der angefochtene Bescheid sei ein Bagatellbescheid, der keine Entscheidung über den kausalen Zusammenhang einer Schädigung mit einer Gesundheitsstörung treffe. Mangels einer Kausalentscheidung fehle vorliegend das Feststellungsinteresse iS von § 55 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das Versorgungsverhältnis sei durch diesen Bescheid nicht betroffen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat den Übergang von der Leistungs- zur Feststellungsklage für sachdienlich erachtet. Die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Nr 3 SGG seien gegeben, wenn die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung streitig sei, es also - zumindest auch - um die haftungsausfüllende Kausalität gehe (BSGE 68, 128, 129). Es komme nicht darauf an, ob sich die Beklagte bereits negativ zum Ursachenzusammenhang geäußert habe. In jedem Fall sei zu besorgen, daß der Kläger durch Zeitablauf die Durchsetzung seiner möglicherweise in Zukunft entstehenden Ansprüche infolge Verschlimmerung der wehrdienstbedingten Gesundheitsstörungen erschwert werde. Über den Ursachenzusammenhang sei auch von der Beklagten, die zeitnah angegangen worden sei, weiterhin zu entscheiden, auch wenn der Kläger inzwischen aus dem Wehrdienst ausgeschieden sei. Die Entscheidung binde dann auch die Versorgungsverwaltung gemäß § 88 Abs 3 Satz 1 SVG. Der Kläger sei auch nicht auf dem Weg des Beweissicherungsverfahrens nach § 76 SGG zu verweisen. § 55 Abs 1 Nr 3 SGG habe nicht nur prozessuale, sondern auch materiell-rechtliche Bedeutung, weil sich sonst kein Anwendungsbereich mehr finden lasse. Der Kläger habe auch ein Rechtsschutzbedürfnis, weil sich im vorliegenden Fall die ernstliche Möglichkeit ergebe, daß sich Spätschäden einstellten (vgl BSGE 42, 178, 180). Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 55 Abs 1 Nr 3 SGG sowie des § 88 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 2 und Abs 3 Satz 1 SVG. Zu Unrecht habe das LSG ein Feststellungsinteresse des Klägers bejaht. Ein solches Feststellungsinteresse könne nur bejaht werden, wenn eine negative Kausalfeststellung getroffen werde. Schweige die Bundeswehrverwaltung dagegen, gebe es kein Feststellungsinteresse. Dies sei aus den Ausführungen des Senats in BSGE 68, 130 zu folgern. Es sei auch nicht richtig, daß die Frage des Ursachenzusammenhangs von der zuerst angegangenen Beklagten zeitnäher und damit mit größerer Beweissicherheit zu beantworten wäre. Schließlich sei der Kläger nach Erhalt des Bescheides ausgeschieden, und damit sei eine andere Zuständigkeit eröffnet worden. Die Akten enthielten ohnedies alle maßgeblichen Unterlagen, so daß jederzeit festgestellt werden könne, ob eine Wehrdienstbeschädigung vorliege. Eine Verpflichtung zur Anerkennung einer solchen bestehe aber nicht, solange nicht eine Leistung zu erbringen sei. Es dürfe auch der später belasteten Versorgungsverwaltung nicht die Möglichkeit genommen werden, eine von der Bundeswehrverwaltung abweichende Entscheidung selbst zu treffen. Um zwei divergierende kausale Entscheidungen zu vermeiden, unterlasse es die Bundeswehrverwaltung weitgehend, überhaupt Kausalentscheidungen zu treffen. Sie halte die Zahl ihrer Kausalbescheide möglichst gering, das gelte insbesondere für Bagatellbescheide. Diese Auffassung werde auch vom Bundessozialgericht (BSG) in 57, 171, 172 geteilt, wo ausgeführt werde "eine solche Verpflichtung der Verwaltung zum Erlaß eines Feststellungsbescheides in allen Fällen, in denen eine MdE um mindestens 25 vH nicht erreicht wird, aber WDB-Folgen behauptet werden, ist zweifelhaft". Ein besonderes Feststellungsinteresse für eine Kausalentscheidung werde nur dann angenommen, wenn der Betroffene Schadensersatzansprüche gegen den Bund geltend machen wolle und wegen § 91a SVG zunächst die WDB-Frage geklärt werden müsse. Dasselbe gelte, wenn der Beschädigte beim Abschluß einer privaten Krankenversicherung wegen der Vorerkrankung einen Risikozuschlag befürchten müsse. Eine abweichende Entscheidung stelle die Bundeswehrverwaltung vor große Probleme, weil sie dann tausende von Bescheiden erlassen müsse, und die schwierige und damit zeitaufwendige Bewertung des Falles in medizinischer und rechtlicher Hinsicht vornehmen müsse. Im übrigen sei die Kostenentscheidung des LSG falsch, weil die Beklagte keinen Anlaß zu der Feststellungsklage gegeben habe und ihre ursprüngliche Leistungsablehnung rechtmäßig gewesen sei. Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Beigeladene schließt sich der Auffassung der Beklagten an, ohne eigene Anträge zu stellen. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig. Er verweist darauf, daß jede Verzögerung in der Feststellung der Kausalität zum Nachteil der Beschädigten gehe. Auch bei ihm treffe - ohne daß er dies bisher ausdrücklich vorgetragen habe - das Feststellungsinteresse zu, das die Beklagte zugestehe: Seine Wehrdienstbeschädigung sei in der privaten Krankenversicherung ausgeschlossen. Sein Feststellungsinteresse (und auch das Kosteninteresse) ergebe sich bereits daraus, daß die Beklagte die Feststellung der Wehrdienstbeschädigung auch noch verweigert habe, nachdem das SG den Sachverhalt entsprechend ermittelt hatte.

Referenznummer:

KSRE017413408


Informationsstand: 13.09.1994