Urteil
Einstweiliger Rechtsschutz - Leistungspflicht der Krankenkasse für Insulininjektionen als Behandlungspflege - Zuständiger Leistungserbringer bei stationärer Unterbringung

Gericht:

LSG Sachsen-Anhalt 8. Senat


Aktenzeichen:

L 8 SO 4/10 B ER


Urteil vom:

26.08.2010


Tenor:

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1. gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 23. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene zu 1. hat der Ast. auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin (Ast.) begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Übernahme der Kosten der von ihr zweimal täglich in Anspruch genommenen Leistungen der Behandlungspflege bei Diabetes mellitus (Insulininjektionen).

Die am 2X. August 1954 geborene Ast. ist geschieden und hat einen am 2X. November 1971 geborenen Sohn, über dessen Einkommensverhältnisse keine Informationen vorliegen. Die Ast. selbst bezieht laufend Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit einem Zahlbetrag in Höhe von monatlich 674,34 EUR und Entgelt aus ihrer Tätigkeit in der C. Behindertenwerk GmbH in O. in Höhe von monatlich 100,53 EUR. Der Burgenlandkreis gewährt der Ast. auf Grund ihrer seelischen Behinderung seit dem 1. Januar 2009 (nur noch) laufend Eingliederungshilfe für behinderte Menschen im Sinne der §§ 53, 54 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) u.a. in Form der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in der Wohnstätte in K ... Dabei wird (aktenkundig zuletzt für Juli 2009) ein bereinigtes monatliches Gesamteinkommen der Ast. (Erwerbsunfähigkeitsrente, Werkstatteinkommen, Wohngeld, Zinseinkünfte) in Höhe von 769,68 EUR angerechnet. Das Vermögen der Ast. wird nicht zur Kostendeckung herangezogen. Ihr stehen als Barbetrag und Zusatzbarbetrag insgesamt 131,04 EUR monatlich zur persönlichen Verfügung.

Die Ast. ist Mitglied der zu 1. beigeladenen Krankenkasse. Sie lebt seit dem 1. November 1998 im "H. am W." in der Wohnstätte mit insgesamt 32 Plätzen, deren Träger der zu 2. beigeladene gemeinnützige Heimträger ist. Nach dem zwischen ihr und dem Beigeladenen zu 2. geschlossenen Vertrag, im Folgenden: Heimvertrag, hat die Ast. in der Wohnstätte einen Platz im Doppelzimmer, die Möglichkeit der Mitbenutzung von Gemeinschaftsräumen und -einrichtungen; der Träger gewährleistet die Reinigung des Zimmers, der Bett- und Privatwäsche (§ 2). Die Wohnstätte bietet eine Vollverpflegung mit drei Mahlzeiten pro Tag an (§ 3). Im Rahmen der Betreuung besteht Anspruch der Ast. auf pädagogische und heilpädagogische Förderung in den lebenspraktischen Verrichtungen, der persönlichen Lebensführung und im sozialen Verhalten, medizinisch-pflegerische Versorgung, ggf. unter Beachtung ärztlicher Anordnung, soweit es der Gesundheitszustand erfordert und soweit sie von der Wohnstätte erbracht werden kann, und es sich nicht um Erkrankungen handelt, die die Aufnahme in einem Krankenhaus notwendig machen (§ 4).

Der Beigeladene zu 2. ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband Sachsen-Anhalt e.V. Er schloss mit dem Ag. unter dem 28. Dezember 2007 eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII auf der Grundlage des zwischen dem Ag. und den Vereinigungen der Träger der Einrichtungen - insbesondere dem Paritätischen Wohlfahrtsverband - geschlossenen Rahmenvertrages, dessen Regelungen als verbindlich festgelegt wurden. Im Rahmen der Leistungs- und Vergütungsvereinbarung ist geregelt, dass das Leistungsangebot in seiner Konzeption/Leistungsbeschreibung vom 13. August 1999 dargestellt werde und Bestandteil dieser Vereinbarung sei und danach eine Betreuung von Leistungsberechtigten entsprechend dem Leistungstyp 5a erfolge (Ziffer 2 Abs. 1). Der Leistungserbringer verpflichte sich, die vereinbarten Leistungen einschließlich der Personalbemessung im Vereinbarungszeitraum weiter zu erbringen und im Rahmen dieses Leistungsangebotes Leistungsberechtigte aufzunehmen und zu betreuen (Ziffer 2 Abs. 2). Nach der Konzeption zur Gestaltung der Arbeit in der Wohnstätte (Stand 22. Mai 1998) werden in der Wohnstätte ein Heilpädagoge, Heilerziehungspfleger, Erzieher und Heimerzieher beschäftigt. Nach einer Übersicht der Heimaufsicht besteht das Personal dort aus insgesamt neun Personen, u.a. einer Krankenschwester.

Bei der Ast. ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 festgestellt. Die AOK-Pflegekasse lehnte die Bewilligung von Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (Soziale Pflegeversicherung - SGB XI) bestandskräftig mit der Begründung ab, die Voraussetzungen einer vollstationären Pflege in einer Behinderteneinrichtung lägen bei der Ast. nicht vor (zuletzt Bescheid vom 21. September 2007). Die Verordnung häuslicher Krankenpflege in Form von subkutanen Injektionen zweimal täglich erfolgt durch den Praktischen Arzt Dipl.-Med. G. Ausweislich der dem Senat vorliegenden Verordnung für den Zeitraum vom 1. Juli bis Dezember 2009 kann die Ast. sich bei einem sekundär insulinpflichten Diabetes mellitus nicht selbst Insulin spritzen. Die Kosten der durch den Pflegedienst erbrachten Krankenpflegeleistungen (einschließlich Fahrkosten) betrugen im Juli 2009 12,74 EUR täglich.

Die Beigeladene zu 1. gewährte der Ast. bis zum 7. April 2006 häusliche Krankenpflege in Form der Kostenerstattung für täglich zwei Insulininjektionen. Eine weitere Kostenübernahme lehnte sie vor dem Hintergrund ab, dass die Ast. in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe lebe, sodass der Träger der Einrichtung die Pflegeleistungen zu erbringen habe (Bescheid vom 6. April 2006, Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2006). Der Ag. teilte der Ast. in der äußeren Form eines Bescheides mit, weitere Informationen zu benötigen (Bescheid vom 2. Mai 2006). Nach ihrem Widerspruch gegen die Ablehnungsbescheide beider Träger beantragte die Ast. in einem ersten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Halle (S 11 KR 275/06 ER) am 5. Oktober 2006 eine Verpflichtung der Beigeladenen zu 1., ihr die Kostenübernahme zur Behandlungspflege zu gewähren. Nach Beiladung des Ag. und des Burgenlandkreises verpflichtete Letzterer sich mit Bescheid vom 26. Oktober 2006, der Ast. vorläufig die beantragte Kostenübernahme für die Insulininjektionen zu gewähren.

Der die Insulininjektionen morgens und abends in der Wohnstätte verabreichende Pflegedienst übersandte dem Burgenlandkreis in der Folgezeit Leistungsnachweise und Abrechnungen jeweils über im Vormonat erbrachten Leistungen. Mit Schreiben vom 23. Juni 2008 sandte der Burgenlandkreis dem Pflegedienst die dort zuletzt eingegangene Verordnung für die Ast. über Insulininjektionen für Juli bis September 2008 zurück. Er lehnte eine weitere Kostenübernahme für die häusliche Krankenpflege mit an die Ast. adressiertem Bescheid vom 11. Juli 2008 ab. Die Wohnstätte sei als "sonstiger Ort" der Krankenpflege im Sinne des § 37 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V) in der seit dem 1. April 2007 geltenden Fassung anzusehen. Aus § 12 des Rahmenvertrages ergebe sich eine Verpflichtung dieser Einrichtung, auch die pflegerischen Hilfen in Form von Insulininjektionen als Teil der Behandlungspflege zu erbringen. Diese Leistungen würden durch die mit der Einrichtung vereinbarte Vergütung abgedeckt. Eine gesonderte Übernahme von Kosten der medizinischen Behandlungspflege könne deshalb nicht erfolgen. Im Rahmen ihres am 25. Juli 2008 gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruchs forderte die Ast. den Burgenlandkreis auf, die Insulininjektionen im Rahmen der Inanspruchnahme des Beigeladenen zu 2. sicherzustellen und übersandte nachfolgend die weiteren Abrechnungen und Nachweise des Pflegedienstes über die von diesem erbrachten Leistungen. Der Pflegedienst mahne die Vergütung an. Mit Bescheid vom 16. Januar 2009 lehnte der Burgenlandkreis die Übernahme von Kosten der Insulininjektionen erneut ab und begründete diese Entscheidung nun mit einer ausschließlichen Leistungspflicht der Beigeladenen zu 1. für diese Leistungen. Die Ast. legte am 20. Januar 2009 auch gegen diesen Bescheid Widerspruch ein.

Der im Rahmen des Widerspruchsverfahrens angehörte Beigeladene zu 2. führte mit Schreiben vom 21. Januar 2009 aus, das pädagogisch ausgerichtete Personal der Wohnstätte verfüge nicht über die Ausbildung, Erfahrung und Kenntnisse, das von den Krankenkassen für Fachpersonal zur Durchführung der häuslichen Krankenpflege gefordert werde. Er gehe deshalb von einer Leistungspflicht der Beigeladenen zu 1. aus.

Mit Bescheid vom 7. April 2009 lehnte auch die Beigeladene zu 1. eine Kostenübernahme für von dem Pflegedienst bei der Ast. vorzunehmende Insulininjektionen ab. Nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-Richtlinie) könne häusliche Krankenpflege für die Zeit eines Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht, nicht verordnet werden. Aus der Leistungsbeschreibung für die Wohnstätte, in der die Ast. lebt, gehe hervor, dass dort medizinisches Fachpersonal zur Verfügung stehe. Somit sei die Behandlungspflege Bestandteil der Leistung und werde über die mit dem Heimträger vereinbarte Vergütung finanziert. Den von der Ast. gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2009 als unbegründet zurück. Die Ast. lebe weder in ihrem Haushalt noch bei ihrer Familie. Die Behinderteneinrichtung in der sie wohne, sei als dem Heim im Sinne des Heimgesetzes auch kein "anderer Ort", an dem Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V erbracht werden könne. In der Behinderteneinrichtung sei im Übrigen nach den ihr von dem Ag. zur Verfügung gestellten Unterlagen auch eine Krankenschwester tätig. Die Gewährung häuslicher Krankenpflege sei damit hier auch unter dem Gesichtspunkt einer zu vermeidenden Doppelleistung ausgeschlossen. Dagegen hat die Ast. am 20. August 2009 Klage erhoben (S 16 KR 184/09).

Der Ag. wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. Januar 2009 mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2009 als unbegründet zurück. Da die Beigeladedene zu 1. laut Schreiben vom 15. Januar 2009 seinerzeit eine Einzelfallprüfung vorgenommen habe, sei durch die unterbliebene Antragsweiterleitung keine Zuständigkeit begründet worden. Eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers für die Behandlungspflege der Ast. sei auf Grund des Nachrangs der Sozialhilfe nicht gegeben. Ob die Beigeladene zu 1. diese Leistung zu erbringen habe, sei dort im Einzelnen zu prüfen. Die gesetzliche Regelung in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V stehe einer Leistungspflicht ebenso wenig wie die HKP-Richtlinie entgegen. In der zwischen dem Ag. und dem Beigeladenen zu 2. vereinbarten Vergütung seien Kosten der medizinischen Behandlungspflege nicht enthalten.

Die Ast. hat mit ihrem am 30. September 2009 bei dem Sozialgericht Halle eingegangenen Antrag im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Ag. begehrt, ihr die Kostenübernahme zur Behandlungspflege zu gewähren. Sie verfolgt mit ihrer am 9. Oktober 2009 vor dem Sozialgericht Halle erhobenen Klage in der Hauptsache (Az. S 25 SO 91/09) die Aufhebung des Bescheides des Burgenlandkreises vom 16. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Ag. vom 15. September 2009 und die Verurteilung des Ag. zur Kostenübernahme für die Insulininjektionen.

Zur Begründung ihres Antrags hat die Ast. darauf verwiesen, dass der Pflegedienst inzwischen offene Forderungen in Höhe von 4.623,05 EUR gegen sie habe und nicht mehr bereit sei, die Behandlungspflege durchzuführen. Ohne die Insulininjektionen, die sie selbst nicht vornehmen könne, seien schwerwiegende Gesundheitsschäden zu erwarten. Sie verweist auf ein Schreiben des Beigeladenen zu 2. vom 3. September 2009, in welchem dieser versichert, in der Wohnstätte werde weder medizinisches Personal beschäftigt, noch hätten Verhandlungen mit dem Ag. über die Beschäftigung einer Krankenschwester in der Einrichtung stattgefunden.

Der Ag. und die Beigeladene zu 1. haben beantragt, den Antrag abzulehnen.

Der Ag. hat ausgeführt, für die bei der Ast. unstreitig erforderlichen Insulininjektionen stehe nicht fest, dass sie diese auch nach einer gewissen Anlaufphase unter Anleitung nicht selbst durchführen könne. Die Ast. habe die achte Schulklasse abgeschlossen und könne lesen, schreiben und rechnen. Bei einem feinmotorischen Umgang mit Gegenständen alltäglicher oder technischer Art bestehe nur ein geringer Hilfebedarf. Die Ast. lebe entsprechend in einer Einrichtung des Leistungstyps 5a. Für eine ggf. durch eine Pflegekraft zu erbringende Leistung sei vorrangig die Beigeladene zu 1. zuständig. Im Übrigen komme auch ein Anspruch auf diese Leistungen gegenüber der Einrichtung auf der Grundlage des zwischen der Ast. und dem Beigeladenen zu 2. geschlossenen Heimvertrages in Betracht. Die Einrichtung sei nach den Vorschriften des Heimgesetzes verpflichtet, Personal vorzuhalten, sodass auch die täglichen Insulininjektionen dort sichergestellt seien.

Die Beigeladene zu 1. hat daran festgehalten, die Wohnstätte sei ein Heim für behinderte Menschen. Damit könnten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Form der häuslichen Krankenpflege in dieser Einrichtung nicht erbracht werden. Da die Ast. die Injektionen erlernen könne, fehle es an der Erforderlichkeit häuslicher Krankenpflege. Im Übrigen sei der Ag. als zuerst angegangener Leistungsträger vorleistungspflichtig.

Der Beigeladene zu 2. hat keinen Antrag gestellt. Er hat eine eigene Leistungspflicht verneint, da in der Wohnstätte nur pädagogisches Personal, d.h. keine medizinisch ausgebildetes Fachpersonal, tätig sei.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 13. Oktober 2009 die Beiladungen vorgenommen und einen ärztliche Kurzbefund von Dipl.-Med. G. vom 18. November 2009 eingeholt. In dem Kurzbefund wird bescheinigt, die Ast. leide unter einer chronischen Schizophrenie und einem Diabetes mellitus. Sie sei auf Grund ihrer psychischen und geistigen Verfassung nicht in der Lage zu verstehen, was es bedeute, zuckerkrank zu sein. Deshalb könne sie sich auch Insulin nie selbst spritzen, weil sie auch hierbei die Zusammenhänge nicht wirklich verstehen könne. Seiner Auffassung nach stelle eine Insulininjektion durch Betreuer im Heim eine Körperverletzung dar, weil diese mit der Ast. nicht verwandt seien.

Das Sozialgericht hat die Beigeladene zu 1. mit Beschluss vom 23. Dezember 2009 vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, ab dem 1. September 2009 die Kosten für die zweimal tägliche Verabreichung einer Insulininjektion durch einen ambulanten Pflegedienst nach Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Verordnung zu übernehmen. Unter den Voraussetzungen des § 75 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne auch eine Verpflichtung eines beigeladenen Sozialleistungsträgers im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgen. Ein Anordnungsanspruch ergebe sich hier aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der seit dem 1. April 2007 geltenden Fassung. Die Ast. habe glaubhaft gemacht, zweimal täglich Insulininjektionen zu benötigen und diese auf Grund ihrer psychischen und geistigen Verfassung nicht selbst ausführen zu können. Die Wohnstätte sei ein "sonstiger geeigneter Ort" im Sinne der vorgenannten Regelung. Als Einrichtung der Behindertenhilfe stünden hier Leistungen der Integration der Bewohner im Vordergrund, sodass sie nicht mit Pflegeheimen und sonstigen Einrichtung gleichzusetzen sei, die nach den gesetzlichen Bestimmungen zur Erbringung von Behandlungspflege verpflichtet seien. Der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe (ohne Anspruch auf Behandlungspflege) sei daher eher mit dem betreuten Wohnen zu vergleichen. Im vorliegenden Fall sei der Beigeladene zu 2. weder auf Grund vertraglicher Vereinbarung noch auf Grund gesetzlicher Regelungen zur Erbringung von Behandlungspflegeleistungen verpflichtet. Ein Anordnungsgrund ergebe sich aus der dringenden medizinischen Notwendigkeit der Injektionen. Der Pflegedienst verlange für seine Leistungen ein Entgelt, das die Ast. aus den ihr zur Verfügung stehenden laufenden Leistungen bzw. ihrem Vermögen nicht selbst aufbringen könne.

Die Beigeladene zu 1. hat am 1. Februar 2010 Beschwerde bei dem Sozialgericht Halle gegen den ihr am 8. Januar 2010 zugestellten Beschluss eingelegt. Es fehle an einer gesetzlichen Grundlage für ihre Leistungspflicht. Die Wohnstätte sei kein "sonstiger geeigneter Ort" für Leistungen der Behandlungspflege im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Sie hat sich auf ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 23. April 2009 (- L 8 SO 1/07 - juris) gestützt.

Die Beigeladene zu 1. beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 23. Dezember 2009 aufzuheben und den Antrag der Ast., soweit er auf die Verpflichtung der Beigeladenen zu 1. gerichtet ist, abzulehnen.

Die Ast. und die Ag. beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Ast. hält den Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend. Es sei allerdings für sie ohne Bedeutung, wer die Kosten der Injektionen übernehme. Es sei auch eine Leistungsverpflichtung des Ag. nach §§ 53 Abs. 1, 55 Satz 1 SGB XII als Eingliederungshilfe möglich. Der Wechsel in eine andere Einrichtung komme nicht in Betracht. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass sie schon seit dem 1. Januar 1998 in der Wohnstätte lebe und dort stabile soziale Kontakte hergestellt habe.

Der Ag. hält den Beschluss des Sozialgerichts ebenfalls für zutreffend. Soweit die Einrichtung der Behindertenhilfe nur Leistungen der Eingliederungshilfe erbringe, sei eine Versagung von häuslicher Krankenpflege in Form der Behandlungspflege nicht gerechtfertigt. Ein sachlicher Grund für eine Schlechterstellung der in einer solchen Einrichtung wohnenden Menschen gegenüber in einem eigenen Haushalt lebenden Personen sei nicht erkennbar. Der Gesetzgeber habe mit der Änderung des § 37 SGB V gerade diese Benachteiligung beseitigen wollen. Im vorliegenden Fall sei auch nicht eine vorrangige Leistungspflicht der Pflegekasse anzunehmen, da die Ast. in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe lebe. Das Heimrecht sei nicht mehr bundeseinheitlich geregelt und damit nicht geeignet, den Leistungsanspruch aus § 37 SGB V zu konkretisieren. Sollte die Beigeladene zu 1. nicht zuständig sein, fiele die Erbringung der Behandlungspflege in die Pflicht der Beigeladenen zu 2.

Der Beigeladene zu 2. hat im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt und nicht Stellung genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Ag. sowie der Gerichtsakten aus den Verfahren S 11 KR 275/06 ER und S 25 SO 91/09 Bezug genommen, welche sämtlich Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Einstweiligen Rechtsschutz finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
https://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/2013/A4...

Rechtsweg:

SG Halle (Saale), Urteil vom 23.12.2009 - S 25 SO 83/09 ER

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Gründe:

II.

Die Beschwerde des Ast. gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 23. Dezember 2009 ist zulässig, aber unbegründet.

Die Beschwerde ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes hier einen Betrag in Höhe von 750,00 EUR übersteigt. Bereits bei Erlass des angefochtenen Beschlusses am 23. Dezember 2009 hat die rückwirkende Leistungsverpflichtung seit dem 1. September 2009 bei einem täglichen Pflegeaufwand von mindestens 12,74 EUR diesen Wert überschritten gehabt (114 Tage = 1.452,36 EUR).

Die vom Sozialgericht vorgenommene Verpflichtung der Beigeladenen zu 1. kann verfahrensrechtlich auf eine entsprechende Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG gestützt werden (vgl. z.B. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21. Juni 2007 - L 13 SO 5/07 ER - juris).

Das Sozialgericht hat die Beigeladene zu 1. im Ergebnis auch zu Recht verpflichtet, vorläufig die Kosten der Ast. für häusliche Krankenpflege in Form von täglich zwei Insulininjektionen zu übernehmen.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht die isolierte Anfechtungsklage die zutreffende Klageart ist, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte; einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Nach Satz 4 dieser Vorschrift gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Nach § 920 Abs. 2 ZPO sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Der Sachverhalt ist bisher nicht so weit aufgeklärt, dass der Senat im Rahmen der summarischen Prüfung feststellen könnte, ob ein Erfolg der Ast. in der Hauptsache zu erwarten ist, d.h. ein Anordnungsanspruch überwiegend wahrscheinlich ist. Der Anspruch der Ast. auf eine Versorgung mit der begehrten häuslichen Krankenpflege ergibt sich vorliegend unter dem Gesichtspunkt der Folgenabwägung (vgl. zur Entscheidung bei einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens z.B. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 9. Auf. 2008, § 86b RdNr. 29a).

Im vorliegenden Fall erfolgt die ärztliche Verordnung von häuslicher Krankenpflege für die Ast. als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese Verordnung muss sich damit zunächst an den Bestimmungen der nach § 92 Abs. 1 Nr. 6 SGB V beschlossenen HKP-Richtlinie (derzeit in der Fassung vom 17. September 2009, BAnz. Nr. 21a (Beilage), zuletzt geändert durch Beschluss vom 15. April 2010, BAnz. Nr. 93 S. 2214) messen lassen.

Die der Ast. verordneten Insulininjektionen stellen eine Behandlungspflege im Rahmen der Sicherungspflege dar (§ 1 Abs. 3 Buchst. a, § 2 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 HKP-Richtlinie). Eine abschließende Prüfung, ob die medizinischen Voraussetzungen für die ärztliche Verordnung hier erfüllt sind, kann auf der Grundlage des bisherigen Ermittlungsergebnisses nicht erfolgen. Der Ag. hat die Notwendigkeit einer Hinzuziehung von Pflegepersonen für die Verabreichung der Insulininjektionen bei der Ast. in Frage gestellt. Subkutane Injektionen sind nach Nr. 18 des Verzeichnisses verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege als Anlage zur HKP-Richtlinie nur verordnungsfähig bei Patientinnen und Patienten mit einer noch nicht abgeschlossenen Entwicklung, einer hochgradigen Einschränkung der Sehfähigkeit oder der körperlichen Leistungsfähigkeit sowie einer so erheblichen Einschränkung der Grob- oder Feinmotorik der oberen Extremitäten, dass sie die Injektionen nicht aufziehen, dosieren und fachgerecht injizieren können, oder einer starken Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit oder Realitätsverlust, sodass die Compliance bei der medikamentösen Therapie nicht sichergestellt ist. Insbesondere bei Insulininjektionen ist vor der Verordnung dieser Leistungen zu prüfen, ob eine eigenständige Durchführung mit Hilfe eines optimalen PEN/Fertigspritze (Selbstapplikationshilfe) - ggf. auch nach Anleitung - möglich ist. Nach Aktenlage bestehen gewisse Bedenken, ob die Ast. tatsächlich entweder in ihrer Feinmotorik oder in ihren geistigen Fähigkeiten in diesem Umfang eingeschränkt ist. Allerdings hat die Beigeladene zu 1. einen gegen sie gerichteten Leistungsanspruch allein aus rechtlichen Erwägungen verneint und von einer Ablehnung der Genehmigung der Verordnung aus medizinischen Gründen (§ 6 Abs. 1, 3 HKP-Richtlinie) bzw. einer Beauftragung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit einer Beurteilung des Sachverhalts (§ 6 Abs. 2 HKP-Richtlinie) - soweit erkennbar - keinen Gebrauch gemacht. Der Senat legt seiner Entscheidung deshalb die Ausführungen des die Behandlungspflege verordnenden Arztes zugrunde, der die geistigen Fähigkeiten der Ast. nicht für ausreichend erachtet, eine Compliance sicherzustellen. Im Übrigen ergibt sich aus dem Standpunkt der Beigeladenen zu 1., die Ast. könne das Inulininjizieren erlernen, dass auch sie von einem derzeit noch vorliegenden Unvermögen ausgeht.

Unabhängig davon, welcher Sozialleistungsträger hier nach den spezialgesetzlichen Regelungen heranzuziehen ist, lässt sich zumindest aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ein Anspruch der Ast. ableiten, ihr insgesamt finanzielle Mittel in existenzsichernder Höhe zu gewähren sind (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL u.a. - NJW 2010, 505, 507). Die Kosten der erforderlichen Behandlungspflege übersteigen den der Ast. zur Verfügung stehenden Barbetrag. Anhaltspunkte dafür, dass der Pflegedienst - der die rückständigen Zahlungen ausweislich der von der Ast. vorgelegten Mahnschreiben beitreibt - die Leistungen auch ohne Vergütung erbringen würde, bestehen nicht. Die Existenzsicherung der Ast. lässt sich damit im vorliegenden Fall nur durch eine Verpflichtung des Ag. oder der Beigeladenen zu 1. erreichen.

Eine (vorrangige) Leistungspflicht des Beigeladenen zu 2. besteht nicht. Die Einrichtung, in der die Ast. wohnt, ist nach dem mit Wirkung vom 1. November 1998 geschlossenen Heimvertrag nur zu einer medizinisch-pflegerischen Versorgung verpflichtet, "soweit sie von der Wohnstätte erbracht werden kann". Die Beigeladene zu 2. hat bestritten, eine Krankenschwester oder sonstiges medizinisch geschultes Personal in der Wohnstätte zu beschäftigen. Selbst wenn man zur Auslegung der vorgenannten vertraglichen Regelung auf einen Maßstab der geschuldeten Versorgung und nicht der tatsächlich vorhandenen Personalausstattung abstellt, ergibt sich daraus nichts anderes. Aus dem mit dem Ag. geschlossenen Vertrag nach § 75 Abs. 3 SGB XII, der das Leistungsangebot konkretisiert, ergibt sich eine Verpflichtung zur Betreuung nach dem Leistungstyp 5a im Sinne der Anlage B zum Rahmenvertrag. Nach dem im Rahmenvertrag zu d) für diesen Leistungstyp festgelegten Betreuungsbedarf für pflegerische Hilfen sind die in die Einrichtung aufzunehmenden Leistungsberechtigten im Bereich der Pflege von ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten her weitestgehend in der Lage, die Tätigkeiten des Leistungsbereiches selbstständig auszuführen. Es bestehen (nur) Schwierigkeiten, diese Tätigkeiten ohne Anleitung in die Abläufe des Alltags richtig einzuordnen. Legt man die Ausführungen von Dipl.-Med. G. in seinem Schreiben vom 18. November 2009 zugrunde, ist die Ast. nicht in der Lage, die Zusammenhänge ihrer Erkrankung zu erkennen. Trifft dies zu, ist die Verabreichung von Insulininjektionen bei ihr nicht den nach den Regelungen im Rahmenvertrag für den Leistungstyp 5a vorzuhaltenden unterstützenden Leistungen im pflegerischen Bereich gleichzusetzen.

Liegt eine vertragliche Verpflichtung des Beigeladenen zu 2. zur Erbringung der Pflegeleistungen nicht vor, kann dieser als juristische Person des Privatrechts für die Sicherung des Existenzminimums der Ast. erst dann in Anspruch genommen werden, wenn diese im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Verantwortlichkeit nicht zu ereichen ist (vgl. zur Obdachloseneinweisung z.B. OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. Dezember 2009 - 11 ME 316/09 - NJW 2010, 1094 m.w.N.).

Der Senat ist nicht berufen, abschließend zu klären, ob der Ast. im Rahmen der Eigenverantwortung eine Sicherstellung der Pflege durch den Wechsel in eine Einrichtung zumutbar wäre, die über das erforderliche Personal verfügt und entsprechende Leistungen vertraglich zusichert. Diesbezüglich käme es u.a. auf die Versorgungslandschaft mit Einrichtungen im Einzugsbereich der Werkstätte, in der die Ast. arbeitet, an. Der Senat legt seiner Entscheidung den Vortrag der Betreuerin der Ast. zugrunde, dass diese in der Wohnstätte auf Grund ihres langjährigen Aufenthalts - seit November 1998 - dort verwurzelt ist. Selbst wenn sich auf Grund weiterer Ermittlungen eine der Ast. zumutbare Alternative in Form einer Einrichtung ergäbe, in der auch die erforderliche Behandlungspflege Gegenstand der vorzuhaltenden Leistungen ist, wäre ein solcher Wechsel zumindest für einen Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) können hier alternativ der Ag. oder die Beigeladene zu 1. verpflichtet werden. Nach dieser Regelung hat der zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu erbringen, wenn ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht und zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist. In Bezug auf die jeweils nur für einen begrenzten Zeitraum ausgestellten ärztlichen Verordnung können hier sowohl der Ag. als auch die Beigeladene zu 1. als zuerst angegangene Leistungsträger angesehen werden.

Legt man den bisherigen Sach- und Streitstand zugrunde, ist eine Leistungspflicht der Beigeladenen zu 1. eher geboten als eine solche des nach § 2 Abs. 2 SGB XII nur nachrangig heranzuziehenden Ag. Für das Rechtsverhältnis zwischen der Beigeladenen zu 1. und dem Ag. sieht das Gesetz in § 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) Regelungen vor, die eine spätere Korrektur der Auswirkungen der vorläufigen Entscheidung im Wege der Erstattung ermöglichen.

Hier besteht über § 5 Abs. 1 Nr. 7 SGB V eine Versicherungspflicht der Ast. in der gesetzlichen Krankenversicherung, da sie in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen tätig ist.

Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der seit dem 1. April 2007 geltenden Fassung (geändert durch Art. 1 Nr. 33 Buchst. a des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26. März 2007, BGBl. I S. 378) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Wertstätten für behinderte Menschen neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege in Form von Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen. Kann die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen oder besteht Grund, davon abzusehen, sind dem Versicherten nach § 37 Abs. 4 SGB V die Kosten für die selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten. Der Anspruch besteht nach § 37 Abs. 3 SGB V nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann.

Die Ast. lebt nicht in einem eigenen Haushalt im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Ein Haushalt setzt die häusliche, wohnungsmäßige, familienhafte Wirtschaftsführung voraus (allgemeine Meinung; vgl. z.B. Gerlach in: Hauck/Noftz, § 37 RdNr. 27 m.w.N.). Daran fehlt es hier, da die Wohnstätte der Ast. insbesondere eine Vollverpflegung leistet und die Reinigung von Privatwäsche, Zimmer etc. durch die Einrichtung erfolgt.

Die Auslegung des Begriffs des anderen geeigneten Orts im Sinne des § 37 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB V ist noch nicht abschließend geklärt. Der Gesetzesbegründung zur Änderung dieser Vorschriften ist zu entnehmen, dass in Einrichtungen, die vertraglich zur Erbringung von Pflegeleistungen verpflichtet sind, ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege durch ambulante Pflegedienste nicht begründet werden sollte (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum GKV-WSG, Bundestags-Drucks. 16/3100 S. 104 zu Nr. 22 a und c). Diesem gesetzgeberischen Willen entsprechen auch die Regelungen in § 1 Abs. 6 der HKP-Richtlinie.

Gleichzeitig kann der Umstand, dass eine Wohnform der Heimaufsicht nach dem Heimgesetz unterliegt, den Leistungsanspruch nicht konkretisieren, da nicht sichergestellt ist, dass der jeweilige (Landes-) Gesetzgeber diese Folgewirkungen auf sozialrechtliche Leistungsansprüche im Sinne einer Eingrenzung des Schutzanspruchs des Heimbewohners berücksichtigen müsste (a.A. für eine Einrichtung für eine Versorgung Pflegebedürftiger im Sinne des SGB XI LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. April 2009 - L 8 SO 1/07 -, anhängiges Revisionsverfahren Az. B 8 SO 16/09 R; im Ergebnis wie hier LSG Hamburg, Beschluss vom 12. November 2009 - L 1 B 202/09 ER KR; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Februar 2010 - L 9 KR 23/10 B ER).

Da die pflegerische Betreuung in der Wohnstätte des Leistungstyps 5 a, in der die Ast. lebt, nicht zu den im Regelfall dauerhaft zu erbringenden Leistungen gehört, sprechen hier überwiegende Gesichtspunkte dafür, die Wohnstätte abstrakt als geeigneten Ort für die Krankenpflege im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V anzusehen. Fraglich ist allerdings, ob ein "geeigneter Ort" im Sinne des § 37 SGB V auch bei einer im Einzelfall fehlenden Kongruenz von Pflegebedarf des Versicherten und Versorgungsauftrag der Einrichtung vorliegt. Die regelmäßige Pflege durch externe Pflegekräfte ist ggf. wesentlich teurer als die Versorgung im Rahmen einer Einrichtung, die das für die Pflege erforderlich Personal selbst vorhält. Einer solchen Bewertung bedarf es hier aber erst nach abschließender Klärung der vorgenannten medizinischen und rechtlichen Gesichtspunkte.

Die Ast. hat auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund wird durch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile begründet. Das Rechtsmittel des einstweiligen Rechtsschutzes hat vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG die Aufgabe, in den Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung in dem grundsätzlich vorrangigen Verfahren der Hauptsache zu schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteilen führen würde, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG (Kammer), Beschluss vom 22. November 2002, a.a.O., S. 1236 und Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Das bedeutet gleichzeitig, dass es an einem Anordnungsgrund fehlt, wenn die vermutliche Zeitdauer des Hauptsacheverfahrens keine Gefährdung für die Rechtsverwirklichung und -durchsetzung bietet, wenn also dem Ast. auch mit einer späteren Realisierung seines Rechts geholfen ist (vgl. z.B. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. Januar 2010 - 5 AS 216/09 B ER - juris).

Gewisse Bedenken bestehen hier im Hinblick auf den Anordnungsgrund nur, soweit sich der Antrag der Ast. auf einen vor dem 30. September 2009 liegenden Zeitraum erstreckt. Im Übrigen ergibt sich ein Anordnungsgrund der Ast. unter Berücksichtigung der angeführten Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherung des Existenzminimums. Denn aus eigenen Mitteln kann die Ast. die Kosten der Behandlungspflege auch für einen Übergangszeitraum nicht bestreiten. Im Hinblick auf die nachträgliche Rechnungsstellung des Pflegedienstes hält der Senat deshalb auch die vom Sozialgericht vorgenommene Verpflichtung der Beigeladenen zu 1. für bereits vor Antragseingang bei Gericht erbrachte Leistungen für vertretbar, da die Zahlung auf diese Rechnung nach diesem Zeitpunkt fällig geworden ist.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 177 SGG.

Referenznummer:

R/R4822


Informationsstand: 24.02.2011