II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht Potsdam hat den Antragsgegner zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller im Schuljahr 2005/2006 vorläufig Einzelfallhilfe zu seiner Beschulung durch die Grundschule T im zeitlichen Umfang von 20 Stunden je Schulwoche zu gewähren.
Nach § 86 b
Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung ( Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch ( Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b
Abs. 2 Satz 3
SGG i. V. m. §§ 920
Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung -
ZPO -).
Der Antragsteller hat zur Überzeugung des Senats einen Anspruch auf Übernahme der Kosten eines Integrationshelfers im Rahmen der Eingliederungshilfe glaubhaft gemacht.
Dieser Anspruch folgt aus §§ 53, 54
Abs. 1
Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch -
SGB XII -
i. V. m. § 12 Eingliederungshilfeverordnung -
EinglHVO -. Danach sind Leistungen der Eingliederungshilfe auch Hilfen zu einer allgemeinen Schulbildung, vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, und umfassen diese Hilfen auch Maßnahmen zugunsten behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, den Behinderten den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Die vom Antragsteller beanspruchte Hilfe durch Übernahme der Kosten eines Integrationshelfers für den Besuch der Grundschule T ist eine Maßnahme zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne von §§ 53, 54
Abs. 1
Nr. 1
SGB XII i. v. m. § 12
EinglHVO.
Ob der Besuch einer allgemeinen Schule die für ein behindertes Kind angemessene Schulbildung vermittelt, hat nicht der Träger der Jugend- oder Sozialhilfe zu beurteilen. Dies richtet sich vielmehr allein nach Schulrecht. Gemäß § 54
Abs. 1
Nr. 1 2. Halbsatz
SGB XII bleiben nämlich die Bestimmungen des Schulrechts über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt. In welchem Umfang eine bestimmte, nach den Bestimmungen des Schulrechts vorgesehene Beschulung den geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Behinderten entspricht, ist der Prüfung der Schulbehörde vorbehalten.
Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem Bescheid des Staatlichen Schulamtes vom 19. August 2003, mit dem die Zuweisung des Antragstellers an die Sonderschule widerrufen und seine Aufnahme an der allgemeinen Grundschule T ausgesprochen worden ist, um eine Zuweisung im schulrechtlichen Sinne handelt. Denn es fehlt jedenfalls an einer anderweitigen Zuweisung.
Solange aber - wie hier - die Schulaufsichtsbehörde nicht entschieden hat, dass der eine Regelschule besuchende Schulpflichtige zum Besuch einer seiner Behinderung entsprechenden Sonderschule verpflichtet ist, kann der Sozialhilfeträger das schulpflichtige Kind nicht darauf verweisen, eine Sonderschule zu besuchen, um die Gewährung von Eingliederungshilfe überflüssig zu machen (
OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2002 -
16 A 5013/00 - juris MWRE 202011178). Dies gilt umso mehr, als nach dem Brandenburger Schulgesetz - BbgSchulG - vorrangig von einer Beschulung von Menschen mit Behinderungen im gemeinsamen Unterricht mit Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf ausgegangen wird (§ 3
Abs. 4 BbgSchulG). Verzichtet die Schulbehörde auf die Zuweisung an eine Sonderschule und hält die Beschulung an einer Regelschule mithin für möglich, ist dieser Einschätzung auch die Überlegung vorangegangen, dass ein solcher Schulbesuch nur mit Hilfe eines Unterstützers möglich ist (
vgl. Grube/Wahrendorf,
SGB XII, § 54, Rn. 22 a. E.; VGH Mannheim VBlBW 2003, 329, 330).
Der Antragsteller hat auch hinreichend glaubhaft gemacht, dass die begehrte Hilfe ihrer Art nach zu seiner Eingliederung geeignet und erforderlich ist. Im Rahmen des Eilrechtsschutzes dürfen die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller des Eilverfahrens nicht überspannt werden (
BVerfG 1 BvR 569/05 vom 12. Mai 2005, Breithaupt 2005,
S. 803
ff.). Nach den aktenkundigen Ausführungen der Klassenleiterin des Antragstellers Frau R in einer zusammenfassenden Aufstellung vom 02. Mai 2005, die diese im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht am 02. August 2005 wiederholt hat, weist der Antragsteller neben den Beeinträchtigungen in seiner geistigen Entwicklung auch Beeinträchtigungen in der Feinmotorik, der Wahrnehmung, der Sprache und im Bereich des Sozialverhaltens auf. Seine verminderte Wahrnehmungsfähigkeit (starke Brille), die außerdem noch durch Reize aus der Umgebung häufig eingeschränkt wird, führe dazu, dass er Gefahrenquellen nicht immer erkenne. Er werde deshalb von der Betreuerin morgens vom Auto abgeholt und überquere mit ihr gemeinsam die Straße. Auch auf allen anderen Gängen durch das Schulhaus und über das Schulgelände werde er begleitet und an eine langsame, kontrollierte und den Regeln entsprechende Fortbewegung erinnert. Der Antragsteller könne Handlungen,
z. B. Toilettengänge, nicht allein erledigen, da er beim Anziehen (Feinmotorik) und Händewaschen (Anleitung und Willensstärkung) Hilfe benötige, unerlaubt in andere Räume gehe und nicht selbständig zurückkehre (kein Zeitgefühl). Der Antragsteller weise Weglauf-Tendenzen im Zusammenhang mit aktuellen Bedürfnissen (Durst, Wasserlassen) auf, denen er unvorhergesehen und unvermittelt nachkomme. Ferner bedürfe er Hilfestellungen beim Auspacken seiner Arbeitsmittel, beim Umgang mit Schreibgeräten und der Schere und bei der Nutzung anderer individueller Lernmittel. Diese Hilfestellungen könne ihm die Lehrerin nicht kontinuierlich bieten, da sie auch anderen Schülern Hilfestellungen leisten müsse. Ferner benötige er zusätzliche Ruhepausen, in denen er sich mit einer Einzelfallhilfe in einen ruhigeren Raum zurückziehen können müsse. Bei allen Verrichtungen im Tagesablauf (Umziehen zum Sportunterricht, Tellertragen beim Mittagessen, Auswickeln des Pausenbrotes) erforderten seine feinmotorischen Schwierigkeiten ständige Hilfestellungen und Orientierungen. Daher sei für den Antragsteller während der gesamten Unterrichtszeit, das sind 5 Stunden täglich, einschließlich der Pausen diese Betreuung erforderlich.
Diese Zusammenstellung der Klassenleiterin gibt ausweislich der Ausführungen der Schulleiterin Frau P im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht die Auffassung der Gesprächsteilnehmer an einem Fallgespräch betreffend den Antragsteller vom 24. Mai 2005 wieder, an dem neben den Eltern und der Klassenlehrerin auch die für den Antragsteller eingesetzte Sonderpädagogin und dessen Einzelfallhelferin sowie eine Protokollantin teilgenommen haben. Dem kann der Antragsgegner nicht mit dem Hinweis entgegengetreten, dass der Antragsteller ausweislich des letzten Entwicklungsberichts der Sonderpädagogin bereits erheblich selbständiger sei als von der Zeugin bekundet.
Bei den geschilderten Hilfestellungen durch die Einzelfallhilfe handelt es sich erkennbar um Hilfestellungen zur praktischen Bewältigung der im Zusammenhang mit dem Besuch einer Schule stehenden Schwierigkeiten und nicht um sonderpädagogische Maßnahmen. Dass diese Aufgaben während der Anwesenheit der vom Schulamt bereitgestellten Sonderpädagogin von dieser übernommen werden, erhebt die lebenspraktischen Hilfestellungen nicht in den Rang von sonderpädagogischen schulischen Fördermaßnahmen.
Auch der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe gemäß § 2
Abs. 1
SGB XII steht hier dem geltend gemachten Eingliederungsanspruch nicht entgegen, selbst wenn es Aufgabe der Schulbehörde beziehungsweise des Schulträgers sein sollte, das für die sonderpädagogische Förderung von schulpflichtigen Kindern erforderliche fachlich qualifizierte Personal sowie das für die damit zusammenhängenden Hilfestellungen im Unterricht erforderliche zusätzliche Personal zu stellen beziehungsweise die Kosten hierfür zu tragen (§ 68
Abs. 1 und 2, § 29
Abs. 2 BbgSchulG). Denn der Nachrang der Sozialhilfe setzt voraus, dass ein solcher Anspruch rechtzeitig durchgesetzt werden kann und die anderweitige Hilfe tatsächlich bereitsteht. Letzteres war vorliegend aber nicht der Fall. Denn das Staatliche Schulamt Wünsdorf hatte ausdrücklich mit Bescheid vom 13. Januar 2005 den Einsatz weiteren pädagogischen Personals für den Antragsteller, über die bewilligte ergänzende Förderung durch eine sonderpädagogische Fachkraft hinaus, abgelehnt. Es entspricht aber höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass der betroffene Bürger auf dem Gebiet des Sozialhilferechts und des Sozialrechts allgemein nicht gezwungen werden kann, den Streit über die Zuständigkeit zwischen den Behörden auf sein Risiko und seine Kosten zu klären. Der Zuständigkeitsstreit ist vielmehr von den beteiligten Behörden auszutragen. Bei der Beurteilung, ob der Hilfesuchende sich in einem seinen Sozialhilfeanspruch ausschließenden Sinne selbst helfen könne - wozu je nach den Umständen des Einzelfalles auch die Beschreitung des Rechtswegs gehören kann -, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Hilfesuchende einen Rechtsanspruch gegen einen Dritten hat, sondern darauf, ob er die benötigte Hilfe auch tatsächlich erhalten oder den Anspruch gegen den Dritten rechtzeitig realisieren kann (Bundesverwaltungsgericht, 5 C 38.92 - Buchholz 436.0 § 2 BSHG
Nr. 16).
Nach alledem hat der Antragsteller einen zusätzlichen Betreuungsbedarf im zeitlichen Umfang von 20 Stunden je Schulwoche im Schuljahr 2005/2006 nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung ausreichend glaubhaft gemacht.
Der Antragsgegner kann im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht mit dem Einwand gehört werden, dass die Schulhelferin des Antragstellers von ihrer Ausbildung her überqualifiziert und zu teuer sei. Denn die Höhe der Kosten für die dem Antragsteller zugesprochene Einzelfallhilfe war nicht Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens. Ob der Antragsteller auf die Inanspruchnahme einer kostengünstigeren Betreuungsmöglichkeit verwiesen werden kann, ist daher nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens und kann im Übrigen nicht ohne zeitraubende weitere Ermittlungen und somit nicht im Rahmen eines vorläufigen Eilrechtsschutzverfahrens geklärt werden.
Ein Anordnungsgrund besteht. Ein Aussetzen der seit längerer Zeit in Anspruch genommenen Schulhilfe bis zum Ergehen einer vollziehbaren Entscheidung im Hauptsacheverfahren hätte für den Antragsteller unzumutbare Folgen. Namentlich würde der bislang bereits erreichte Eingliederungserfolg in Frage gestellt werden. Im Hinblick darauf, dass die Eltern des Antragstellers eine zusätzliche Einzelfallhilfe in den beiden vorangegangenen Schuljahren bereits vorfinanziert haben, ist ihnen das erneute Vorstrecken der für die Einzelfallhilfe erforderlichen finanziellen Mittel nicht mehr zuzumuten. Ein Anordnungsgrund wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Antragsteller Leistungen der Pflegekasse erhält. Das dem Antragsteller gewährte Pflegegeld dient der Sicherstellung der häuslichen Pflege. Dem Antragsteller ist nicht zuzumuten, dieses Geld für die Dauer des Hauptsacheverfahrens für eine Eingliederungsmaßnahme einzusetzen; zumal es die Kosten der Einzelfallhilfe nur zu einem geringen Teil abdecken könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG analog.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177
SGG).