Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob
Art. 3
Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 und
Art. 14
Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54 dahin auszulegen sind, dass eine Situation, in der eine Person mit ihrer Stellenbewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur den formalen Status als Bewerber erlangen möchte, und zwar mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen, unter den Begriff "Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit" im Sinne dieser Bestimmungen fällt und ob eine solche Situation nach Unionsrecht als Rechtsmissbrauch bewertet werden kann.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist in einem Vorabentscheidungsverfahren nach
Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits zuständig (
vgl. u. a. Urteil vom 25. Oktober 2012, Rintisch, C-553/11,
EU:C:2012:671, Rn. 15). In diesem Rahmen beschränkt sich die Zuständigkeit des Gerichtshofs darauf, sich anhand der Sach- und Rechtslage, wie sie das vorlegende Gericht dargestellt hat, zur Auslegung oder zur Gültigkeit des Unionsrechts zu äußern, um dem vorlegenden Gericht sachdienliche Hinweise für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu geben (
vgl. u. a. Urteil vom 9. November 2006, Chateignier, C-346/05,
EU:C:2006:711, Rn. 22).
Folglich sind die Vorlagefragen des Bundesarbeitsgerichts auf der Grundlage der Sachverhaltsangaben in der Vorlageentscheidung zu beantworten.
Nach der Vorlageentscheidung ist das Ausgangsverfahren dadurch gekennzeichnet, dass Herr Kratzer seine Bewerbung um eine Trainee-Stelle bei R+V nicht eingereicht hat, um diese Stelle zu erhalten, sondern nur, um den formalen Status als Bewerber zu erlangen, und zwar mit dem alleinigen Ziel, auf der Grundlage der Richtlinien 2000/78 und 2006/54 eine Entschädigung geltend zu machen.
Ein Sachverhalt, der Merkmale aufweist, wie sie in der Vorlageentscheidung beschrieben sind, fällt grundsätzlich nicht in den Geltungsbereich der Richtlinien 2000/78 und 2006/54.
Schon ihrem jeweiligen Titel nach betreffen diese Richtlinien den Bereich Beschäftigung und Beruf
bzw. Arbeit und Beschäftigung.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich sowohl aus dem Titel und den Erwägungsgründen als auch aus dem Inhalt und der Zielsetzung der Richtlinie 2000/78, dass diese einen allgemeinen Rahmen schaffen soll, der gewährleistet, dass jeder "in Beschäftigung und Beruf" gleich behandelt wird, indem sie dem Betroffenen einen wirksamen Schutz vor Diskriminierungen aus einem der in ihrem
Art. 1 genannten Gründe - darunter auch das Alter - bietet (
vgl. u. a. Urteile vom 16. Oktober 2007, Palacios de la Villa, C-411/05,
EU:C:2007:604, Rn. 42, vom 13. September 2011, Prigge
u. a., C-447/09,
EU:C:2011:573, Rn. 39, und vom 13. November 2014, Vital Pérez, C-416/13,
EU:C:2014:2371, Rn. 28).
Ziel der Richtlinie 2006/54 ist nach ihrem
Art. 1
Abs. 1, die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherzustellen.
Insbesondere ergibt sich aus
Art. 3
Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 sowie
Art. 1
Abs. 2 Buchst. a und
Art. 14
Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54, dass diese Richtlinien für eine Person gelten, die eine Beschäftigung sucht, und zwar auch in Bezug auf die Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen für diese Beschäftigung (
vgl. Urteil vom 19. April 2012, Meister, C-415/10,
EU:C:2012:217, Rn. 33).
Bei einer Person, die eine Stellenbewerbung unter Umständen wie den in Rn. 29 des vorliegenden Urteils beschriebenen einreicht, ist jedoch offensichtlich, dass sie die Stelle, um die sie sich formal bewirbt, gar nicht erhalten will. Daher kann sie sich nicht auf den durch die Richtlinien 2000/78 und 2006/54 gewährten Schutz berufen. Eine andere Auslegung wäre unvereinbar mit dem von diesen Richtlinien verfolgten Ziel, zu gewährleisten, dass jeder "in Beschäftigung und Beruf"
bzw. "in Arbeits- und Beschäftigungsfragen" gleich behandelt wird, indem dem Betroffenen ein wirksamer Schutz gegen bestimmte Diskriminierungen,
u. a. beim "Zugang zur Beschäftigung", geboten wird.
Eine solche Person kann zudem unter derartigen Umständen weder als Opfer im Sinne von
Art. 17 der Richtlinie 2000/78 und
Art. 25 der Richtlinie 2006/54 noch als eine Person, der ein Schaden entstanden ist, im Sinne von
Art. 18 der Richtlinie 2006/54 angesehen werden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs darf sich niemand in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf die Rechtsvorschriften der Europäischen Union berufen (
vgl. Urteil vom 13. März 2014, SICES
u. a., C-155/13,
EU:C:2014:145, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Feststellung eines missbräuchlichen Verhaltens verlangt das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Tatbestandsmerkmals (
vgl. Urteil vom 13. März 2014, SICES
u. a., C-155/13,
EU:C:2014:145, Rn. 31).
Was zum einen das objektive Tatbestandsmerkmal betrifft, muss sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der von der Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde (
vgl. insbesondere Urteile vom 14. Dezember 2000, Emsland-Stärke, C-110/99,
EU:C:2000:695, Rn. 52, und vom 13. März 2014, SICES
u. a., C-155/13,
EU:C:2014:145, Rn. 32).
Zum anderen erfordert eine solche Feststellung ein subjektives Tatbestandsmerkmal: Es muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass wesentlicher Zweck der fraglichen Handlungen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist. Denn das Missbrauchsverbot greift nicht, wenn die fraglichen Handlungen eine andere Erklärung haben können als nur die Erlangung eines Vorteils (
vgl. Urteile vom 21. Februar 2006, Halifax
u. a., C-255/02,
EU:C:2006:121, Rn. 75, vom 22. Dezember 2010, Weald Leasing, C-103/09,
EU:C:2010:804, Rn. 30, und vom 13. März 2014, SICES
u. a., C-155/13,
EU:C:2014:145, Rn. 33).
Zum Beweis für das Vorliegen dieses zweiten Tatbestandsmerkmals, das auf die Absicht der Handelnden abstellt, kann
u. a. der rein künstliche Charakter der fraglichen Handlungen berücksichtigt werden (
vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Dezember 2000, Emsland-Stärke, C-110/99,
EU:C:2000:695, Rn. 53 und 58, vom 21. Februar 2006, Halifax
u. a., C-255/02,
EU:C:2006:121, Rn. 81, vom 21. Februar 2008, Part Service, C-425/06,
EU:C:2008:108, Rn. 62, sowie vom 13. März 2014, SICES
u. a., C-155/13,
EU:C:2014:145, Rn. 33).
Es ist Sache des nationalen Gerichts, gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts - soweit dadurch die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigt wird - festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen eines missbräuchlichen Verhaltens im Ausgangsverfahren erfüllt sind (
vgl. Urteile vom 14. Dezember 2000, Emsland-Stärke, C-110/99,
EU:C:2000:695, Rn. 54, vom 21. Juli 2005, Eichsfelder Schlachtbetrieb, C-515/03,
EU:C:2005:491, Rn. 40, vom 21. Februar 2006, Halifax
u. a., C-255/02,
EU:C:2006:121, Rn. 76, und vom 13. März 2014, SICES
u. a., C-155/13,
EU:C:2014:145, Rn. 34).
Ließe sich zum einen objektiv feststellen, dass trotz formaler Einhaltung der in den Richtlinien 2000/78 und 2006/54 vorgesehenen Bedingungen der Zweck dieser Richtlinien nicht erreicht wurde, und zum anderen, dass Herr Kratzer eine Scheinbewerbung um eine Stelle mit dem wesentlichen Ziel eingereicht hat, nicht diese Stelle anzutreten, sondern sich auf den durch diese Richtlinien gewährten Schutz zu berufen, um einen ungerechtfertigten Vorteil zu erlangen - was zu prüfen Sache des vorlegende Gerichts ist -, wäre somit anzunehmen, dass sich Herr Kratzer missbräuchlich auf diesen Schutz beruft.
Unter diesen Umständen sind
Art. 3
Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 und
Art. 14
Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54 dahin auszulegen, dass eine Situation, in der eine Person mit ihrer Stellenbewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur den formalen Status als Bewerber erlangen möchte, und zwar mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen, nicht unter den Begriff "Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit" im Sinne dieser Bestimmungen fällt und, wenn die nach Unionsrecht erforderlichen Tatbestandsmerkmale vorliegen, als Rechtsmissbrauch bewertet werden kann.
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.