Urteil
Entschädigung wegen einer Diskriminierung als Schwerbehinderter im Bewerbungsverfahren - fehlende fachliche Eignung

Gericht:

LAG Mainz


Aktenzeichen:

5 Sa 597/11


Urteil vom:

05.03.2012


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 15.09.2011, Az.: 9 Ca 639/11 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob der Kläger von dem beklagten Land eine Entschädigung wegen der Diskriminierung als Schwerbehinderter verlangen kann.

Das beklagte Land hat eine zu besetzende Stelle wie folgt ausgeschrieben:

"... einer/eines Chefsekretärin/Chefsekretärs

in Vollzeitbeschäftigung im Vorzimmer der Staatssekretärin zu besetzen.

Gesucht wird eine engagierte, belastbare, teamfähige, flexible und verantwortungsbewusste Persönlichkeit, die alle Sekretariatsaufgaben (Führung von Wiedervorlagelisten, Überwachung von Fristen, Vereinbarung und Vorbereitung von Terminen, Organisation von Besprechungen, Schreibtischtätigkeiten u. ä, m.) sicher beherrscht. Erwartet werden des Weiteren neben guten EDV-Kenntnissen, insbesondere im Umgang mit Microsoft-Office-Produkten, ein sicheres, freundliches Auftreten und Organisationsgeschick. Eine abgeschlossene Ausbildung als Fachkraft für Bürokommunikation bzw. als Rechtsanwaltsfachgehilfin/Rechtsanwaltsfachgehilfe oder eine ähnliche Ausbildung wird für diese Stelle vorausgesetzt. Verwaltungserfahrung ist wünschenswert.

...

...Bewerbungen schwerbehinderter Menschen werden bei entsprechender Eignung bevorzugt."

Der Kläger hat sich auf diese Stelle mit Schreiben vom 13.10.2010 (Bl. 15, 16 d.A.) beworben. Ausweislich dieses Bewerbungsschreibens und des im Rahmen des erstinstanzlichen Rechtszuges zur Akte gelangten Lebenslaufs (Bl. 56 ff. d.A.) verfügt der Kläger über eine im Jahr 1978 abgeschlossenen Ausbildung zum Sparkassen-Kaufmann. Nach einer Zeit der Berufstätigkeit in seinem Ausbildungsberuf bei der Sparkasse A-Stadt studierte er bis zum 31.12.1982 Jura, ohne insoweit einen Abschluss zu absolvieren und nahm dann nach aushilfsweiser Tätigkeit bei der Sparkasse A-Stadt und der Volksbank A-Stadt ein Angebot letzterer für eine Tätigkeit als Bankkaufmann an. Hinsichtlich der weiteren beruflichen Tätigkeiten des Klägers wird auf Seite 2, 3 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 112, 113 d.A.) Bezug genommen.

Das beklagte Land, das den zu besetzenden Arbeitsplatz frühzeitig der Agentur für Arbeit gemeldet hatte, erhielt 180 Bewerbungen. 11 davon stammen von schwerbehinderten Menschen. Über diese wurde die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen unmittelbar nach Eingang unterrichtet. Das beklagte Land erstellte eine Übersicht über diese Bewerbungen; insoweit wird auf Bl. 52, 53 d.A. Bezug genommen.

Alle Bewerbungen wurden im Hinblick auf die Ausbildungsvoraussetzungen nach Maßgabe der Stellenausschreibung überprüft. In dieser ersten Vorauswahl wurde entschieden, wer zu einem Gespräch geladen wurde. Der Kläger und drei weitere schwerbehinderte Menschen, die in der zuvor dargestellten Übersicht aufgeführt sind, wurden nicht zu diesem Personenkreis gezählt und folglich nicht eingeladen. Sechs Bewerber/innen, darunter der schwerbehinderte Bewerber Herr L. sowie die schwerbehinderte Bewerberin Frau G. wurden zu einer Arbeitsprobe für den 05. und 08.11.2010 eingeladen. Die Bewerberin Frau G. nahm vor diesem Termin ihre Bewerbung zurück. Nach Auswertung des Einstellungstests wurden noch vier Personen - einschließlich des schwerbehinderten Herrn L. - zum Vorstellungsgespräch am 09.11.2011 bei der Staatssekretärin eingeladen. Diese entschied sich für Herrn F. Ch. mit einer Ausbildung als Fachkraft Bürokommunikation.

Dem Kläger wurde sodann unter dem 16.11.2010 mitgeteilt, dass man sich für einen anderen Bewerber entschieden habe.

Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger nach vergeblicher außergerichtlicher Geltendmachung die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

Der Kläger hat vorgetragen,

über die vielen Jahre seiner Beschäftigung in sämtlichen Bereichen, auch in Sekretariatsbereichen, habe er Erfahrungen gesammelt, was sich aus den von ihm vorgelegten Zeugnissen ergebe. Gleiches ergebe sich aus seiner langjährigen Beschäftigung als Verwaltungsangestellter. Auch als Bankkaufmann müsse man Termine vorbereiten, Fristen einhalten, Telefonate führen, Besucher empfangen und Post bearbeiten; insoweit handele es sich allesamt um Tätigkeiten, die jedem Büroarbeitsplatz immanent seien. Es sei ihm folglich nicht fremd, eingehende Post nach der Organisation des Büros zu sortieren und ausgehende Post nach Unterschriftskontrolle versandfertig zu machen. Er sei ferner in der Lage, Besucher zu empfangen, Telefongespräche zu führen und Anliegen zu erfragen. Dies ergebe sich bereits aus seiner Tätigkeit beim Amt für Straßen- und Verkehrswesen X-Stadt in der Schadenssachbearbeitung. Auch könne er einfachen Schriftverkehr bearbeiten und einfache Aktenvermerke verfassen sowie Schriftverkehr nach Diktat führen. Mit Registraturarbeiten sei er während seiner Tätigkeit im Ausländeramt in L-Stadt betraut gewesen. Welche besonderen Qualifikationen auf der nun in Rede stehenden Stelle im Vorzimmer benötigt würden, ergebe sich aus dem Sachvortrag des beklagten Landes nicht. Eine einjährige Einarbeitszeit sei jedenfalls zu bestreiten, vielmehr sei er ohne nennenswerte Einarbeitszeit in der Lage, die Tätigkeiten eines Vorzimmers zu bewältigen. Nachdem die Mitbewerberin G. - Ausbildung als Zahnarzthelferin, bis 2010 umgeschult zur Verwaltungsfachangestellten - und die Mitbewerberin T. - Ausbildung zur Fremdsprachenhostess und Werbekauffrau, von 2000 bis 2010 Sekretärin/Assistentin sowie Sachbearbeiterin/Sekretärin in verschiedenen Firmen - zum Vorstellungsgespräch geladen worden seien, habe man ihn insoweit nicht außen vor lassen dürfen. Das seitens des beklagten Landes für Herr F. Ch. behauptete beste Ergebnis beim Einstellungstest sowie die Ergebnisse seiner Vorstellungsrunde bestreite er mit Nichtwissen.

Der Kläger hat beantragt,

das beklage Land zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung nach billigem Ermessen des Gerichts, mindestens jedoch in Höhe von EUR 9.724,62 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land hat vorgetragen,

weder das abgebrochene Jurastudium des Klägers noch seine Ausbildung zum Bankkaufmann erfüllten die zwingenden Ausbildungsvoraussetzungen der Stellenbeschreibung. Unter ähnlichen Ausbildungen in diesem Sinne seien nur solche zu verstehen, die von demselben Berufsfeld erfasst würden, wie z.B. Fremdsprachensekretär/in, Arztsekretär/in, Kommunikationsassistent/in. Dass der Kläger je Sekretariatsaufgaben wahrgenommen habe, wofür die sichere Beherrschung aller Sekretariatsaufgaben in der Ausschreibung gefordert worden sei, sei aus seinen Zeugnissen nicht erkennbar. Die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen habe nach eingehender Prüfung sieben schwerbehinderte Bewerber/innen für die Teilnahme an Vorstellungsgesprächen vorgeschlagen; im Falle des Klägers habe auch die Zeugin H. gegen eine Einladung votiert. Die Ausbildungsrahmenpläne für die Ausbildung zur Fachkraft zur Bürokommunikation sowie die Ausbildung zur/zum Rechtsanwaltsfachangestellten sähen die "Büropraxis und -organisation" bzw. bürowirtschaftliche Abläufe/Bürokommunikationen" mit den zu vermittelnden Fertigkeiten und Kenntnissen wie z.B. Termin- und Fristenkontrolle betreiben sowie Termine und Fristen überwachen, eingehende Post nach der Organisation des Büros sortieren, ausgehende Post nach Unterschriftenkontrolle versandfertig machen, Besucher empfangen, Telefongespräche führen und Anliegen erfragen, Schriftverkehr nach Diktat führen, einfachen Schriftverkehr bearbeiten und einfache Aktenvermerke verfassen sowie Registraturarbeiten sachgerecht durchführen usw. als einen wesentlichen Teil des Ausbildungsberufes vor. Des Weiteren beinhalteten beide Ausbildungen die Vermittlung von Fertigkeiten und Kenntnissen auf dem Gebiet der Rechtsanwendung. Aufgrund der Vermittlung aller dieser Fertigkeiten und Kenntnisse sei man davon ausgegangen, dass Absolventen gerade dieser Ausbildung in der Lage seien, die Tätigkeiten im Vorzimmer ohne nennenswerte Einarbeitung zu bewältigen. Der Erwerb von Fertigkeiten für Teilbereiche der ausgeschriebenen Stelle auf autodidaktischem Weg bzw. durch Erfahrungen in fremden Berufen genüge auf einer Schlüsselposition wie dem Vorzimmer einer Staatssekretärin nicht aus. Auch im Vergleich zu den anderen schwerbehinderten Bewerber/innen stelle seine Bewerbung keine Konkurrenz dar.

Das Arbeitsgericht Mainz hat die Klage daraufhin durch Urteil vom 18.08.2011 - 9 Ca 639/11 - abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 112 bis 120 d.A. Bezug genommen.

Gegen das ihm am 06.10.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger durch am 26.10.2011 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Er hat die Berufung durch am 06.01.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf seinen begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 17.11.2011 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 06.01.2012 einschließlich verlängert worden war.

Der Kläger wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor: Bereits die Nichteinladung zu einem persönlichen Bewerbergespräch lasse eine den Entschädigungsanspruch auslösende Benachteiligung vermuten. Diese werde bestärkt dadurch, dass das beklagte Land zwei Mitbewerberinnen zu einem Vorstellungsgespräch geladen habe, die gleichfalls nicht über die im Stellenprofil geforderten Ausbildungen verfügten. Insgesamt sei die eingetretene Vermutung zum Nachteil des beklagten Landes von diesem nicht widerlegt worden. Auf nachträglich gebildete Maßstäbe dürfe sich das beklagte Land nicht berufen. Dem Kläger sei die Möglichkeit genommen worden, trotz etwaiger Zweifel an seiner Eignung das beklagte Land in einem persönlichen Gespräch von sich zu überzeugen. Diese Chance sei durch das Verhalten des beklagten Land vereitelt worden.

Zur weiteren Darstellung der Auffassung des Klägers wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 06.01.2012 (Bl. 144 bis 150 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung nach billigem Ermessen des Gerichts, mindestens jedoch in Höhe von EURO 9.724,62 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das beklagte Land verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor:
Die zunächst eingetretene Vermutungswirkung sei schon deshalb widerlegt, weil es auch andere schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe. Entscheidend sei deshalb vorliegend allein, dass der Kläger offensichtlich ungeeignet für die ausgeschriebene Stelle gewesen sei, so dass die Einladung habe unterbleiben dürfen. Was die beiden gleichwohl, d.h. trotz bestehender Zweifel an der Eignung, vom Kläger benannten Bewerberinnen anbelange, sei die Einladung ja gerade deshalb erfolgt, um angesichts einer bei diesen noch nicht als offensichtlich angenommenen Ungeeignetheit durch ein persönliches Gespräch und entsprechender Nachfragen bestehende Zweifel auszuräumen. Das beklagte Land habe insoweit keineswegs Maßstäbe gebildet, die erst im Auswahlverfahren Geltung erlangt hätten. Maßgeblich sei vielmehr das in der Stellenausschreibung vorgegebene Anforderungsprofil.

Zur weiteren Darstellung der Auffassung des beklagten Landes wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 07.02.2012 (Bl. 161 bis 166 d.A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 05.03.2012 (Bl. 168 ff. d.A.).

Rechtsweg:

ArbG Mainz Urteil vom 15.09.2011 - 9 Ca 639/11

Quelle:

Landesrecht Rheinland-Pfalz

Entscheidungsgründe:

I. Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II. Das Rechtsmittel der Berufung des Klägers hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in seiner Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage des Klägers unbegründet ist.

Der Kläger hat gegen das beklagte Land keinen Anspruch auf Entschädigung nach §§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 1, 2 AGG. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung liegen nicht vor. Nach Maßgabe der vorgenannten Vorschriften hat ein Arbeitnehmer, der entgegen des in § 7 Abs. 1 AGG genannten Verbots wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale benachteiligt worden ist, Anspruch auf Schadensersatz (§ 15 Abs. 1 AGG), gegebenenfalls auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Geld, wenn kein Vermögensschaden vorliegt. Dabei darf gemäß § 15 Abs. 2 AGG die Entschädigung drei Monatseinkünfte nicht übersteigen, wenn es um den Fall einer Benachteiligung bei einer Bewerbung geht und der abgelehnte Bewerber auch bei diskriminierungsfreier Behandlung die Stelle nicht erhalten hätte. Gemäß § 15 Abs. 4 AGG bedarf es der Geltendmachung der Ansprüche binnen drei Monaten nach Ablehnung der Bewerbung.

Eine rechtzeitige Geltendmachung durch den Kläger im Sinne der zuletzt genannten Vorschriften ist gegeben; es fehlt aber in der Sache an seiner Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung. Ein für den Entschädigungsanspruch - und nur den macht der Kläger vorliegend geltend - nach § 15 Abs. 2 AGG erforderlicher Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot liegt nicht vor. Es ergeben sich weder Indiztatsachen im Sinne von § 22 AGG, die eine Benachteiligung vermuten lassen, noch liegen sonstige Anhaltspunkte vor, die für eine Benachteiligung des Klägers gerade wegen seiner Behinderung sprechen.

Das beklagte Land hat seine Pflichten gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2, 4 SGB IX erfüllt; auch eine Zuwiderhandlung gegen § 82 Satz 2, 3 SGB IX, die die Vermutung einer Benachteiligung wegen einer Behinderung begründen könnte, ist nicht gegeben. Das beklagte Land durfte letztlich von einer Einladung des Klägers absehen, weil ihm die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich fehlte.
§ 82 SGB IX normiert besondere Pflichten für den öffentlichen Arbeitgeber, u.a. zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Wird ein Schwerbehinderter entgegen § 82 S. 2 SGB IX auf seine Bewerbung hin (vorausgesetzt werden vollständige Bewerbungsunterlagen; Sächs. LAG 14.09.2005 LAGE § 81 SGB IX Nr. 6) auf eine von einem öffentlichen Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle nicht zum Vorstellungsgespräch geladen, obwohl ihm die fachliche Eignung für die zu besetzende Stelle nicht offensichtlich fehlt (s. dazu BAG 21.07.2009 EzA § 82 SGB IX Nr. 1; LAG Saarl. 13.02.2008 LAGE § 82 SGB IX Nr. 2; BVerwG 22.02.2008 - 5 B 209/07 - EzA-SD 4/2009 S. 16 LS; 03.03.2011 NZA 2011, 977), begründet dies die Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung i.S.v. § 81 Abs. 2 SGB IX (BAG 12.09.2006 EzA § 81 SGB IX Nr. 4; LAG Nds. 24.04.2008 LAGE § 15 AGG Nr. 4; LAG SchlH 08.11.2005 - 5 Sa 277/05 - EzA-SD 1/2006 S. 15 LS; BVerwG 22.02.2008 - 5 B 209/07 - EzA-SD 4/2009 S. 16 LS). Der öffentliche Arbeitgeber kann den vorliegenden Verstoß heilen, wenn er den Bewerber im noch laufenden Bewerbungsverfahren nachträglich zu einem Bewerbungsgespräch einlädt. Dies gilt auch, wenn die Einladung erst erfolgt, nachdem der Bewerber selbst auf den Verstoß hingewiesen hat; der Wegfall der Indizwirkung nach § 22 AGG tritt auch dann ein, wenn der Bewerber die Nachholung des Bewerbungsgesprächs durch eigene Absage des Gesprächs unmöglich macht (ArbG Hamburg 01.02.2011 NZA-RR 2011, 444).

Ein schwerbehinderter Bewerber muss nach der gesetzlichen Regelung bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Er soll den Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können (BAG 21.07.2009 EzA § 82 SGB IX Nr.2); ob die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, ist an dem vom öffentlichen Arbeitgeber mit der Stellenausschreibung bekannt gemachten Anforderungsprofil zu messen (BVerwG 03.03.2011 NZA 2011, 977). Diese Voraussetzung ist aber jedenfalls dann gegeben, wenn es aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist, den Arbeitsplatz mit dem Bewerber zu besetzen (BVerwG 15.12.2011 2 A 13, 10 FA 2012, 75). Gleiches gilt dann, wenn feststeht, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung entgegen § 81 Abs. 1 S. 4 SGB IX nicht über die eingegangene Bewerbung eines bestimmten schwerbehinderten Menschen unterrichtet hat (BAG 15.02.2005 EzA § 81 SGB IX Nr. 6; LAG Hamm 17.11.2005 - 8 Sa 1213/05 - FA 2006, 190 LS), sowie dann, wenn er dem Arbeitnehmer entgegen § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX keine Gründe für die Ablehnung der Bewerbung mitgeteilt hat (LAG Hessen 07.11.2005 NZA-RR 2006, 312 u. 22.03.2006 - 2 Sa 1686/05 - ArbuR 2006, 373 LS). Andererseits bleibt es dem Arbeitgeber überlassen, z.B. in der veröffentlichten Stellenausschreibung das Anforderungsprofil einer zu besetzenden Stelle festzulegen; daran bleibt er für die Dauer des Auswahlverfahrens dann aber auch gebunden (BAG 21.07.2009 EzA § 82 SGB IX Nr. 1; s.a. BVerwG 03.03.2011 5 C 16.10 FA 2011, 205 = NZA 2011, 977). Entspricht der Bewerber diesem nicht, auch wenn er höher qualifiziert ist und wird er deswegen nicht im Auswahlverfahren berücksichtigt, so liegt selbst dann keine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung vor, wenn der Arbeitgeber bei der Bewerbung Verfahrensvorschriften nicht eingehalten hat (unterbliebene Mitteilung an die Bundesagentur für Arbeit, unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch; LAG RhPf 01.09.2005 ZTR 2006, 207); Verfahrensfehler ersetzen nicht die notwendige Kausalität zwischen der Schwerbehinderung und dem Nachteil der erfolglosen Bewerbung (VGH BW 21.09.2005 BB 2006, 559 LS).

Ein Anspruch auf Einladung besteht auch dann nicht, wenn der öffentliche Arbeitgeber den Arbeitsplatz berechtigterweise nur intern zur Besetzung ausschreibt (BVerwG 15.12.2011 2 A 13, 10 FA 2012, 75).

Der Arbeitnehmer trägt an sich die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen u.a. einer Diskriminierung und der Kausalität zwischen Behinderung und Nichteinstellung (VGH BW 21.09.2005 BB 2006, 559 LS). Eine unterbliebene Einladung ist allerdings ein Indiz für die Vermutung, der Bewerber sei wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden. Diese Vermutung kann der öffentliche Arbeitgeber nur durch den Beweis widerlegen, dass für die Nichteinladung nur solche Gründe vorgelegen haben, welche nicht die fehlende Eignung des Bewerbers oder dessen Schwerbehinderung betreffen (BAG 16.02.2012 - 8 AZR 697/10 -).
Der Arbeitnehmer kann zudem gemäß § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 3 SGB IX eine Beweislastverschiebung herbeiführen, indem er Hilfstatsachen darlegt und ggf. unter Beweis stellt, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft vermuten lassen. Ein Indiz für eine Benachteiligung ist bei einem öffentlichen Arbeitgeber die unterbliebene Einladung des schwerbehinderten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch (BAG 21.07.2009 EzA § 82 SGB IX Nr. 1). Der Arbeitgeber trägt dann die Beweislast dafür (§ 22 AGG), dass nicht auf die Behinderung bezogene Gründe seine Einstellungsentscheidung rechtfertigen, wenn der Bewerber glaubhaft macht, wegen seiner Behinderung benachteiligt worden zu sein. Das Gericht muss die Überzeugung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Schwerbehinderteneigenschaft und nachteiliger Entscheidung gewinnen (BAG 21.07.2009 EzA § 82 SGB IX Nr. 1; 12.09.2006 EzA § 81 SGB IX Nr. 14; 15.02.2005 EzA § 81 SGB IX Nr. 6; Sächs. LAG 19.09.2007 - 5 Sa 552/06 - ArbuR 2008, 403 LS; BVerwG 22.02.2008 - 5 B 209/07 - EzA-SD 4/2009 S. 16 LS). Für den Nachweis, dass für die Nichteinladung einer Bewerberin oder eines Bewerbers zum Vorstellungsgespräch ausschließlich andere Gründe als die Behinderung erheblich waren, kann ein öffentlicher Arbeitgeber insoweit nur solche Gründe heranziehen, die nicht die fachliche Eignung betreffen. Hierfür enthält die in § 82 S. 3 SGB IX geregelte Ausnahme mit dem Erfordernis der "offensichtlich" fehlenden Eignung eine abschließende Regelung (BVerwG 03.03.2011 NZA 2011, 977).

Betrifft die Stellenbewerbung z.B. den Zugang zu einem öffentlichen Amt i.S.d. Art. 33 Abs. 2 GG (Volljurist bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts), so kann die Vermutung nicht bereits allein durch den Nachweis einer um mehrere Stufen besseren Examensnote des eingestellten Bewerbers entkräftet werden (BAG 21.07.2009 EzA § 82 SGB IX Nr. 1); die Berücksichtigung von Notenstufen stellt dann ein unzulässiges Nachschieben von Auswahlkriterien dar (a.A. LAG Nds. 24.04.2008 LAGE § 15 AGG Nr. 4), wenn in der Stellenausschreibung ausdrückliche Mindestanforderungen (z.B. Prädikatsexamen) nicht genannt werden (a.A. LAG Hamm 17.11.2005 - 8 Sa 1213/05 - FA 2006, 190 LS; s.a. Sachs. LAG 19.09.2007 - 5 Sa 552/06 - ArbuR 2008, 403 LS: ein bloßer Qualifikationsvorsprung eines anderen Bewerbers begrenzt den Entschädigungsanspruch). Die bessere Eignung von Mitbewerbern schließt eine Benachteiligung also nicht aus. Das folgt schon aus § 15 Abs. 2 S. 2 AGG. Danach ist selbst dann eine Entschädigung zu leisten, wenn der schwerbehinderte Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Daran zeigt sich, dass die Bestimmungen in § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX, § 82 S. 2 SGB IX i.V.m. § 15 Abs. 2 AGG das Recht des Bewerbers auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren schützen. Unter das Benachteiligungsverbot fallen auch Verfahrenshandlungen. Sind die Chancen eines Bewerbers bereits durch ein diskriminierendes Verfahren beeinträchtigt worden, kommt es nicht mehr darauf an, ob die (Schwer-)Behinderung bei der abschließenden Einstellungsentscheidung noch eine nachweisbare Rolle gespielt hat. Für den Bewerbungsverfahrensanspruch gelten deshalb andere Kriterien als für die Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG (BAG 21.07.2009 EzA § 82 SGB IX Nr. 1; BVerwG 03.03.2011 NZA 2011, 977).

Auch kann der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes die Benachteiligungsvermutung nicht allein mit dem Hinweis widerlegen, der Arbeitnehmer erfülle nicht den in der Stellenausschreibung verlangten formalen Ausbildungsabschluss einer bestimmten Hochschulart. Denn der öffentliche Arbeitgeber ist im Hinblick auf Art. 33 Abs. 2 GG gehalten, das Anforderungsprofil ausschließlich nach objektiven Kriterien festzulegen. Daher ist es unzulässig, einen für die Art der Tätigkeit nicht erforderlichen Ausbildungsabschluss einer bestimmten Hochschulart (z.B. Fachhochschuldiplom) zu verlangen; Bewerber mit gleichwertigen Bildungsabschlüssen dürfen nicht ausgeschlossen werden (BAG 12.09.2006 EzA § 81 SGB IX Nr. 14).

Entgegen der Auffassung des LAG Hessen (07.11.2005 NZA-RR 2006, 312) ist es dem Arbeitgeber im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung auch nicht verwehrt, sich auf sachliche Gründe für die Ablehnung zu berufen, die er dem betroffenen Bewerber bei seiner Unterrichtung nach § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX nicht mitgeteilt hat.

Die Einhaltung der Ausschlussfrist nach § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 SGB IX zur Geltendmachung einer Entschädigung wegen Diskriminierung setzt nicht die Angabe einer bestimmten Forderungshöhe voraus. Denn nach dem Gesetz muss lediglich "ein Anspruch" geltend gemacht werden (BAG 15.02.2005 EzA § 81 SGB IX Nr. 6).

Maßgeblich für die objektive Eignung ist das vom öffentlichen Arbeitgeber unter Berücksichtigung von Art. 33 Abs. 2 GG erstellte Anforderungsprofil (s.a. BAG 16.09.2008 EzA § 81 SGB IX Nr. 17; 21.07.2009 EzA § 82 SGB IX Nr. 1; BVerwG 03.03.2011 NZA 2011, 977, 15.12.2011 2 A 13, 10 FA 2012, 75) sowie zuletzt BAG 16.02.2012 - 8 AZR 697/10 -). Insoweit wird zur weiteren Begründung auf Seite 7, 8 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 117, 118 d.A.) Bezug genommen.

Nach Maßgabe dieser Kriterien ist der Kläger entgegen der von ihm vertretenen Auffassung als offensichtlich ungeeignet anzusehen, weil er das Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle nicht erfüllt. Der Kläger verfügt über keine der ausdrücklich aufgeführten Ausbildungen und auch nicht über eine "ähnliche" Ausbildung.

Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das, was eine "ähnliche" Ausbildung in diesem Sinne ist, sich anhand der in der Stellenbeschreibung angeführten Tätigkeit und der zu bewältigenden "Sekretariatsaufgaben", die auch beispielhaft aufgeführt werden, ermitteln lässt. Danach muss es sich bei den auch zugelassenen Ausbildungen - ebenso wie bei den ausdrücklich genannten Ausbildungsgängen - um solche handeln, die auch Sekretariatstätigkeiten im Ausbildungsplan enthalten. Das ist bei der Ausbildung zum Bankkaufmann bzw. Sparkassenkaufmann nach den jeweiligen Ausbildungsplänen nicht der Fall. Der Kläger selbst behauptet auch lediglich, dass die Ausbildung zum Bürokaufmann üblicherweise auch die Büroorganisation umfasse, trägt entsprechendes aber nicht zum Bankkaufmann vor. Dass er möglicherweise aufgrund seiner beruflichen Verwaltungserfahrung in der Lage wäre, zumindest nach einer Einarbeitungszeit auch Sekretariatsarbeiten, wie sie vorliegend gefordert werden, die sich durch die (Mit-)Organisation der Arbeit einer anderen Person hervorheben, ausführen könnte, spielt demgegenüber keine Rolle. Denn die Stellenausschreibung fordert unter dem Gesichtspunkt der Bestenauslese und im Hinblick auf die in Rede stehende konkrete Position zutreffend eine entsprechende Ausbildung. Der Festlegung einer formalen Ausbildungsqualifikation kommt gerade die Aufgabe zu, die durch eine Prüfung nachgewiesener Befähigung zur Erledigung bestimmter Aufgaben ab-strakt zu beschreiben.

Der Kläger beruft sich insoweit ohne Erfolg darauf, dass das beklagte Land die Bewerberinnen L. und T. trotz ebenfalls nicht gegebener einschlägiger oder ähnlicher Ausbildung zum Vorstellungsgespräch eingeladen hat. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung (= S. 9, 10 = Bl. 119, 120 d.A.) Bezug genommen. Denn dass schwerbehinderte Bewerber/innen eingeladen wurden, die ihrerseits nicht oder möglicherweise "offensichtlich" nicht geeignet im Sinne des § 82 S. 3 SGB IX sind, ändert nichts daran, dass dem Kläger seinerseits die fachliche Eignung offensichtlich fehlt und er gerade deshalb nicht zum Vorstellungsgespräch einzuladen war. Aus der Tatsache, dass der Kläger nicht zum Vorstellungsgespräch geladen wurde, folgt somit vorliegend keine Vermutung für eine Benachteiligung des Klägers. Damit ist die Klage unbegründet, nachdem weitere Tatsachen, die eine Diskriminierung des Klägers aufgrund seiner Schwerbehinderung belegen könnten, nicht ersichtlich und insbesondere nicht vorgetragen sind.

Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhalts. Es enthält zum einen keine neuen, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen unter Beweisantritt, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten. Gleiches gilt für neue Rechtsbehauptungen zur Auslegung der hier maßgeblichen Vorschriften. Es macht lediglich deutlich, dass der Kläger - aus seiner Sicht verständlich - mit der tatsächlichen und rechtlichen Bewertung des streitgegenständlichen Lebenssachverhalts durch das Arbeitsgericht, der die Kammer folgt, nicht einverstanden ist. Gerade nach dem persönlichen Eindruck, den die Kammer in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht gewonnen hat, ist es letztlich sicherlich bedauerlich, dass der Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Denn er hat dort einen durchweg positiven, aufgeschlossenen und ausgesprochen leistungswilligen Eindruck hinterlassen, der letztlich auch durch seine im vorliegenden Verfahren belegte berufliche Entwicklung bestätigt wird. Andererseits war auf Grund der zuvor dargestellten gesetzlichen Rahmenbedingungen und der entsprechenden Befugnisse des beklagten Landes eine andere Entscheidung ausgeschlossen.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

Referenznummer:

R/R5830


Informationsstand: 18.09.2013