Urteil
Verfahrensfehler bei der Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst - unterbliebene Einladung einer schwerbehinderten Bewerberin zum Vorstellungsgespräch

Gericht:

VGH Bayern


Aktenzeichen:

3 CE 04.2770


Urteil vom:

07.10.2004


Grundlage:

Nicht-amtliche Leitsätze:

1. Auch bei Aufnahme in das Beamtenverhältnis auf Widerruf gilt der Grundsatz, dass schwerbehinderte Menschen, die sich um einen Arbeitsplatz beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden; das gilt nicht nach § 82 Satz 3 SGB IX.

2. Bei der Auswahl eines Bewerbers ist eine Promotion nur als Hilfskriterium und daher gegenüber einer anerkannten Schwerbehinderung als nachrangig zu gewichten.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Behindertenrecht 06/2005

Aus den Gründen:

I. Das Begehren der Antragstellerin ist darauf gerichtet, sich die Möglichkeit der Aufnahme in den staatlichen Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des höheren Bibliotheksdienstes unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf offen zu halten, nachdem der Antragsgegner sich im Auswahlverfahren für die Beigeladene entschieden hatte.

Die 1974 geborene Antragstellerin schloss im Jahre 2001 an der Ludwig-Maximilians-Universität München das Studium der Biologie mit der Gesamtnote der Diplomhauptprüfung 1,2 "sehr gut bestanden" ab. Auf die Ausschreibung des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom 19.03.2004 bewarb sich die Antragstellerin, deren Schwerbehinderung zu 50 v. H. anerkannt ist, für den am 1.10.2004 beginnenden Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des höheren Bibliotheksdienstes, Fachrichtung Biowissenschaften. In die engere Wahl kamen neben der Antragstellerin fünf weitere Bewerber, darunter auch die für die Stelle ausgewählte Beigeladene. Sie hat das Studium der Biologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster im Juli 1999 mit der Gesamtnote "sehr gut" abgeschlossen. Bei der Bewerberauswahl wurde berücksichtigt, dass sie sich im Zeitpunkt der Bewerbung im Promotionsverfahren befand, das zwischenzeitlich ausweislich der Urkunde vom 26.7.2004 mit dem Gesamturteil "magna cum laude" abgeschlossen wurde. Bei einer Reihung der in die nähere Auswahl gekommenen Bewerber durch den Antragsgegner erhielt die Beigeladene den 2., die Antragstellerin den 5. Platz. Die auf der Liste auf Platz 1 bis 3 gesetzten Bewerber wurden zu einem Vorstellungsgespräch geladen. Der auf Platz 1 gesetzte Bewerber erschien nicht zum Vorstellungsgespräch. Die auf Platz 3 gesetzte Bewerberin, der auf Grund des Vorstellungsgesprächs der Vorzug gegeben worden war, nahm von der Bewerbung anschließend Abstand. Ausgewählt wurde die Beigeladene.

Der Antragstellerin wurde mit Schreiben vom 28.7.2004 mitgeteilt, dass ihre Bewerbung nicht berücksichtigt worden sei. Dagegen erhob sie mit Schriftsatz vom 5.8.2004 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist.

Mit Schriftsatz vom 5.8.2004 beantragte die Antragstellerin, dem Antragsgegner im Weg der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu untersagen, die im Bayerischen Staatsanzeiger vom 19.3.2004 für die Fachrichtung der Biowissenschaft vorgesehene Stelle in der Laufbahn des höheren Bibliotheksdienstes der ausgewählten Mitbewerberin zu übertragen und diese zum 01.10.2004 in den staatlichen Vorbereitungsdienst zu übernehmen. Zur Begründung bemängelte sie, dass sie trotz ihrer Schwerbehinderung nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen worden sei sowie dass sie wegen des Gleichstandes bei der Bewertung nach dem Leistungsprinzip und unter Außerachtlassung des gewillkürten Hilfskriteriums "Promotion erwünscht" wegen ihrer Schwerbehinderung hätte bevorzugt und somit berücksichtigt werden müssen.

Der Antragsgegner begründete seinen Antrag auf Antragsabweisung vor allem damit, das Prinzip der Bestenauslese und das Leistungsprinzip sei durch den Nachweis besserer Diplomprüfungszeugnisse der in der Reihung vor die Antragstellerin gesetzten Bewerber gewahrt; verstärkt werde dieses Ergebnis noch durch das Hilfskriterium "Nachweis der Promotion erwünscht", das allein die Antragstellerin nicht erfülle. Von einem Vorstellungsgespräch gemäß § 82 SGB IX habe die Behörde absehen können, da die Antragstellerin ihr bereits durch ihre vorangegangene Beschäftigung in der Bayerischen Staatsbibliothek im befristeten Angestelltenverhältnis zur Aushilfe persönlich umfassend bekannt gewesen sei.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 27.9.2004 den Antrag der Antragstellerin abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei zu verneinen, weil die Auswahl der Bewerber fehlerfrei stattgefunden habe. Unter dem Blickwinkel des § 5 Abs. 1 i. V. m. § 3 der insofern maßgebenden Zulassungs-, Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den höheren Bibliotheksdienst bei wissenschaftlichen Bibliotheken (ZAPOhBiblD) vom 9.12.2003 (GVBl. 2003, S. 295 i. d. F. vom 7.6.2004, GVBl. 2004, S. 253) sei die erfolgte Reihung anhand der Diplomnote, der Promotion bzw. des Promotionsvorhabens und der Eindrücke, die die Arbeitszeugnisse (Praktika, sonstige Tätigkeiten) vermittelten, nicht zu beanstanden. Insbesondere könne bei der wissenschaftlichen Qualifikation auch die Promotion berücksichtigt werden, da sie einen weiteren Nachweis der wissenschaftlichen Befähigung gebe. Dieses Kriterium könne bei der Reihung der Bewerber nach ihrer Eignung noch vor dem der Schwerbehinderung herangezogen werden. Ob auch die auf Platz fünf gesetzte Antragstellerin zu einem Auswahlgespräch nach Maßgabe des § 82 Satz 2 SGB IX hätte eingeladen werden müssen, könne offen bleiben, weil der insoweit die Beweislast tragende Antragsgegner habe darlegen können, dass die Auswahl der Beigeladenen nach sachlichen Gründen erfolgt sei und keine Benachteiligung der Antragstellerin wegen ihrer Schwerbehinderung darstelle.

Gegen diesen Beschluss legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 29.9.2004 beim Verwaltungsgericht Beschwerde ein.


II. Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet.

Die im Rahmen der Stellenbesetzung vorzunehmende Auswahlentscheidung ist gemäß dem Verfassungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 94 Abs. 2 BV (vgl. auch Art. 12 Abs. 2 BAyBG, §§ 2, 10 LbV) nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu treffen. Nach diesen Kriterien hat der Dienstherr auch die Auswahl unter mehreren in Betracht kommenden Bewerbern vorzunehmen. Nur dann, wenn Bewerber diese Kriterien im Wesentlichen gleich gut erfüllen, kann der Dienstherr die Auswahl des am besten Geeigneten nach weiteren sachgerechten Merkmalen, den sog. Hilfskriterien, treffen.

Schwerbehinderte Bewerber haben nach § 14 Abs. 1 Satz 3 LbV, auf die auch in Gldg. Nr. III 8.1.1 des Fürsorgeerlasses ( Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 17.4.2002 - FMBl. 2002 S. 187 ff.) verwiesen wird, Vorrang vor gesetzlich nicht bevorrechtigten Bewerbern gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen Arbeitsplatz beworben, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt (§ 82 Sätze 2 und 3 SGB IX). Dementsprechend ist nach Gld. Nr. III 7 des Fürsorgeerlasses von dem Vorstellungsgespräch nur dann abzusehen, wenn ... eine Einstellung auf Grund der in einer Einstellungsprüfung oder in einem Ausleseverfahren erzielten Platzziffer ausscheidet.

Diese Grundsätze gelten auch bei der Aufnahme in das Beamtenverhältnis auf Widerruf im Rahmen der Zuteilung eines Platzes zur Ableistung des Vorbereitungsdienstes im Rahmen einer Bedarfausbildung, wie dies die verfahrensgegenständliche darstellt (§ 5 i. V. m. § 3 ZAPOhBiblD).

Vorliegend wurde gegen diese Grundsätze verstoßen und die Antragstellerin zu Unrecht nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Zum einen fehlt ihr nämlich nicht offensichtlich die fachliche Eignung für die Ableistung des Vorbereitungsdienstes, zum anderen erfüllt sie im Wesentlichen gleich gut wie die ihr in der Reihung des Besetzungsvorschlags vorgezogenen Bewerber die Kriterien von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Dies aus folgenden Gründen:

Der Antragsgegner hat die fachliche Eignung der Bewerber anhand der Diplomprüfungsnoten gemessen. Dies steht im Einklang mit dem dargelegten Grundsatz der Bestenauslese und den Regelungen in § 5 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der ZAPOhBiblD. In den "Gründen für den Reihungsvorschlag im Fach Biowissenschaften ist auch zu Recht festgehalten, dass der Notenvergleich allein ein zu wenig differenziertes Bild ergeben und keine abschließende Bewertung zugelassen habe, wer der am besten geeignete Kandidat sei. Die später - im Laufe des gerichtlichen Verfahrens - von Seiten des Antraggegners vorgenommenen Versuche einer Differenzierung anhand z. B. der innerhalb der Diplomzeugnisse aufgeführten einzelnen Noten bringen in verschiedenen Schriftsätzen unterschiedliche und insgesamt keine überzeugenden Ergebnisse. Sie sind teilweise auch unschlüssig, so etwa in ihrer Bezugnahme auf die Bescheinigung vom 28.11.2003, die dem Schriftsatz der Landesanwaltschaft Bayern vom 4.10.2004 beigelegt war und bei der Bewertung der Diplomprüfung insgesamt die Note sehr gut ( 1,0) nennt, während das bei den Verfahrensakten befindliche Prüfungszeugnis der Diplom-Biologen-Hauptprüfung vom 12.7.1999 bei den bezifferten Noten eine Dezimalstelle aufweist, die dieses Ergebnis unplausibel erscheinen lässt. Ferner steht die im gerichtlichen Verfahren dargelegte Differenzierung im Gegensatz zu der Systematik des Reihungsvorschlags, bei dem etwa der Gesamtnote 1,2 den Diplomergebnissen sehr gut (keine Dezimal-Note) oder mit Auszeichnung einmal Vorrang, mehrmals aber auch der Nachrang zugewiesen wird.

Das Vorliegen einer Promotion wurde demgegenüber nur als Hilfskriterium gewichtet. Dies ergibt sich bereits aus den Plätzen 5 und 6 des Reihungsvorschlags, die anderenfalls die umgekehrte Reihenfolge aufweisen müssten. Ferner hat dies auch die Bayerische Staatsbibliothek ausweislich ihrer an das Verwaltungsgericht gerichteten Antragserwiderung vom 11.8.2004 so gesehen. Diese Sichtweise stimmt auch überein mit der Systematik des § 3 ZAPOhBiblD. Nach dessen Satz 1 können (im Sinn einer zwingenden Voraussetzung) in den Vorbereitungsdienst Bewerber eingestellt werden, welche die unter Gliederungsnummer 1 bis 3 näher dargelegten Voraussetzungen erfüllen. In einem folgenden Satz 2 - und somit schon optisch und systematisch abgesetzt - ist festgelegt, dass darüber hinaus der Nachweis der Promotion erwünscht ist. Der Text der Stellenausschreibung vom 19.3.2004 folgt dieser Systematik.

Der Antragsgegner hat hieraus aber nicht die zutreffende Konsequenz gezogen, dieses Hilfskriterium der Promotion bei der Frage, ob die Antragstellerin zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen sei, gegenüber deren Eigenschaft als anerkannte Schwerbehinderte als nachrangig zu gewichten und somit außer Betracht zu lassen. Vielmehr hat der Antragsgegner im Ergebnis eine Differenzierung anhand nachgewiesener Promotionen und sogar anhand weiterer, von dem gebotenen Grundmaßstab der Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung noch entfernterer Hilfskriterien wie etwa (sei es in fachnahen, sei es in fachfernen Beschäftigungen erlangte) Arbeitszeugnisse vorgenommen. Dies ist nicht sachgerecht und führt in rechtswidriger Weise zu einer Verletzung des Verfahrensanspruchs, den das Schwerbehindertenrecht der Antragstellerin gibt. Aus den vorangehenden Erwägungen ergibt sich auch ohne weiteres, dass die Voraussetzung des § 82 Satz 3 SGB IX nicht erfüllt ist, wonach eine Einladung entbehrlich ist, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Der Verfahrensmangel schlägt auch auf das Verfahrensergebnis in der Weise durch, dass die von der Antragstellerin durchgeführte Stellenbesetzung in einem von der Antragsgegnerin angestrengten Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Bestand haben kann. Es ist nämlich ohne weiteres denkbar, dass die nach der Papierform dem übrigen, in die engere Auswahl genommenen Bewerberfeld unter Leistungsgesichtspunkten gleich zu bewertende Antragstellerin in einem Vorstellungsgespräch ihre Position hätte halten können, womit sie dann gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 LbV bei der Einstellung den Vorrang gegenüber ihren gesetzlich nicht bevorrechtigten Bewerbern gehabt hätte.

Dem Antrag der Antragstellerin und ihrer Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Referenznummer:

R/R2150


Informationsstand: 20.03.2006